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1 Vom Humanen zum Posthumanen … und zurück zum Inhumanen: Die Beständigkeit der ontologischen Differenz
ОглавлениеDreimal kommt das Wort „Ungleichheit“* an einer Schlüsselstelle des Vorworts zu Hegels Phänomenologie des Geistes vor, an der er die prägnanteste Erklärung dafür bietet, was es heißt, die Substanz auch als Subjekt zu begreifen:
Die Ungleichheit, die im Bewusstsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt. Es kann als der Mangel beider angesehen werden, ist aber ihre Seele oder das Bewegende derselben; weswegen einige Alte das Leere als das Bewegende begriffen, indem sie das Bewegende zwar als das Negative, aber dieses noch nicht als das Selbst erfaßten. – Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstande erscheint, so ist es ebensosehr die Ungleichheit der Substanz zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein.1
Die letzte Umkehrung ist von entscheidender Wichtigkeit: Die Ungleichheit zwischen Subjekt und Substanz ist gleichzeitig die Ungleichheit der Substanz mit sich selbst – oder, um es mit Lacan zu sagen, Ungleichheit heißt, dass der Mangel im Subjekt gleichzeitig der Mangel im Anderen ist. Subjektivität entsteht, wenn die Substanz nicht die volle Identität mit sich erreichen kann, wenn sie in sich selbst „gebarrt“, von einer immanenten Unmöglichkeit oder einem Antagonismus durchzogen ist. Der Erkenntnismangel des Subjekts, sein Scheitern daran, den entgegengesetzten substanziellen Inhalt vollständig zu erfassen, bezeichnet zugleich eine Begrenztheit, ein Scheitern oder einen Mangel des substanziellen Inhalts selbst. Darin besteht auch die wesentliche Dimension der theologischen Revolution des Christentums: Die Entfremdung des Menschen von Gott muss auf Gott selbst zurückprojiziert/übertragen werden, als dessen eigene Entfremdung von sich selbst (darin besteht der spekulative Gehalt des Gedankens von der kenosis Gottes) – dies ist die christliche Fassung von Hegels Einsicht darüber, inwiefern die Ungleichheit von Subjekt und Substanz die Ungleichheit der Substanz in Bezug auf sich selbst einschließt. Darum wird die Einheit von Mensch und Gott im Christentum auf eine Weise dargestellt, die sich fundamental von derjenigen heidnischer Religionen unterscheidet, bei denen der Mensch danach streben muss, seinen Abfall von Gott zu überwinden, indem er sein Dasein von irdischem Schmutz zu reinigen und sich zur Vereinigung mit Gott zu erheben sucht. Im Christentum dagegen fällt Gott von sich selbst ab; er wird zu einem endlichen Sterblichen, von dem Gott sich (in der Gestalt Christi und seiner Klage am Kreuz: „Vater, warum hast du mich verlassen?“) abwendet, und der Mensch kann die Einheit mit Gott nur erlangen, indem er sich mit diesem Gott identifiziert: einem von sich selbst im Stich gelassen Gott.