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Kapitel 6

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Es war nicht das erste Mal, dass Nicolas Barnett den Türklopfer an der weinroten Tür in der Half Moon Street betätigte. Da das Einkommen der Diva auch als gefeierte Schauspielerin sicher nicht ausreichte, um sich ein, wenn auch schmales, Stadthaus in Londons bester Lage leisten zu können, freute er sich für sie, dass sie immer wieder reiche Gönner fand, die ihr Miete und Personal bezahlten und auch sonst dafür sorgten, dass es ihr an nichts fehlte. Er selbst hätte nicht die Mittel aufbringen können, ihr so großzügig unter die Arme zu greifen. Ein Schmuckstück hie und da, ja, das lag im Rahmen seiner Möglichkeiten. Doch monatliche Mietzahlungen, nein, die hätte er sich nicht leisten können. Seine eigene Wohnung in Albany war schon teuer genug.

Das Hausmädchen öffnete ihm die Tür, knickste und sah offensichtlich keine Veranlassung, ihn nach seinem Begehr zu fragen. Wahrscheinlich hatte ihn ihre Herrin bereits als willkommenen Gast angekündigt. Also nahm sie den Zylinder entgegen und führte ihn ins opulent eingerichtete Wohnzimmer. Sofort hüllte ihn der vertraute und doch so aufregende Geruch von süßlich duftenden Blumen und Patschuli ein. Es waren nur wenige Kerzen in den Wandleuchtern entzündet. Ihr Schein spiegelte sich in den geschliffenen Gläsern der Vitrine aus Mahagoni, dessen schwanenförmiger Giebel den letzten Schrei der Mode darstellte. Auch die goldenen Rahmen der Gemälde glänzten im gedämpften Licht. Ein üppiges Bouquet von Lilien, Freesien und Rosen auf der halbrunden Kommode zeugte davon, dass Glostershire erst kürzlich hier gewesen sein dürfte. Die zierliche, vergoldete Standuhr am Kaminsims schlug in zarten melodiösen Klängen zur vollen Stunde.

„Ist Miss Gabani bereits im Haus?“, wollte er wissen.

Das Mädchen bedauerte: „Nein, Madame befindet sich noch im Theater, Eure Lordschaft. Allerdings dürfte die Vorstellung vor wenigen Minuten zu Ende gegangen sein. Es wird also nicht mehr allzu lange dauern, bis sie sich zu Ihnen gesellen kann. Wenn Sie bitte so lange Platz nehmen wollen, Sir.“ Sie wies zuerst auf das zierliche blasslila Sofa und dann auf das mit Einlegearbeiten verzierte Schränkchen daneben, auf dem allerhand alkoholische Getränke bereitstanden. „Bitte zögern Sie auch nicht, sich in der Zwischenzeit eine Erfrischung zu genehmigen.“

Mit diesen Worten knickste sie wieder und ließ ihn allein.

Nicolas war viel zu aufgeregt, um still sitzen zu können. Sein ganzer Körper spürte die Vorfreude auf das, was ihn in Kürze erwartete. Loulou war sehr freigiebig in ihrer Gunst, und ihr gemeinsames amouröses Abenteuer ließ sich mit denen, die er mit ihren vor Nervosität kichernden jüngeren Kolleginnen erlebte, nicht im Geringsten vergleichen. Das besonders Angenehme war, dass er sich bei Loulou fallen lassen konnte. Sie stellte keine Erwartungen an ihn. Obwohl er stets mit offenen Karten spielte, hoffte doch so manch andere, ihn eines Tages vor den Traualtar schleppen zu können. Loulou wäre es nicht im Traum eingefallen, ihn heiraten zu wollen. Außerdem verfügte sie nicht nur über einen biegsamen Körper und geschickte Hände, sondern auch über eine erfreuliche Anzahl an Schafsdärmen, die, mit Seidenbändern straff befestigt, sie beide vor den ungewollten Folgen ihrer Stelldicheins schützen konnten.

