Читать книгу Goschamarie Bauernsterben - Stefan Mitrenga - Страница 14
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„Der Frosch ist tot“, sagte der jüngere Mann und ließ sich erschöpft aufs Bett fallen.
Der Ältere zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er sah, wie die Augen seines Geliebten unter den geschlossenen Lidern zuckten. Sein Atem ging stoßweise und seine blutverschmierten Hände zitterten.
„Lief alles so, wie du es geplant hattest?“
Der Jüngere nickte ohne die Augen zu öffnen.
„Und? Spürst du schon etwas? Irgendwas?“, fragte der Ältere zweifelnd.
Der Jüngere hatte die Augen immer noch geschlossen, atmete tief ein und aus, wie um in sich hineinzuhören. Die Arme hatte er dabei auf der Brust gekreuzt, die Beine lagen ausgestreckt auf der dünnen Decke.
„Ja. Ich spüre, dass es begonnen hat“, flüsterte er kaum hörbar. „Nicht mehr lange und ich bin endlich geheilt.“
Der Ältere warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu. Mehrere Minuten des Schweigens.
„Erzähl sie mir noch ein letztes Mal“, forderte der Ältere.
„Was?“
„Die Geschichte von damals … die Geschichte vom Frosch!“
„Also gut – ein allerletztes Mal“, seufzte der Jüngere und begann zu erzählen.
Es ist einer dieser Sommer, die man nie vergisst. Gefühlt scheint die Sonne bereits seit März ohne Pause – jetzt ist August. Kurze Hose und T-Shirt sind die einzigen Kleidungsstücke, die ich anhabe – seit Wochen.Wir haben uns am Schmehweiher zum Baden verabredet. Meine Clique und ich. Wobei „meine Clique“ etwas übertrieben ist. Die anderen dulden mich, wenn ich dabei bin, respektieren mich aber nicht. Warum auch. Das sind echt coole Jungs. Ihre Eltern sind die größten Bauern im Umkreis und haben Geld wie Dreck. Auch die Jungs haben Geld. Ich habe kein Geld, genauso wie meine Eltern, die beide arbeiten gehen. Wenn ich mit den Jungs zusammen bin, bemühe ich mich, alles richtig zu machen und ihnen zu gefallen. Es wäre für mich das Schlimmste, wenn sie mich wegjagen würden. Ich bin als erster am Weiher und breite mein Handtuch im Schatten eines ausladenden Astes einer alten Weide aus. Schnell laufe ich ans Ende des kleinen Holzstegs, der baufällig aus dem Wasser ragt und lasse meine Füße ins Wasser baumeln. Ich bin den ganzen Weg zum Weiher barfuß gelaufen und meine Fußsohlen brennen, als wären sie wund. Das kühle Wasser schafft Erleichterung und ich lehne mich genussvoll zurück.Ich höre die anderen schon lange, bevor ich sie sehen kann. Ihre Fahrräder scheppern über den kleinen Feldweg. Sie haben Jogurtbecher kleingeschnitten und die Streifen mit Wäscheklammern an der Vordergabel befestigt. Sie ragen in die Speichen und klappern laut, wenn das Rad sich dreht.„Hi Jungs“, rufe ich, als sie ihre Fahrräder ins Gras legen, erhalte jedoch keine Antwort.Hermann, Karl-Heinz und Xavier flüstern sich etwas zu, während sie ihre Handtücher ausbreiten. Sie legen sie über mein Handtuch, aber ich sage nichts. Ich setze mich zu ihren Füßen ins Gras und tue so, als würde ich dazu gehören. Dafür ignorieren sie mich.„Was soll denn dieser Krach?“, ärgert sich Hermann plötzlich, als ein Frosch sein Quakkonzert beginnt. Die anderen beiden lachen – auch ich lache – doch Hermann steht zornig auf und macht sich auf die Suche nach dem glitschigen Ruhestörer. Er durchkämmt das wenige Schilfgras am Ufer und wird schnell fündig. Mit langsamen Schritten nähert er sich dem Frosch, der nichtsahnend weiter quakt. Die Hände zu zwei Schalen geformt, stößt er blitzschnell vor und umschließt damit das Tier, das endlich ruhig ist.„Da haben wir ja ein Prachtexemplar erwischt“, lacht Hermann und spickelt zwischen seinen Fingern hindurch. „Was sollen wir mit ihm machen?“„Wir könnten mit der Schleuder auf ihn schießen“, meint Xavier und hält seine selbstgebaute Steinschleuder hoch.„Wir könnten auch eine von unseren Kippen opfern und ihn hochgehen lassen wie den anderen neulich“, lächelt Karl-Heinz. Erst letzte Woche hatten sie einem Frosch eine brennende Zigarette ins Maul gestopft, an der er solange gesaugt und sich aufgebläht hatte, bis er geplatzt war.„Neee“, sagt Hermann und schüttelte sich. „Das ist mir zu viel Sauerei. Außerdem kostet es ne Kippe.“„Du könntest ihn einfach laufen lassen“, sage ich leise, fast geflüstert.Alles drei starren mich an, als hätte ich ihre Mütter verflucht.„Wie bist denn du drauf, Ficker?“, zischt Hermann aggressiv hervor. „Bist du so ein Öko? So ein … Weltretter?“Alle drei lachen gehässig, bevor Hermann aufsteht und Xavier den Frosch in die Hand drückt.„Halt mal. Den brauchen wir gleich noch. Ich hab da ne echt gute Idee!