Читать книгу Goschamarie Bauernsterben - Stefan Mitrenga - Страница 10

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Natürlich vertraute Walter Faxes Fähigkeiten als Automechaniker, trotzdem schickte er ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, bevor er den Schlüssel im Zündschloss drehte.

Brumm.

Der Motor sprang sofort an und Walter steuerte ihn vorsichtig aus der Garage. Liebevoll tätschelte er das Armaturenbrett und strich über den Beifahrersitz.

„Von wegen morsch, tsssss“, murmelte er und lächelte zufrieden, als er auf die Dorfstraße bog.

Wie fast jeden Samstag fuhr er nach Ravensburg, um sich mit seinen Freunden auf dem Markt zu treffen. Gemeinsam hatten sie vor kurzem einen Mordfall gelöst. Bei ihrem Treffen auf dem Markt hatten sie immer die neuesten Informationen ausgetauscht. Nachdem alles vorbei war, hatten sie beschlossen sich weiterhin zu treffen.

Er parkte seinen Peugeot wie immer im Bahnstadtparkhaus, da er das Parkhaus am Marienplatz nicht mochte. Es wurde entweder renoviert oder war komplett belegt.

Walter benötigte zu Fuß nur zehn Minuten bis zu ihrem Treffpunkt und hatte unterwegs noch in einige Schaufenster geschaut. Ursprünglich trafen sie sich um neun Uhr, doch wegen der Hitze hatten sie den Termin um eine Stunde vorverlegt, bevor das Straßenpflaster sich aufheizen konnte.

Manni und Streifenkollege Hans warteten schon an Francescos Kaffeestand und winkten freudig, als sie Walter zwischen den Marktbesuchern entdeckten. Sie begrüßten sich herzlich und Walter stellte sich an, um einen Kaffee zu holen.

„Bring mir auch einen mit“, rief Anne, die sich einen Weg zu ihrem Tisch bahnte.

Walter bestätigte mit einem Nicken und bestellte bei Francesco zwei Kaffee, als Kripo-Hubert ihm die Hand auf die Schulter legte.

„Bestell mir doch auch noch einen. Ich helfe dir auch tragen“, sagte er und wartete bis Walter bezahlt hatte.

Das wichtigste Gesprächsthema an diesem Morgen war Kripo-Huberts Blinddarmoperation. Er musste bis ins kleinste Detail schildern, wie die OP abgelaufen war. Zum Beweis zog er sein Hemd aus der Hose und Walter war überrascht, wie klein die Narbe war.

„Habt ihr das von der Sailer gelesen?“, fragte Streifenkollege Hans, als Kripo-Hubert mit seiner Geschichte fertig war.

Alle sahen ihn nur fragend an, also sprach er weiter.

„Na, ihr erinnert euch doch an die Schwester von Pfarrer Sailer? Unser Fall?“

Alle nickten.

„Jetzt beginnt ihr Prozess. Steht heute in der Zeitung. Sogar im nationalen Teil. Sie hat es wohl nicht ganz so leicht, da ihr Firmenanwalt immer noch nicht gefunden wurde. Der ist mit dem ganzen Geld abgehauen und hat sie im Stich gelassen.“

„Geschieht ihr recht“, sagte Manni mürrisch. „Ich habe noch niemanden kennengelernt, der mir auf Anhieb so unsympathisch war.“ Bei der Erinnerung an Pfarrer Sailers Schwester stellten sich ihm die Nackenhaare auf.

„Aber ich finde, dass es am Ende doch gerecht ausgegangen ist“, sinnierte Anne. „Auch für Annemarie. Zwanzig Monate auf Bewährung wegen schwerer Körperverletzung – da kann sie sich nicht beschweren.“

„Das hätte auch anders ausgehen können“, mischte sich Walter ein. „Hätte Dr. Vorn-Lang sich nicht eingemischt und betätigt, dass der Tod des Pfarrers nicht zwangsläufig von Annemaries Koffein verursacht sein musste, wäre es wohl zu einem anderen Urteil gekommen.“

„Ja, schade um den Doktor“, trauerte Anne, die Dr. Vorn-Langs Assistentin gewesen war und nippte abwesend an ihrem Kaffee.

Der Pathologe Dr. Vorn-Lang hatte sich erst vor kurzem von seiner Frau und seinem Doppelnamen getrennt und danach auch noch von seiner Arbeit. Er hatte die Pathologie aufgegeben und mit einem Schulfreund, der ebenfalls Arzt war, eine orthopädische Praxis eröffnet.

„Wie macht sich denn die Neue?“, fragte Walter. Anne hatte bereits vor zwei Wochen von Dr. Langs Nachfolgerin erzählt.

