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Staatsanwalts Entscheidung

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Silke konnte es kaum fassen. Mit Verwunderung las sie, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Luftgucker eingestellt hatte. Der Staatsanwalt teilte ihr in dem Schreiben wörtlich mit, dass der Polizeibeamte Pappulski sich „ein bisschen“ falsch verhalten habe, und „daher dessen Vergehen geringfügig“ sei. Ein bisschen falsch ist aber eben auch falsch und die Verletzungen, die er ihr zugefügt hatte und die sie lange Zeit beeinträchtigten, waren nicht geringfügig. Wie konnte dann Pappulskis Vergehen geringfügig sein? Das war absolut ausgeschlossen, dachte Silke kopfschüttelnd.

Im Beruf des Pappulski könnte dieses, vom Staatsanwalt als ein bisschen falsch bezeichnete Verhalten dem „falschen“ Gegner entgegengebracht, hochgefährliche Auswirkungen haben, auf ihn selbst, seine Kollegen oder unbeteiligte Dritte. Quasi als Funke, der ein loderndes Feuer entfacht. Von Geringfügigkeit der Tat könnte man, wenn überhaupt, vielleicht bei einem normalen Bürger sprechen, doch nicht bei einem Vertreter der Staatsmacht, der eine spezielle Berufsausbildung genossen hat. Wenn sich ein Vertreter des Staates so unbesonnen und aggressiv verhält, dann ist das nicht geringfügig.

Der Polizist Pappulski handelt im Auftrag des Rechtstaates, der u. a. durch die Polizeibeamten mitgetragen und vertreten wird. Die Polizei ist eine der tragenden Säulen des Staates. Wenn ein Polizeibeamter einen Bürger oder eine Bürgerin leichtfertig, vorsätzlich und ohne Grund verletzt, dann steht das durchaus im öffentlichen Interesse. Der Staatsanwalt teilte ferner mit, er glaube, der Beamte Pappulski sei „möglicherweise durch das bisherige Verfahren, vorausschauend auf sein zukünftiges dienstliches Verhalten, hinreichend beeindruckt“, deshalb habe er das Verfahren eingestellt. Silke bedachte, dass diese Verhaltensauffälligkeit des Beamten jederzeit wieder vorkommen könnte, wenn er mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Verfahrenseinstellung rechnen durfte. Silke wurde immer klarer, dass die Behörde den Fall einfach vom Tisch haben wollte.

In der Demokratie ist es wichtig, dass die Menschen sich an Recht und Gesetz

halten.

Nach Silkes Empfinden hatte der Staatsanwalt Recht und Gesetz ignoriert. Er überging sie als Opfer total und beurteilte offenbar sehr lax, dass der Polizeibeamte durch seine nicht vorher angekündigten, unverhältnismäßigen Kraftattacken, so wie es das Gesetz allerdings vorschrieb, gegen Gesetze verstoßen hatte. Er durfte ihn doch nicht einfach, als wäre das nicht geschehen, seinen Dienst ungeahndet weiter versehen lassen, fand Silke. Ihre Zugehörigen sahen das genauso.

Silkes unbedarftes Verhalten, den Schlüssel ins Tor zu stecken, wertete der Staatsanwalt hingegen so, dass sie damit zu einer Eskalation der Lage beigetragen hätte. Niemals hätte Silke es sich je vorstellen können, dass es falsch sein könnte, in Anwesenheit der Polizei einen Schlüssel in das Schloss zu stecken, in das er gehört, zumal sie nicht dazu aufgefordert wurde, es zu unterlassen. Wie konnte also der Staatsanwalt in ihrer banalen Handlung eine Eskalation ausmachen?

Polizisten erhalten eine spezielle Ausbildung, die auf Deeskalation gerichtet ist. Von ihnen erwartet man Besonnenheit. Der Beamte Pappulski wäre verpflichtet gewesen, Silke darauf hinzuweisen, den Schlüssel nicht ins Schloss zu stecken, wenn ihm dies wichtig war. Dass sie damit seine Aggressionen noch verschlimmerte, konnte Silke nicht wissen. Darauf hinzuweisen war seine erste Pflicht, die er unterließ. Ebenso versäumte er es, seinen Gewaltakt anzumelden, wie das Gesetz es verlangt, so dass Silke keine Möglichkeit blieb, zu reagieren, um der schmerzhaften Körperverletzung zu entgehen. Seine Körperverletzung im Amt passierte wegen einer Lappalie, einem Missverständnis. Dass eine Frau in Gegenwart von zwei starken Männern einen Schlüssel ins Schloss steckte, konnte unter normalen Menschen doch unmöglich eine Gefahrensituation herbeiführen. So etwas kann nur dann passieren, wenn mindestens einer der starken Männer nicht ganz bei Sinnen ist, die Lage eskalieren lässt, und der zweite überfordert dabei zusieht und Hilflosigkeit vortäuscht, dachte Silke. Sie ging zum Küchenschrank und holte sich ein Glas Orangensaft und einen Schokoriegel als Nervenfutter.

Nichtsdestoweniger hatte der deutsche Rechtsstaat noch eine Überraschung für sie parat. Nach weiteren zwei Wochen erhielt sie Post vom Polizeipräsidenten, der ihr mitteilte, dass mit der Einstellung des Verfahrens der Staatsanwaltschaft die Angelegenheit nun auch für ihn erledigt sei und die Sache zu den Akten gelegt würde. Im Umkehrschluss hieß das für Silke, der Luftgucker hatte gemäß den rechtsstaatlichen Entscheidungen alles richtig gemacht und kam nun ungeschoren davon. Das erteilte ihm somit gewissermaßen den Freibrief, weiterhin so, in seiner Art, handeln zu dürfen, im Vertrauen auf die Nachsicht seines Dienstherrn.

Machtmissbrauch als gegeben hinzunehmen und darüber hinaus auch anzuerkennen, Machtmissbrauch, der auch noch unvorhergesehene, unnötige Gefahren für die Sicherheit und Ordnung im Staat erzeugen könnte, zu entdramatisieren, zu decken und durchzuwinken, war in Silkes Augen auf dem Gerechtigkeitswege eine Sackgasse und eine völlig ungeeignete Strategie der Behörde. Mit dieser schnöden Rechtsanschauung konnte Silke sich nicht zufrieden geben. Sie recherchierte viel im Internet nach dem Recht und stieß auf einige interessante Fakten.


GEFANGEN in der Gesetzesmühle

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