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15. Januar – Nationaler Hut-Tag

Mann ging nicht mehr ohne

Welch schöne Reminiszenz an längst vergangene Tage, an denen eine Kopfbedeckung noch zu etwas nutze war und nicht allein eine reine modische Notwendigkeit darstellte, das zeigt ein recht aktuelles Buchcover. Schon lange zuvor hatte Hans Castorp in Thomas Manns „Der Zauberberg“ entsprechend empfohlen, „dass man einen Hut aufhaben soll, damit man ihn abnehmen kann, bei Gelegenheiten, wo es sich schickt." Und schicken tut es sich, wenn man einer Dame begegnet. Aber nicht nur dann: Auch seriöse Herren bewillkommnen sich untereinander gern formvollendet.


„Der Abschaum der Menschheit, wenn ich nicht irre?“ – „Der blutige Mörder der Arbeiterklasse, wie ich annehme?“ (Umschlagbild des Romans unter Verwendung des Textes einer sehr berühmten Karikatur)*

Es ist ein wahrer Jammer, dass die Etikette heute eine andere ist als dazumal vor unserer kleinen westdeutschen Kulturrevolution. „Übrigens: Man geht nicht mehr ohne Hut“, dichtete die Reklame Mitte der Fünfziger Jahre – and so they did. Hut hat man, oder Hut hat man nicht. In aller Regel hat man einen.

Gönnt man sich heute noch einmal die Gelegenheit, in alten Fernseh- oder Wochenschauaufnahmen Straßenszenen aus dieser Epoche zu sehen, so wird man überrascht sein, wie uniform sich die männliche Bevölkerung obenrum ausnahm. Eine, wenn man so will, Armee von Hut- oder wenigstens Mützenträgern bevölkert die Gehwege und Grünanlagen.

Wenige Jahre zuvor hatte Mann sich auch durchgängig bedeckt gegeben, aber immerhin hatte er jetzt den drückenden Stahlhelm durch einen ungleich leichteren Filzhut ersetzen können – hätte er zumindest. Man verließ die Wohnung einfach nicht ohne Hut auf dem Haupt.


Da fiel die Entscheidung dem soldatischen Mann noch leicht:Manfred Schmidt-Illustration aus Hätten Sie's gewußt? (1960)

Zahllos auch die Komödien (vor allem aus der goldenen Zeit der Zwanziger und Dreißiger), in denen ein Mann ewig nicht aus dem Haus kommt, weil er verzweifelt nach seinem Homburg, seiner Kreissäge, seltener seinem Bowler sucht. Den findet z.B. auch Oliver Hardy zuweilen nicht: In der Szene „Der verlorene Hut“ ganz klassisch deshalb nicht, weil er schlicht dort sitzt, wo er hingehört. Und ohne Kopfbedeckung kann sie auch nicht so unnachahmlich elegant von ihm mit dem Ärmel gebürstet werden, man kann sie auch nicht mit der Stan Laurels verwechseln, oder es fehlt im Falle eines Falles etwas zum vor Ärger Hineinbeißen – oder gar zum ganz Aufessen (Laurel in „Way out West – Zwei ritten nach Texas“, 1937).

Hutreklame war aus den Zeitschriften der Adenauer/Erhardt-Ära und aus Fernseh- und Kinowerbungsinseln nicht wegzudenken. Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel beispielsweise hatte sie für die weit überwiegend männliche Kundschaft ihren Platz neben den hochpreisigen Auto- und Reiseinseraten sowie den Anzeigen für vergleichsweise ebenfalls nicht gerade billige Alkoholika. Und ihre professionellen Texter und Designer waren weiß Gott nicht einfallsloser als ihre Konkurrenz.


Sei kein Frosch, nimm den Hut! 2/3-seitige Anzeige im Spiegel, Dezember 1965. Text: „Frösche sitzen nur bei gutem Wetter oben. Männer warten nicht auf gutes Wetter. Sie packen jede Aufgabe jederzeit richtig an. Sie vertrauen auf ihr eigenes Urteil. Sie wissen, was richtig ist.“

Da war die Welt des zupackenden, zielbewussten, in jeder Lage souveränen Mannsbilds noch in Ordnung; und die Psychologie des Huttragenden ein sehr übersichtliches Unternehmen.

