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Kapitel 2

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LondonApril 1821

Die schweren Samtvorhänge waren zugezogen. Unzählige Kerzen erhellten das Hinterzimmer des Black Swan und sorgten gleichzeitig für eine derart große Hitze, dass die jungen Damen ihre Fächer munter zum Einsatz brachten, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Der Duft ihrer schweren Parfums benebelte die Sinne aller Anwesenden und wurde vom großzügig ausgeschenkten Alkohol dabei auf das Erfreulichste unterstützt. Nur einer trübte noch die ausgelassene Stimmung.

„… und so hebe ich denn das Glas …“ Zur Erleichterung aller schien jedoch der ehrenwerte Marcus Farrensby nun endlich am Ende seiner Rede angelangt zu sein. Er griff zum Weinkelch und wandte sich dem Geburtstagskind zu. „Auf Nicolas Barnett, den besten Freund, den sich ein Mann nur wünschen kann. Alles erdenklich Gute zu deinem dreiundzwanzigsten Wiegenfest. Du bist nicht nur …“

Was auch immer er noch hatte sagen wollen, ging in lauten Jubelrufen der anderen Gäste unter. Gläser klangen. Alle stürzten sich auf Nicolas, um zu gratulieren und ihm ihre Glückwünsche vorzutragen. Stimmen schwirrten durcheinander, unterbrochen von manch glockenhellem Lachen. Während sich der Gefeierte mit Vergnügen den vielen Umarmungen und dem zahlreichen Schulterklopfen hingab, stellte sich Marcus, wie gewohnt, an den Rand des Gastraums und beobachtete das Schauspiel, das sich ihm bot. Er mochte Nik, seit er ihn mit dreizehn Jahren das erste Mal gesehen hatte. Marcus genoss seine Gesellschaft, liebte die tiefschürfenden Unterhaltungen, die er mit ihm allerdings nur dann führen konnte, wenn sie unter vier Augen waren. Er dankte ihm dafür, dass er ihn, den ernsten Freund, zu Veranstaltungen mitschleppte und ihn dadurch immer wieder vom Studium der Bibel und anderer religiöser Schriften loseiste, in die er sich sonst vergraben hätte. Ohne Nik wäre er nie im Leben auf die Idee gekommen, ausgelassene Feierlichkeiten wie diese hier zu besuchen, auf denen sich Männer der besten Gesellschaft betranken, ihre guten Manieren vergaßen und zu allerlei derben Späßen aufgelegt waren. Und auf denen die jungen Schauspielerinnen, die man wie so oft nach der Vorstellung vom Drury Lane Theater abgeholt hatte, ihre Fesseln entblößten und Einblicke in Dekolletés gewährten, die seine Mutter nie zu Gesicht bekommen durfte. Ganz zu schweigen von der Freigiebigkeit der jungen Frauen, was das Küssen betraf und wohl noch so manch anderes, was wiederum er selbst gar nicht so genau wissen wollte. Marcus fuhr sich mit zwei Fingern in den Kragen, der ihm plötzlich eng geworden war.

„Sie haben sehr schön gesprochen“, meldete sich da unvermittelt eine weibliche Stimme neben ihm zu Wort. „Etwas zu lang vielleicht, aber sehr schön.“

Eine zarte Hand legte sich auf seinen Unterarm, und zwei dunkle Augen blickten neugierig zu ihm empor: „Ich bin die Henriette, aber Sie dürfen Hetty zu mir sagen, so wie alle meine Freunde.“

Farrensby spürte nur zu deutlich die Wärme der Hand an seinem Arm. Er verbeugte sich. „Es ist mir eine Ehre. Ich bedaure, dass wir einander noch nicht vorgestellt wurden, Hett … Miss Henriette.“

Ein perlendes Gekicher war die Antwort: „Seien Sie doch nicht so steif, Sir. Wer sollte uns denn miteinander bekannt machen? Es sind doch alle viel zu beschäftigt.“ Sie kicherte abermals und wies mit einer unbestimmten Geste zu den anderen Mädchen, die mit den anwesenden jungen Herren plauderten und an ihren Gläsern nippten. Manche Gäste hatten sich bereits paarweise auf den braunen Samtsofas niedergelassen, um sich Frivolitäten in die Ohren zu flüstern und die ersten Küsse zu tauschen.

„Darf ich nun auch erfahren, wer Sie sind, Sir?“ Hetty wandte sich wieder an ihn. „Sie haben so eine beruhigende Art zu sprechen. Und erst die salbungsvollen Worte, die Sie für unseren lieben Nik gefunden haben. Sind Sie vielleicht ein Pfaffe oder irgend so etwas?“

Der junge Mann seufzte. „Ich wollte, ich wäre es.“

„Das müssen Sie mir unbedingt näher erklären.“ Hetty zog ihn mit sich zu einem der letzten noch freien Diwane. „Besorgen Sie mir etwas zu trinken? Ein Glas Perlwein wäre mir jetzt angenehm.“

Marcus gab dem Diener ein Zeichen, der sofort diensteifrig herbeisprang, sich verneigte und Hetty das mit Gläsern gefüllte Silbertablett entgegenhielt. Diese griff zu und nahm freudig den ersten tiefen Schluck. „Hui, das kitzelt aber in der Nase.“ Sie ließ abermals ein perlendes Kichern hören.

