Читать книгу Jugendstrafrecht - Sabine Swoboda - Страница 43
Оглавление110Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Herabsetzung der Volljährigkeitsgrenze auf 18 Jahre, welche zugleich die Grenze für die Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit von Erziehungsmaßnahmen herabsetzt, ferner aus der Frage, ob ein völlig auf Strafe verzichtendes Jugendhilferecht sich auch auf Fälle schwerster Jugendkriminalität (z. B. vorsätzliche Tötungen, schwerer sexueller Missbrauch, schwere sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung) anwenden ließe. Fast noch schwieriger würden die Lösungen der verfahrensrechtlichen Probleme sein. Denn auch für ein Jugendhilferecht wird es notwendig sein, für die Feststellung von Taten von einigem Gewicht, die zum Anlass einschneidender Erziehungsmaßnahmen werden, ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren zu gewährleisten. Das formlose Verfahren in Familiensachen vor dem Familiengericht reicht hier nicht aus.
111Der Diskussionsentwurf von 1973 hatte für die Täter unter 16 Jahren auf Jugendstrafe völlig verzichtet, für die Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen aber nach einer mittleren Lösung gesucht. Den „Progressiven“ ging dieses Konzept nicht weit genug, den konservativen Kräften in der Praxis und der Justizverwaltungen wiederum zu weit. Daher hatte schon der auf den „Diskussionsentwurf“ folgende Referentenentwurf des Bundesjugendministeriums (1974) diesen völligen Verzicht auf Jugendstrafe für 14- bis 16-Jährige aufgegeben. Im Jahre 1990 wurde der Dualismus zwischen Jugendhilferecht und Jugendstrafrecht dann endgültig im Jugendhilfegesetz vom 26.6.1990193 – auch „SGB VIII“ genannt – zementiert. Das veraltete Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) wurde aufgehoben und vollständig durch das SGB VIII ersetzt.194
112Im 1. Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (BGBl I 1990, 1853)195 wurden dann einige kleinere, kaum umstrittene Änderungen des JGG auf den Weg gebracht. Die Altersgrenzen des JGG, die problematische Heranwachsendenregelung (§ 105 JGG) und die Voraussetzungen der Jugendstrafe blieben aber trotz langer und intensiver Diskussion um Reformbedarf in diesen Bereichen unberührt. Das 1. JGGÄndG brachte daher nur geringfügige Änderungen beim umstrittenen Jugendarrest (insbes. die Beschränkung des Freizeitarrests auf höchstens zwei Freizeiten). Von größerer praktischer Bedeutung war nur die Ausweitung der informellen Sanktionen durch ausdrückliche Aufnahme der Betreuungsweisung und der Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs in den Katalog der erzieherischen Weisungen des § 10 JGG (vgl. dazu Rn. 342 ff., 363 ff., 435 ff.), ebenso die großzügige Ausdehnung der Strafaussetzung zur Bewährung auf Jugendstrafe bis zu zwei Jahren (unter Wegfall der Einschränkungen des § 21 II JGG a. F.), ferner die Einführung einer Auflage, Arbeitsleistungen zu erbringen (zusätzlich zur Weisung des § 10 I S. 3 Nr. 4 JGG) und die Abschaffung der unbestimmten Jugendstrafe.
113Mit dem „Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht“ vom 8.7.2008196 wurde erstmals die Sicherungsverwahrung auch auf Jugendliche anwendbar, wenn auch zunächst nur in der Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 7 II JGG a. F.). Gegen Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden, konnte schon früher Sicherungsverwahrung verhängt werden, entweder als im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrungn (§ 106 III JGG a. F.) oder als nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung (§ 106 V JGG a. F.). Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung v. 17.12.2009197 und das Bundesverfassungsgericht in der nachfolgenden Entscheidung v. 4.5.2011 grundlegende Reformen angemahnt hatten, verfügte der Gesetzgeber im „Gesetz zur bundesgesetzlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung“ vom 5. Dezember 2012198, dass auch auf Jugendliche ab 1.6.2013 nur noch die vorbehaltene Sicherungsverwahrung zur Anwendung kommen darf (mehr Einzelheiten dazu Rn. 253).
114Die bedeutsamste Reform der letzten Jahre brachte das „Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten (JGGÄndG)“ v. 4.9.2012199 mit der Möglichkeit, einen „Einstiegsarrest“ in Kombination mit einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe oder einer Aussetzung des Strafausspruchs zur Bewährung gem. § 27 JGG zu verhängen (vgl. § 16a JGG). Außerdem wurde erstmals das von der Praxis ursprünglich auf der Grundlage von § 57 I S. 1 JGG entwickelte Institut der Vorbewährung gesetzlich geregelt (s. §§ 61–61b JGG) und das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende im Fall der Verurteilung wegen Mordes bei besonderer Schwere der Schuld von 10 auf 15 Jahre heraufgesetzt (vgl. § 105 III S. 2 JGG).
115Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass der Jugendstrafvollzug seit Ende 2007/Anfang 2008 endlich auf gesetzlicher Rechtsgrundlage vollzogen wird. Das BVerfG hatte zwar bereits in der Entscheidung BVerfGE 33, 1 v. 14.3.1972 deutlich hervorgehoben, dass jeglicher Strafvollzug eine gesetzliche Rechtsgrundlage benötigt, doch hatte der Gesetzgeber dem verfassungswidrigen Zustand eines Jugendstrafvollzugs ohne Jugendstrafvollzugsgesetz über vier Jahrzehnte hinweg nicht abgeholfen. In der Entscheidung BVerfGE 116, 69 v. 31.5.2006200 setzte das Gericht dem Gesetzgeber dann eine Frist zum 31.12.2007, um die notwendigen Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Da zwischenzeitlich durch die Föderalismusreform I201 die Gesetzgebungskompetenzen für den Strafvollzug auf die Länder übergegangen waren, gibt es heute 9 separate Länderjugendstrafvollzugsgesetze und 7 integrierte Länderstrafvollzugsgesetze (vgl. Rn. 926 ff.), deren Einzelregelungen aber z. T. voneinander abweichen.
116Im Verfahrensrecht gab es in den letzten Jahrzehnten ebenfalls einige bedeutsame Neuerungen, insbesondere mit der Einführung der Einstellungsmöglichkeit gem. §§ 45, 47 JGG. Zu nennen sind ferner die Bestimmungen, die sich um eine Einschränkung der Untersuchungshaft bei Jugendlichen bemühen, insbesondere bei denjenigen, die noch nicht 16 Jahre alt sind (vgl. dazu Rn. 833 ff.). Die Bestimmungen beinhalten auch eine Vorschrift zur Ausweitung der notwendigen Verteidigung im Falle der Untersuchungshaft bei Jugendlichen (s. Rn. 664 ff.). Verfahrensrechtlich bedeutsam ist ansonsten die problematische Zulassung der Nebenklage auch in Verfahren gegen Jugendliche unter den Bedingungen von § 80 III JGG (s. dazu Rn. 859 ff.). Infolge europäischer Gesetzgebung wurden andererseits die Verfahrensrechte von Jugendlichen im Strafverfahren erheblich gestärkt.202