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Aeia - Talenttest

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Nach dem leckeren Vegimenü habe ich mich von meinen neuen, supernetten Kollegen verabschiedet und mir von Alex den Weg zur Talentshow, wie Jarno die Aufnahmeprüfung nennt, beschreiben lassen.

Den Weg dorthin zu finden, ist nicht so einfach, wie ich zunächst annahm. Unterwegs bin ich anderen Kollegen begegnet, welche mich ausnahmslos freundlich grüßten. Es wäre jammerschade, wenn festgestellt werden sollte, dass ich talentfrei bin. Es fängt gerade an, mir im Institut zu gefallen. Nicht nur wegen Lu, Alex, Jarno und Kyala, den unverhofften Kollegen, die sich in meinem Herzen bereits wie Freunde anfühlen, sondern auch wegen der geheimnisvollen, mysteriösen Atmosphäre, die der ganze Komplex ausstrahlt.

Es ist nur befremdend, dass ich Levi davon nichts erzählen darf. Der würde ausrasten. Levi ist ein enthusiastischer Fan von historischen Artefakten und mysteriösen Geschichten. Aber nicht nur in dieser Sache sind wir das perfekte Liebespaar. Wir sind, wie zwei Puzzleteile, füreinander gemacht. Ich fühle mich so unglaublich wohl in seiner Gesellschaft. Liebe es, was er zu mir sagt, wie er es sagt. Wie er mich berührt und wo er es tut. Ich liebe diese Person, die ich bin, wenn ich mit ihm zusammen bin. Kaum zu glauben, dass wir erst ein Jahr zusammen sind.

Ich finde mich hunderte Schritte später in einem der Obergeschosse wieder und setze mich auf eine breite Fensterbank aus Eichenholz, die den ganzen Gang entlang reicht. Die Fenster sind zum Innenhof ausgerichtet und die Mittagssonne flutet widerstandslos durch die hohen Glasreihen herein und verleiht dem Dielenboden eine wunderschöne, goldbraune Farbe. Ausnahmsweise bin ich hier ganz allein. Ich sehe auf meine Uhr.

Noch 17 Minuten.

Bin ich die einzige Neue, die zum Talenttest muss?

Meine Muskeln an meinem Hintern kribbeln vor Aufregung und schließlich halte ich die Warterei nicht länger aus und fange an, wie eine Raubkatze den Gang rauf und runter zu laufen. Mir kommen schreckliche Gedanken. Fast alle drehen sich um mein mögliches Versagen, wie niedergeschlagen ich wäre, wenn ich kein Talent hätte.

Dann, nach endlosen Minuten des Wartens, in denen mich meine eigenen Ängste plagen, kommt eine Person die Treppe hoch.

Ich bleibe stehen und lausche den Schritten, die die Stufen aus Holz zum Quietschen bringen. Ein übergewichtiger Mann mit Ledersohlen, denke ich und behalte Recht. Das erste, was mir zu ihm einfällt, ist, dass er Al Capone ist.

Die Haare sind, von seiner breiten Stirn ausgehend, zurückgeklebt. Er trägt einen gebügelten schwarzen Anzug, Krawatte und schwarze Schuhe. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und sehe ihn an und mit jedem Schritt, mit dem er sich mir nähert, scheine ich ein Stückchen kleiner zu werden.

Der Mann ist sehr dick und er ist ein Riese.

Er bleibt nicht stehen, sondern sagt im Vorbeigehen: »Frau Engel? Aeia Engel?« Seine Stimme klingt heiser und kratzig. Er ist wahrhaftig Al Capone.

»Ja«, höre ich eine junge Frau antworten, die klingt wie ich.

»Folgen Sie mir!« Ich wäre nie im Leben auf den Gedanken gekommen, ihm zu widersprechen.

Wir betreten einen Raum, zu dem er uns, mit dem Fingerabdruck seines rechten Daumens, Zugang verschafft. Ich habe etwas anderes erwartet. Geräte, vielleicht mit Drähten und Saugnäpfen daran, die man auf der Kopfhaut oder Brust anschließen kann, um Talentwellen zu messen.