„Ich muss mich erst noch an sie gewöhnen. Sie ist supernett und fachlich absolut top, aber sie hat so einen schrägen Humor. Egal wen wir vor uns auf dem Tisch haben – und da sind manchmal wirklich sehr tragische Fälle dabei – sie hat immer einen Witz parat. Und dann stehst du da vor der Leiche und kannst dir fast das Lachen nicht verkneifen. Ich muss wegen ihres Namens eh schon immer grinsen.“

„Was ist mit ihrem Namen?“, fragte Kripo-Hubert, der wegen seiner Blinddarm-OP Annes Erzählungen verpasst hatte.

„Du weißt doch wie Annes alter Chef hieß?“, fragte Manni.

„Dr. Lang“, antwortete Kripo-Hubert. „Und? Was ist daran komisch?“

„Na, daran nichts“, gluckste Manni, „aber jetzt rate mal, wie die Neue heißt …“

„KURZ … sie heißt Dr. Kurz“, platzte es aus Streifenkollege Hans heraus, und alle begannen laut zu lachen. Einem nach dem anderen kamen die Tränen und Walter musste nach Luft schnappen. Erst nach ein paar Minuten beruhigte die kleine Gruppe sich.

„Das tut so gut mit euch“, sagte Walter und schnäuzte in sein Stofftaschentuch. „Eigentlich schade, dass wir uns zurzeit nicht öfter sehen.“

„Das stimmt“, nickte Streifenkollege Hans, „das war eine aufregende und spannende Zeit damals. Der Alltag kommt mir jetzt im Vergleich gerade richtig langweilig vor.“

„Hey – seid vorsichtig mit dem, was ihr sagt“, unterbrach Anne, „soll etwa nochmal jemand umgebracht werden, nur damit wir uns öfter sehen?“

„Natürlich nicht“, beschwichtigte Kripo-Hubert, „das hat doch niemand gesagt. Aber ich fand es damals auch aufregend. Wir haben uns so gut ergänzt … und es hat Spaß gemacht.“

„Und das Abschlussfest war das Allerbeste“, lachte Manni und rieb sich zur Bestätigung über den Bauch. „Ich glaube, an dem Abend hab ich zwanzig von diesen genialen Grillsteaks gegessen. Dein Grillmeister hatte das perfekt im Griff.“

Walter dachte auch immer wieder an diesen perfekten Abend zurück. Und an den wunderschönen Moment mit Liesl, als sie ihm das „du“ angeboten und ihn geküsst hatte. Bis heute war er unsicher, ob es nur ein Freundschaftskuss gewesen war oder doch mehr bedeutete. Doch seit diesem Abend hatte Liesl keinen weiteren Versuch unternommen, sich ihm anzunähern oder gar zu küssen. Vielleicht erwartete sie ja auch, dass Walter jetzt die Initiative ergriff? Er war unsicher, was er tun sollte, denn eines wollte er auf keinen Fall: ihre wunderbare Freundschaft zerstören. Er hätte gerne mit jemand darüber gesprochen, doch der einzige, mit dem er sich ein solches Gespräch vorstellen konnte, war Liesl. Eine Zwickmühle. Walter seufzte.

„Oh weh, was hast du Walter?“, fragte Anne besorgt und nahm ihn tröstend in den Arm.

„Alles ist gut“, log Walter, ließ sich aber trotzdem noch ein bisschen von der hübschen jungen Frau umarmen. „Ich freue mich einfach, dass ich euch als Freunde habe. Und heute Nachmittag kommt Liesl auch schon wieder zurück.“

„Stimmt, sie ist ja für eine Woche nach Frankfurt zurück, um sich mit Freundinnen zu treffen“, erinnerte sich Streifenkollege Hans. „Wie lief es denn? Hast du schon was gehört?“

„Leider nein. Sie hat sich gar nicht gemeldet“, sagte Walter etwas niedergeschlagen. Keiner wollte darauf etwas sagen, bis Anne ihn nochmal fest an sich drückte und auf die Wange küsste.

„Liesl hatte sicher so ein volles Programm, dass sie gar nicht dazu kam, sich bei dir zu melden. Außerdem war sie ja nur eine Woche weg – was soll da schon passieren?“

Walter teilte Annes Meinung zwar nicht ganz, wollte aber gerne an ihre Version glauben.

„Heute Nachmittag weiß ich dann mehr“, sagte Walter und begann sich einzeln von seinen Freunden zu verabschieden.

„Heute hast du es aber eilig“, kritisierte ihn Manni mit einem Augenzwinkern.

