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IV.Die subsidiäre Anwendung des allgemeinen Strafrechts

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162Da das JGG nur die für Jugendliche und Heranwachsende geltenden Sonderbestimmungen enthält, greifen überall dort, wo sich eine solche Sonderregelung nicht findet, ergänzend die „allgemeinen Vorschriften“ des Strafrechts ein (§ 2 II JGG und § 10 StGB). Welches z. B. die Tatbestandsmerkmale eines Mordes, Diebstahls, Betruges oder einer Urkundenfälschung sind, das ergibt sich aus dem Besonderen Teil des StGB. Ebenso haben die Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe des allgemeinen Strafrechts sowie die Bestimmungen des StGB über Versuch und Teilnahme unbeschränkte Geltung auch für das Jugendstrafrecht.

163In der Literatur wird allerdings zunehmend gefordert, die Tatbestände des materiellen Strafrechts bei Anwendung auf Jugendliche „jugendadäquat“ auszulegen. Das Gebot einer „jugendadäquaten Auslegung“ lasse sich aus § 2 I S. 2 JGG ableiten. Der Erziehungsgedanke als grundlegendes Prinzip des Jugendstrafrechts müsse im gesamten Strafverfahren Anwendung finden, was auch die Auslegung der allgemeinen Vorschriften des StGB durch das Jugendgericht mit einschließe. Dadurch könne das tatbestandliche Unrecht bei Jugendlichen und Heranwachsenden anders als bei Erwachsenen zu bewerten sein.283 So seien z. B. die Straftatbestände zur Bandendelinquenz in §§ 244, 244a StGB teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Tatbestände auf Jugendbanden keine Anwendung finden. Eine “jugendadäquate Gesetzesauslegung“ biete sich ferner für das Merkmal des „Erschleichens von Leistungen“ bei § 265a StGB oder für den Begriff der „Drohung“ in §§ 240, 241 StGB an.284 Auch bei den Rechtfertigungsgründen, insbesondere bei der rechtfertigenden Einwilligung in eine Körperverletzung, und im subjektiven Tatbestand bzw. bei der Feststellung von Fahrlässigkeitsunrecht müsse der Erziehungsgedanke bereits in die Auslegung des materiellen Strafrechts einfließen.285 Aus unserer Sicht lässt sich aus § 2 I S. 2 JGG jedoch kein Gebot einer „jugendadäquaten Gesetzesauslegung“ ableiten. Vielmehr stützt der Wortlaut in § 1 I JGG mit dem generellen Verweis auf die Normen des allgemeinen Strafrechts die Annahme des BGH, dass sich das Tatunrecht zunächst ausschließlich nach den Vorgaben des allgemeinen Strafrechts und der dafür geltenden allgemeinen strafrechtlichen Auslegungsgrundsätze bestimmt. Der jugendstrafrechtliche Erziehungsgedanke entfaltet erst im Strafverfahren und auf der Rechtsfolgenseite Wirkung. Die Tatbestände des StGB und des Nebenstrafrechts sind also zunächst nicht nach Sondermaßstäben zugunsten oder zulasten von Jugendlichen oder Heranwachsenden auszulegen.286 Nur im subjektiven Tatbestand und im Rahmen der Schuld ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass man es mit einem noch unreifen und lebensunerfahrenen Täter zu tun hat, der die Konsequenzen seines Handelns gegebenenfalls nicht in gleichem Maße überblickt wie ein Erwachsener.

164Insgesamt sind also die begrifflichen Elemente und die Erscheinungsformen der Straftat im Jugendstrafrecht die gleichen wie im allgemeinen Strafrecht. Die jugendstrafrechtliche Sonderregelung bezieht sich vor allem auf die rechtlichen Folgen, welche die Straftat nach sich zieht. Hier ist die für die Erwachsenen geltende Regelung der Rechtsfolgen im dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils des StGB, der insbesondere von den Strafen, der Strafbemessung, der Strafaussetzung und den Maßregeln der Besserung und Sicherung handelt, in ihrem weitaus größeren Teil durch die abweichenden Bestimmungen der §§ 5 bis 31 JGG ersetzt. Da nun aber wichtige Bestimmungen des StGB (z. B. § 12 I und II mit der Zweiteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen) auf die im Jugendstrafrecht nicht geltenden Vorschriften des StGB über die Strafen Bezug nehmen, bestimmt § 4 JGG zur Klarstellung ausdrücklich, dass die Frage, ob eine Straftat eines Jugendlichen als Verbrechen oder Vergehen anzusehen ist und wann sie verjährt, nach den Vorschriften des allgemeinen Strafrechts zu entscheiden ist.

Beispiel:

Der Raub ist nach § 12 StGB in Verbindung mit § 249 StGB ein Verbrechen, weil er mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht ist. Im Jugendstrafrecht beträgt das Mindestmaß der Jugendstrafe, soweit überhaupt eine Jugendstrafe als Sanktion angebracht erscheint, 6 Monate. Trotzdem ist auch der von einem Jugendlichen begangene Raub ein Verbrechen, sein Versuch daher auch nach § 23 StGB strafbar. Die Strafverfolgungsverjährung tritt auch hier gemäß § 78 StGB nach 20 Jahren ein.

165In gleicher Weise richtet sich auch das Verfahren vor den Jugendgerichten nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, soweit nicht die §§ 43–81 und § 109 JGG abweichende Vorschriften für das Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende enthalten (Näheres unten Rn. 635 ff.).

Jugendstrafrecht

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