Oder irgendwelche Hightechscanner. Oder zumindest irgendetwas Elektronisches. Aber außer der Glühbirne an der Decke, kann ich nichts, was Strom benötigt, ausmachen.

Ich komme mir vor wie in einem Büro aus der Kolonialzeit. Natürlich bin ich selbst noch nie in einem gewesen, aber in meiner Vorstellung hätte, anstatt meiner, auch Christoph Kolumbus hier stehen können, um bei der spanischen Königin Isabella um die Überfahrt nach Indien zu ersuchen.

Es kommt der Zeitpunkt, an dem sich der Mann hinter seinem schweren Schreibtisch niederlässt und sich vorstellt. Ich stehe da, fühle mein Selbstvertrauen um mehr als ein Jahrzehnt zurückgeworfen, bin wie ein schüchternes Mädchen bei der Audienz beim Schulrektor.

»Ich bin Palo Davidi. Ich bin Teil des Vorstands des TREECSS-Instituts«, sagt er und während ich überlege, welcher sein Vor- und welcher sein Nachname ist, spricht er bereits weiter.

»Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es, neue Mitarbeiter, gestatten Sie mir den Ausdruck, neue Familienmitglieder, für das Institut zu gewinnen.«

Ich verstehe.

Er ist der Personalchef.

»Ich nehme an, Herr Meusburger hat Ihnen die gepflogenen Prinzipien und Regeln erläutert, deshalb lassen Sie mich gleich zur Sache kommen. Was glauben Sie, weshalb Sie hier sind?«

»Wegen der Talentshow«, purzeln die Worte über meine Lippen, bevor ich sie zurückhalten kann.

Eine Bombe aus Schweigen explodiert in seinem Büro.

Er sieht mich an.

Verzieht keine Miene. Das ist schlimm. Schlimmer als Wut, Empörung oder vielleicht habe ich auch auf ein Grinsen gehofft. Verflucht, ich strafe mich unsichtbare Ohrfeigen für meine Vorwitzigkeit.

»Tut mir leid. Das ist mir so herausgerutscht«, sage ich kläglich, weil ich die Stille nicht auszuhalten vermag.

»Frau Engel, gesetzt den Fall, ich wollte einen Clown einstellen, denken Sie, meine Wahl wäre dann auf Sie gefallen?«

»Äh?« Ich sehe ihn an und überlege.

»Nein, niemand lacht über meine Witze«, sage ich. Er sieht mich finster an. »Ich habe mich falsch ausgedrückt. Tut mir wirklich leid«, entschuldige ich mich bereits zum zweiten Mal.

»Nun, Sie haben die Chance, es wieder zu richten.«

»Meine Arbeit soll mir Spaß machen, nur dann kann ich Höchstleistungen vollbringen«, erkläre ich mich.

Für ein paar Herzschläge ist es wieder mucksmäuschenstill im Kolonialbüro. Ich bin drauf und dran, stolz darauf zu sein, wie mutig ich zu meiner Meinung stehe. Dann hoffe ich, dass er endlich in schallendes Gelächter ausbricht, mir auf die Schulter klopft und wir eine gute Basis zwischen Chef und Mitarbeiter haben könnten. Aber so kommt es nicht.

»Naturgemäß werden einige Aufgaben im Widerspruch zu dem Verständnis stehen, Spaß zu haben. Vergangene Nacht wurde einer Ihrer Kollegen bestialisch ermordet.«

Ich sauge laut die Luft ein. Werde zu meinem Erlebnis am Morgen zurückkatapultiert. Mich fröstelt es und jetzt bin ich es, die keine Miene verzieht und ganz still wird. »Glauben Sie vielleicht, es hat mir Spaß gemacht, ihn zu identifizieren? Denken Sie, es war für mich ein Vergnügen, mit seiner Frau zu sprechen? Ihr zu sagen, dass ihr Ehemann, der Vater ihrer Kinder, nicht mehr nach Hause kommt. Glauben Sie das, Frau Engel?«

Ich schlucke. »Nein«, sage ich leise. »Nein, das hat es gewiss nicht.«

Er spricht nach einer kurzen Atempause weiter.

