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4. Januar – Tag des Trivialwissens – National Trivia Day (USA)

Hätten Sie's gewußt?

Wer weiß denn sowas?

Der Airbag in Autos fällt in Deutschland unter das Sprengstoffgesetz.

[https://www.unnützes-wissen.de/site/nutzloses-Wissen.html]

Säugetiere brauchen allesamt durchschnittlich 21 Sekunden zum Entleeren der Blase.

[https://www.genialetricks.com/trivialwissen/]

Bei der größten bekannten Primzahl handelt es sich um 277232917-1, eine Zahl mit 23.249.425 Stellen.

„Hätten Sie's gewußt?“ So lautete der Titel der Mutter aller Ratesendungen im deutschen Fernsehen, in der Quizmeister Heinz Maegerlein zwischen 1958 und 1969 seine meist gut informierten, ja geradezu gebildeten Kandidaten traktierte. Wie gut hätten Sie ausgesehen? Hätten Sie die Sache mit den Airbag/Pipi/Primzahl-Fakten „auf dem Kasten“ gehabt? Sicher nicht. Und wenn doch: warum?

Wer braucht schon so viel Spezialwissen. Im Allgemeinen reicht uns doch eine überschaubare enzyklopädische Übersicht über eine begrenzte Anzahl von Gegenständen und Sachverhalten aus. Auch bei Maegerlein (selbiger, der als Sportreporter mit einem einzigen Hauptsatz, dem vormals witzigen „Sie standen an den Hängen und Pisten“, unsterblich wurde) wären Fragen nach Fakten wie die eingangs genannten natürlich nicht gestellt worden, es war schließlich kein Expertenquiz.


Als die Quizz- und Wissenden noch weggesperrt wurden: Hätten Sie's gewußt?, 1960.

Hier waren Allrounder gefragt. Die gab es auch in den Fußballspielersammelbildchenheften der Siebziger Jahre noch; Herren, die nicht allein Spezialisten des Toretretens oder des Gegenspielerummähens waren, sondern beides leidlich beherrschten. Von „Allroundwissen“ spricht heute auch noch ein „Trainingsbuch für Quizmillionäre". Bei Magerlein mussten sich die immerhin oft auf einem Gebiet besonders versierten Damen und Herren Ratefüchse auch aufs Glatteis begeben, in dem sie Fragen aus Rubriken wählen mussten wie „Sport“, „Film“ oder „Operette“ und – eine Kostbarkeit der Quizkategorien – „ABC der Frau“.

In dieser Rubrik lautete z.B. eine Frage: „Welcher Kontinent exportiert das meiste Gefrierfleisch?“ Für die souveränen Antworten der Kandidatin „USA? Amerika?“ und die Replik des Meisters „Richtig! Südamerika“ gab es ganze drei Punkte. Ihr männlicher Konkurrent überraschte in dieser Frage durch geographisches Detailwissen.

Den nachhaltigsten Eindruck machte bzw. macht dem Flaneur des Wissens damals wie heute aber die Abteilung


Die Paradedisziplin der Kollektivkenntnisse. (Hätten Sie's gewußt?, 1968) Zeichnung: Manfred Schmidt

Maegerlein hebt also zu fragen an: „Ein italienischer Naturforscher, Mathematiker und Philosoph, der von 1564 bis 1642 lebte, wurde zu einem der Bahnbrecher der modernen Naturwissenschaft. Seine Fallgesetze und seine Parteinahme für Kopernikus haben ihn berühmt gemacht. Legende ist freilich wohl sein berühmter Ausspruch: 'Und sie bewegt sich doch'. Wer war denn das, bitte?“ Die Antwort der Kandidatin kam wieder schnell und klar.

Ist das nun Trivialwissen? Solches scheint nach heutigem Verständnis eher eine Unterkategorie von Allgemeinwissen zu sein. Duden online definiert: „[weniger bedeutsames] Allgemeinwissen; Wissenswertes“, was uns nicht viel weiter bringt. Weniger bedeutsam als zu wissen, wie ein Atomkraftwerk funktioniert, wäre es wohl, sämtliche Staatsoberhäupter Ugandas seit seiner Unabhängigkeit zu kennen. Letzteres erscheint nicht einmal wissenswert zu sein und gehört erst recht nicht zum Allgemeinwissen. (Obwohl: Es handelte sich um Mutesa II, Obote, Idi Amin, nochmal Obote sowie Museveni. Gut, nicht wahr?)

Die denkbar kürzeste Definition könnte lauten: Um Trivialwissen handelt es sich, wenn absolut jeder verständige Mensch einer Aussage zustimmen oder sie zumindest annehmen würde. Beispiel: Die Erde ist eine Kugel. Jeder? Verständige? Wir stehen selbst hier erneut vor einem Problem. Entweder ist dieses Wissenspartikel nicht trivial oder der Mensch, der es bestreitet, ist nicht verständig. Noch einmal also: Was sind denn jetzt Trivia, und warum muss man die mit einem Tag bedenken?

Nähern wir uns einer Antwort mit einem weiteren Beispiel, es lautet: „Nehmen Sie einen Hamster, der nicht aufhört zu wachsen. Der normale Hamster verdoppelt jede Woche sein Gewicht, bis er etwa zwei Monate alt ist. Wenn er dann nicht aufhört und sein Gewicht weiter verdoppelt, hätten Sie nach einem Jahr einen Hamster von einer Milliarde Tonnen Gewicht, der an einem einzigen Tag die weltweite Maisproduktion eines ganzen Jahres auffressen könnte.“

Man könnte sagen: ein klassisches Beispiel für ein absolut irrelevantes Wissenspartikel, weil es in seiner Extrapolation einer völlig ausgeschlossenen Entwicklung eine reine Spielerei darstellt. Mithin handelt es sich aufgrund der unsinnigen Prämissen um nutzloses Wissen.

