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Über ein Subjekt, das kein Objekt ist

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Warum übergeht die OOO die Schlüsselfunktion dieser „totalisierenden“ symbolischen Geste, des „Stepppunktes“, wie es bei Lacan heißt? Für Bryant ist jedes autopoetische System in dem Sinne in sich geschlossen, dass es Störungen von außen selektiv deutet, sodass das Ansich sein unzugänglicher blinder Fleck bleibt. Im Falle des Subjekts ist diese Struktur jedoch anders geartet. Der blinde Fleck ist nicht einfach das Kennzeichen der Unzugänglichkeit des transzendenten Ansich, sondern die Einschreibung des erkennenden Subjekts selbst in die Realität – das Loch in der Realität ist nicht einfach der Überschuss des Ansich. Aber ist dies nicht auch die Behauptung der OOO? Unterstreicht sie nicht, dass ein Organismus einer doppelten Schranke unterliegt: Objekte, die auf ihn einwirken, sind in ihrem transzendenten Kern unzugänglich, und zusätzlich ist gerade der Deutungsrahmen, der die Annäherung an die Objekte beschränkt, als solcher unzugänglich? Es ist nicht nur so, dass es Aspekte an den Objekten gibt, die ich nicht sehe; ich sehe ebenso wenig, was ich nicht sehe, das heißt, dass ich mir gerade der Grenze, die das, was ich sehe, von dem trennt, was ich nicht sehen kann, nicht bewusst bin:

Da Information auf einer vorherigen Unterscheidung basiert, die Umweltereignissen Informationswert anzunehmen erlaubt, folgt daraus, dass Systeme in ihrer Beziehung zu anderen Objekten immer blinde Flecken enthalten. Womit wir es hier zu tun haben, ist eine Art objektspezifischer transzendentaler Illusion, die ein Ergebnis ihrer Schließung darstellt. Wie es Luhmann in seiner Ökologischen Kommunikation ausdrückt, „kann man auch sagen: Ein System kann nur sehen, was es sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Das verbirgt sich für das System ‚hinter‘ dem Horizont, der für das System kein ‚dahinter‘ hat.“ Wenn Systeme nur das sehen können, was sie sehen können, nicht sehen können, was sie nicht sehen können, und nicht sehen können, dass sie dies nicht sehen können, liegt das daran, dass jede Beziehung zur Welt auf systemspezifischen Unterscheidungen basiert, die ihren Ursprung in dem System selbst haben. „Das führt zu dem Schluß“, wie es bei Luhmann an anderer Stelle heißt, „daß der Bezug auf die Realität der Außenwelt durch den blinden Fleck der Erkenntnisoperationen hergestellt wird. Die Realität ist das, was man nicht erkennt, wenn man sie erkennt“. (S. 160)

Der letzte Satz klingt tatsächlich wie eine Variation von Lacans Leitmotiv des Realen als Unmögliches – dennoch erlaubt uns gerade diese offensichtliche Nähe, eine scharfe Unterscheidungslinie zu ziehen. In der OOO liegt die Unterscheidung zwischen dem virtuellen inneren Wesen eines Objekts (was Harman seinen „vulkanischen Kern“ nennt) und seinen Eigenschaften, die sich in seinen Beziehungen zu anderen Objekten verwirklichen. Stellen wir uns ein ganz neues Rasiergerät vor, das versehentlich in einen Gully fällt, dort nicht wieder herausgeholt wird und langsam auseinanderfällt – in diesem Fall würde sein Potenzial zum Rasieren ein rein virtuelles Vermögen des Gegenstands an sich bleiben und sich nie in einer Beziehung zu anderen Objekten verwirklichen. Man kann natürlich argumentieren, dass solche Beispiele wenig Aussagekraft besitzen: Das Vermögen zum Rasieren hing schließlich an den Beziehungen des Geräts zu anderen Objekten, da es zu diesem Zweck hergestellt wurde. Der Hauptpunkt ist jedoch, dass diese Spaltung weiterhin eine Spaltung zwischen etwas und etwas ist – zwischen dem Erscheinen-in-Beziehungen und dem unerreichbaren „vulkanischen Kern“ eines Objekts. In welchem Sinne also sollte man sagen können, dass sie die Selbstentzogenheit des Objekts impliziert, und nicht bloß den Entzug ihres virtuellen Kerns für andere Objekte, die mit ihm in Wechselwirkung stehen? In gewissem (ganz ungenauem) Sinne könnte man sagen, dass der virtuelle „vulkanische Kern“ im Innern eines Objekts der Oberfläche seiner Beziehungen zu anderen Objekten entzogen ist; dennoch ist dieser innere Kern vollständig da und nicht in irgendeiner Form sich selbst entzogen. Ein solche Selbstentzogenheit ist mit der Selbstspaltung des freudschen Subjekts nur vereinbar, wenn wir diese letztere Spaltung als Spaltung zwischen der Bewusstseinsoberfläche des seiner selbst bewussten Subjekts (was wir das „Ich“ nennen) und der substanziellen „Tiefe“ seiner unbewussten Traumata, Wünsche und so weiter auffassen. Wenn es Selbstentzug gibt, muss es ein Ich oder Selbst geben, dem seine eigene Substanz entzogen ist – und man kann die jeweiligen Beziehungen eines Objekts zu anderen Objekten nicht in irgendeiner sinnvollen Weise als das Selbst dieses Objekts bezeichnen.

