Читать книгу Goschamarie Bauernsterben - Stefan Mitrenga - Страница 17

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Walter, Balu und Liesl hatten noch bis um elf Uhr gewartet, bevor sie sich auf den Weg zur Goschamarie machten. Schon dieser Weg war ihnen wie der Gang zum Grab bei einer Beerdigung vorgekommen. Hermanns Tod war für beide noch nicht real und entsprechend schwankten ihre Gefühle zwischen tiefster Bestürzung und Normalität. Es passte einfach nicht.

Es war Sonntag und Walter rechnete damit, dass die meisten noch in der Kirche waren. Trotzdem waren sie nicht die ersten in der Wirtschaft.

„Mei scheh, dass ihr kommet“, begrüßte sie Marie überschwänglich und lotste sie zum Stammtisch. „Hocket scho nah, i komm glei wägs am Bschtella.“

Walter begrüßte Elmar und Max, die schon ein Bier vor sich hatten, und setzte sich mit Liesl dazu. Balu verschwand unbemerkt unter der Eckbank und rollte sich ein.

Zum ersten Mal saß Liesl mit am Stammtisch, doch niemand störte sich daran. Nicht heute. Kurz darauf setzten sich Theo und Karle aus Alberskirch dazu. Doch obwohl der Tisch nun rundum besetzt war, kam kein Gespräch auf.

Die Nachricht von Hermanns Tod hatte sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer und jedem waren Trauer und Ratlosigkeit anzusehen. Erst als s’Dieterle hereinkam, wurde die Atmosphäre lockerer.

„Heit isch an schlimma Daag – do hock mr alle zämma“, hatte Marie befohlen und s’Dieterle mit an den Stammtisch gesetzt. Im Gegensatz zu den anderen schien der sich ganz wohl zu fühlen und griff vergnügt nach seinem Bier.

„Ist schon komisch die Sache, gell, gell. Also das mit dem Hermann. Ganz komisch, gell“, brabbelte s’Dieterle hemmungslos drauf los und ermutigte dadurch die anderen auch etwas zu sagen.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, seufzte Max.

„Ich hab ihn doch gestern Abend noch hier gesehen.

Und jetzt …?“

„Geht mir genauso“, schloss sich Elmar an. „Was für ein fürchterlicher Unfall.“

„Unfall, Unfall, gell. Hä hä hä“, lachte s’Dieterle. „Soll wohl ein Witz sein, gell? Hä hä hä!“

Die meisten fanden Dieterles fröhliche Art in diesem Moment unangebracht und schauten peinlich berührt zur Seite. Doch Walter wusste genau, was s’Dieterle meinte.

„Ich kann da auch nicht so recht an einen Unfall glauben“, sagte er unsicher und schaute in die Gesichter seiner Freunde. „Liesl hat mich da drauf gebracht.“

Er nickte Liesl auffordernd zu.

„Nun ja“, begann sie zaghaft, „ich kenne mich da ja wirklich nicht aus, aber ich habe mich eben gefragt, wie man vom eigenen Traktor überrollt werden kann. Gibt es da nicht unendlich viele Sicherheitsmechanismen, damit so etwas nicht passieren kann? Mein Auto bremst von allein, wenn etwas im Weg steht, und lenkt für mich, wenn ich auf Landstraßen unterwegs bin, und da soll ich glauben, dass ein hunderttausend Euro Traktor einfach losrollt, wenn man nicht aufpasst?“

Theo kniff die Augen zusammen, was er immer tat, wenn er angestrengt nachdachte.

„Ich kenne den Traktortyp von Hermann. Der dürfte tatsächlich nicht losrollen. Diese neuen Maschinen sind mit allen nur erdenklichen Sicherheitssystemen ausgestattet. Wegrollen geht da gar nicht, noch nicht mal am steilsten Hang.“

„Und warum ist es dann trotzdem passiert?“, fragte Walter, der keine Ahnung von Traktoren hatte. Um seinen eigenen uralten Traktor kümmerte sich immer Faxe, wenn es denn notwendig war.

Alle am Tisch sahen sich ratlos an. Elmar wollte einwenden, dass ein technischer Defekt immer möglich sei, hielt sich aber zurück, da es zu banal klang.

„Die einfachste Erklärung ist meistens die beste“, raunte Max, der das wundervolle Talent besaß, Dinge auf den Punkt zu bringen.

„Und die wäre?“, fragte Karle aus Alberskirch ungeduldig.

„Nun ja. Die einfachste Erklärung ist, dass jemand am Lenkrad saß.“

Die Stille, die folgte, legte sich wie ein Vakuum über die gesamte Gaststube. Es brauchte unterschiedlich lang, bis jedem die Tragweite von Max‘ Erklärung klar wurde. Dann sahen sie sich irritiert an. Konnte das wirklich sein?

