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Kapitel 5

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London18. Juli 1821

Am Abend vor dem großen Ereignis versammelten sich alle Mitglieder der Familie Barnett, die der Krönung beiwohnen sollten, im Stadtpalais des Earl of Derryhill am Berkeley Square im vornehmen Stadtteil Mayfair. Alle, bis auf einen. Mr Nicolas Barnett glänzte durch Abwesenheit, und so hatte man nach einigen Minuten vergeblichen Wartens beschlossen, mit dem Dinner zu beginnen.

Auch ein Außenstehender hätte die Stimmung, die an der Tafel herrschte, kaum als angenehm bezeichnet. Der Gastgeber selbst, der den Vorsitz führte, war müde und ungewöhnlich gereizt. Wenn seine Schwiegermutter nicht endlich den Mund hielt, dann würde es nicht mehr lange dauern, und er würde seine gewohnte Gelassenheit verlieren. Seit sie gestern Morgen in die Kutsche eingestiegen war, um mit ihm von Lancroft Abbey in die Hauptstadt zu reisen, hatte sie an allem etwas auszusetzen gehabt. In ihrer gewohnten Umgebung verrichtete sie ihre Aufgaben stets, ohne zu murren, mit Tatkraft und Umsicht. Doch kaum hatte man sie aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen, da benahm sie sich wie eine verwöhnte alte Countess, der keiner etwas recht machen konnte. Die Kutsche war zu groß, die Sitze zu weich, die Aufenthalte in den Poststationen zu lang, aber als er ihr zuliebe beim Pferdewechsel in Chistlehurst zum schnellen Aufbruch gedrängt hatte, wiederum zu kurz. London war viel zu laut, noch größer und monströser, als sie es in Erinnerung hatte, von Menschen geradezu überlaufen, und es stank wie die Pest. Sie hatte sich lang und breit darüber beschwert, dass ihr jüngster Sohn Nicolas an der Dinnertafel fehlte und ihr niemand die Gründe für dessen Abwesenheit hatte nennen können. In diesem Augenblick bemängelte sie gerade, dass das Gemüse, das seine Köchin als Beilage zur gegrillten Hochrippe zubereitet hatte, die Frische vermissen ließ, die sie von zu Hause gewöhnt war. Außerdem wäre es eine Unsitte, sich um diese Uhrzeit zu Tisch zu begeben, da ihr das späte Essen sicher auf den Magen schlagen würde.

„Kein Auge werde ich zutun können!“, jammerte sie und schob das Gemüse von links nach rechts über den Teller. Auf dem Land nahm man die letzte Mahlzeit des Tages gut zwei Stunden früher ein als in der Metropole, und sie hätte es vorgezogen, es hier ebenso zu halten.

„Es ist aber mein Haus und darum machen wir es so, wie es mir beliebt“, hätte sie der leidgeprüfte Earl am liebsten zurechtgewiesen. „Wenn dir das nicht passt, kannst du ja hinüber zum Grosvenor Square spazieren und die Mieter von Lancroft House fragen, ob sie dir morgen etwas zu essen geben“, hätte er am liebsten noch hinzugefügt, unterließ es aber, weil er wusste, dass Streitereien mit seiner Schwiegermutter selten zu einem für ihn erfreulichen Ergebnis führten.

Ach, Frederica, dachte er im Stillen, warum musstest du bloß auf Lancroft Abbey bleiben? Du hättest gewusst, wie man deine Mutter beruhigen und das Gespräch in erfreulichere Bahnen hätte lenken können. Seine Schwägerin Vivian, Fredericas jüngste Schwester, die junge Viscountess Badwell, die seiner Schwiegermutter gegenübersaß, wusste es ganz offensichtlich nicht.

