Читать книгу Jugendstrafrecht - Sabine Swoboda - Страница 39
2.Die Zeit des Dritten Reichs und das Reichsjugendgerichtsgesetz von 1943
Оглавление104Die Weiterentwicklung auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts wurde in den Jahren von 1933 bis 1945 einerseits durch die Fehlentwicklungen beeinträchtigt, die das gesamte Strafrecht der NS-Zeit betrafen, andererseits gelang es während des Krieges, alte Ziele der Jugendgerichtsbewegung zu verwirklichen. Dies nun jedoch unter den falschen ideologischen Vorzeichen, so dass aus ursprünglich erzieherisch intendierten Projekten der Jugendgerichtsbewegung im Zusammenspiel mit der nationalsozialistischen Unrechtsordnung und der NS-Ehr- und Rassenideologie neue Straf- und Unterdrückungsmechanismen zulasten der nicht NS-systemkonform parierenden Jugendlichen entstanden.173 Die Verordnungen vom 4.10.1940 und vom 10.9.1941 führten den Jugendarrest und die Jugendgefängnisstrafe von unbestimmter Dauer ein. Dabei zeigte sich insbesondere der Jugendarrest als willfähriges Instrument zur Unterdrückung und gewaltsamen Vereinnahmung der nicht mit der NS-Ideologie und ihren Anforderungen an die Mitglieder der Volksgemeinschaft konform gehenden jungen Menschen. Der neue Jugendarrest konnte durch die Gerichte und, ganz im Sinne des nationalsozialistischen Ziels, seinen Polizeikräften schrankenlose Gewalt auch auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung einzuräumen, unmittelbar durch die Polizei verhängt werden (§ 52 JGG 1943).174 Die Notwendigkeit dieser neuen Erziehungs-, Ehren- oder Schockstrafe175 wurde einerseits damit begründet, dass es bei manchen erziehungsgeeigneten jungen Tätern sinnvoll sei, die negativen Wirkungen und den Makel der Jugendstrafe, insbesondere den Makel des Vorbestraftseins, zu meiden.176 Andererseits diente die Einführung des Jugendarrests aber auch dazu, eine für die nationalsozialistische Rechtsauslegung typische Umwertung der Jugendstrafe vornehmen zu können, von einer ideologisch neutralen Sanktionen in eine „Ehrenstrafe“ mit Auslesefunktion, deren Verhängung allein bereits offenbare, dass der Betroffene nicht resozialisiert und damit auch nicht mehr in die deutsche Volksgemeinschaft integriert werden könne.177 Der betroffene Jugendliche müsse aus der Gemeinschaft ausgeschlossen oder zur Sicherheit der Allgemeinheit in „Schutz- und Konzentrationslagern“ verwahrt werden.178 Als Erziehungs-, Ehren- oder Schockstrafe sollte der Jugendarrest die erzieherischen Maßnahmen des JGG nicht nur ergänzen, sondern nach der Idee Freislers sogar den Raum wesentlich beherrschen, den bis dahin die Erziehungsmaßnahmen behauptet hatten.179 Der Jugendarrest sollte sich, ganz im Sinne der NS-Weltanschauung, nur auf „gutgeartete“, d. h. weltanschaulich für die NS-Ideologie zugängliche Jugendliche180 konzentrieren, während die Jugendstrafe für die „Unerziehbaren“, die aus „volkshygienischen“ oder „rassenbiologischen“ Gründen181 aus der Gemeinschaft auszuschließenden jugendlichen Straftäter vorbehalten bleiben sollte. Neben Polizei und Jugendgerichten erhielt auch die Hitlerjugend (HJ) eine Befugnis zur Bekämpfung von Straftaten im Rahmen ihres internen Disziplinarrechts. Die HJ konnte sich zudem am Jugendstrafverfahren beteiligen und die Durchführung der „Schutzaufsicht“ als jugendgerichtlich angeordnete Erziehungsmaßregel übernehmen.182
105Das Reichsjugendgerichtsgesetz von 1943183 brachte auf der Grundlage der durch die Verordnungen vom 4.10.1940 und vom 10.9.1941 geschaffenen Neuerungen eine Umgestaltung des gesamten Jugendstrafrechts. Es beruhte in seinem materiell-rechtlichen Teil auf der Dreigliederung der Rechtsfolgen der Jugendstraftat in Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendgefängnis. Der Jugendarrest als wichtigstes Zuchtmittel sollte die kurzzeitige Freiheitsstrafe ersetzen. Seine Einführung machte die Begrenzung des Mindestmaßes der echten Freiheitsstrafe auf zunächst 3 Monate möglich. Durch die Bezeichnung dieser einzigen gegen Jugendliche zulässigen Kriminalstrafe als „Jugendgefängnis“ wurde diese auch äußerlich gegenüber den Freiheitsstrafen des Erwachsenenrechts abgehoben. Ihre innere Eigenständigkeit kam in der Beseitigung der für das allgemeine Strafrecht geltenden Strafrahmen, in den Vorschriften über Vollstreckung und Vollzug sowie in der Zulässigkeit der unbestimmten Strafdauer zum Ausdruck. Auch die weitere erzieherische Ausgestaltung der Jugendstrafe und die Einführung der „Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch“ sind als wesentliche Neuerungen und Fortschritt zu nennen. Zu den Rückschritten, die das RJGG vom 6.11.1943 mit sich brachte, zählen ansonsten die völlige Beseitigung der Strafaussetzung zur Bewährung, ferner die mit dem RJGG von 1943 verfügte „Auflockerung“ der Altersgrenzen in § 3 II S. 2 RJGG, die es ermöglichte, in schweren Fällen auch Kinder über 12 Jahre zu bestrafen, „wenn der Schutz des Volkes wegen der Schwere der Verfehlung eine strafrechtliche Ahndung fordert“, und andererseits die Möglichkeit, auf „frühreife Personen“, die in ihrer Entwicklung einem über 18-Jährigen gleichstellt werden konnten (§ 20 I RJGG von 1943) und auf „charakterlich abartige Schwerverbrecher“ unter 18 Jahren (§ 20 II RJGG von 1943) Erwachsenenstrafrecht anzuwenden.184 Die schon damals beabsichtigte Einbeziehung der „Heranwachsenden“ in das Jugendstrafrecht musste mit Rücksicht auf Krieg und Wehrdienst unterbleiben. Gem. § 1 II S. 1 RJGG von 1943 wurde das RJGG zudem zum „Deutschenstrafrecht“ erklärt. Auf andere (gemeint waren die sog. „Fremdvölkischen“ „artverwandten Blutes“; RiLi zu § 1 II RJGG von 1943) war das Gesetz allenfalls noch sinngemäß anwendbar (§ 1 II S. 2 RJGG). Ansonsten waren Ausländer der Willkür der Polizei oder des NS-Kriegsstrafrechts überantwortet.185