»An was arbeiten Sie, Frau Engel?«

»Ich helfe mit, den Asklepiosstab zu finden. Wir analysieren geographische Muster und versuchen so, das nächste Ereignis vorherzusagen.«

»Ronan Meusburger macht einen guten Job. Enttäuschen Sie ihn nicht.«

»Ich werde mich bemühen«, sage ich ehrlich, auch wenn ich bereits ahne, dass Bemühen vermutlich nicht genug sein wird. Er überhört meinen Patzer.

»Haben Sie sich schon für einen Wahlkurs eingeschrieben?«

Ich sehe ihn an und nehme davon Notiz, wie groß meine Augen werden.

»Ähm, ich wollte ins -«, ich bringe den Satz nicht zu Ende. Traue mich nicht, so etwas Lächerliches, wie Lauftraining, in Erwägung zu ziehen. Nicht, wenn vor ein paar Stunden ein Kollege ermordet wurde.

»Frau Engel, was für einen Kurs wollten Sie besuchen, bevor Sie mich trafen?«

»Das Lauftraining«, sage ich dann, weil er mich dazu drängt und es schlicht und einfach den Prinzipien des Instituts entspricht, die Wahrheit zu sagen.

»Das ist doch wunderbar. Machen Sie das, es wird Ihnen ganz gewiss gefallen. Sie auf andere Gedanken bringen.«

»Sie werden bei uns ihr Psychologiestudium weiterführen.«

Das ist keine Frage, also halte ich meinen Mund.

»Die Vorlesung, die Sie besuchen werden, wird Kriminalpsychologie sein.«

Kriminalpsychologie? Ich habe zwar kein fotografisches Gedächtnis, aber ich bin mir sicher, ich habe das nicht auf der Liste gelesen. »Diese Vorlesung muss ich auf der Liste übersehen haben«, sage ich. »An wen wende ich mich für die Anmeldung?«

»Die Vorlesung steht auf keiner Liste. Es handelt sich um keinen offiziellen Kurs.«

Ich schaue ihn an. Warte.

»Frau Engel, Sie werden von mir persönlich unterrichtet.«

»Von Ihnen?«, frage ich und schnappe schon wieder nach Luft.

»Sie werden mich dabei unterstützen, den Mörder zu finden.«

»Ich?«

»Sie und Ihre Begabung, Frau Engel.«

»Mein Begabung?«, wiederhole ich seine Worte wie ein Papagei.

»Ich folge Ihren Spuren schon eine Ewigkeit. Wenn ich mir Ihrer Herkunft und Ihrer Begabung nicht sicher wäre, dann wären Sie nicht hier. Das dürfen Sie mir glauben. Nicht jeder, der die genetischen Voraussetzungen erfüllt, wird auch in unserer Familie aufgenommen. Verstehen Sie, was ich sage?«

»Meine Begabung?«, wiederhole ich nur.

Ich stehe wie angewurzelt da. Meine Knie zittern leicht. Ich sehe dem Mann zu, wie er aus einer Schreibtischschublade einen Kasten mit Schreiber, Kabel und Knöpfen hervorholt. Ich weiß sofort, was es ist.

Ich muss mich setzen. Er verkabelt mich an Zeigefinger und Oberkörper. Was jetzt geschieht, entspricht nun doch einer meiner zahlreichen Visionen von dem Talenttest.

»Wissen Sie, was das für ein Gerät ist?«

»Ein Lügendetektor«, sage ich prompt.

»Sie schauen sich gerne Spionagefilme an.«

»Komödien. Robert de Niro, als knochenharter Ex-CIA-Agent, ist mit so einem Teil seinem vertrottelten Schwiegersohn auf die Pelle gerückt.«

»Meine Braut, ihr Vater und ich.«

»Sie haben den Film gesehen?«, frage ich.

