Читать книгу Begnadet - Buch 1-2 - Sophie Lang - Страница 7

Aeia - TREECSS

Оглавление

Ich befinde mich auf der A5, bin unterwegs zum TREECSS-Institut, als mich die aktuellen Meldungen im Radio in ihren Bann ziehen.

Eine Leiche wurde in den frühen Morgenstunden im Colombipark gefunden. Eine junge Frau hat das Opfer entdeckt.

Diese Frau bin ich.

Der Polizei zufolge handelt es sich bei dem Toten um einen Mann. In den Nachrichten schildern sie nicht, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Sie erwähnen nicht, dass dem Toten die Haut abgezogen wurde. Die Leiche wurde lediglich auf schrecklichste Art verstümmelt.

Furchtbar, zu welchen Dingen Menschen fähig sein können, meint der Nachrichtensprecher. Im idyllischen Colombipark, wo Schlösschen, Kiefern und Blumenbeete keine 100 Meter von dem Ort entfernt liegen, wo die Polizei ihre Wache hat.

Ein Mord in Freiburg. Direkt vor meiner Haustür.

Ich schalte das Radio ab. Kurble das Seitenfenster runter und atme ein paar Mal tief die sommerliche Luft ein. Solange, bis es mir besser geht und ich die gruseligen Bilder aus meinem Kopf verbannt habe.

Eine gute Stunde nach dem Horrorerlebnis komme ich mit meinen samtroten Käfer auf dem weitläufigen Areal des Instituts an. Es ist über die A5 in fast genau 45 Minuten Richtung Süden zu erreichen und befindet sich auf einer bewaldeten Anhöhe.

Das ganze Gelände und das ehemalige Schloss wurden von TREECSS vor Jahrzehnten aufgekauft. Ich habe das im Internet recherchiert. Leider war nicht viel mehr herauszufinden. Nachdem das Schloss und seine Nebengebäude drohten, aufgrund fehlender Mittel, zu zerfallen, wurde beschlossen, es in private Hände zu geben. Man erhoffte sich ein Stück Kultur zu bewahren.

Aber das, was ich jetzt von dem Gebäude durch die Windschutzscheibe sehe, ist bestimmt nicht das, was sich Historiker unter Erhaltung vorstellen.

Das alte Schloss ist zwar noch vorhanden, es macht jedoch lediglich einen Bruchteil des gesamten Komplexes aus. Es wurde von den Architekten beeindruckend in das Moderne integriert. Mein Blick schweift über verspiegelte Glasfronten, kantige Bürotürme und verspielte, kirchenähnliche Nebengebäude, die alle über Stege auf unterschiedlichen Ebenen miteinander verbunden sind. Ich bin baff. Habe nicht mit so etwas Imposantem gerechnet.

Ich steige aus meinem Käfer aus, blicke zurück und von der Anhöhe des Anwesens eröffnet sich mir ein grandioses Panorama. Das Rheintal mit den Vogesen ist zu sehen. Ich blicke gegen Süden. Der Dunstschleier hinter dem Jurakamm löst sich auf und die schneebedeckten Berge der Alpen treten in weiter Ferne hervor. Der Ausblick ist atemberaubend, lässt mich vergessen, was ich heute Morgen erlebt habe.

Ich reiße mich los, muss weiter und wende mich wieder dem Institutsgebäude zu. In seiner ursprünglichen Form hat es sich hunderte Jahre im Familienbesitz der von Kaltenbachs - einem alten Rittergeschlecht - befunden.

Lediglich der verspielte Rokoko-Dekor und die geschwungene Freitreppe, die hoch zu den Eingangsportalen führt, erinnern an die alten Bilder im Internet.

Ich schreite die Treppe hoch und fühle wieder, wie todmüde ich bin. Wie durch die Mühle gedreht. Ich beschließe, abends noch früher ins Bett zu gehen.