„Ich denke, es gibt Wichtigeres, worüber wir uns echauffieren sollten, Mama, als irgendwelches Gemüse, das im Übrigen ganz ausgezeichnet schmeckt“, sagte sie in diesem Augenblick und säbelte sich seelenruhig ein Stück vom Fleisch auf ihrem Teller ab. „Könnt ihr mir zum Beispiel verraten, was es an der St. Edward’s Crown auszusetzen gegeben haben könnte, die so viele Könige vor ihm bei der Zeremonie getragen haben? Musste Seine Majestät wirklich eine neue Krone in Auftrag geben, die ganze fünfundsechzigtausend Pfund gekostet haben soll? Wisst ihr, wie vielen Mädchen mit diesem Geld geholfen werden könnte? Für diesen Betrag hätte man eine neue Schule errichten können und …“

„Soweit ich weiß“, meldete sich ihr Gatte, der Viscount Badwell zur Rechten der Schwiegermutter, zu Wort, „hat er die neue Krone zwar bei Rundell & Bridges in Auftrag gegeben, sie aber nicht gekauft. Er mietet sie vom Juwelier und zahlt jeweils ein Zehntel des Betrages pro Jahr. Also …“

„Wen interessiert denn eine dumme Krone?“, unterbrach ihn die Viscountess Panswick. „Verschone mich mit deinen hehren Ideen, sämtliche Mädchen des Landes vor dem Untergang bewahren zu wollen, Vivian. Sei froh, dankbar und glücklich, dass du einen Mann gefunden hast, der dich dabei unterstützt, ein Institut für Höhere Töchter zu führen. Das ist mehr, als du von einem Gatten erwarten konntest. Also erspare uns weitere Einzelheiten zu diesem öden Thema.“

„Ja, aber …“ Natürlich ließ sich ihre Jüngste nicht so schnell in die Schranken weisen. Doch eine strikte Handbewegung ihrer Mutter hieß sie schweigen. „Kein Wort mehr darüber, solange ich in London bin. Jetzt sollten wir uns endlich um die Feierlichkeiten kümmern. Derryhill, fass die wichtigsten Einzelheiten der morgigen Zeremonie noch einmal zusammen.“ Da fiel ihr Blick in das Gesicht ihres ältesten Schwiegersohns und sie beeilte sich, ein „Wenn du bitte die Freundlichkeit hättest!“ hinzuzufügen.

„Einen wunderschönen Abend, allerseits!“, meldete sich da eine fröhliche Stimme von der Tür her. Nicolas Barnett war eingetroffen. In einem dunkelblauen Jackett, zu langen, bisquitgelben Hosen, das Halstuch unter der eng taillierten, geblümten Weste in mathematischem Stil geknüpft, ein Bild von einem tonangebenden Londoner Stutzer.

„Ihr ergebenster Diener, Mama.“ Mit raschen Schritten war er bei seiner Mutter, um sich formvollendet über ihre Hand zu beugen, bevor er ihr mit verschmitztem Lächeln einen kleinen Kuss auf die Wange drückte. Derryhill sah das Lächeln seines Schwagers, und er bemerkte ebenso, wie sehr sich die Viscountess über die herzliche Begrüßung freute, auch wenn sie weit davon entfernt zu sein schien, dies zuzugeben.

Was für ein charmanter Dandy, ging es ihm durch den Kopf. Wider Willen musste er selbst lächeln, bevor sich seine Miene wieder verdüsterte. Mit seiner gewinnenden Art und seinem ausnehmend schönen Äußeren setzte Nik immer und überall seinen Willen durch. Auch wir, dachte er, die Mitglieder seiner engsten Familie, haben ihm in der Vergangenheit viel zu viel durchgehen lassen, und tun es immer noch.

Er war zwar nicht mehr sein Vormund, der er gewesen war, bevor Niki zu Nik geworden war, und doch musste er immer wieder für ihn in die Bresche springen. Musste Schuldscheine begleichen, die zugunsten von Schneidern, Schustern und Hutmachern ebenso ausgestellt worden waren wie zugunsten glücklicher Gewinner an diversen Spieltischen und für die Niks ohnehin großzügig bemessene Apanage nicht ausreichte. Darüber hinaus kam er immer wieder in die unangenehme Situation, aufgebrachte Ehemänner beruhigen zu müssen, deren meist um vieles jüngere Gattinnen dem hübschen Spund zu nahe gekommen zu sein schienen, und konnte nur froh darüber sein, dass sein Schwager bisher zumindest schlau genug gewesen war, keine eindeutigen Beweise seines tollkühnen Liebeslebens zu hinterlassen. Dennoch teilte er insgeheim die Befürchtungen der gehörnten Ehemänner, Nik könnte zahlreiche Schlafgemächer verheirateter Ladys von innen kennen. Und nicht zuletzt musste er wütende Wirtsleute entschädigen, wenn Nicolas und seine Freunde es wieder einmal zu arg getrieben hatten. Jedes Mal schwor er sich aufs Neue, dass das diesmal das letzte Mal gewesen war. Doch dann kam sein Schwager mit seinem offenen, gewinnenden Lächeln, seinen überzeugenden Beteuerungen, sich bessern zu wollen, brachte ihn zum Lachen und dazu, dass er ihm alle Sünden verzieh. Er würde es nie zugeben, aber Nicolas erinnerte ihn ein wenig an sich selbst. An den unbeschwerten Antony Farrensby, der er gern gewesen wäre, wenn er nicht schon als junger Mann die Würde eines Earls of Derryhill und alle damit verbundenen Pflichten hätte übernehmen müssen.

