Читать книгу Zerbrochene Puppen / Im Haifischbecken /Der Fall Yonko K. - Drei Romane in einem Band - Sascha Behringer - Страница 22
XII. Kaninchen aus dem Hut
ОглавлениеHier war der Tag glutheiß, am Mittag stäubte ein Südwind wie ein Hauch vom Höllenschlund.
- Robinson Jeffers -
Sie fahren schnell. Immer durch die Stadt. Pascal sitzt hinten in einem riesigen Auto und guckt aus dem Fenster. Überall sind Pfützen. Das kommt vom Regen. Er läuft gerne durch Pfützen. Aber nur mit Gummistiefeln.
Vor ihm sitzt der dicke Mann, der ihm die Holzpuppen gegeben hat. Daneben, am Steuer, sitzt einer, der hat ein Kinn wie ein Vogelschnabel. Sie reden. Aber er kann sie nicht verstehen. Sie haben andere Wörter als er.
Pascal hat so viele Bonbons gegessen, dass ihm schlecht ist. Der dicke Mann hat sie ihm in die Hosentaschen gesteckt, bevor sie zum Auto gegangen sind. Er hat ihm auch rote Brause zu trinken gegeben. Die Bonbons sind aus Schokolade, sie sind in glitzerndes Papier gewickelt, mit Bildern drauf. Ein Bild mit einem großen Bären mag er am liebsten. Von Jana kriegt er manchmal auch Bonbons, aber nicht solche.
Seine Hände kleben. Die letzten Bonbons in seiner Hosentasche sind geschmolzen. Er steckt die Hand hinein. Es fühlt sich eklig an. Auch sein Mund klebt. Viel lieber will er jetzt Nudeln mit Tomatensoße.
Er sieht eine Straßenbahn und ein Krankenauto mit Blaulicht vorbeifahren.
Wo war die Frau mit den Sternenaugen? „Mamu…“, flüstert er. Das Wort war noch länger gewesen, aber er weiß es nicht mehr.
Er denkt daran, wie sie mit ihm durch die Stadt gelaufen ist. Wie sie seine Hand gehalten hat. Wie sie gelacht hat. Ihre Hand war warm gewesen. Und ihr Lachen schön. Warum hatte sie Krolik zu ihm gesagt? Sie war mit ihm in ein Haus gegangen, zu dem dicken Mann, und danach war sie nicht mehr da.
Und wo ist Papa?
Er will nach Hause.
Das Auto hält an.
Pascal reckt den Hals. Draußen ist ein bunter Zaun. Dahinter viele Kinder auf einem Spielplatz. Sie haben bunte Regenjacken an.
Der dicke Mann steigt aus, kommt um das Auto herum, öffnet die Tür und sieht ihn an.
„Na, Wolfskind“, sagt er, „du machst eine Reise, was?“ Dann packt er ihn und hebt ihn aus dem Auto. Der Mann lacht. „Da! Kinder gehen zu Kindern! Hoppla!“ Er hebt ihn hoch in die Luft über seinen Kopf.
Pascal macht sich steif.
Mit zitternden Händen steckte Sunja ihre Waffe zurück. Ihr Herz schlug heftig, und ihr Atem ging stoßweise. In dem Bewusstsein, dass alle Augen auf ihren Rücken gerichtet waren, sah sie in den Regen und holte ein paarmal tief Luft. Dann schloss sie das Fenster und drehte sich langsam um.
Ihre Kollegen starrten sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Es herrschte betretenes Schweigen. Ihr Blick blieb am Gesicht des BKA-Mannes hängen, der sie mit gerunzelter Stirn fixierte.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Böttcher.
Sie erklärte, soeben das gleiche Geräusch gehört zu haben wie vor den Schüssen in ihrer Wohnung.
Die steile Falte auf der Stirn Schefflers wurde tiefer. Er beugte sich zu ihrem Chef hinüber und flüsterte. Der schüttelte den Kopf.
Sunja schluckte und ging zum Tisch zurück. Sie merkte, dass auch HP nicht mit der Situation zurechtkam. Er schaute verlegen zur Seite.