»Einer meiner Lieblingsstreifen. Das hier ist die original Requisite.«

»Sie veräppeln mich?«

Er grinst und ich weiß auch ohne Lügendetektor, dass er geschwindelt hat.

»Bitte beantworten Sie mir jetzt meine Fragen. Es wird nicht wehtun.«

Was dann folgt, ist eine Reihe von Kontrollfragen, um sicherzustellen, dass der Detektor bei mir funktioniert. Eine davon ist, ob mein Name Aeia Engel sei. Ich muss die Frage mit Ja und auch mit Nein beantworten, damit die unterschiedlichen Ausschläge eingeschätzt werden können.

»Ja?«, antworte ich auf die Frage, ob ich eine Frau sei.

Der Zeiger zuckt nicht mit der Wimper. Meine Antwort entspricht somit der Wahrheit.

»Wurden Sie schon einmal hinters Licht geführt?«

»Hinters Licht? Sie meinen, ob mich jemand angelogen hat?«

»Ja«, sagt Palo Davidi und lächelt mich an. Ich scheine wieder Pluspunkte zu sammeln.

»Nun, ich denke schon viele Male.«

Der Zeiger schlägt aus. Anscheinend habe ich gelogen.

»Das Gerät ist kaputt. Ich habe Sie gerade nicht angelogen«, wehre ich mich entrüstet, gegen die Einschätzung des Lügendetektors.

Er überhört mich und stellt die nächste Frage: »Sind sie ein Mensch?«

»Was denn sonst?«

»Frau Engel, ich bin derjenige, der hier die Fragen stellt.« Ich gehe davon aus, dass wir uns immer noch bei den Kontrollfragen befinden, also spiele ich weiter mit.

»Nein, natürlich nicht«, sage ich. Der Zeiger zuckt keinen Millimeter. Ich habe also soeben die Wahrheit gesagt. Jetzt bin ich sehr verwirrt. Anscheinend habe ich die Funktion des Lügendetektors noch nicht ganz begriffen.

»Waren Sie in der Vergangenheit schon einmal in diesem Gebäude?«

»Nein.« Der Zeiger schlägt aus und ich habe spätestens in diesem Moment keine Ahnung mehr, was das zu bedeuten hat. Ich blicke panisch.

Palo Davidi bemerkt das.

»Frau Engel, selbst wenn der Zeiger sich nicht so verhält, wie Sie es vielleicht erwarten, werde ich Sie nicht entlassen. Hilft das, Ihre Nerven etwas zu beruhigen? Sie wissen doch, warum Sie hier sind. Sie glauben doch nicht wirklich daran, dass ich hier gerade den Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen messe?«

»Sie messen Talentwellen?«, frage ich irgendwie doof, aber bevor Palo Davidi auf mich eingehen kann, muss er das Büro verlassen.

Jemand hat sich mit einer seltsamen Abfolge von Klopfzeichen an der Bürotür bemerkbar gemacht, woraufhin Palo Davidi sich für ein paar Minuten entschuldigt.

Ich sitze da und warte, betrachte die aufgemalten Ausschläge auf dem Papierstreifen, die mir sinnlos erscheinen. Die Anschlüsse an meiner Haut beginnen bereits zu jucken, was ein sicheres Zeichen dafür ist, dass ich mich hier wegwünsche. Ich denke an die Unterhaltung in Meusburgers Büro, die schon eine Ewigkeit her zu sein scheint. Ich denke an Mozart, den begnadeten Musiker und Komponisten.

»Sag schon, bin ich talentiert?«, frage ich den Kasten mit einem rebellischen, mir bisweilen unbekannten, Unterton in meiner Stimme. Die Nadel bleibt stumm. Ich muss kichern. Palo Davidis Stimme ist kaum wahrnehmbar. Er steht noch vor der Tür. Ist noch in ein Gespräch verwickelt. Und ich bin mit meinen Gedanken in ein Selbstgespräch verwickelt. Was tue ich hier eigentlich? Sitze in einem Büro aus der Steinzeit und bin an einem Kasten angeschlossen, der an mir irgendein Talent feststellen oder beweisen soll.