Sein Schwager hatte in der Zwischenzeit alle begrüßt und auf dem freien Stuhl neben seiner Schwester Platz genommen.

„Nie und nimmer hätte ich zu träumen gewagt, dich je in der Hauptstadt anzutreffen, Mama“, hörte er ihn jetzt sagen. „Wie schön, dass du da bist und wir einige Stunden miteinander verbringen können. – Besten Dank, das sieht ja köstlich aus.“

Der letzte Ausruf galt dem Hausdiener, der das Essen auf einer silbernen Platte für ihn bereithielt.

„Du kommst zu spät“, rügte die Viscountess, nicht bereit, diese Tatsache unerwähnt zu lassen.

„Ich weiß, Mama, und ich stehe nicht an, mich in aller Form dafür zu entschuldigen.“ Nicolas lächelte in die Runde. „Leider muss ich mich auch bald wieder verabschieden. Es war von Einzelheiten für die Krönung die Rede, als ich den Raum betreten habe. Derryhill, bitte lass dich nicht aufhalten. Ich bin auch begierig darauf, Genaueres zu erfahren.“

Mit einem Schlag richtete die Viscountess ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren ältesten Schwiegersohn. Dieser war, wider Willen, zutiefst beeindruckt. Brillant gemacht, Nik, dachte er. Sein Schwager hatte sich nicht nur weitere Rügen vom Leib gehalten, er hat seiner Mutter auch noch untergejubelt, nicht den ganzen Abend mit ihr verbringen zu wollen und elegant das Thema gewechselt. So sehr er dies auch bewunderte, so sehr ging es ihm zunehmend auf die Nerven, dass Nik mit allem und jedem ungeschoren davonkam.

„Die Prozession wird in Westminster Hall beginnen“, sagte er, ohne seine Gedanken preiszugeben, „und von dort zur Westminster Abbey führen. Ich habe mir den Prozessionsweg heute Nachmittag angesehen. Es handelt sich um einen Bretterboden, der mit einer Markise überdacht ist. Morgen will man ihn noch mit blauen Teppichen belegen. Entlang des Weges wurden Sitzplätze für begüterte Schaulustige vermietet.“

„Das betrifft uns ja nicht, oder?“, warf die Viscountess ein.

Derryhill gab ihr recht. „Nein, denn ihr werdet in der Abbey warten. Es betrifft die, die es sich zwar leisten konnten, Sitzplätze zu kaufen, die aber keine Einladung, oder sollte ich besser sagen, Vorladung für die Zeremonie in der Kirche bekommen haben. Hinter den Sitzenden wird sich das Volk drängen, das einen Blick auf Seine Majestät und die Prozession erhaschen will.“

„Das heißt, wir werden bereits vor den Menschenmassen eintreffen, reservierte Plätze in der Abbey einnehmen und dort in Ruhe warten, bis Seine Majestät mit Gefolge einlangt?“, unterbrach ihn seine Schwiegermutter abermals und rief, als er nickte, ungewohnt dramatisch aus: „Dem Himmel sei Dank! Ich hätte keine Lust, in der Prozession mitzumarschieren und mich den neugierigen Augen des Pöbels auszusetzen.“

„Das wäre ohnehin unter keinen Umständen der Fall gewesen“, konnte sich Derryhill nun nicht verkneifen zu sagen, „denn es sind ausschließlich Gentlemen im Gefolge unseres neuen Königs zugelassen …“

„Mit Ausnahme der Kräuterfrauen“, berichtigte ihn nun sein Schwager Badwell grinsend.