„Ich will auf dem Rückweg noch ins Frischeländle in Bavendorf“, erklärte Walter. „Ich habe Liesl versprochen vor ihrer Rückkehr ihren Kühlschrank aufzufüllen. Bisschen Wurst und Käse, ein paar Tomaten und ein leckeres Bauernbrot.“

Auf dem Rückweg zum Parkhaus wurde es bereits unerträglich heiß und Walter versuchte möglichst im Schatten zu laufen. Sein Peugeot hatte im Parkhaus unter Dach gestanden und war schön kühl, doch schon nach wenigen hundert Metern auf der Straße schien der kleine Wagen zu kochen. Durch die weit geöffneten Fenster, die Klimaanlage des kleinen Mannes, wehte immer nur neue heiße Luft ins Wageninnere. Walter fühlte sich wie in einem Hochofen, während ihm der Schweiß in breiten Rinnsalen über den Körper lief und sein Hemd an seinen Oberkörper klebte. Zu allem Übel schaltete auch noch fast jede Ampel bei Walters Annäherung auf Rot, wobei der Luftstrom zwischen den Fenstern zum Stillstand kam. Walter drückte sich mit der Nase an das altersschwache Gebläse, dass auf höchster Stufe kaum mehr produzierte als ein laues Lüftchen. An einer weiteren roten Ampel in der Weststadt hielt neben ihm ein junges Mädchen. Sie hatte alle Fenster geschlossen und schaute amüsiert auf Walter, der fast auf dem Sitz lag, um möglichst viel vom Gebläse abzukriegen. Als sich ihre Blicke trafen, versuchte Walter ein gezwungenes Lächeln, doch der Schweiß brannte in seinen Augen und als er ihn mit dem Hemdärmel weggewischt hatte, hatte die Ampel auf Grün geschaltet und das Mädchen war davongebraust.

Nach drei weiteren roten Ampeln erreichte Walter endlich Bavendorf. Er bog zum Frischeländle ein und parkte direkt seitlich an der Straße, um so schnell wie möglich aus dem Auto zu kommen. Er ließ die Fenster offen und rettete sich ohne Abzuschließen in den Schatten des Vordachs. Mit seinem Stofftaschentuch wischte er den Schweiß aus dem Gesicht.

„Hey – Ihr Auto!“, rief ein mürrisch dreinschauender Frührentner.

Walter vermutete, dass ihm sein Parktstil nicht gefiel und grummelte nur ein kurzes „Bin ja gleich wieder weg.“

Doch der Mann gab keine Ruhe. „Schauen Sie doch! Ihr Auto – es rollt weg!“

Walter erstarrte erst und drehte sich dann panisch um. Er hatte vergessen die Handbremse anzuziehen und sein Peugeot machte sich nun selbstständig. Ganz langsam rollte er die leicht abschüssige Straße hinunter. Noch nicht einmal Schrittgeschwindigkeit. Da vor ihm kein weiteres Auto parkte, war das aber kein Problem und Walter glaubte schon an ein gutes Ende, als plötzlich die Räder ohne erkennbaren Grund einschlugen, und den 205er auf einen geparkten kleinen Geländewagen zusteuerten. Gleichzeitig wurde er aber durch den Richtungswechsel immer langsamer, bis er fast still stand. Fast. Mit einem kaum wahrnehmbaren Schubser berührte Walters Peugeot die Anhängerkupplung des SUV, der noch nicht mal wackelte.

Walter atmete erleichtert aus.

KRABAMM

Walters komplette Frontverkleidung löste sich und fiel scheppernd zu Boden. Ungläubig starrte er auf den Schaden.

„Das kann man sicher ganz leicht reparieren“, mischte sich der unfreundliche Frührentner ein, als mit einem weiteren Krachen die Fahrertür aus ihren Angeln brach und neben dem Peugeot auf die Straße knallte. „Jetzt wird es wohl doch etwas teurer“, mutmaßte der alte Mann und nippte genüsslich an seinem Cappuccino.

„Ist das ihr Schrotthaufen da hinter meinem Auto?“, fragte ein junger Mann in Arbeitskleidung und zeigte vorwurfsvoll auf Walters Wagen.

„Das kann man sicher ganz leicht reparieren“, stammelte Walter apathisch, als es erneut krachte. Doch diesmal fiel nichts ab. Die vorderen Stoßdämpfer brachen zeitgleich durch das morsche Blech, an dem sie befestigt waren und der gesamte Wagen sackte gute zehn Zentimeter nach unten. Die vorderen Radkästen standen nun auf den Rädern auf.

„Er ist von uns gegangen“, murmelte der Frührentner mitfühlend. „Mein herzliches Beileid.“

„Scheißndreckn“, antwortete Walter.

Goschamarie Bauernsterben

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