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Touristischer Geschichtsgebrauch
ОглавлениеWirtschaftlich orientierter Geschichtsgebrauch ist in den letzten zehn Jahren vermehrt zu einem Thema der Geschichtswissenschaften geworden. Ein Beispiel ist das von Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug 2009 herausgegebene Buch History sells!, in welchem zwar touristisch orientierte Angebote thematisiert, jedoch selten so benannt werden.13 Hardtwig und Schug wenden den Begriff der «Aufmerksamkeitsökonomie» auf die Geschichtswissenschaft an und äussern Bedenken, wie die Geschichtsschreibung damit umgehen könne, dass Unterhaltung zu einem Hauptantrieb der Auseinandersetzung mit Geschichte werde.14 Seit den 2000er-Jahren wird auch der Begriff «Geschichtsmarkt» verwendet, um die ökonomisch gewinnbringende Präsentation von Geschichte zu bezeichnen.15
Im Buch Vergangenheitsbewirtschaftung, das Christoph Kühberger und Andreas Pudlat 2012 herausgegeben haben, schreiben mehrere Autoren explizit über Tourismus, allerdings mit einem starken Fokus auf touristische Angebote zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, beispielsweise zur Berliner Mauer.16 In den Beiträgen von Sibylle Frank zur Berliner Mauer und von Hanno Hochmuth zum Berlin-Tourismus kommen unterschiedliche Positionen zur Sprache. Frank appelliert an eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung der Historiker mit touristisch-wirtschaftlich orientierter Geschichtsvermittlung und plädiert für ein staatliches Engagement in diesem Bereich: Das touristische Feld dürfe nicht profitorientierten Angeboten überlassen werden.17 Hochmuth spricht im selben Band der touristischen Geschichtsvermittlung zu, lehrreich und unterhaltsam zu sein, aufklärerisch zu wirken und zur politischen Bildung beizutragen. Er kritisiert hingegen Präsentationen, die Geschichte dramatisieren und so den Besucher «überwältigen» würden.18 Zeitgeschichte steht bislang im Fokus von Studien, welche Public History, das heisst nicht-akademischen Geschichtsgebrauch untersuchen.19 In der Forschung zu touristischen Darstellungen des Mittelalters werden weniger Fragen staatlicher Steuerung oder aufklärerischen Nutzens diskutiert, als vielmehr der Gebrauch im Sinne einer «Living History» beispielsweise an Mittelaltermärkten.
Der Gebrauch von Geschichte im Tourismus wurde bislang in mehreren kleinen Studien untersucht. Der Tourismushistoriker John K. Walton verwies 2009 darauf, dass touristische Destinationen ihre Geschichte – das heisst, spezifische Versionen von ihr – als besonderes Merkmal und Verkaufsargument vermarkten würden. Walton untersucht «the ways in which tourism itself tries to use history, through marking, marketing and exploitation of traces, stories, heritage, authenticity, and, ultimately, distinctiveness».20 «Marketing», «traces», «stories», «heritage», «authenticity» – Forscher, die sich mit dem Gebrauch von Geschichte für Touristen befassen, arbeiten mit Begriffen, die einer Erklärung bedürfen. Wie wurde in bisherigen Studien zum touristischen Geschichtsgebrauch der Untersuchungsgegenstand bezeichnet? Ian McKay und Robin Bates konstruierten in ihrem Buch The Province of History von 2010 den Begriff «tourism/history», den sie als «new kind of history» und Nachfolger des Begriffs «heritage» beschreiben.21 1990 prägte Regina Römhild den Begriff «Histourismus».22 Bernd Mütter veröffentlichte 2009 die Monografie HisTourismus. Geschichte in der Erwachsenenbildung und auf Reisen, die sich damit befasst, wie man auf Reisen Geschichte lernen kann.23 Der Begriff «Histourismus» hat sich jedoch nicht durchgesetzt, und er bietet auch keine Ansatzpunkte für dieses Buch, weil er konzeptionell den Tourismus als Maschine versteht, die das Material lediglich filtert, aber mögliche Wechselwirkungen nicht in Betracht zieht. Besser etabliert hat sich der Begriff des «Histotainment», der die Kombination von Geschichtsvermittlung und Unterhaltung verspricht. Allerdings wurde auch dieser wiederholt kritisch diskutiert.24
In neueren Publikationen ist die Wortbildung «Geschichtstourismus» anzutreffen25 – ein Begriff, den jedoch auch die Anbieter selber benutzen. Als analytischer Begriff wenig geeignet ist er auch, weil er nicht dazu auffordert, nach Akteuren zu fragen und zwischen Produzenten und Rezipienten zu unterscheiden.
Dieses Buch verwendet die Formulierung «touristischer Geschichtsgebrauch», deren Vorteil darin besteht, dass die touristische Form des Geschichtsgebrauchs mit anderen Formen gut vergleichbar ist. Dies ist wichtig, weil Geschichte oft mehrfach motiviert gebraucht wird, sodass beispielsweise sowohl politische als auch touristische Interessen der Akteure einen Geschichtsgebrauch bestimmen. Den «rein» touristischen Geschichtsgebrauch gibt es möglicherweise nicht.