„Bis auf die Kräuterfrauen“, stimmte Derryhill in dieses spöttische Grinsen ein. „Sie werden den Weg mit Kräutern und Blumen bestreuen, um Prinny vor Seuchen zu schützen, die ihm vom gewöhnlichen Volk drohen, das seinen Weg säumen wird.“

„Ein Glück, dass Penelope nicht hier ist, die hätte sicher noch ein paar Kräuter beizusteuern gehabt“, teilte die Viscountess den Spott, den ihre Schwiegersöhne für dieses übervorsichtige Vorgehen des neuen Königs übrighatten.

„Ach ja, richtig“, fuhr Vivian auf, der dieser Umstand anscheinend erst jetzt aufgefallen war. „Dass Frederica aufgrund ihres delikaten Zustands nicht in London ist, verstehe ich. Aber was ist mit Penelope? Ist sie etwa auch wieder …“

„Sie ist nichts dergleichen“, unterbrach ihre Mutter streng. Schwangerschaften waren nun wirklich kein passendes Thema für ein Tischgespräch. „Die Westminster Abbey wird mit dem Hochadel bereits unangenehm voll sein. Da konnte man nicht auch noch Hinz und Kunz einladen.“

Vier Köpfe rückten wie auf Kommando herum und starrten Ihre Ladyschaft an.

„Was wollt ihr denn?“, verteidigte sich diese. „Eure Schwester hat einen simplen Mr Markfield geheiratet, da musste sie doch damit rechnen, dass ihr bei Veranstaltungen des Hochadels die Türen verschlossen bleiben.“

„Worüber sie sicherlich froh und glücklich ist“, war Vivian sofort wieder versöhnt, „denn sie hasst London ohnehin, fast noch mehr als du, Mama. Ich kenne niemand anderen, der sich nur auf dem Lande wohlfühlt, so wie Penelope.“

„Da stimme ich dir zu“, bestätigte Derryhill und nahm dann seinen ursprünglichen Faden wieder auf: „Die einzigen beiden Familienmitglieder, die an der Prozession teilnehmen dürfen, sind der Herzog of Landmark, also der Gatte eurer Cousine Agatha, und ich.“

Nur Prinzen, Herzöge und einige auserwählte Earls waren als Gefolge willkommen. Alle anderen Mitglieder des Hochadels mussten in der Kirche warten. Es konnte schließlich nicht jeder Hinz und Kunz mitmarschieren, dachte er schadenfroh, verkniff es sich jedoch, dies laut auszusprechen, schon allein Badwell zuliebe.

„Ach ja, richtig“, fiel Vivian da ein, „weil du sie gerade erwähnst, Derryhill, ich habe heute Cousine Agatha einen Besuch abgestattet. Sie lässt euch alle herzlich grüßen. Sie ist immer noch etwas geschwächt, obwohl die Zwillinge bereits beinahe drei Jahre alt sind. Die beiden Buben gedeihen prächtig. Ich verstehe, dass Landmark außer sich vor Freude ist. Nichts macht einen Mann glücklicher, als sein Erbe gesichert zu wissen.“

„Vivian!“, rief ihre Mutter entgeistert und rollte die Augen in Richtung Derryhill. Das ist wieder so typisch für meine Jüngste, dachte sie, zu reden, ohne nachzudenken. Musste sie ihrem Schwager, der sich so sehnsüchtig einen männlichen Nachkommen wünschte, auch noch Salz in die Wunde streuen?

„Apropos Landmark“, wechselte Nicolas elegant das Thema und legte das Besteck auf den Teller, zum Zeichen dafür, dass auch er die Mahlzeit beendet hatte. „Man sagte mir, er käme in den Genuss eines der Kostüme, die unser neuer König selbst entworfen hat.“

„Sie sollen an die Gewänder der Tudor-Zeit im sechzehnten Jahrhundert erinnern“, ergänzte nun Badwell seinerseits belustigt. „Der Duke wird großartig darin aussehen. Allein seine langen Beine in kurzen Pluderhosen, und dann erst das farbenprächtige Wams.“

„Du hast recht, er ist genau der Richtige für eine derart groteske Verkleidung“, stimmte Derryhill freimütig zu, und jetzt lachten sie alle. Denn sie kannten den ernsthaften, traditionsbewussten, bisweilen etwas steifen, zu arrogantem Spott neigenden Herzog und wussten, dass er seinen Auftritt im historischen Kostüm hassen würde. Derryhill war nur zu froh, dass es ihm erspart bleiben würde, einen derart unmännlichen Anblick bieten zu müssen, der für Karikaturisten mit spitzer Feder sicher ein gefundenes Fressen sein würde.