Wie also sollen wir diesen von Bryant angeführten Passus aus Luhmann deuten: „der Bezug auf die Realität der Außenwelt [wird] durch den blinden Fleck der Erkenntnisoperationen hergestellt […]. Die Realität ist das, was man nicht erkennt, wenn man sie erkennt“? Einmal lässt er sich auf die übliche OOO-Weise auffassen: Die Realität an sich ist der unerreichbare virtuelle Kern der Objekte, und in diesem Sinne ist sie der blinde Fleck unseres Sehens, das, was wir in dem, was wir sehen, nicht sehen. Oder wir können ihn auf eine komplexere Lacan’sche Weise auffassen und ihm einen zusätzlichen reflexiven Dreh geben. Danach ist das Reale nicht das Ansich der Objekte außerhalb unseres Erkenntnisbereichs, sondern es besteht in dem „subjektiven Überschuss“ selbst, der unseren Zugang zur Realität verzerrt.

Die größte Falle, die es im Zusammenhang mit dem Lacan’schen Realen zu vermeiden gilt, liegt in seiner „Kantianisierung“, das heißt darin, die Lacan’sche Unterscheidung zwischen dem Realen und der Realität als eine Neufassung von Kants Unterscheidung zwischen dem noumenalen Ding an sich und der Erscheinungsrealität zu begreifen. Wenn Lacan in seinem Seminar über die Ethik der Psychoanalyse näher auf den im Deutschen bestehenden feinen Unterschied zwischen Ding* und Sache eingeht,14 sperrt er sich gegen die augenscheinliche Lösung, wonach das Ding ein brutales, rohes Reales ist, das außerhalb des Symbolischen besteht oder ihm vorausliegt, wohingegen die Sache ein bereits symbolisiertes Ding und mithin den zu erörternden Gegenstand darstellt (deshalb sprechen wir von der Sache des Denkens und nicht von dem Ding des Denkens). Zwar räumt Lacan ein, dass es sich bei der Sache um ein symbolvermitteltes Ding handelt, „das Wirken von allen und jedem“, und nicht um das Ding an sich, das unabhängig von uns besteht, sondern um die „Sache selbst“, mit der wir alle zu kämpfen haben; er fügt allerdings hinzu, dass das Ding (in einer seiner ursprünglichen Bedeutungen zumindest) sogar stärker „sozial“ ist als die Sache: Es bezeichnet die Versammlung selbst, die Zusammenkunft derer, die sich mit der Sache beschäftigen und sie erörtern werden – in Island beispielweise trägt das Parlament die Bezeichnung Althing („die Zusammenkunft aller“), um an die alte Sitte der jährlichen Zusammenkünfte von Vertretern aller Gruppen zu erinnern, bei denen wesentliche Themen erörtert und wichtige Entscheidungen über das Gemeinschaftsleben getroffen wurden. Wir sollten Ding und Sache also nicht einander als real und symbolisch gegenüberstellen, ebensowenig wie wir Ding und objet a auffassen sollten als das Reale, das dem Symbolischen (der menschlichen Gemeinschaft) vollkommen äußerlich und vorgängig ist, und dem gegenübersteht, was übrigbleibt, sobald das symbolische Universum da ist (objet a als das Übriggebliebene des Prozesses der Symbolisierung des Realen), also das dem Symbolischen äußerlich-innerliche Reale. Dementsprechend sollten wir das Ding und die innerweltlichen Dinge der äußeren Realität („die realen Dinge da draußen“) nicht als das dem Symbolischen radikal äußerliche, das radikal außerhalb der Reichweite und Fassungskraft unserer unbewussten Wünsche und Fantasien bestehende Reale und das durch ein Netz symbolischer Bestimmungen bereits symbolisierte, strukturierte und wahrgenommene sowie libidinös besetzte Reale gegenüberstellen. Für Lacan ist das Reale qua Ding nicht nur mitnichten das Gleiche wie die Realität an sich, wie die unabhängig von uns und bezuglos zu uns dort draußen bestehenden Dinge; das Ding ist vielmehr ein seltsames, durchweg libidinös verfasstes Ding – es ist eine rein phantasmatische Vorstellung des absolut-inzestuösen Objekts, das unser Begehren vollkommen befriedigen oder das uns die vollkommene jouissance verschaffen würde. (Aus diesem Grund sagt Lacan, dass die Mutter das ultimative Ding darstellt). Anders ausgedrückt, ist das Ding als dem Symbolischen radikal Äußerliches ihm zugleich radikal innerlich, es ist ein Gespenst absoluter Andersartigkeit, das durch den Abstand vom Realen hervorgebracht und vom Symbolischen eingeführt wird. Die einzigen von uns unabhängigen Dinge „da draußen“ sind die einzelnen materiellen Dinge (sofern wir plausibel darlegen können, inwiefern sie unabhängig von uns bestehen); das Ding als der absolute Bezugspunkt hinter und unterhalb dieser Dinge ist genau das, was das Subjekt den Dingen hinzufügt, seine phantasmatische Projektion/Konstruktion.