Dann stehe ich vor den verschlossenen Türen meiner zukünftigen Wirkungsstätte. Hier würde ich mein Studium beenden und Geld verdienen.

Aber zunächst studiere ich die Türen. Es gibt keine Klinke, keine Klingel.

Ich sehe hoch und lese den Namen, der in metallenen Lettern über den Türportalen prangt: TREECSS.

Was der Name des Instituts, diese sieben Buchstaben, bedeuten, konnte ich, auch nach intensiven Recherchen, nicht in Erfahrung bringen. Aber alles sieht bist jetzt sehr vielversprechend aus und ich bereue es nicht, die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg hierfür einzutauschen.

Das Geräusch von aufspritzendem Kies und einem Motor, der brüllt wie ein wütender Dämon, lassen mich herumfahren. Ein pechschwarzer Porsche prescht ungezähmt auf das Institutsgelände. Mit schlitterndem Heck fräst er sich um die Ecke und kommt schließlich auf dem Parkplatz unter den mächtigen Bäumen zum Stehen.

Ich sehe zu dem Porsche. Reiche Schnösel können sich wohl überall einkaufen.

Ich spüre aber auch einen Funken Hoffnung in mir aufglühen, denn der Fahrer könnte mir bestimmt zeigen, wo ich mich anmelden muss.

Ich bin verblüfft. Denn es ist eine Frau, die aussteigt.

Das Erste, was ich von ihr zu sehen bekomme, sind ihre schwarzen, eleganten, hochhackigen Schuhe und ihre langen, schlanken Beine. Sie kommt auf mich zu, bewegt sich mit übermenschlicher Anmut und einer Selbstsicherheit, die ich mir nur erträumen kann.

Sie trägt ihre dicken, blonden Haare in einem kunstvoll geflochtenen Zopf. Eine weiße Bluse und ein nicht zu kurzer, brauner Rock betonen ihre auffallend attraktive Figur und runden den Gesamteindruck elegant ab.

Ihr teures Auto zwinkert ihr zum Abschied zweimal zu, als sie es abschließt und zu mir herüberkommt.

Als ich ihr beim Gehen zusehe, erinnert sie mich an Heidi Klums Germany´s next Topmodel. Ich überlege kurz, ob ich vielleicht auch ein Lauftraining für Models bei YouTube studieren und mir außerdem von meinem ersten Gehalt einen großen Wandspiegel zum Üben kaufen sollte.

Ich lasse den Gedanken verpuffen, weil wir keinen Platz für einen Wandspiegel haben und auch keinen, um Laufen zu üben.

Tatsache ist, dass diese Frau von einer atemberaubenden Aura umgeben ist und aussieht wie ein Supermodel. Die Männer müssen ihr zu Füßen liegen.

Sie entdeckt mich, lächelt mich an wie eine alte Freundin und während sie neben mir anhält, bekomme ich einen trockenen Mund, weil ich registriere, wie jung sie noch ist.

Sie ist bestimmt erst Anfang zwanzig.

»Hi, du siehst aus wie ich an meinem ersten Tag«, sagt sie mit einem flockenleichten bayrischen Akzent.

»Studierst du auch hier?« Toll. Ich hätte erst denken sollen und anschließend reden. Was soll sie hier denn sonst machen.

»Ich bin Luise, aber alle nennen mich einfach Lu und nein, ich studiere nicht. Ich arbeite und unterrichte im TREECSS«, sagt sie beiläufig und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich bemerke ihre perfekten Fingernägel. Sie hat einen kräftigen Händedruck und eine warme, seidige Haut.

»Ich bin Aeia«, sage ich verlegen und kann den Blick nicht von ihren himmelblauen Augen nehmen.

»Aeia? Spreche ich das so richtig aus? Das klingt nicht deutsch, oder?«

»Nein, nicht wirklich. Meine Mutter kommt aus Guatemala. Sie ist eine echte Maya-Indianerin. Daher mein Name. Aber ich bin in Deutschland aufgewachsen.«

»Ich stamme aus Schliersee in Oberbayern«, gesteht sie.