„Dann wäre es Mord“, sprach Elmar das aus, was alle dachten. „Wer soll denn das getan haben … und warum?“

„Wenn es tatsächlich Mord war, dann wird die Polizei den Täter schon finden“, sagte Walter und nahm einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. „Mein Freund Hubert von der Kripo ist an dem Fall dran. Er war vorher bei mir und ist jetzt noch mal hoch an den Tatort. Der macht das schon, da bin ich sicher.“

„Oder du kümmerst dich wieder drum“, warf Theo ein.

Walter verschluckte sich und das Bier stieg ihm in die Nase, wo es brannte wie Feuer. Er bemühte sich, alles bei sich zu behalten, benötigte aber doch sein Taschentuch. Er brauchte ein paar Sekunden, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Was hat denn das mit mir zu tun?“, fragte er aufgebracht. „Nur weil ich mit meinen Freunden den Tod vom Pfarrer aufgeklärt habe, ist das doch jetzt nicht automatisch wieder meine Sache. Im Gegenteil: ich habe nicht die geringste Lust, mich da einzumischen. Erinnert ihr euch, was mir das das letzte Mal eingebracht hat?“.

Die Frage war rhetorisch, doch trotzdem machte Walter eine Pause und sah jeden Einzelnen kurz an.

„Richtig. Nichts!!! Außer einem gebrochenen Fuß und jeder Menge Pressetrubel. DAS BRAUCHE ICH NICHT NOCHMAL!“

Walter hatte sich in Rage geredet und lehnte sich nun erschöpft zurück. Er trank seinen letzten Schluck Bier und winkte mit der leeren Flasche in Richtung Marie um Nachschub zu bestellen. Doch Marie vertröstete ihn und brachte eine große Platte Saitenwürste an den Tisch.

„Jetzat langet zua! Dr Sempf kommt au glei!“

Kurz darauf brachte sie zwei kleine Schälchen vom scharfen Löwensenf, die sie in der Küche frisch abgefüllt hatte und servierte einem fremden Ehepaar am Nebentisch zwei Bier.

„Entschuldigen Sie bitte“, hielt sie der Mann höflich zurück.

„Das Bier ist ja lauwarm … bei den Temperaturen hätte ich aber gerne ein kaltes!“

„Oh Kerle“, entgegnete Marie lachend, „wenn du bei mir a kaltes Bier willsch, muscht im Winter wiederkomma!“

Der Senf war höllisch scharf, doch während Walter Tränen in den Augen und Schweißperlen auf der Stirn hatte, langte Liesl kräftig zu und tunkte ihr Würstchen jedes Mal tief in das Senftöpfchen.

„Einfach köstlich“, murmelte sie mit vollem Mund und bemerkte Walters ungläubigen Blick.

„Was? Ist es wegen des Senfs?“, fragte sie.

Walter nickte. „Das könnte ich nicht“, japste er und löschte das Feuer in seinem Mund mit einem Schluck Bier.

„Alles Gewöhnungssache“, lachte Liesl. „Und Senf ist da sowieso harmlos, genauso wie Meerrettich. Da kannst du mit Wasser oder Bier alles wegspülen. Das funktioniert bei Chili nicht! Wenn du da mal zu viel hast, dann hilft nur ein Schluck Milch oder trockenes Brot.“

Walter war egal, was bei Chili half, da er um die tückischen kleinen Schoten einen ehrfürchtigen Bogen machte.

Er nahm sich eine weitere Scheibe Brot und bemerkte, wie Marie unauffällig eine Notiz machte. Beim Brot verstand sie keinen Spaß. So günstig ihre Speisen auch waren, das Brot berechnete sie immer separat mit dreißig Cent pro Scheibe.

Tümdüm tüdeldüm dü düüü düüü …

Die Eröffnungsmelodie der ARD Tagesschau tönte aus Walters Hosentasche und ließ ihn erschrocken aufspringen.

„Entschuldigt mich kurz“, sagte er und ging mit seinem Handy in der Hand nach draußen.

„Jaaaa“, meldete er sich wie immer namenlos und sprach ungewollt etwas lauter, da er mit schlechtem Handyempfang rechnete.

„Jetzt schrei doch nicht so“, beschwerte sich Kripo-Hubert mit ungewohnt guter Verbindung.

„Entschuldige“, murmelte Walter, „was gibt’s denn so Wichtiges?“

„Ich war noch mal oben am Unfallort … oder sagen wir lieber Tatort.“

„Tatort? Also kein Unfall? Bist du sicher?“ Walter stieg das Blut in den Kopf.

„Sehr sicher. Ein Spezialist aus der Gerichtsmedizin war da und hat es bestätigt.“

„Der Mediziner kannte sich so gut mit Traktoren aus?“, fragte Walter ungläubig.

