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Rückblick: Reiseliteratur und Geschichtsbilder
ОглавлениеDas Schlachtfeld von Morgarten wird in den Reiseberichten unter Bezugnahme auf die zu jener Zeit bekannten Geschichtswerke, vor allem Johannes von Müllers Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft, oder auf frühere Reiseberichte beschrieben. Die Ereignisse werden oft in längeren Direktzitaten wiedergegeben. Allerdings reduzieren die Reiseschriftsteller die Schlachterzählung auf ihre Hauptmotive – die ungleichen Gegner und die Steinlawine – und lassen Nebenmotive wie jene des Narren oder des Pfeils weg. Jeder der zitierten Reiseschriftsteller hält es für wichtig, das genaue Datum und die Anzahl der Habsburger und Eidgenossen zu erwähnen, Letzteres um das Hauptmotiv der ungleichen Gegner zu betonen. Diese Gewichtung von Bezifferung und Datierung ist offenbar ein gemeinsames Interesse der Geschichtsschreibung und der Reiseführer des frühen 19. Jahrhunderts.
In welches Geschichtsbild fügen die Reiseautoren die Schlacht am Morgarten ein? Betonen sie die «nationale Geschichte», wie dies Christine von Arx für Reiseberichte über Zeughaus-Besuche feststellte? Christoph Meiners erzählt die Schlacht als heldenhaften Sieg eines Kampfes David gegen Goliath. Philippe-Sirice Bridel fühlt in Morgarten die patriotisch aufgeladene, gemeinsame Herkunftsgeschichte der Helvetier, die die Jugend unterweisen solle. Gerhard Anton von Halem liest die Geschichte der Schlacht als erfolgreichen Kampf für die Freiheit, aber interpretiert auch den Morgartenbund, mit einem Zitat aus Johannes von Müller, als sei er für «eine einige Nation» geschlossen worden. Johann Gottfried Ebel spricht von den «Eidgenossen», die in Morgarten für ihre Freiheit kämpften, und projiziert so eine eidgenössische Herkunftsgeschichte auf Morgarten. Für Ebel war das Ägerital «merkwürdig», weil es für die Befreiungsgeschichte stand. Die Reiseschriftsteller interpretierten die Geschichte der Schlacht abhängig von ihrer Gegenwart und ihrer politischen Haltung, die von den politischen Veränderungen in Europa Ende des 18. Jahrhunderts geprägt war. Die These von der Fremdperspektive, welche die eigene nationale Geschichte betonte, mag auf Bridel, Halem und insbesondere Ebel zutreffen. Auf Meiners und Heinrich Zschokke – zu ihm gleich mehr – trifft sie nicht zu. Zschokke liest die vormoderne Geschichte der Eidgenossenschaft nicht als nationales Werden, sondern ordnet sie als Beispiel für eine Stufe in der Entwicklung eines «Volkes» ein und spricht dabei von einem mühevollen Sieg des «Hirtenvolk des Ländleins Schwyz» im Kampf für ein «selbständiges Leben».134 Die Reiseschriftsteller inszenieren Schweizer Geschichte des Mittelalters zwar auf den ersten Blick in einem nationalen Rahmen, aber sie «globalisieren» diese Geschichte auch, sodass sie in anderen Zusammenhängen anschlussfähig und für internationale Besucher markttauglich ist.135
Diese unterschiedlichen Zugänge und Darstellungen mögen auch damit zusammenhängen, dass Morgarten eine widerspenstige Geschichte ist, die sich aufgrund der Eidgenossen auf Habsburgerseite nicht so einfach ins Bild einer «einigen Nation» fügen liess. Die Reiseliteratur mit ihren hohen Auflagezahlen verbreitete aber historische Narrative weiter und wirkte vermutlich auch in die historiografischen Werke zurück.136
Der Ort Morgarten selbst wird meist als eine einsame Voralpenlandschaft an einem pittoresken See beschrieben, die einem zeitgenössischen Schönheitsideal entsprach. Dennoch entsteht der Eindruck, dass weniger ein konkreter Ort als eine emphatisch gefühlte Herkunftsgeschichte besucht wird. Dies widerspricht Christine von Arx’ These, dass im 18. Jahrhundert das Interesse an konkreten Schauplätzen erwacht sei. Das «Hier wars» von William Coxe lässt sich möglicherweise auch als eigenen Standpunkt deuten, den der Autor an «Zeigefingern» wie einer Schlachtkapelle oder einer bekannten Landschaftsansicht festmachte.