Diesmal beachtete Marcus sie nicht. Sein Blick war quer durch den Raum an seinem Freund hängen geblieben. Dieser sah von ihm zu Hetty und wieder zurück und verzog dann die Lippen zu einem anerkennenden Grinsen. Farrensby war schon auf dem Sprung, zu ihm hinüberzugehen, um ihm zu versichern, dass er einem Irrtum erlegen war und er nicht daran dachte, sich dem frivolen Treiben anzuschließen. Doch Nik hatte sich wieder abgewandt und mit dem Ausruf: „Na, dann wollen wir doch wieder einmal meine Talente vergeuden!“ Elli, die rothaarige Schauspielerin neben sich, in die Arme gerissen und begann sie nun so innig zu küssen, dass Marcus die beiden keinesfalls stören wollte.

„Was hat Nik da gerufen?“, brachte sich Hetty in Erinnerung.

„Nicht der Rede wert“, antwortete Marcus, ohne sich ihr zuzuwenden. Für einen kurzen Augenblick flammte noch einmal der Ärger in ihm auf, den er empfunden hatte, als Nicolas ihm von seiner Unterredung mit dem Rektor erzählt hatte. Wie war der Mann bloß dazu gekommen, seinen Freund zu verdammen? Er kannte ihn doch gar nicht gut genug, um sich ein Urteil bilden oder gar den Stab über ihn brechen zu können. Marcus seufzte. Der Abschluss des Studiums lag nun schon fast ein halbes Jahr zurück. Seither schien es, als würde Nik mit jedem Tag ein wenig mehr dem Bildnis gleichen wollen, das der Rektor damals von ihm gezeichnet hatte.

„Warum sind Sie denn kein Pfarrer, wenn Sie doch gern einer wären?“, unterbrach Hetty abermals seine Gedanken.

Marcus seufzte wieder. „Ich bin der Erbe eines Earls“, sagte er düster.

„Ah, und wenn man das ist, darf man kein Pfarrer werden, oder wie? Das wusste ich nicht. Elli …“, rief sie zu ihrer Freundin hinüber, die noch immer, im wahrsten Sinn des Wortes, an den Lippen von Nicolas Barnett hing. „Hast du gewusst, dass ein Erbe …“

Marcus beeilte sich, sie zu unterbrechen. „Natürlich dürfte man das. Theoretisch. Aber nicht, wenn man meine Mutter als Mutter hat. Sie meint, als Erbe des Earls of Derryhill sei es meine Pflicht …“

„Derryhill?“, wiederholte Hetty und bekam große Augen. „Ist das der, von dem man sagt, er gehöre zu den reichsten Männern des Landes?“ Sie rückte an Marcus heran und legte ihm den Arm um die Taille, als sie zu ihm hinauflächelte: „Und den werden Sie einmal beerben? Also da wüsste ich wahrlich Schlimmeres!“ Sie kicherte wieder und überlegte dann: „Ist der nicht auch irgendwie mit Nicolas verwandt?“

„Der Earl ist mein Onkel und gleichzeitig auch der Gatte von Frederica, Niks ältester Schwester“, erklärte Marcus und versuchte von der jungen Frau wegzurücken, doch sie hatte ihn fest im Griff.

„Von seiner Schwester? Hat die denn so einen alten Mann geheiratet, dass man schon ans Erben denken darf … äh … muss?“

„Er ist Anfang vierzig, also noch kein Greis“, informierte sie Marcus. „Allerdings hat ihm seine Gemahlin bisher nur drei Töchter geboren, sodass die Aussicht, dass sie ihm auch noch einen Sohn schenken wird, sehr gering ist. Zumindest wenn man meiner Mutter glaubt.“

„Ach, wirklich?“, sagte die junge Schauspielerin und strahlte nun umso inniger zu ihm hinauf. Sie wäre offensichtlich gern noch näher gerückt, aber dann hätte sie sich bereits auf seine Knie setzen müssen, und das erschien ihr dann wohl doch zu gewagt. Ganz im Gegensatz zu Elli, die Nicolas Barnett längst erklommen hatte, nun mit gespreizten Beinen auf seinem Schoß saß und sich noch leidenschaftlicher von ihm küssen ließ.

„Frederica ist wieder schwanger“, erfuhr Hetty da, und ihr nächstes „Wirklich?“ klang längst nicht mehr so erfreut.

Marcus nickte energisch. „Ja, wirklich. Ich hoffe, ich habe diesmal Glück und es wird ein Junge.“

Ein Dandy in Nöten

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