„Aber nein“, erwiderte Kripo-Hubert leicht genervt. „Er kennt sich mit Leichen aus. Und die hat er sich angesehen.“

„Und was hat er festgestellt?“

„Dass Hermann überfahren wurde.“

Walter stutzte. „Ja, aber das hast du doch schon vorher gewusst, Hubert.“

„Aber nicht, dass er mindestens dreimal überfahren wurde.“

Kripo-Hubert bat Walter noch diese Neuigkeit aus ermittlungstechnischen Gründen nicht gleich im ganzen Dorf zu verbreiten und Walter hatte ihm versprochen, sich daran zu halten, auch wenn es ihm schwer fiel, etwas vor seinen Freunden zu verschweigen. Als er zurück in die Wirtschaft kam, setzte er sich wieder an seinen Platz, als ob nichts gewesen wäre, doch seine Gedanken kreisten unablässig um den überrollten Hermann. Drei mal. Walter konnte es nicht fassen.

Tümdüm tüdeldüm dü düüü düüü …

Schon wieder klingelte sein Handy und Walter entschuldigte sich erneut. Er rechnete mit Kripo-Hubert, der etwas vergessen hatte und meldete sich etwas ruppig.

„Was denn noch?“, blaffte er ansatzlos in sein iPhone.

„Er ist tot“, sagte die Stimme auf der anderen Seite traurig.

„Natürlich“, erwiderte Walter, „ich weiß doch, dass Hermann tot ist.“

„Ach Hermann ist auch tot?“, fragte Faxe überrascht.

Erst jetzt bemerkte Walter seinen Irrtum. „Ja. Aber wen meintest du denn?“

„Na, deinen 205er. Walter, es tut mir wirklich leid, aber da ist nichts mehr zu machen. Er ist von uns gegangen.“

Die Nachricht erschütterte Walter zutiefst. Er hatte nicht glauben wollen, dass es so schlecht um seinen geliebten Wagen stand. Eine einsame Träne lief über seine Wange und tropfte auf das Retinadisplay des iPhones.

„Bist du in der Werkstatt?“, fragte er mit erstickter Stimme.

„Ja. Bin vorher von meinem Yoga-Workshop zurückgekommen und hab mir angeschaut, was von deinem Wagen übrig ist.“

„Dann komme ich später noch vorbei. Ich würde gerne … “, Walter wusste nicht so recht, wie er es nennen sollte. „Ich würde gerne … Abschied nehmen, wenn du weißt, was ich meine.“

Faxe wusste es und versprach ihm, da zu sein.

Zurück in der Wirtschaft aß er den Rest seines Saitenwürstchens und schnappte sich ein zweites von einem frischen Teller, den Marie gerade auf den Tisch gestellt hatte.

„Wer hat denn so dringend angerufen?“, flüsterte Liesl neugierig.

„Faxe war dran. Wegen meinem Auto. Da ist wohl nichts mehr zu machen.“ Walter ließ die Schultern hängen und schaute resigniert zur Seite. Liesl spürte seine Trauer und legte ihm mitfühlend eine Hand auf den Unterarm.

„Zwei Todesfälle an einem Tag“, sagte Max traurig und keiner am Tisch empfand das als ungehörig, da die meisten von ihnen enge Beziehungen zu ihren Fahrzeugen hatten.

„Ich helfe dir ein neues Auto zu finden“, sagte Liesl einfühlsam und entlockte Walter damit ein halbherziges Lächeln.

„Würdest du nachher mit mir nach Alberskirch fahren? Ich müsste sonst ja laufen ….“, fragte er vorsichtig.

„Aber natürlich, Walter“, strahlte Liesl. „Dann lerne ich auch mal diesen Faxe kennen. Der ist mir bisher noch nicht über den Weg gelaufen.“

Stimmt, dachte Walter, und erinnerte sich an Faxes Wirkung auf Frauen. Er war gespannt, wie Liesl reagieren würde.

Unbewusst kaute er schneller auf seinem Würstchen herum und winkte Marie mit dem Geldbeutel zu, kaum dass er den letzten Bissen geschluckt hatte.

„Oh Walter! Hosch es jetzt uff oimol soooo eilig?“, staunte die Wirtin und stellte ihm und Liesl ein Sprudelglas, halb voll mit Schnaps, vor die Nase. Walter seufzte, doch Liesl kam ihm zuvor.

„Oh wunderbar. Das ist nach dem Essen genau das Richtige. Danke Marie!“

Liesl hob ihr Glas in die Höhe und stieß mit Walter an, während Marie grinsend Walters Wechselgeld heraussuchte.

Sie verließen die Gaststube zusammen mit Max und Karle aus Alberskirch, die an diesem Sonntag beide noch etwas vorhatten.

Marie sah ihnen nach und winkte als sie hinausgingen: „Machets guat, ziernet nix, kommet wieder!“

Goschamarie Bauernsterben

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