„Wenn ich daran denke, dass diese Kostüme, die ohnehin keiner tragen will, ebenfalls Unsummen verschlungen haben“, meldete sich nun wieder seine Schwägerin zu Wort, „dann werde ich richtig zornig. Man könnte mit diesem Geld …“

„Vivian“, unterbrach sie der scharfe Tonfall ihrer Mutter, „wenn ich an diesem Tisch noch einmal die Wörter arme Mädchen oder Schule höre, dann schicke ich dich auf dein Zimmer.“

Sie alle wussten, dass die Viscountess nicht die Berechtigung hatte, ihre verheiratete Tochter irgendwohin zu schicken, ganz abgesehen davon, dass diese im Haus ihres Schwagers gar kein Zimmer hatte, aber niemand hielt es für angebracht, sie darauf hinzuweisen.

„Die Krönung wird um elf Uhr beginnen, darum ist es wichtig, dass ihr mindestens eine halbe Stunde vorher in der Abbey seid, um eure Plätze einzunehmen. Es werden zwar genügend Bedienstete zur Verfügung stehen, aber dennoch wird es geraume Zeit dauern, bis jeder seine Sitzreihe gefunden hat. Für die Viscounts ist im hinteren Teil des Hauptschiffes reserviert. Ihr vier sitzt zusammen auf der Südseite. Es wird daher das Vernünftigste sein, ihr nehmt zum Hineingehen das letzte Tor auf der rechten Seite.“

„Ich danke dir, dass du es arrangieren konntest, dass mich Nicolas an Bertrams Stelle begleitet, Derryhill“, wandte sich die Viscountess ihm zu und hatte nun zum ersten Mal seit Tagen wieder ein wohlwollendes Lächeln für ihn übrig. „Ich verabscheue derartige Menschenansammlungen ohnehin, aber es wäre noch schlimmer gewesen, würde ich die weiten Wege nicht am Arm einer meiner Söhne zurücklegen können.“

Sie erhob sich zum Zeichen dafür, dass das Dinner zu Ende war und sie sich mit ihrer Tochter ins Wohnzimmer begeben würde, um die Herren dem Portwein zu überlassen. Die anderen beeilten sich, es ihr gleichzutun, und Nicolas verbeugte sich vor Mutter und Schwester und wünschte ihnen noch einen schönen Abend.

„Wie du weißt, logiere ich im Haus der Badwells am Piccadilly“, erinnerte ihn die Viscountess. „Dort erwarte ich dich um Viertel nach zehn und keinen Augenblick später, Nicolas. Haben wir uns verstanden?“

Ihr Jüngster nickte, legte sich die Hand aufs Herz und schwor, sich keine einzige Minute zu verspäten.

„Nun darf ich mich auch von euch verabschieden“, sagte Nik, als sich die beiden Ladys zurückgezogen hatten. „Danke, Derryhill, für das wie immer vorzügliche Mahl. Es freut mich, dass wir uns bereits morgen wiedersehen. Ich wünsche euch noch einen angenehmen Abend mit Mama.“ Er grinste seinen beiden Schwagern zu. „Auf mich müsst ihr leider, leider verzichten, ich werde erwartet.“

Die anderen Herren reagierten völlig unterschiedlich.

Derryhill zog die Augenbrauen hochzog und warf ihm ein „Kannst du deiner Mutter nicht wenigstens einen Abend lang Gesellschaft leisten, wenn sie schon die Strapaze auf sich genommen hat, nach London zu kommen?“ an den Kopf. Dabei fragte er sich, warum eigentlich immer er die Aufgabe hatte, die Viscountess zu unterhalten. Er sah sie bei Weitem öfter als ihre beiden Söhne. Badwell interessierte etwas ganz anderes: „Mit wem triffst du dich denn nun schon wieder, du Teufelskerl? Eine ehrenwerte Heiratskandidatin wird es wohl kaum sein, zu so später Stunde.“ Er schlug dem Jüngeren anerkennend die Faust gegen den Oberarm.