„Ich denke“, begann Scheffler, „es ist jetzt an der Zeit, dass die Bundesbehörde den Fall übernimmt. Angesichts der verständlichen Überlastung und persönlichen Betroffenheit der Hauptkommissarin … Außerdem gibt es, was Chumtow betrifft, Belange transnationaler Kriminalität, die ohnehin in den Kompetenzbereich des BKA …“
„Wie bitte? Sie glauben, ich halluziniere?“ Sunja sprang wütend auf. „Ja, hat denn niemand etwas gehört?“
„Frau Löwel, beruhigen Sie sich“, entgegnete Scheffler. „Ich unterstelle Ihnen gar nichts. Aber Sie sollten vorerst vielleicht … an weniger brisanten Fällen arbeiten.“ Er warf einen Seitenblick zu Böttcher. „Ich habe Ihrem Dienststellenleiter eben nahegelegt, den aktuellen Fall …“
„Moment“, ließ sich ihr Chef vernehmen. „Ich habe aber nicht zugestimmt. Der Fall Weitlinger bleibt bei uns. Frau Löwel ist meine beste Kraft, für sie lege ich die Hand ins Feuer. Das Odessa und die Ermittlungen bezüglich des Anschlags auf unsere Kollegin kann Ihre Behörde gern übernehmen. Die Fahndungen nach Pascal Schwarz und Alina Dassol laufen. Also. Ich schlage vor, wir entwerfen eine detaillierte Einsatzplanung, in der wir unsere Zusammenarbeit aufeinander abstimmen.“
Scheffler rieb sich das Kinn. Er und Böttcher hatten offenbar Kompetenzstreitigkeiten, die Sunja momentan weniger interessierten. Was, wenn das Geräusch ein Flashback gewesen war, eine innerlich wiederholte traumatische Situation? Drehte sie langsam durch?
„Ich möchte wissen, ob außer mir jemand irgendetwas gehört hat“, wiederholte sie. „Vorhin. Ein helles Surren, wie von einem Brummkreisel. Es kam vom Fenster her.“
„Ich nicht“, meinte Scheffler.
HP räusperte sich. „Es regnet ja“, meinte er. „Da hört man schlecht, was da draußen …“
„Ein Surren?“, sagte Matthias. „Doch, ich glaube, ja, das habe ich gehört. Aber ich habe nicht weiter darauf geachtet. Ich fand es nicht wichtig.“
Nicht mal lügen kann er überzeugend, dachte sie. Aber nett ist es trotzdem. Sie hatte einen Kloß im Hals.
„Gut“, sagte Böttcher amtlich. „Die Ergebnisse der KT aus Sunjas Wohnung gehen direkt zum BKA. Müssten bald kommen. Veranlasst du das, HP? Wir haben es also mit fünf vermutlich zusammenhängenden Ermittlungssträngen zu tun: das Tötungsverbrechen Weitlinger, die Fahndungen nach Pascal und Alina Dassol, der Anschlag auf Sunja und die Spur zur organisierten Kriminalität. Es ist sicher in Ihrem Sinne, Herr Scheffler, wenn wir einen täglichen Rapport ansetzen, um die aktuellen Ergebnisse abzugleichen. Unsere Aufgabe ist die Mordermittlung, die Fahndungen nach dem Jungen und Frau Dassol laufen über die Vermisstenabteilung, Mordanschlag und OK gehen in Ihre Zuständigkeit …“
Während Einsatzpläne und nächste Schritte koordiniert wurden, fragte Sunja sich, ob das Geräusch nun echt gewesen war oder nicht. Hatten die Schüsse in der Wohnung ihr oder Alina gegolten? Auch deshalb musste man die junge Frau schleunigst finden. Sie glaubte nicht an ein Flashback. Beim Öffnen des Fensters war das Surren lauter geworden. Wenn jemand sie schon hier im LKA bedrohte, konnte von Sicherheit keine Rede mehr sein. Aber was war das, verdammt noch mal, für ein Geräusch? Etwas Vergleichbares hatte sie vorher nie gehört.
„… derzeit Tatverdächtigen geben, Sunja?“, fragte ihr Chef.
Sie sah sich um.
Scheffler stand am Tisch und packte seine Sachen ein. Er fixierte sie und empfahl ihr erneut, den Fall abzugeben. Er sei zwar kein Psychologe, aber das müsse man auch nicht sein, um zu sehen, dass sie in diesem Zustand keine Ermittlungen leiten könne. Dann verließ er grußlos den Raum, die Tür fiel hinter ihm zu und schlagartig breitete sich Entspannung aus.
