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Kapitel 3

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Lancroft Abbey, KentJuli 1821

Louise Barnett, die Viscountess Panswick, hatte die dünnen Stores ein wenig zur Seite geschoben und blickte gedankenverloren aus einem der hohen Wohnzimmerfenster. Der liebe Gott hat einen seltsamen Humor, dachte sie nicht zum ersten Mal. Auf der Wiese vor dem Haus versuchten die drei kleinen Mädchen ihrer ältesten Tochter Frederica mit ihrer Nanny Kränze aus Gänseblümchen zu flechten, während die beiden Buben ihrer Zweitältesten Penelope rund um sie Fangen spielten und immer wieder dafür sorgten, dass die eine oder die andere zu weinen oder zu kreischen begann. Natürlich war es gut, dass Penelope einem Erben das Leben geschenkt hatte, der dereinst ihr kleines Landhaus White Rose Place bekommen würde, aber da es kein Familienerbgut war, hätte sie es gut und gern auch einer Tochter vermachen können. Derryhill, Fredericas Gatte hingegen, brauchte ganz dringend einen Sohn. Es ging schließlich um den Titel eines Earls, um einen weitläufigen Landsitz, ein Stadtpalais in London und ein enormes Vermögen. Nicht auszudenken, wenn dies alles dereinst an den Nachkommen seines Cousins fallen würde, während Frederica und die Mädchen leer ausgingen. Nichts gegen den Cousin, den jungen Marcus Farrensby. Er schien ein pflichtbewusster, gottesfürchtiger Mann zu sein, was man von seinem besten Freund, ihrem eigenen Sohn Nicolas, nicht immer behaupten konnte. Aber Marcus’ Mutter! Die Derryhills nannten sie nicht umsonst das schreckliche Weib. Nein, sie durfte das Zepter über Derryhills Vermögen keinesfalls in die Hand bekommen.

Die Lautstärke des Geschreis vor ihrem Fenster hatte zugenommen und riss Ihre Ladyschaft aus den Gedanken. Ah, sieh an, die Gentlemen waren vom Fischen zurückgekehrt. Sie übergaben soeben die beiden Angelruten und die gefüllten Blecheimer einem der herbeigeeilten Diener, und schon waren sie von ihren Kindern umringt, die an ihren Kniebundhosen oder Ärmelaufschlägen zupften und hochgenommen werden wollten. Während sich Henry Bernhard Markfield lachend am Fangenspiel seiner Söhne beteiligte, wirbelte Derryhill gut gelaunt eine Tochter nach der anderen durch die Luft, was das Gekreische der Kleinen noch weiter verstärkte. Die Viscountess runzelte die Stirn. Seltsame Sitten waren dabei, Platz zu greifen. Ihrem verstorbenen Gatten wäre es nicht im Traum eingefallen, sich mit seinem Nachwuchs abzugeben, solange er noch kurze Hosen trug. Von ihrem eigenen Papa ganz zu schweigen. Doch sie wollte nicht allzu streng urteilen. Ihre Schwiegersöhne waren großartige Menschen, die nicht nur ihre Frauen und Kinder aufrichtig liebten, sondern eine Bereicherung für die gesamte Familie darstellten. Außerdem konnte sie Derryhill nicht genug dafür danken, dass er Frederica keine Vorwürfe darüber machte, dass sie es bisher noch nicht geschafft hatte, einem Sohn das Leben zu schenken. Aber vielleicht war ihnen das Glück ja diesmal hold und …

„Ich wollte dich nur darüber informieren, dass die Hebamme gegangen ist, Mama“, meldete sich Penelope von der Wohnzimmertür her. „Ich werde Frederica herunterholen, damit sie sich wieder hier aufs Sofa legen kann. Wir wissen doch, wie sehr sie es liebt, trotz ihres delikaten Zustands im Mittelpunkt des Geschehens zu sein.“ Sie hatte sich bereits wieder abgewandt, als sie es sich anders überlegte und noch einmal ihren Kopf durch den Türspalt steckte: „Es wird Derryhill nicht behagen, dass ihn seine Gemahlin nicht zur Krönung begleiten kann. Die Hebamme hat Freddy dringend davon abgeraten, sich den Strapazen einer so weiten Reise zu unterziehen. Sie meinte, bereits die Fahrt hierher sei ein zu großes Risiko gewesen.“

Um Himmels willen, die Krönung, fuhr es der Viscountess durch den Kopf, bevor sie ihrer Tochter zunickte, die sich daraufhin zurückzog. Blieb ihr denn gar nichts erspart? Sie hasste London. Sie hasste es, zu verreisen. Sie verabscheute den künftigen König Georg IV. aus tiefstem Herzen. Wie hätte sie als pflichtbewusste, hart arbeitende, sittenstrenge Lady auch einen Mann gutheißen können, der das Geld, das ihm das Parlament immer wieder gewährte, mit beiden Händen aus dem Fenster warf? Nicht, dass sie seine Gemahlin, die grobschlächtige Frau aus Braunschweig, weniger verachtete, aber das Scheidungsverfahren, in das er sie gezwungen hatte, war eine Schande für das gesamte Königreich gewesen. Wie konnte er sich nur öffentlich darüber mokieren, dass sie hässlich war, wenn er doch aufgrund seiner Leibesfülle selbst in kaum eine Kutsche mehr passte? Mit Schrecken erinnerte sie sich an ein Dinner im Carleton House, an dem sie mit ihrem Gatten, Gott habe ihn selig, einst teilgenommen hatte. Es war heiß und unerträglich stickig gewesen und der Abend hatte sich über Gebühr in die Länge gezogen, da der Prinzregent nicht weniger als hundertundsechzig verschiedene Gerichte auftragen ließ. Kein Wunder, dass sich Karikaturisten darin überboten, seine schwammige Körperfülle zum Anlass für allerhand triefenden Spott zu nehmen.

Die Viscountess verließ ihren Platz am Fenster, um zu ihrem Schreibtisch zurückzukehren. Sie musste unbedingt die Abrechnungen des Butlers kontrollieren, bevor sie nach London aufbrachen. Aber noch ließen sie die Bilder vom damaligen Abendempfang nicht los. Der Prinzregent hatte seine Leibesfülle in eine geradezu absurde, selbst entworfene Uniform gesteckt. Es hieß, dass er sich auch die Kleidung, die er bei der Krönung tragen würde, selbst ausgedacht und dafür ein Vermögen ausgegeben habe. Bei diesem Gedanken schnaufte Lady Panswick unwillig auf. Selbstverständlich würde sie trotz all ihrer Abscheu an diesen sicherlich pompösen Feierlichkeiten teilnehmen und dafür das erste Mal seit mehr als zehn Jahren in die Hauptstadt reisen. Sie war eine Viscountess, sie drückte sich nicht vor den Pflichten, die mit diesem Rang einhergingen, mochte es ihrem Herzen noch so widerstreben. Im Stillen beneidete sie Cassandra, die Mutter ihres geliebten ältesten Schwiegersohns, um ihre schlimme Erkältung, die sie daran hindern würde, den ihr zustehenden Platz als Dowager Countess in der Westminster Abbey einzunehmen. Georg IV. duldete keine verkühlten oder kranken Personen in seiner Nähe, da er aufgrund seiner zarten Konstitution in ständiger Angst lebte, sich anzustecken. Was für ein unmännlicher Patron, dachte die Viscountess voller Verachtung, schlug das ledergebundene Buch vor sich auf und griff zu ihrer Brille, um sich in die Abrechnungen zu vertiefen.

Ein Dandy in Nöten

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