„Ein Hut macht den Herrn. Ein Hut wirkt männlich. Besonders dem jungen Gesicht gibt der Hut mehr Reife. – Verrät Ihr Haar jedoch die '50', macht Sie ein Hut um Jahre jünger (und eleganter). Der Mann mit modischem Hut erscheint korrekt, selbstsicher und vertrauenswürdig. Frauen sehen das deutlich, denn … Frauen sehen uns lieber mit Hut.“

[Gemeinschaftswerbung der deutschen Hutindustrie, 1958, zitiert bei: http://www.

wirtschaftswundermuseum.de/maennerbild-50er-1.html, Aufruf am 15.02.2020]

Die Alters- und Männlichkeitsregulierung organisiert der Kapitalismus eben auf seine Weise, ästhetisch damals immerhin angenehmer als in der unmittelbaren Gegenwart. Wir müssen darauf noch zurückkommen.

Als sich die Dämmerung der Haut Couture der Hutkultur am Horizont abzeichnete (das tut das beginnende Ende von etwas immer dort und nicht etwa im Nebel oder in der Hocheifel), konnte niemand ahnen, wie schnell und nachhaltig der Verzicht auf dieses so lange scheinbar unverzichtbare Accessoire der Virilität vonstatten gehen würde. Noch 1961 war die endgültige Verwandlung eines Kommunisten in einen kapitalen kapitalistischen Schwiegersohn in dem Moment vollendet, als ihm – nach frischen Unterhosen und einem Monokel – endlich eine Melone verpasst wurde. Otto Ludwig Piffl (Horst Bucholz in Billy Wilders Berlin-Komödie „One, two, three“) fand, das putze ihn ungemein. Welches System am Ende des Kalten Krieges den Hut aufhaben würde, schon damals hätte es jedermann vorhersehen können.

Der Übergang vom Geht-gar-nicht-ohne zum luftigen Nur-noch-oben-ohne währte aber dann wirklich nicht lange. Was war dafür verantwortlich? Oder wer? John F. Kennedy persönlich habe den Hut umgebracht. So jedenfalls steht es geschrieben in vielen Zeitungsartikeln und auch Wikis, verbreitet von Augenzeugen, die die Augen nicht aufgemacht haben. Charming JFK habe während seiner Inauguration 1960 demonstrativ auf eine Kopfbedeckung verzichtet und damit einen Erdrutsch ausgelöst. Die Zahl der Hutverkäufe sei daraufhin landesweit dramatisch eingebrochen und habe sich nie wieder erholt – nur weil der Herr auf modern, jung und dynamisch machen wollte. Sieht man aber einmal ganz genau hin …


Young Mr. Kennedy, „has not just a hat but a traditional silk top hat on, making him look like a younger, sexier, more Catholic version of the Monopoly guy!“

Selbstverständlich hatte er bei der Vereidigung selbst den Hut abgelegt, er hatte schließlich Manieren so wie die Präsidenten vor und die meisten nach ihm. Ansonsten gibt es reichlich Bilder, die ihn am Tag seiner Amtseinführung eben gar mit einem Zylinder zeigen. Eine traditionellere Kopfbedeckung ist kaum denkbar.

Tatsächlich verantwortlich für den Niedergang von Borsalino, Homburg und Co. sind neben ideologischen ganz praktische Gründe: „Eine neue Haarmode (Elvistolle!) sowie das Automobil als Massentransportmittel (ein VW-Käfer war einfach zu niedrig, um darin einen Hut zu tragen) trugen maßgeblich dazu bei.“ [Der Hut macht den Mann, Die Zeit, 16.5.2018] Zum anderen betraten nach 1960 die Jugendbewegungen die Bühne, womit sich ein sportlicher, legerer Lebensstil auszubreiten begann. Zugleich waren konservatives Denken und biederes Verhalten samt entsprechender Kleidung nicht mehr angesagt. Die Verdeckung des Hauptes passte mit der 68er-Kulturrevolution nicht mehr in die Zeit, in deren Gemeinschaftsseligkeit doch schon der Keim der universellen Individualisierung steckte. Denn mit Frisuren konnte man sich ein weitaus unverwechselbareres Aussehen und damit Image verschaffen als mit der insgesamt doch arg normierten Hutmode. Und wenn schließlich etwas irgendwann nicht mehr Mainstream ist, erweckt es dann doch wieder den Eindruck oder zumindest das Gefühl von Einzigartigkeit.