„Nimm’s nicht tragisch“, meinte Böttcher. „Der urteilt schnell. Kannst du noch mal die Verdächtigen zusammenfassen? Da wurden wir unterbrochen, als er kam.“
Sunja sah ein, dass es nichts brachte, weiter über das Geräusch zu reden. Also begann sie.
„Okay. Fangen wir mit dem an, den wir als Täter eindeutig ausschließen können. Ulrich Schwarz. Vorhin kamen die Laborergebnisse. Er war am Mordtag nicht im Wohnzimmer, die Abriebspuren seiner Schuhe enden dort, wo er zusammenbrach. Vom Auto aus ist er nur wenige Schritte gegangen. Und seine Schnittverletzungen stammen vom selben Messer wie die des Opfers. Da er nicht im Haus war, kann er also nicht den Mord begangen und sich anschließend selbst verwundet haben. Wahrscheinlicher ist, dass er dem Mörder bei der Flucht im Weg stand.
Bleiben fünf Verdächtige. Nummer eins und zwei: Martha Junik und Maria Schwarz. Da warten wir Renés Ergebnisse ab. Momentan ist mir schleierhaft, warum Frau Schwarz die Studentin kennen und sie in der Kanzlei gehabt haben sollte. Falls sie dies bestreitet, sind beide entlastet. Nummer drei: Peter Tienemann, der Nachbar. HP, du sprichst mit seinem Therapeuten und checkst die Anrufzeiten seiner Frau. Sie hat ihn angeblich angerufen, als sie die Schreie hörte. Stell mal fest, ob auf dem Handy oder auf der Arbeit. Falls er noch bei der Arbeit war, treibe Zeugen auf. Dann ist er auch raus.
Nummer vier und fünf: Alina Dassol und Julius Dörfner. Das sind die Schwierigsten. Beide starke Motive. Beide kein Alibi. Ich hoffe, Alina wird bald gefunden, um ihrer eigenen Sicherheit willen. Vermutlich galt der Anschlag in meiner Wohnung ihr. Was Dörfner betrifft, der muss vorgeladen werden. Machst du das, Matthias? Ich will ihn in die Zange nehmen. Von ihm wurden DNA-Spuren im Hause Schwarz gefunden. Er gibt als Grund dafür ein Treffen vor einigen Wochen an. Bisher haben wir aber niemanden, der das bestätigen kann. Außerdem ist das kein Entlastungsindiz.“
Böttcher nickte.
„Matthias“, fuhr Sunja fort, „nimmst du dir bitte auch alle Zeugenaussagen noch einmal vor und prüfst sie auf Widersprüche? Über eine Merkwürdigkeit bin ich nämlich schon gestolpert. Zeuge Ramser hat in der ersten Befragung wörtlich gesagt: ‚als wir die Schreie hörten‘. Später sprach er aber davon, allein im Haus gewesen zu sein. Ich weiß, es gibt viele ältere Leute, die in der Wir-Form reden, wenn sie mal verheiratet waren, aber prüfen müssen wir das. War jemand mit im Haus? Klärst du das, HP?“ Ihr kam noch eine Idee. „Und wenn du schon dort bist: Der Typ sitzt doch den ganzen Tag am Fenster. Nimm mal Fotos von all unseren Verdächtigen mit, zeige sie ihm und frage, ob er am Tattag jemanden davon gesehen hat.“
„Mach ich“, gab HP zurück.
„Das war’s“, sagte sie. „Die Ergebnisse tragen wir morgen zusammen. Ach, Toni Preußer ist übrigens auch raus. Die Analyse der Spielsachen, die René in seiner Wohnung gefunden hat, hat keine Spuren von Pascal ergeben. Sie gehörten dem Jungen der Freundin, auf den er aufgepasst hatte. Ich hoffe, Pascal wird bald gefunden …“
„Wir müssen auf das Schlimmste gefasst sein“, entgegnete ihr Chef ernst, „der Junge ist seit acht Tagen verschwunden. Ihr wisst, das ist die Schallgrenze. Die Wahrscheinlichkeit, ihn noch lebend zu finden, liegt im einstelligen Prozentbereich. Sörensens Team ist Hunderten von Hinweisen nachgegangen. Die Spur mit dem Wochenendhaus im Wald hat nichts ergeben. Das Ding stand schon Jahre leer. Der ehemalige Eigentümer, ein russischer Offizier, lebt nicht mehr in Deutschland.“ Böttcher sah erschöpft aus. „Aber man darf die Hoffnung natürlich nie aufgeben.“
Sunja kämpfte mit Müdigkeit und Ohnmacht gleichermaßen. Sie schaute zu Matthias, der auf seinem Tablet tippte.