Nicolas ging zum Schränkchen hinüber, in der Absicht, sich, wie sonst auch, etwas vom honiggelben Whisky aus der geschliffenen Karaffe einzuschenken. Da stach ihm eine braune Flasche ins Auge, die er bisher hier noch nie gesehen hatte. Sie hatte eine ungewöhnlich wuchtige Form und trug das Etikett an einer Kordel um den Hals. Er versuchte die Aufschrift zu lesen und scheiterte, da diese offensichtlich französisch war: Le Fleuron de la Vigne des Femmes Pieuses. Obwohl jetzt, da der Krieg gegen Napoleon seit fünf Jahren vorüber war, immer mehr Waren aus Frankreich auf die Insel herüberkamen, war er doch noch selten in den Genuss eines französischen Weines gekommen. Die geheimnisvoll klingende Aufschrift hatte ihn neugierig gemacht und so griff er zum bereitliegenden Flaschenöffner und zog den Korken heraus. Dann goss er sich einen Schluck in eines der ebenfalls bereitgestellten Gläser. Ja, dachte er amüsiert, dies ist wahrlich ein gastfreundliches Haus. Madame sorgt dafür, dass sich ihre männlichen Besucher auch außerhalb ihres Schlafgemachs wohl fühlen.

Es beobachtete, wie sich die dunkelrote Flüssigkeit ins Glas ergoss, und nippte dann daran. Erwartungsvoll, vorsichtig. Er hielt fasziniert inne. So einen Wein hatte er noch nie getrunken. Er erinnerte ihn an reife Johannisbeeren, vielleicht mit einem Hauch von Himbeeren und noch etwas anderem, das er nicht benennen konnte. In jedem Fall war er der beste Tropfen, den er je zwischen den Lippen gehabt hatte. Begeistert griff er wieder zur Flasche, schenkte sich das Glas diesmal ganz voll und trank es mit großen Zügen leer.

„Was machst du denn da, um Himmel willen?“, meldete sich Loulous entrüstete Stimme von der Tür her, als er sich eben noch ein weiteres Mal nachschenken wollte. Nicolas fuhr herum, bereit, mit scherzhaft rügendem Ton zu sagen, dass ihre Worte nicht im Geringsten der liebevollen Begrüßung ähnelten, die er sonst von ihr gewöhnt war, als ihre erzürnte Miene ihn innehalten ließ. Die Diva war mit großen Schritten und raschelnden Röcken zu ihm getreten und riss ihm nun die Flasche geradezu aus der Hand.

Wie schön sie ist, wenn sie sich aufregt, dachte er hingerissen. Rote Wangen zu tiefschwarzen, locker aufgesteckten Haaren. Das nach der neuesten Mode eng geschnürte Mieder war im selben Blau wie ihre Augen, die ihn nun vorwurfsvoll anblitzten.

„Wie konntest du nur?“ Sie hob die Flasche vor das Licht einer Kerze, um zu kontrollieren, wie viel bereits fehlte.

Sein Arm umfing ihre Mitte. Er liebte diese neue Mode, die dabei war, die hochtaillierten Empirekleider der letzten Jahrzehnte abzulösen, und bei denen sich die Taille wieder an der natürlichen Stelle befand.

„Der Wein war so köstlich, da konnte ich nicht widerstehen“, verteidigte er sich, um ihr gleich darauf zuzublinzeln. „Genau so wenig, wie ich dir widerstehen kann, meine Schöne!“

Noch war die Gastgeberin nicht bereit, ihm zu vergeben, und entwand sich seinem Griff: „Dennoch, Niki, du kannst doch nicht einfach hereinkommen und dich bedienen, wie es dir beliebt …“

„Dein Hausmädchen hat es mir gestattet“, brachte er zu seiner Vereidigung vor.