Hegel unterscheidet zwischen Realität und Wirklichkeit. Realität ist für ihn die kontingente, nicht völlig rationale äußere Realität, Wirklichkeit dagegen eine Realität, die einen Begriff verwirklicht, eine Realität, in der sich die innere Notwendigkeit der Vernunft erweist. Nehmen wir etwa einen barbarischen Staat, in dem gesetzlose Gewalt herrscht. Dieser ist zwar Teil der Realität, aber nicht wirklich, weil er nicht die Idee eines Staates verwirklicht (in diesem Sinne ist für Hegel das Wirkliche vernünftig und umgekehrt). Aus Lacan’scher Sicht sollten wir hier eine weitere Unterscheidung einführen und die Wirklichkeit nicht von der Realität, sondern vom Realen abgrenzen: Danach ist Wirklichkeit eine Realität, die eine begriffliche Möglichkeit verwirklicht, sprich, sie ist Realität auf der Ebene ihres Begriffs. Das Reale hingegen ist erstens virtuell: Es ist nicht Teil der Realität, sondern eine Art inexistenter Bezugspunkt ohne Ort in der Realität, der die Realität in eigener Abwesenheit strukturiert. Nehmen wir einen Attraktor in der Mathematik: Alle positiven Linien oder Punkte in seinem Attraktions- bzw. Anziehungsbereich nähern sich ihm bloß auf unendliche Weise an, ohne je seine Form zu erreichen – diese Form besteht rein virtuell, da sie nichts weiter ist als die Gestalt, auf die Linien und Punkte zulaufen. Doch genau in diesem Sinne ist das Virtuelle das Reale dieses Feldes: das unbewegliche Zentrum, um das alle Elemente kreisen. Zweitens ist das Reale ein Hindernis für die Verwirklichung der Potenziale einer Entität, ein X, das diese Verwirklichung verhindert. Das Reale ist etwa das, was einen Mann daran hindert, ganz Mann zu sein, oder der Klassenkampf, der verhindert, dass die Gesellschaft sich zu einem harmonischen Ganzen gestaltet, oder der Antagonismus der Geschlechter, der verhindert, dass sich die Geschlechterdifferenz zu einer Dualität von männlichen und weiblichen Prinzipien gestaltet. Schließlich ist es drittens eine in keiner vorgängigen Begriffsmöglichkeit gründende kontingente Tatsache ohne Bedeutung, ähnlich dem Ausbruch leidenschaftlicher Liebe „aus dem Nichts“. Diese paradoxen Eigenschaften, die nur als unvereinbar erscheinen können, haben ihren Grund darin, dass das Lacan’sche Reale den „unmöglichen“ Punkt darstellt, in dem die Gegensätze zusammenfallen: Das Reale ist das der (symbolisierten) Realität äußerliche Ansich, zugleich aber ist es das Hindernis, welches das Ansich verstellt und unzugänglich macht; es ist der Überschuss des Inhalts über die Form (denken wir an Platons Frage, ob etwas zu unserer Realität Gehörendes wie Staub oder Exkremente auch durch die Teilhabe an seiner Idee das ist, was es ist) und der Überschuss der Form über den Inhalt (eine reine Form, die sich in keinem Inhalt verwirklichen lässt).