»Das habe ich mir gedacht.«

Lu sieht mich interessiert an. »Was hast du dir gedacht?«

»Dass du aus Bayern kommst.«

»Das hört man, oder? Ich kann das einfach nicht ablegen«, sagt sie und lächelt.

»Ja, das hört man und ich finde es sehr sympathisch«, sage ich und meine es auch so ehrlich, wie es über meine Lippen kommt. Sie lächelt mich wieder an. Die Art, wie wir uns begegnen, ist für mich komplett neu. Ich scheine mich auf Anhieb mit ihr zu verstehen. Oder sie sich mit mir. Ungewöhnlich, aber es fühlt sich echt an.

»Ist heute tatsächlich dein erster Tag?«

»Ja.«

»Aeia, pass auf. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin etwas in Eile. Wenn du Lust hast, dann treffen wir uns heute Mittag in der Mensa und ich stell dir ein paar meiner Freunde vor? Aber jetzt muss ich los, meine Mitarbeiter und Studenten warten schon auf mich und du solltest dich auch beeilen. Es wird nicht gern gesehen, wenn man zu spät kommt. Vor allem nicht am ersten Tag.« Das sehe ich genauso und ich nicke.

»Hast du deinen Arbeitsvertrag denn schon unterzeichnet?«

»Ja«, mit meinem Blut, will ich ergänzen, lasse es aber sein.

»Und auch eine Anfertigung ans Institut geschickt?«

Ich bestätige auch das.

»Mit welchem Finger hast du ihn besiegelt?«, will sie wissen und ich zeige ihr meinen rechten Daumen.

»Gut, drücke ihn hier drauf«, sagt sie und zeigt mir eine kleine unscheinbare Glasplatte auf dem linken der beiden riesigen Türflügel. Sie ist eingebettet in ein Ornament, das sich, bei näherem Betrachten, als abstrakter Schmetterling entpuppt.

Ich höre, wie sich schwere Riegel zur Seite schieben. Als der Letzte in seiner Endposition einrastet, vibrieren die Türflügel wie bei einem kleinen Erdbeben, um dann majestätisch auseinander zu schwingen.

Fast schon zwanghaft erinnere ich mich an die Tore von Moria aus Der Herr der Ringe Saga. Dort sagte Gandalf das Wort Mellon (Freund auf elbisch), damit sich die Tore öffneten. Hier wird ein Freund an seinem Fingerabdruck erkannt. Andere Welt. Andere Zeit. Wobei Fingerabdrücke, bei den Möglichkeiten der hochauflösenden Fotografie, doch gar nicht so sicher sind, weiß ich aus dem Fernsehen, aber schon schlüpfe ich hinter Luise ins Innere. Die mächtigen Türen schließen sich wie von Geisterhand, nachdem wir sie passiert haben.

Sie wendet sich mir zu. »Weißt du, wo du hin musst?«, fragt sie.

»Nein, nicht so genau«, gestehe ich. »Die Bewerbung und der Vertrag liefen ausschließlich schriftlich ab. Ich habe nicht einmal jemanden gesehen. Das Einzige, was ich weiß, ist die Adresse, das heutige Datum und die Uhrzeit.«

»Das ist alles, was wir brauchen. Und glaub mir, DIE, wie du sie nennst, haben dich schon gesehen. Vermutlich schon lange bevor du überhaupt wusstest, dass es DIE und das Institut überhaupt gibt. Nichts wird hier dem Zufall überlassen und schon gar nicht die Auswahl, wer dazu gehört und wer nicht. Komm, ich zeige dir, wie du zu deinem Professor findest.«

Wir stehen in einem Raum, der einen Halbkreis beschreibt. Hinter uns befinden sich die Eingangstüren und noch eine Glasplatte mit Schmetterling. Mein Fingerabdruck wird auch nötig sein, wenn ich das Institut wieder verlassen will. Vor uns befinden sich drei Fahrstuhltüren. Jede gleicht der anderen bis ins kleinste Detail. Luise führt mich zu einem Touchscreen, der vor den Fahrstühlen auf einem drehbaren Sockel montiert ist. Die Büste des Gründervaters des Instituts hätte hier auch gut hingepasst.