„Ich hab’s!“, schrie er plötzlich und schob ihr mit triumphierendem Blick das Gerät über den Tisch.
Noch ehe sie etwas erkennen konnte, hörte sie das Surren. Die Haare auf ihren Unterarmen stellten sich auf. Sie starrte auf das Display und begann zu zittern.
„Unglaublich!“, sagte Matthias. „Eine Mini-Drohne! Mit Kamera und Pistole. Ist es das Geräusch, Sunja?“
Sie nickte langsam.
Es war ein YouTube-Video. Darauf sah man ein zartes, kleines Flugobjekt, das über einer Steppenlandschaft schwebte, wobei seine Rotorblätter das Surren von sich gaben, das Sunja schon kannte. An seiner Unterseite war eine Pistole befestigt. Es flog ein Stück vorwärts, plötzlich löste sich ein Schuss und zerschmetterte ein Handy, das genau zu diesem Zweck auf einem Kasten bereitgestanden hatte.
Sunja schüttelte sich.
„Wie kommt man an so ein Gerät?“, fragte sie heiser.
Verschiedene Drohnenmodelle gäbe es im Handel, meinte Matthias lakonisch. Waffen habe die Mafia ohnehin, das Zusammenbauen sei dann wahrscheinlich ein Kinderspiel. Sein Tablet machte die Runde.
„Sunja, du bleibst vorerst hier“, ordnete Böttcher an. Ihren Protest wischte er mit einer Handbewegung weg. „Nein. Die anstehenden Aufgaben werden an die Kollegen verteilt.“
„Aber wir können jetzt nicht klein beigeben!“, rief sie verärgert. „Vielleicht lasse ich mir von denen …“
„Das ist eine Dienstanweisung“, erwiderte ihr Chef trocken. „Setz dich ans Telefon.“
„Aber hier ist sie doch auch bedroht!“, hielt HP dagegen. „Wenn die Dinger schon vor den Fenstern rumfliegen.“ Entschlossen schob er ihr seinen Wohnungsschlüssel über den Tisch.
„Du kannst zu mir gehen. Auch über Nacht.“
Sunja schüttelte den Kopf.
„Das bringt doch nichts. Sie haben mich in meiner Wohnung erwischt, da werden sie das in deiner wohl auch schaffen.“
Sie wollte sich trotzig geben. Tatsächlich hatte sie mehr Angst, als sie ihren Kollegen zeigte. Chumtow hatte sie gewarnt. War das seine Rache? Dabei hatte sie im Odessa doch gar nichts erreicht. Warum bedrohte er sie? Warum wurde er nervös? Wenn sie jetzt das Gebäude verließ, dann als lebende Zielscheibe, so viel war klar. Es ärgerte sie, dass ihr Alleingang nicht nur sie gefährdete, sondern auch Alinas Lage verschlimmert hatte.
„Wo sollst du denn jetzt hin?“, fragte HP.
Matthias bot ihr an, in einem kleinen Gartenhäuschen bei Freunden von ihm zu wohnen.
Sie funkelte ihn böse an. „Super Idee, echt, ich muss schon sagen! Ich verkriech mich doch nicht wie die Maus vor der Katze! Eins ist klar, Leute. Da wird gerade jemand richtig nervös, wenn er so einen Aufwand betreibt. Und wer nervös wird, macht Fehler. Und wer Fehler macht, den kriegen wir. Also, an die Arbeit.“
Sie stand auf und vermied es, Böttcher anzusehen.
HP folgte ihr zur Tür. „Wenn du Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da“, raunte er ihr zu. „Tut mir leid, dass ich dir vorhin nicht geglaubt habe …“
Ihr stand nicht der Sinn nach komplizierten Gesprächen.
„Schon gut“, murmelte sie und legte die Hand auf die Klinke. In dem Moment wurde die Tür von der anderen Seite aufgerissen, Sörensen stürzte hinein und prallte mit ihr zusammen.