Warum also übergeht die OOO wiederum diese reflexive Drehung? Der flachen beziehungsweise nichthierarchischen Ontologie Bryants zufolge sind alle Objekte auf der gleichen Ebene angesiedelt und besitzen die gleiche Realität; dagegen liegen die Sprache und das Geschehen in der materiellen Realität nicht auf der gleichen Ebene, es gibt keinen direkten Berührungspunkt zwischen beiden – während die Sprache die gesamte Realität „spiegelt“, ist sie durch ihren eigenen Horizont beschränkt, durch das, was aus diesem Horizont heraus sichtbar ist, sodass wir, wenn wir darin sind, diese Begrenztheit ebenso wenig sehen können wie das Außen. Aber gilt das nicht für jedes Objekt? Nimmt nicht jedes Objekt seine Umgebung aus einem beschränkenden Rahmen heraus selektiv wahr (und bezieht sich entsprechend auf sie)? Worin also besteht das Missverständnis der Kritik der OOO an Lacan, an seiner angeblich unberechtigten Bevorzugung des Symbolischen als ultimativen Erzeuger und letzten Horizont unserer Realitätserfahrung?

Kurz gesagt, fasst die OOO den von Lacan behaupteten Vorrang des Symbolischen als eine Form der transzendentalen Ausnahme auf. Danach rührt alles in der Sprache aus kontingenten empirischen Quellen her – alles, bis auf die Form der Sprache selbst. Es gibt gute Gründe, Lacan auf diese Weise zu lesen. Es besteht für ihn überhaupt kein Zweifel daran, dass jede Sprache in einer konkreten Lebenswelt verankert und als solche von Spuren dieser Welt durchzogen ist: Sprache ist kein neutraler transzendentaler Realitätsrahmen, sie ist völlig durchdrungen oder verzerrt von kontingenten geschichtlichen Kräften, Antagonismen und Wünschen, die ihre Reinheit für immer verdrehen oder verderben. (Lacans Bezeichnung für die von der Pathologie geschichtlicher Kontingenz verzerrte/verdrehte/durchzogene Sprache ist lalangue). Denken wir an Walter Benjamins Aufsatz „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen“, in dem Benjamin nicht etwa die Ansicht vertritt, die menschliche Sprache sei eine Spezies irgendeiner universellen Sprache „als solcher“, die auch andere Spezies umfasst: Es gibt keine tatsächlich existierende Sprache außer der des Menschen – um jedoch diese „partikulare“ Sprache begreifen zu können, muss man eine minimale Differenz einführen und sie auf die Lücke bezogen denken, die sie von der Sprache „als solcher“ trennt. Die partikulare Sprache ist somit die „real existierende Sprache“, verstanden als die Serie der tatsächlichen sprachlichen Äußerungen im Unterschied zur formalen sprachlichen Struktur. Diese Benjamin’sche Lektion wird von Habermas verfehlt, der gerade das tut, was man nicht tun sollte – er postuliert die ideale „Sprache überhaupt“ (pragmatische Universalien) unmittelbar als Norm der tatsächlich existierenden Sprache. In Anlehnung an den von Benjamin gewählten Titel sollten wir die Grundkonstellation des Rechts in der Gesellschaft als die des „Rechts überhaupt und seiner obszönen Überich-Unterseite“ beschreiben. Der (partikulare) „Teil“ als solcher ist demnach der uneingelöste und uneinlösbare „Sünden“-Aspekt des Universellen – konkret politisch heißt das, dass jede Politik, die sich selbst in einem Bezug auf irgendeine substanzielle (ethische, religiöse, sexuelle, den Lebensstil betreffende) Partikularität gründet, per definitionem reaktionär ist.

