Читать книгу Die Erinnerung an unbekannte Städte - Simone Weinmann - Страница 6
ОглавлениеIrgendwann wird der letzte Herbst anbrechen, in dem Flugzeuge schwer auf der regennassen Rollbahn landen. Der letzte Herbst, in dem die Drähte summen von Dingen, die wir uns dringend erzählen müssen, während draußen der Wind gegen die Mauern drückt.
Der letzte Herbst, in dem unsere Kontostände steigen und sinken, in dem die Börsenkurse zittern. In diesem Herbst werden noch einmal Durchsagen gemacht in den Bahnhöfen, den Bussen, den Konzertstadien.
Autos werden auf den schnurgeraden Straßen rauschen, auf ein Ziel zu, einen Parkplatz oder eine Tiefgarage, wo sie leise klickend, ausatmend zur Ruhe kommen. Orchester werden Symphonien spielen, während zwei Häuser weiter Patienten in ihre Vollnarkose sinken. Menschen werden im Supermarkt nachdenklich in die Tiefkühltruhen starren. Unsere Gesichter werden blau schimmern von den tanzenden Bildern auf den Geräten. Aus den Apotheken werden wir in kleinen raschelnden Plastiksäcken Grippemittel, Hustensaft und Eukalyptusbonbons tragen, wir werden vergessen, unsere Eltern anzurufen.
Wahlkampagnen werden anlaufen, Menschenmengen werden jubeln. Die Filmstarts für den Herbst werden besprochen, die neuen Studenten werden sich ein letztes Mal in den Gängen vor den Hörsälen stauen und nicht wissen, dass ihre Gesichter leuchten.
Die Wetterkarten werden noch einmal Herbststürme voraussagen. Umgestürzte Bäume werden von den Straßen entfernt, Unfallopfer dick eingepackt zum Krankenwagen getragen.
Am 21. Dezember wird die längste Nacht über der Nordhalbkugel anbrechen, und diese tiefste Dunkelheit auf Erden wird noch einmal hell erleuchtet sein von Straßenlampen und Lichterketten, von Neonröhren, Kerzen, Scheinwerfern, Bildschirmen, Flutlichtern, den Lampen an den Autobahnraststätten, den Lichtern der Züge, den Leuchtfingern der Flugzeuge, die die Wolken ertasten, sie wird fast festlich sein, diese Nacht, strahlend und kalt.
Und dann wird der letzte Herbst vorbei sein.