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5.

Ich möchte eine Geschichte von den Axiomen erzählen: Ein Axiom definiert man als einen Begriff, dessen Wahrheitsgehalt dermaßen offensichtlich ist, dass er keinerlei weiterer Beweise mehr bedarf. Um als Beispiel ein Axiom aus der Geometrie zu verwenden, verlaufen zwei gerade Linien parallel, wenn sie sich bis ins Unendliche nicht überschneiden. Jeder Mensch mit ein wenig gesundem Menschenverstand wird die Beweiskraft dieser Aussage gern akzeptieren wollen1.

Mahatma Gandhi hat in seinen Lebensprinzipien des Öfteren eben solche Axiome festgehalten, wahrscheinlich ohne sich dieser Tatsache bewusst gewesen zu sein oder das überhaupt bemerkt zu haben. Ich möchte hierzu gern ein Beispiel geben mit der Beobachtung Gandhis:

„Die natürlichste Form der Empfängnisverhütung besteht darin, den Geschlechtsverkehr zu unterlassen.“

In meinen Augen ist diese Aussage ein Axiom. Wenn man die Sache ohne Vorurteile wertfrei und an sich betrachtet, wird man den Wahrheitsgehalt dieser These kaum bestreiten können.

Gehe ich hingegen nun zu einem Mitmenschen meiner Umwelt und erzähle ihm von dieser Selbstverständlichkeit, werde ich keine Freunde damit gewinnen können. Die Reaktionen meines Gegenübers werden negativ gepolt sein. Ein Mensch, dessen Denken von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt ist, fühlt sich beispielsweise an die grenzenlose Stupidität eines katholischen Zölibats erinnert und wird mit Unbehagen reagieren.

Sein Unterbewusstsein wird ihm suggerieren, dass, wer Gandhis Äußerung der natürlichen Empfängnisverhütung anzuerkennen versteht, dem Zuhörenden damit zum Vorwurf macht, dass er den Sexualverzicht in seinem Leben nicht praktisch anwenden will oder auch kann. „Das ist doch nicht normal“, würde er vielleicht argumentieren, sofern er einen nicht gleich für vollkommen verrückt erklärt.

Genau hier jedoch beginnt eine Faszination, welche Immanuel Kant als „Aufklärung“ verstand. Es ging Kant sowie auch einigen anderen Philosophen seiner Zeit, darum, sich in seiner Wahrheitssuche von allen Autoritäten seiner Außenwelt zu lösen und nur das als Wahrheit anzuerkennen, was nach sorgfältiger Prüfung vor seinem inneren Gewissen als wahr anzuerkennen ist.

Betrachten wir das Thema Sexualverzicht also einmal im Sinne der Aufklärung aus der Sicht des kategorischen Imperativs, so käme man zu dem zunächst sicherlich befremdlich erscheinenden Schluss, dass eine kollektive Fähigkeit zur Beherrschung seiner sexuellen Triebe sehr zu wünschen wäre. Wenn jeder Mensch auf dieser Welt Sex nur im Fall einer bewusst geplanten Fortpflanzung ausüben würde, gäbe es wahrscheinlich keine Übervölkerungsprobleme mehr. Es gäbe kein Aids und keine Geschlechtskrankheiten, keine Vergewaltigungen, keine Prostitution, keinen Kindesmissbrauch und keine sonstigen Formen der Perversion.

Man wird an dieser Stelle einwenden wollen, dass es in diesem Fall auch keinerlei Liebe mehr gäbe, aber es ist anzunehmen, dass es in einem sexuell distanzierteren Umgang miteinander weitaus mehr Liebe zwischen den Menschen geben würde, als es sie heute gibt.

Damit soll selbstredend nicht propagiert werden, dass alle Menschen keinen Sex mehr haben dürfen oder dass ähnlich absurde Regeln aufgestellt zu werden hätten, die sich nur auf anmaßende Weise in die Privatsphäre seiner Mitmenschen einzumischen versuchten, sondern es möchte an dieser Stelle lediglich demonstriert werden, wie extrem die gesellschaftlichen Vorstellungen, welche als Außenwelt unser Bewusstsein formen, sich von den Idealen einer Verallgemeinerungsregel oft zu unterscheiden verstehen.

1 Die Axiome des Euklid haben sich seit Einsteins Relativitätstheorie als unhaltbar erwiesen, doch dieser wissenschaftliche Aspekt wurde hier einfach außer Acht gelassen.

Konsequenzen der Ethik

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