Derryhill runzelte befremdet die Stirn, bevor ihm einfiel, dass Badwell vor seiner Heirat ebenfalls ein ziemliches Lotterleben geführt hatte und vom Bett einer verheirateten Dame in das der nächsten gesprungen war. Wenn er allerdings sah, wie glücklich Vivian und er miteinander waren, dann wusste er, dass dieses Verhalten zum Glück der Vergangenheit angehörte. Offensichtlich ganz im Gegenteil zu Nicolas. Konnte dieser junge Stutzer eigentlich auch noch irgendetwas anderes, als Geld zum Fenster hinauszuwerfen, Dummheiten zu machen und sich unpassender Liebschaften zu erfreuen? Wie schon so oft zuvor dachte er, dass Nik dringend eine sinnvolle Aufgabe bräuchte. Sein Angebot, ihm ein Offizierspatent zu kaufen, hatte Nik schon vor Monaten mit den Worten abgelehnt, er wolle nicht so enden wie der arme Markfield. Den hatte der Krieg so übel zugerichtet, dass er es nur Penelopes Heilkünsten verdankte, überhaupt noch am Leben zu sein. Pfarrer wollte er ganz bestimmt auch nicht werden, es reichte ihm schon, sich die salbungsvollen Predigten anhören zu müssen, die ihm sein bester Freund in regelmäßigen Abständen hielt. Und die Marine? „Mein Magen dreht sich schon um, wenn ich ein Segelboot nur sehe“, hatte Nik gemeint und damit auch diese Idee verworfen. Was blieben da noch für Aufgaben übrig, die für den Bruder eines Viscounts passen würden? Vielleicht sollte er sich umhören, ob irgendjemand einen klugen Verwalter für seine Landgüter suchte?

„Loulou Gabani“, verkündete der junge Dandy soeben mit sichtlichem Stolz. Derryhill wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen.

„Du teilst das Lager mit dem Star des Drury Lane Theaters?“, vergewisserte er sich und konnte es nicht glauben. Er hatte die Schauspielerin vor einem halben Jahr als Katharina in Der Widerspenstigen Zähmung von Shakespeare gesehen, und sie war umjubelt worden wie keine andere. „Ist sie nicht viel zu alt für dich?“

Nicolas lachte auf. „Sie ist Ende zwanzig, also genau im richtigen Alter. Du willst doch immer, dass ich etwas dazulerne, lieber Schwager. Glaubt mir, von Loulou lerne ich so allerhand, wenn ihr versteht, was ich meine.“

Das verstand Derryhill sehr gut, hatte aber nicht die geringste Lust, die Aussage zu kommentieren und den Jungspund auch noch zu ermutigen. Ganz im Gegensatz zu seinem anderen Schwager.

„Die Gabani?“, wiederholte Badwell. „Respekt! Eine Frau von Schönheit und Format.“ Er stutzte kurz und sagte dann: „Allerdings erscheint mir eines höchst seltsam. Ich hörte, wie sich der vermaledeite Glostershire im Club rühmte, dass sie seine Mätresse sei.“

Wieder lachte Nicolas auf. „Ich wusste, dass dich das freuen würde! Wenn man bedenkt, wie übel der Alte in der Vergangenheit dir und später auch Vivian mitgespielt hat“, sagte er und klopfte seinem Schwager auf die Schulter, „dann macht mir dieses Techtelmechtel noch größeren Spaß.“

„Du schläfst also tatsächlich mit der Mätresse des Barons?“, fragte Badwell und versuchte die Erinnerung daran zu verdrängen, dass er selbst einst sogar mit dessen Frau das Bett geteilt hatte. Nichts, worauf er jetzt im Nachhinein besonders stolz war. Sein Blick war ernst geworden, und auch Derryhills Stirnrunzeln vertiefte sich. Langsam machte er sich wirklich Sorgen um den jungen Schwager. Der Baron Glostershire war ein einflussreicher Mann und seine Wutausbrüche nur allzu bekannt. Hatte es da nicht auch schon einmal ein Gerücht um ein Duell in Richmond gegeben? Er musste sich diesbezüglich vorsichtig im Club umhören.

Nicolas strahlte. „Mit eben dieser. Nun muss ich aber wirklich gehen. Ihr versteht sicher, dass man eine Frau wie Loulou nicht warten lassen darf.“

Er hob die Hand zum Zeichen des Grußes, vollführte eine elegante Verbeugung, die in einer ebensolchen Drehung mündete, und verließ schwungvollen Schrittes das Esszimmer.

Ein Dandy in Nöten

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