Mit ihrem Daumen (langsam gewöhne ich mich an dieses genetische Kennwort, welches alle Schlüssel, Chipkarten und Passwörter ersetzt) erweckt sie den Monitor zum Leben. Er ist riesig und dann erklingt eine Stimme: »Guten Morgen Dr. Kleist, es ist 8:23 Uhr. Sie sind heute spät dran.«

Doktor? Ich schrumpfe neben Lu, neben Dr. Luise Kleist, um mindestens zehn Zentimeter.

»Guten Morgen, Eve. Ich bin in Begleitung.« Dr. Luise Kleist schaut mich mit ihren blauen Augen an. »Aeia und wie noch?«

»Engel«, höre ich die unverwechselbare Stimme aus den Lautsprechern meinen Nachnamen sagen.

Dann sieht Dr. Kleist auf den Monitor und runzelt die Stirn.

»Seltsam, Eve kennt dich bereits. Ich bin überrascht. Warst du schon einmal bei TREECSS?«

»Nein.«

»Mhm, wirklich komisch. Engel also? Dein Nachname ist Engel?«

Ich nicke.

»Was für ein schöner und treffender Name«, sagt sie und wendet sich dann wieder dem Monitor zu. »Also Eve, hör mir zu. Würdest du bitte Aeia Engel an ihrem ersten Tag helfen, sich zurechtzufinden?«

»Selbstverständlich Dr. Kleist, ich stehe Frau Engel zu Diensten.«

»Danke Eve.«

»Das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.«

Lu nickt. »Danke.« Dann schenkt sie mir ihr makellos weißes Lächeln und sagt: »Ihr Kommunikationsverhalten muss ich unbedingt verbessern. Sie ist noch etwas hüftsteif.«

Sie meint das Computerprogramm. Wow, hat sie das etwa programmiert?

»Eve ist eine KIF«, erklärt Dr. Luise Kleist weiter.

Ich nage auf meiner Unterlippe herum. Höre wieder damit auf, als es mir selbst auffällt. »Eine KIF?«, frage ich.

»Künstliche Intelligenz und das F steht einfach nur für Freiheit. Sie besitzt einen fünfzigprozentigen Freiheitsgrad für Emotionen und Lernfähigkeit. Die zweite Hälfte wird durch determinierte Programmcodes gesteuert, die vor allem ihr soziologisches Verhalten und ihre rationalen Entscheidungen kontrollieren.«

»Hört sich kompliziert an«, sage ich flugs.

Lu muss lachen. »Ja, irgendwie schon. Irgendwie aber auch nicht. Sie wird dir auf alle Fälle helfen. Wir sehen uns dann gegen 12:00 Uhr in der Mensa, Okay? Bin gespannt auf deine ersten Eindrücke, Aeia.«

»Okay«, sage ich langsam. Meine ersten Eindrücke sind bereits jetzt schon heftig. Aber Dr. Luise Kleist gegenüber werde ich mich wohl gewählter ausdrücken müssen.

»Ciao Aeia«, lächelt sie zum Abschied. Ich lächle auch, wenn auch bestimmt nicht so perfekt. Lu befiehlt mit ihrem Fingerabdruck einen Fahrstuhl herbei und dann ist sie auch schon in dem Gebäude abgetaucht. Ich gehe auf den riesigen Monitor zu und räuspere mich, bevor ich mich vorstelle.

Begnadet - Buch 1-2

Подняться наверх