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Wie stellen neue Präsentationsformen Geschichte dar?

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Als Letztes ist auf eine aktuelle Diskussion über die gegenwärtigen Veränderungen in der Vermittlung und Wahrnehmung von Geschichte zu verweisen. Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug schreiben in History Sells! in Bezug auf «Histotainment», dass die mediale Geschichtsinszenierung dramatisiere, personalisiere und vereinfache. Sie präsentiere «lineare, chronologische Narrative, die der Komplexität moderner Gesellschaften kaum gerecht werden».30 Die problemlos scheinende Orientierung mache populäre Geschichtsdarstellung attraktiv, vermuten Hardtwig und Schug – und fordern, dass Historiker sich öffentlich zu Wort melden und dabei versuchen sollen, das «Interesse des grossen Publikums» ernsthaft zu verstehen. Die kulturkritischen Zweifel an der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Populärkultur, der die zwei Autoren einen «konsumistischen Kern» zuschreiben, sind nicht zu überhören. Um Geschichte «verkaufen» und «konsumieren» zu können, müsse sie in eine Ware verwandelt werden. Wie lässt sich die Verwandlung von Geschichte in eine Ware beschreiben?

Wie ein kulturelles Produkt zu einer Ware gemacht wird, zeigt sich bei der Auszeichnung historischer Orte als «Kulturerbe». Wie Kultur zu «Kulturerbe» gemacht wird, untersuchte die Ethnologin Regina Bendix 2013.31 Bendix wählte drei schweizerische Beispiele, um einen, wie sie schreibt, vielfach gelagerten «Inwertsetzungsprozess» über einen längeren Zeitraum zeigen zu können.32 Die Historikerin Taina Syrjämaa wählte hingegen den Begriff der Kommodifizierung, um zu umschreiben, wie aus Geschichte Konsumgüter gemacht werden.33 Syrjämaa schreibt der Werbung – kleinen Broschüren, farbigen Postern, Zeitungsanzeigen und Tourismusfilmen – einen wichtigen Schritt in Richtung Kommodifizierung zu, weil Geschichte auf dieselbe Weise angepriesen werde wie Seife oder Schokolade.34

Neue Präsentationsformen von Geschichte werden oft mit Rückgriff auf «–isierungsthesen» analysiert: Kommodifizierung (in eine Ware verwandeln), Kommerzialisierung (einer ökonomischen Logik anpassen), Personalisierung (auf einzelne Personen aus der Geschichte fokussieren), Emotionalisierung (die Absicht verstärken, Gefühle hervorzurufen), Folklorisierung (Unterhaltungsbräuche ausserhalb ihrer Sinnzusammenhänge inszenieren), Fragmentierung (Geschichte in zusammenhangslose, einzeln betrachtete Teile zerlegen), Enthistorisierung (Geschichte weniger einbeziehen), Entpolitisierung (Politik weniger einbeziehen), Retraditionalisierung (an die für Touristen inszenierten Bräuche zu glauben beginnen). Ohne diese Thesen abzulehnen, sind sie dennoch für die Quelleninterpretation wenig hilfreich, weil ihre Formulierungen vorgeben, dass es von selbst laufende Prozesse gebe, und deshalb die handelnden Personen nicht ins Sichtfeld ziehen. In diesem Buch geht es aber darum, wer in welchem Kontext und mit welchen Mitteln die Geschichte der Schlacht am Morgarten für Besucher inszenierte und wie dieses Angebot genutzt wurde. Daher tauchen hier in der Folge anstelle von «dem Tourismus» eine Vielzahl von Akteuren mit Namen auf.

Wie historische Orte gestaltet und wahrgenommen werden, wurde bislang wenig untersucht. Eine Ausnahme bildet ein Kapitel im 2007 erschienenen Buch Geschichte im Gedächtnis von Aleida Assmann. Die Autorin beschreibt drei aktuelle Grundformen historischer Präsentation: Erzählen, Ausstellen, Inszenieren.35 Inszenierung sei ein «Schlüsselbegriff eines konstruktivistischen Weltverständnisses, demzufolge Wirklichkeit nicht vorfindlich existiert, sondern performativ hergestellt» werde.36 Auch Besucher einer Inszenierung könnten sich als Teil dieser Inszenierung betrachten. Dadurch verlassen Geschichtsinszenierungen gemäss Assmann «die geschlossenen Räume des Museums und die Fläche von Bildschirm und Leinwand», um sich an «Orten, Städten und Landschaften» auszubreiten, die «als historische Bühne begangen und aufwendig bespielt» werden.37 Assmann macht hier treffend auf ein Spezifikum historischer Orte aufmerksam: Für den touristischen Geschichtsgebrauch werden oft Aussenräume als Anschauungs- und Projektionsfläche verwendet und mit Angeboten, die für diesen spezifischen Gebrauch hergestellt werden, ausgestattet. Diese neuen Präsentationsweisen erklärt Assmann mit einem anders motivierten Publikum, für welches Geschichte auf andere Weise aufbereitet werden müsse: Die Konsumgesellschaft ersetze das Bildungsbürgertum. Geschichte sei «–was die Präsentation angeht – vielfältiger, reizvoller, raffinierter geworden», was allerdings nicht heisse, dass sie «deshalb weiter und tiefer verankert wäre». Die Präsentation, so Assmann, ziele «weniger auf Wissen als auf emotionale Anteilnahme, Schaulust und Unterhaltung» ab.38

So plausibel diese kritischen Beobachtungen sein mögen, fällt auf, dass sie ohne Akteure auskommen und die Rezipienten in den abstrakten Begriff der «Konsumgesellschaft» fassen. Was unterscheidet die Konsumgesellschaft vom Bildungsbürgertum, wenn es um Geschichtsvermittlung geht? Wer sind die Produzenten dieser neuen «Präsentationen» und wie stellen sie Geschichte dar? Die Idee, Geschichtsbilder mit emotionaler Berührung vor Ort zu inszenieren, hat in gewisser Weise Karl Bürkli bereits 1895 vorgeführt und war damit zweifellos nicht der Erste. Wer waren seine Vorgänger?

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