„Wir haben ihn!“, schrie er. „Lebend! Den Jungen!“
Vor knapp einer Stunde, berichtete er, sei ein Anruf von einer Kita in der Thomas-Mann-Straße im Prenzlauer Berg eingegangen. Die Erzieherinnen wären mit den Kindern im Garten gewesen, als hinter dem Zaun eine schwarze Limousine hielt. Ein Mann sei ausgestiegen, habe ein Kind aus dem Auto und über den Zaun gehoben und dahinter abgestellt. Der Mann sei sofort wieder ins Auto gesprungen und davongefahren. Der Junge habe einen verstörten Eindruck gemacht. Eine der Erzieherinnen hätte in ihm das vermisste Kind von den Fahndungsplakaten erkannt und bei der Polizei angerufen.
Sörensen strahlte.
„Leute! Ich hab’s nicht mehr geglaubt! Ein Wunder. Der Junge ist körperlich völlig unversehrt!“
Sunja war so erleichtert, dass sie den Chef der Vermisstenabteilung umarmte.
„Bin ich froh! Und es ist zweifelsfrei Pascal?“
„Ja. Er wurde abgeholt und ist bei der Polizeipsychologin. Die Mutter ist benachrichtigt und kommt gleich.“
„Konnte die Kindergärtnerin den Mann beschreiben?“
Alles sei so schnell gegangen, dass die Frau ihn nicht genau gesehen habe, meinte Sörensen. Sie habe nur durch Zufall zum Zaun geguckt, wahrscheinlich wegen des Autos, und sich gefragt, was der Mann dort mache, da war er auch schon wieder verschwunden. Er sei jedenfalls groß gewesen, muskulös, mit Glatze. Sie habe sich dann auch erst um das Kind kümmern müssen.
„Ja, klar.“
„Jedenfalls kennt sie den Mann nicht“, sagte Sörensen. „Sie wartet bei der Psychologin noch auf die Mutter des Jungen, dann kommt sie zu uns und hilft beim Phantombild. Sobald wir es haben, schicke ich es dir rüber.“
Sunja fiel eine Zentnerlast von den Schultern. Pascal lebte! Wie gern hätte sie das sofort Alina gesagt! Stattdessen machte sie sich gleich auf den Weg zur Polizeipsychologin. Vielleicht konnte sie dem Jungen und der Kindergärtnerin ein paar Fragen stellen.
Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass die Erzieherin schon wieder fort war. Und die Psychologin teilte ihr mit, Frau Schwarz habe ihren Sohn eben abgeholt. Mutter und Kind seien bei der Begrüßung äußerst zurückhaltend gewesen. Das sei ungewöhnlich in solch einer Situation.
„Hat Pascal über seine Erlebnisse berichtet?“
„Nein. Er hat nur gefragt, ob ich wüsste, wo Mamuschka sei. Hat der Junge einen russischen Hintergrund?“
„Das kann man wohl sagen“, brummte Sunja.
Ihre Idee, ihn gleich zu Hause zu befragen, lehnte die Psychologin kategorisch ab. Das Kind müsse sich erholen, man dürfe es nicht bedrängen. Sie habe der Mutter das Angebot einer psychologischen Betreuung gemacht, aber diese habe kein Interesse gezeigt. Nicht mal einer ärztlichen Untersuchung habe sie zugestimmt.
Auf dem Rückweg durch die endlosen LKA-Flure versuchte Sunja vergeblich, Maria Schwarz telefonisch zu erreichen. Schließlich rief sie im Krankenhaus an, um zu fragen, ob es Ulrich Schwarz besser gehe. Er sei über den Berg, hieß es, sie dürfe ihn jederzeit aufsuchen.
Ihr Büro war leer. Wo steckte Matthias schon wieder? Sie brühte sich einen Espresso und öffnete das Fenster. Gott sei Dank war der Junge am Leben! Fast hatte sie dadurch das Gefühl, der Fall sei abgeschlossen. Aber warum war Pascal freigelassen worden? Warum jetzt? Wo war die Logik? Sie musste mit seinem Vater sprechen, sie musste mehr von dieser Familie verstehen. Von wegen Telefondienst! Das käme denen, die ihr Angst machen wollten, gerade recht!
Als sie das LKA-Gebäude verließ, spitzte sie automatisch die Ohren und schaute nach oben. Das Gefühl der Bedrohung hatte sich in ihrem Körper festgesetzt.