»Ich bin begnadet wie Mozart«, schauspielere ich und versuche die ganze Situation ins Lächerliche zu ziehen. Vermutlich nur, um von meiner Angst abzulenken, talentfrei auf die Straße gesetzt zu werden.

An der sich veränderten Tonlage von Palo Davidi und seinem offensichtlich männlichen Gesprächspartner, leite ich ab, dass sie bald zum Schluss kommen werden. Ich nutze die mir verbleibenden Sekunden, um mich noch etwas in dem Büro umzublicken, als meine Augen etwas sehen, das mein Herz für einen Moment zum Stillstand bringt. Ich klebe an dem Papier fest, auf dem der Zeiger seine Ausschläge aufmalt. Eine Spitze, wie die des Mount Everest, zeichnet sich darauf ab. Wo kommt die her?

»Ich bin begnadet wie Mozart!«, sage ich. Der Zeiger schießt wie eine startende Rakete empor und senkt sich wieder in die Ausgangsposition.

Verdammt.

Davidi kann jeden Moment zurückkommen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das Papier herausreißen?

Nein.

Ich entscheide mich für etwas anderes.

Beginne damit, alle mir gestellten Fragen zu wiederholen. Der Zeiger schreibt alle Kurven erneut auf das Papier. Ich beantworte die letzte Frage - ob ich schon einmal in dem Institut war - just in dem Moment, als Davidi die Türklinke betätigt und wieder sein Büro betritt.

»Alles in Ordnung?«, fragt er mich.

Ich hoffe, er bemerkt nicht meine Atemlosigkeit. Ich sehe auf das Papier und bin erleichtert, dass die riesige Spitze unter der Rolle verschwunden ist. Alles sieht so aus wie zuvor.

»Alles ok«, sage ich.

»Tut mir leid, dass wir unterbrechen mussten.«

»Ist für mich okay.«

»Ich will mit den Fragen fortfahren.«

»Okay.«

»Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?« Ich reiße meine Augen auf.

»Nein«, sage ich. Der Zeiger verharrt in der Grundposition. Ich hoffe, das ist ein gutes Zeichen.

»Hatten sie schon einmal Visionen zukünftiger Ereignisse?«

»Ja«, sage ich zögerlich. Wer hat nicht schon ein Déjà-vu erlebt. Der Zeiger bleibt stumm. Palo Davidi lächelt nicht.

»Frau Engel, ich denke, ich habe mich in Ihnen getäuscht.«

Oh Gott.

»Ich werde sie entlassen. In Ihnen schlummert kein Talent.«

Ich bin stumm.

»Sie lügen!«

Der Zeiger schlägt nach oben aus. Nicht so weit wie vorhin, als Palo Davidi nicht anwesend war. Aber dennoch höher als bei allen anderen Fragen.

Der Mann lächelt mich an.

»Das ist es. Ich weiß noch nicht, wie es Ihnen gelingt, ob Körperkontakt notwendig ist, oder ob Sie die Schwingungen in der Atmosphäre wahrnehmen. Wie bei einem Energiefeld vielleicht. Ich kenne nicht die Ursache, aber Sie können es seit dem Tag Ihrer Geburt.« Er stöpselt mich von dem Detektor ab. »Das Institut zählt auf Ihre Fähigkeiten und braucht ihre Begabung. Das Entscheidende ist jedoch, dass das geheim bleiben muss. Niemand darf über Ihre Begabung und Ihre Ausbildung bei mir Bescheid wissen. Aus diesem Grund habe ich mir für Sie noch ein anderes Talent überlegt. Eines, das Sie allen erzählen können. Denn wir machen in der Regel keine Geheimnisse aus unseren Begabungen und spätestens nach dem Einweihungsritual werden Sie danach gefragt werden und Sie werden entscheiden, was Sie preisgeben wollen und was Sie für sich behalten.«

Ich muss unwillkürlich an Kyala denken. Sie verschweigt uns allen etwas. Ist das vielleicht der Grund, warum Sie bisher eine Einzelgängerin war?