Dies ist jedoch nicht alles – und wir sollten diesem „nicht alles“ das ganze Gewicht des Lacan’schen pas-tout geben. Die Tatsache, dass „nichtalles“ der Sprache von gesellschaftlichen Antagonismen durchzogen und mit den Narben gesellschaftlicher Pathologien bedeckt ist, bedeutet nicht, dass es eine Ausnahme gibt, eine Seite der Sprache (in dem Fall ihre Form), die sich nicht auf die gesellschaftliche Realität und ihre Antagonismen zurückführen lässt, da sie den apriorischen Rahmen liefert, durch den wir uns auf die Realität beziehen. Denn gerade weil es nichts gibt, das der sozialen Vermittlung entkommt, ist „nicht-alles“ der Sprache sozial vermittelt: Was der sozialen Vermittlung entkommt, ist nicht etwas von ihr Ausgenommenes, sondern die metatranszendentale soziale Vermittlung eben des sprachlichen Rahmens, durch den wir die Realität erkennen und uns auf sie beziehen. Wenn wir die Sprache als einen Spiegel auffassen, der immer schon von der Pathologie gesellschaftlicher Antagonismen verzerrt/durchzogen ist, lassen wir außer Acht, inwiefern dieser Spiegel selbst ein in die Realität inbegriffener Modus ihrer Verzerrung ist. Die Sprache ist nicht nur durchzogen von Antagonismen/Traumata – das größte Trauma ist das der Sprache selbst, der Brutalität, mit der sie das Reale destabilisiert. Das Gleiche trifft auf die Beziehung der Individuen zur Sprache zu: Normalerweise verstehen wir die Äußerungen eines Subjekts mit all ihren Widersprüchlichkeiten als Ausdruck seiner inneren Unruhe, seiner unklaren Gefühle und so weiter; dies gilt sogar für literarische Werke: Aufgabe der psychoanalytischen Deutung sei es, die seelischen Wirren ans Licht zu bringen, die in dem Kunstwerk verschlüsselt zum Ausdruck kommen. In dieser klassischen Darstellung fehlt allerdings etwas. Sprache nämlich registriert nicht lediglich traumatische Seelenzustände oder drückt sie aus, sondern der Eintritt in die Sprache ist selbst eine traumatische Tatsache („symbolische Kastration“). Demnach sollte in das Verzeichnis der Traumata, die wir sprachlich zu bewältigen suchen, die traumatische Wirkung der Sprache selbst Aufnahme finden. Die Beziehung zwischen psychischer Unruhe und ihrem sprachlichen Ausdruck sollte folglich auch umgekehrt werden: Sprache drückt nicht nur einfach psychische Probleme aus; an einem entscheidenden Punkt stellt die psychische Unruhe selbst eine Reaktion auf das Trauma dar, dass wir das „Folterhaus der Sprache“ bewohnen.

Dass nicht-alles der Sprache von gesellschaftlichen Antagonismen durchzogen ist, hat seinen Grund in Folgendem: Die Sprache stellt nicht bloß ein dem gesellschaftlichen (sexuellen und so weiter) Antagonismus in der Gesellschaft ausgesetztes Medium dar, vielmehr ist sie selbst ihrer eigentlichen Form nach auf eine Weise antagonistisch, die es einzubeziehen gilt; diese Ergänzung macht aus der Totalität ein Nicht-Alles und inkonsistentes Ganzes. Oder, um es anders auszudrücken: Die Sprache kann nicht der Realität zugerechnet werden, weil das, was uns als Realität erscheint, bereits durch einen Bedeutungsrahmen transzendental konstituiert ist, der von der Sprache aufrechterhalten wird. Wir müssen hier eine Unterscheidung zwischen der transzendental konstitutierten Erscheinungsrealität und dem Realen einführen; konsequenter Materialist ist man nicht dadurch, dass man das Subjekt unmittelbar als ein Objekt unter Objekten der Realität zurechnet, sondern indem man das Reale des Subjekts heraushebt und aufzeigt, wie die Entstehung der Subjektivität als Schnitt im Realen wirkt.

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