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e. Zugänge zum Nationalen
Оглавление„Die Nation, wenn sie entsteht, bestimmt selbst die Merkmale, die sie bestimmen“ (E.-W. Böckenförde)
Die Liste der Kriterien für nationale Identität ließe sich weiter fortsetzen: Auch die Staatsangehörigkeit, die natürlichen Grenzen und Rasse wurden als mögliche Kandidaten für die Zugehörigkeit zu einer Nation gehandelt. Es gilt: „Die Nation, wenn sie entsteht, bestimmt selbst die Merkmale, die sie bestimmen“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde). Schon der deutsche Philosoph Wilhelm Dilthey (1833–1911) bemerkte 1910: „Die Einheit des Subjektes Volk ist ganz variabel nach den Momenten, die sie konstituieren.“ Diese allgemeine Aussage trifft für Deutschland, Italien und Polen genauso zu wie für die Vereinigten Staaten. Was die Nation eigentlich sei, erschloss sich wesentlich nur aus der Selbstsicht der Nationalbewegungen.
Nationalität in der Statistik
Bereits die zeitgenössischen Statistiker taten sich dabei schwer anzugeben, was die Nation denn nun sei und wie sie zu zählen sei. Nachdem die Statistik zuvor Kriminalitäts-, Konfessions-, Mortalitäts- und Wanderungszahlen erhoben hatte, erhielt sie im 19. Jahrhundert den Auftrag, auch die Nationalität zu zählen. Der Internationale Statistische Kongress gab nach seiner Tagung in St. Petersburg 1872 drei Gutachten in Auftrag, um zu klären, welche Merkmale den Begriff der Nationalität ausmachten. Die Gutachter kamen aus Österreich-Ungarn, wo ein besonderes Interesse an diesen Fragen bestand. Für den Direktor der k. u. k. Statistischen Zentralkommission Adolf Ficker (1816–1880) gab nur der statistische Durchschnittswert Auskunft über die Nationalität. Individuelle Zählbefunde zu verallgemeinern, hielt er für methodisch unzulässig. Gezählt werden sollte die „ererbte Sprachgenossenschaft“. Der zweite Gutachter, der Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Wien, schlug vor, die Rassen an Stelle der Nationalitäten zu zählen. Auch der Direktor des ungarischen statistischen Bureaus Karl Keleti (1833–1892) erhob Bedenken gegen die objektivierende Zählweise individueller Nationszugehörigkeit. „Die Nationalität ist nichts anderes als ein dem Religionsgefühl analoges Gefühl, […] auf welches Angehörigkeit, Geburt oder Abstammung, Rassencharakter und alles, was davon abhängt, einwirken und welches behufs seiner Offenbarung ebensogut wie die Religion der Dogmen und Zeremonien, sich der Sprache als eines Werkzeuges bedient.“