»Entschuldigen Sie bitte, aber was ist mein Talent?«

»Sie spüren es, wenn Sie angelogen werden.«

Ich nicke. Bin unsicher, was ich mit dieser Information anfangen soll.

»Und welche weitere Begabung haben Sie sich für mich ausgedacht?«

»Na ja, ich bin mir nicht sicher, ob es Ihnen gefallen wird. Ich würde es Verführen nennen.«

»Bitte was?«

»Sie können Ihre Mitmenschen im Handumdrehen um den Finger wickeln und bei den Männern das unwiderstehliche Gefühl entflammen, dass Sie das einzige Objekt ihrer Begierde sind.«

»Sie machen Witze. Ich bin das genaue Gegenteil.«

»Sehen Sie mich lachen?«

Ich sehe ihn an und kann nicht fassen, was er sich für mich ausgedacht hat. Ich? Die nie einen Freund hatte, bevor Levi mich aufgegabelt hat. Ich, die Außenseiterin. Die lieber allein sein will und ohne Menschen besser zurechtkommt. Das ist wirklich ein Witz.

Dann spricht er weiter: »Aeia, ich denke Sie stecken noch voller Geheimnisse und werden uns alle noch mit Ihren Fähigkeiten überraschen. Sie hatten eine schreckliche Kindheit. Haben unaussprechliches Leid ertragen müssen.«

Ich schlucke. Er weiß über mich Bescheid.

»Aber das wird sich ändern. Sie sind jetzt unter Ihresgleichen.«

Ich denke unwillkürlich an den vergangen Morgen. An Lu, Alex, Kyala, Jarno und den jungen Mann hinter der Essensausgabe, der mich anschmachtete. Bin ich tatsächlich jemand, der schnell Freundschaften und Liebschaften knüpfen kann? Unter Meinesgleichen? Was meint er damit nur? Und dann sage ich: »Ich bin einverstanden.«

»Nichts anderes habe ich erwartet. Ihren Tagesablauf werden Sie wie folgt gestalten. Morgens machen Sie ihre Arbeit bei Herrn Meusburger. Mittags besuchen Sie das Lauftraining und andere Kurse, die Sie interessieren. Um drei Uhr nachmittags kommen Sie zu mir. Ich unterrichte Sie. Keine Angst, Frau Engel, ich unterrichte Sie in Sachen Forensik und Kriminalpsychologie. Zusammen werden wir den Mörder entlarven. Das ist Ihre erste Aufgabe und sie ist von höchster Priorität, Frau Engel. Sie werden zunächst Nachforschungen anstellen, auf Verdächtiges achten, Fakten sammeln und herausfinden, was den Täter antrieb.«

»Kann ich mir sicher sein, dass das wirklich kein Scherz ist?«

»Seien Sie ehrlich zu sich selbst. Blicken Sie in den Spiegel, in Ihre Vergangenheit, dann sehen Sie dort die Antwort.«

»Ich soll die sein, die keiner hinters Licht führen kann?«

»Das sind Sie, und ab sofort sind Sie meine Assistentin.«

Er blickt auf seine Armbanduhr. »So und jetzt wird es Zeit für Sie zu gehen. Das Lauftraining beginnt in einer halben Stunde.«

»Herr Palo?«

»Palo ist mein Vorname.«

»Uuups, Herr Davidi, darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«

Er sieht mich an. Ist unschlüssig, wie er reagieren soll. Bin ich wirklich die, für die er mich hält, dann würde ich jeden Schwindel bemerken.

»Ich denke, dies fördert das gegenseitige Vertrauen. Sie dürfen mir eine Frage stellen.«

»Was ist Ihre Begabung?«

Er sieht mir in die Augen. »Frau Engel, ich habe mich noch nie geirrt.«

Ich stehe auf. Ich fühle nichts. Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sagt oder nicht. Am liebsten würde ich ihn an den Lügendetektor anschließen. Aber bei dem verwirrenden Verhalten des Zeigers, würde mich das auch nicht weiterbringen.

Begnadet - Buch 1-2

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