Nun war Loulou doch etwas milder gestimmt. „Leider hat Rosie keine Ahnung.“ Flüchtig küsste sie ihren Gast auf die Wange. „Wie auch immer, es ist schön, dass du da bist, Niki, mein Süßer.“ Sie ergriff seine Hand, um ihn mit sich zu ziehen. „Die Vorstellung war anstrengend, ich bin müde und sehne mich nach einer Massage von kräftigen, jungen Händen.“

Er deutete eine Verbeugung an: „Ich stehe Mylady mit all meinen Fingerfertigkeiten zur Verfügung“

Sie ließ ein glockenhelles Lachen hören, in das er nur zu gerne einstimmte. Dann wurde sie schlagartig wieder ernst: „Was den Wein betrifft, mein Lieber, so hoffe ich, dass du morgen am frühen Vormittag noch nichts vor hast …“

Nik hielt im Schritt inne: „Du scherzt wohl, meine Teuerste. Morgen zelebriert unser Land eine Krönung mit Pomp und Gloria. Das kannst du doch unmöglich vergessen haben!“

„Als wenn ich das nicht wüsste!“ Loulou stöhnte auf. „Darum sitzen wir ja so tief in der Bredouille. Glossy, also ich meine, Baron Glostershire, kommt morgen um elf hier vorbei, um … um sich den Tag von mir verschönern zu lassen. Ihm sitzt die Schmach im Nacken, dass man ihn nicht zur Zeremonie eingeladen hat.“

„Was hat das mit dem Wein zu tun? Soll er beim … äh … Verschönern … doch etwas anderes trinken.“

„Der Wein gehört ihm, Niki. Er hat ihn heute extra dafür vorbeibringen lassen.“

Sie machte sich von ihm los, eilte zu ihrem kleinen Schreibtisch hinüber und klappte das Verdeck auf. „Ah, da ist sie ja, Gott sei Dank!“ Sie nahm eine Visitenkarte in die Hand und kam zu Nik hinüber, um sie ihm zu reichen. „Das ist die Adresse des Händlers in der Berkeley Street. Am besten nimmst du das Etikett mit und diese Karte dazu. Du musst mir versprechen, dass du dich gleich morgen früh auf den Weg machst und mir exakt die gleiche Flasche bringst. Spätestens um halb elf, besser noch um zehn, muss sie hier angekommen sein!“

Kurz streifte den jungen Barnett die Erinnerung an das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. Er würde tatsächlich sehr früh seine Wohnung verlassen müssen, um alles zeitgerecht zu schaffen, aber es müsste machbar sein. Also legte er sich die Hand aufs Herz und versprach es.

„Versprich mir, dass du die Flasche persönlich vorbeibringst!“, drängte sie weiter.

Nicolas überlegte. Die Berkeley Street war nicht weit weg von hier und von hier war es wiederum nicht weit zu Badwells Haus. Am besten würde es sein, wenn er den Weg zu Fuß zurücklegte. Er konnte natürlich auch eine Sänfte mit zwei flotten Burschen nehmen, wenn er denn eine geeignete auftreiben konnte. Reiten war wohl keine gute Idee. Bei den vielen Schaulustigen, die von allen Seiten herbeiströmen würden, gab es sicher nirgends einen sicheren Platz, um während des Einkaufs sein Pferd abzustellen. Nicolas Barnett war nicht der Typ Mann, der sich Sorgen über etwas machte, was sich in der Realität vielleicht gar nicht als Problem herausstellen würde.

„Ich verspreche es“, sagte er daher abermals. Dann fasste er die Hand seiner Gastgeberin mit festem Griff und zog sie in Richtung Schlafgemach. „Ich denke, der Versprechen sind genug gegeben. Lass uns endlich zum erfreulichen Teil des Abends übergehen.“

Sie lächelte zufrieden und folgte ihm bereitwillig. Im Vorbeigehen schnappte er sich die Weinflasche und klemmte sie sich unter den Arm. Wenn ich ohnehin eine neue besorgen muss, dachte er im Stillen, dann kann ich mir den Rest der Flasche auch noch ruhigen Gewissens zu Gemüte führen.

Ein Dandy in Nöten

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