Das gilt aber nur, solange es jenseits jeglichen spezifischen Kontext steht, also etwa in einem Partygespräch, in dem eine solche Aussage als Eisbrecher dient. Gibt man aber Kontext dazu, sieht die Sache ganz anders aus: Das Zitat stammt von Andrew Simms, seines Zeichens Mitarbeiter am Zentrum für globale politische Wirtschaftsforschung der Universität von Sussex und ein Fellow an der New Economics Foundation; also ein Ökonom, ein Experte mit hohen akademischen Weihen. Warum redet er solch einen 'Bullshit'? Klarer wird der Zusammenhang, wenn man weiß, dass seine Worte völlig isoliert in einer Satiresendung des Fernsehens auftauchen [extra 3, NDR-Fernsehen, 30.10.2019], die hier ganz und gar unkommentiert bleiben – also immer noch 'Bullshit' sind und im Grunde allenfalls der Bloßstellung von Expertenwissen dient.

Tatsächlich entstammt der Ausschnitt einer langen Dokumentation des Senders arte über Sinn und Unsinn grenzenlosen Wachstums. [„Wachstum, was nun?“, arte, 10.9.2019] Erfährt man darüber hinaus noch zusätzlich, dass Simms den Earth Overshoot Day (Welterschöpfungstag, Erdüberlastungstag) initiierte, mit dem jedes Jahr das Datum neu bestimmt wird, an dem die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Reproduktionsfähigkeit der Erde zu übersteigen beginnt, dann ist klar, dass der Ökonom zu einem der heftigsten Kritiker der Logik bedingungslosen Wachstums zählt. Außerdem entwickelt er Auswege aus der Klimakrise und unterstützt Extinction Rebellion, die Bewegung, die Kampagnen zu zivilem Ungehorsam in der Klimafrage organisiert. So ahnt man, dass Simms auf den ersten Blick unsinnige Hamster-Aussage zu einem Modell greift, mit dem er die fatalen Folgen von als alternativlos propagierten Reproduktionskreisläufen illustrieren will.

Bezogen auf die Frage, was nun Trivialwissen von nicht-trivialem, elaboriertem Wissen unterscheidet, legt das letzte Beispiel nahe, dass es vor allem anderen auf die Funktion ankommt. Und die hängt eben vom Kontext ab. Sind Wissenspartikel im Rahmen institutionalisierter, hochspezialisierter Diskurse anzutreffen, so können die gleichen trivial erscheinen, wenn sie in alltagskulturellen Zusammenhängen auftauchen. Sie müssen gar nicht mal in elaborierter Fachsprache, in Formeln und Matrizen o.ä. daherkommen, sondern können durchaus anschaulich sein wie das Hamster-Modell. Das Letztere aber hat den Vorteil, gerade anschließbar an Alltagsdiskurse zu sein, die zu einem überwiegenden Teil aus symbolischen, metaphorischen, kurz: anschaulichen, so genannten interdiskursiven Redeelementen bestehen. Dieses Unspezifische, viele spezialisierte Diskurse zwar integrierende, aber sie auch damit 'überwindend', ermöglicht es uns miteinander zu kommunizieren, die wir in ganz unterschiedlichen Sach- und Fachzusammenhängen unterwegs sind.

Trivialwissen ist also gewissermaßen grundsätzlich dysfunktionales Wissen; es ist nicht in erster Linie an bedeutendem, wissenschaftlichem oder auch nur alltagspraktischem Erkenntnisgewinn orientiert. Unterstützer des Tages des Trivialwissens heben aber unbeirrt hervor, dass jeder dazu ermutigt sei, sich neues Wissens anzueignen oder vorhandenes einmal unter einem anderem Gesichtspunkt zu betrachten: „Let National Trivia Day be an opportunity to learn something new – gain some knowledge or gain a new perspective. Discovering a new tidbit might be refreshing, enlightening or epically awesome. If you aren't constantly learning, you aren't truly living.“ [https://nationaltoday. com/national-trivia-day/] Ein Angebot, dass man schwerlich ablehnen kann.

Machen wir uns also gemein mit dem Mut zum Wissen, zur Not zum Trivialen. Es hat so viele Facetten. Mal ist es funktionales, mal eher dysfunktionales (Trivial-) Wissen. Heute wissen wir ja, dass Wissen in jedem Fall Macht konstituiert, ohne dieses ist ein modernes Subjekt ganz unvorstellbar – um es einmal so holzschnittartig zu formulieren. Wenn man schon über etwas Bescheid weiß, sollte man andere daran teilhaben lassen, so sie denn offen dafür sind. Denn man kann den Umgang mit Trivialwissen als ein Spiel betrachten, bei dem man allerdings mitmachen wollen muss. Wenn man ständig alles anzweifelt und sofort googelt, kommt das Spiel nicht in Gang.

Manchmal unterlässt man das aber gerade sehr gerne. Dann etwa, wenn das triviale Wissen so schön zupass kommt und man sich von diversen Traumata entlastet fühlt. Nehmen wir doch nur mal die Sache mit Albert Einstein und seinen miserablen Schulnoten in den Naturwissenschaften. Manche wissen, dass er sein Abitur in der Schweiz gemacht hat und ziehen ihre Schlüsse: So also erklären sich die Fünfen und Sechsen seiner Matura. Die anderen müssen googeln – oder sie verkneifen es sich.

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