Kopfbedeckungen tragen heute wenige Menschen in unseren Breiten, und wenn, dann vermehrt junge Leute, sei es der kaum erträgliche Wollmützenstrumpf namens Beanie, die unverwüstliche Basecap oder sogar der klassische Hut. Dieser verleiht nunmehr die Aura des Außergewöhnlichen, kennzeichnet den (selbst-) bewusst lebenden Mann. Dabei scheint es sich in erster Linie um Pop-Künstler zu handeln wie z.B. Roger Cicero, Jan Delay, Zucchero, so man will auch Udo Lindenberg. Warum ist denn der Hut heute wieder ein echtes musthave für den stylischen Hedonisten (sorry für die Sprache, die dafür erfunden wurde)? Übergeben wir doch die Frage einfach an den Hut-Designer, an Philip Treacy:

„'Ein Hut vermag es, die Persönlichkeit desjenigen, der ihn trägt, komplett zu verändern. Er kann sogar dazu führen, dass dieser anders steht, anders geht, dass er sich interessant fühlt.' Hutträger mit Angebern gleichzusetzen, wie es immer wieder vorkommt, seit der Hut keine Selbstverständlichkeit mehr ist, hält er indes für einen Fehler. Ziel sei es grundsätzlich, die Gesichtszüge hervorzuheben, schließlich betrachte man bei einer ersten Zusammenkunft 'nicht Fuß, Hand oder Hüfte' eines Menschen, sondern schaue ihm ins Gesicht. 'Ein Hut ist überdies eine günstigere Alternative zu kosmetischer Chirurgie.'“

[Maschewski, Alexandra: Philip Treacys Regeln für den richtigen Hut, Die Welt, 28.06.2014]

Des Meisters Empfehlung zum Trotz setzt die Mehrheit der Betroffenen aber wohl doch auf's Skalpell. Am 15. Januar mögen sie immer von Neuem daran erinnert werden, dass es kostengünstigere, aber vor allem ansehnlichere Lösungen für einen verpfuscht geglaubten Schädel gibt. Sorry, Dr. Botox! Und Dank wegen der ästhetischen Entlastung von uns nicht Bodyoptimierten.

Vor noch übleren Verirrungen sei überdies auch noch gewarnt. Nur ein kleiner Aussetzer in unserer biologischen Ausstattung, und wir kennen uns selbst nicht mehr wieder, daran erinnert uns das Buch des Professors für Neurologie und Psychiatrie Oliver Sacks. Und ganz besonders arg wird es dann natürlich bei jenem „Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“. Wundern muss das nicht.

Hut oder nicht Hut, er kann materiell gar nicht so ausgerottet sein, dass er seine ubiquitären symbolischen Qualitäten einbüßen könnte. Das ist heute nicht anders als es schon 1965 war, wie die folgende Annonce beweist:


Erklärtext unter der Schreibmaschine: „'… Weil sie mit der TRIUMPH 'electric 15 c, 31 c, 51 c' geschrieben sind. Weil 'c' Kohleband heißt, weil Kohleband bedeutet: Briefe, die ihr Unternehmen wirksam repräsentieren sollen, erhalten ein besonders attraktives Aussehen und damit die Exclusivitätvon Chefbriefen.“

Derjenige, der redet, hat erst einmal den Hut auf. Als solcher darf man entsprechend sagen: Hat man den Eindruck, ordentlich betreut zu sein, nennt man sich immer noch gut behütet, längst bekannte Sachen sind ein alter Hut, und Politiker sollten viel öfter mal wieder denselben nehmen, wenn ihre Fehlleistungen uns über die Hutschnur gehen. Sollte zudem jemand glauben, hier würde ein Faible für solche Sentenzen ausgelebt, so sei ihm nur kühl entgegnet: „Damit habe ich nichts am Hut!“ – auch wenn diese Sprachspiele so unsterblich scheinen wie Fang den Hut! sehe man sich doch vor: Überall kann ein Kalauer als false friend lauern. Seien Sie auf der Hut!


* Bei der berühmten Karikatur, von der eingangs die Rede war, handelt es sich natürlich um die von David (Alexander Cecil) Low zum Hitler-Stalin-Pakt. Low hat mit seinen künstlerischen Arbeiten frühzeitig und intensiv vor den europäischen Diktatoren Hitler, Mussolini und Franco gewarnt, wobei er, sie gleichwohl dem Spott preisgebend, keinen Zweifel an ihren gefährlichen Absichten ließ.

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