“Er läuft hinter die Weide, wo ein längst vergessener Stapel mit Brettern liegt. Er schiebt einige Dielen zur Seite oder schmeißt sie herunter, bis er zwei ungefähr gleichlange gefunden hat. Er stellt das erste Brett hochkant auf und fixiert es mit ein paar Stöcken, damit es nicht umfallen kann. Mit dem zweiten verfährt er genauso, etwa fünfzig Zentimeter vom ersten entfernt, so dass eine Gasse entsteht. „Hey Ficker“, ruft er mir zu und ich hasse es, wenn er mich so nennt, „du wolltest doch schon immer mal mit meinem neuen Fahrrad fahren …“ Das war eine Feststellung, keine Frage. Und es stimmte natürlich. Hermann hatte vor kurzem dieses absolute Traumfahrrad geschenkt bekommen. Voll im Trend. Ein Bonanza-Rad. Für mich oder meine Eltern war so ein Fahrrad unerschwinglich. „Du willst mich mit deinem Bonanza-Rad fahren lassen?“, sage ich ungläubig, während mein Blick zu dem Fahrrad wandert, das nur zwei Meter entfernt im Gras liegt.„Na klar, wir sind doch Freunde“, tönt er jovial und legt mir die Hand auf die Schulter. Ein Ritterschlag. „Na los, mach schon, bevor ich es mir anders überlege!“Unsicher richte ich das Fahrrad auf und schiebe mich seitlich auf den Sattel. Ich prüfe die Griffe und den Bremshebel, rutschte mit dem Po etwas hin und her, um den besten Sitz zu finden. Die Rückenlehne des Bananensattels ist sehr weit weg vom Lenker und ich bin nicht sicher, ob ich mit diesem Rad wirklich fahren kann. Der Schalthebel, der auf der Mittelstange montiert ist steht auf „1“, also sollte ich anfahren können. Ich schaue noch einmal zu Hermann, doch der winkt nur ungeduldig. Ich soll endlich fahren. Wackelig lege ich die ersten paar Meter zurück und fahre auf den Feldweg.„Hey, wo willst du denn hin? Schön hier bleiben“, rief Hermann und zeigt auf einen imaginären Punkt vor seinen Füßen.„Du fährst schön hier durch. Rauf und runter, runter und rauf, kapiert?“ Hermann zeigte auf die Gasse zwischen den beiden Brettern.Ich verstehe nicht, was er von mir will.„Na los, fahr endlich oder bist zu blöd dazu, du kleiner Ficker?“Mit hochrotem Kopf setze ich mich in Bewegung und fahre durch die Gasse. Wenden. Wieder zwischen den Brettern hindurch. Wenden. Wieder durchfahren. Wenden.„Und jetzt machen wir es etwas spannender“, ruft Hermann und nimmt den Frosch aus Xaviers Hand. Er setzt ihn genau in die Mitte der Brettergasse.„Und los geht’s. Du fährst hier solange hin und her, bis du ihn erwischst. Verstanden?“Mir wird schlecht und schwindelig. Ich will dem Frosch nichts tun. Ich mag Tiere. Alle Tiere. „Hast du mich nicht gehört?“, schreit Hermann mich an, weil ich nicht losfahre.„Bist du echt so ein Weichei? Nur so ein kleiner Ficker? Mit so einem muss ich mich doch wirklich nicht abgeben!“ Tränen steigen mir in die Augen. Tränen der Wut. Tränen der Verzweiflung. Hermann verhöhnt und beschimpft mich weiter und ich weiß nicht, was tun.„Nenn mich nicht Ficker“, brülle ich Hermann an und trete kraftvoll in die Pedale. Ich rase zwischen den Brettern hindurch. Verfehle den Frosch. Wenden. Wieder durch die Gasse. Tränen laufen mir übers Gesicht, ich kann kaum etwas sehen. Den Frosch erneut verfehlt. Hermann beschimpft mich. Wenden. Wieder zwischen die Bretter. Ich schaue nach unten. Ich sehe den Frosch. Seine glubschigen Augen sehen mich an, als der Vorderreifen ihn mittig überfährt. Der kleine Körper platzt unter dem Druck auf und die Eingeweide quellen gluckernd hervor. Hermann, Xavier und Karl-Heinz grölen vor Lachen.„Jetzt schaut euch mal unseren kleinen Ficker an“, lacht Xavier und zeigt auf mich. Zeigt auf meine Hose.„Das hat ihm wohl gefallen!“Ich verstehe nicht, was er meint und schaue nach unten. Meine dünne Hose ist im Schritt fast zum Zerreißen gespannt und man sieht deutlich meine Erektion.Das kann nicht sein, denke ich, eine Fehlfunktion meines Körpers. Ich springe vom Bonanza-Rad und lasse es einfach umkippen, meine Hände verdecken meine Erektion, als ich umständlich wegrenne.„Ficker hat nen Ständer, Ficker hat nen Ständer“, singen die drei im Chor und treiben mich so den Feldweg entlang, bis ich sie nicht mehr hören kann.Der Ältere erhob sich aus seinem Stuhl und setzte sich zu seinem Freund aufs Bett. Zärtlich wischte er mit dem Handrücken die Tränen ab, die im Kissen versickerten. „Hast du dich zu erkennen gegeben?“ „Hmm“, nickte der Jüngere. „Ich habe es ihm gesagt, während ich über ihn drüber gerollt bin. Ich habe ihm dabei in die Augen gesehen, genauso wie damals dem Frosch.“ Und ich habe mein Zeichen hinterlassen, denkt er, sagt es aber nicht. Der Ältere hatte ihn stets davor gewarnt, irgendeinen Hinweis zu platzieren. „Sonst erwischen sie dich garantiert“, hatte er behauptet. Aber wozu sollte das Ganze denn gut sein, wenn am Ende niemand wusste, worum es wirklich ging. „Dann hast du dein erstes Ziel erreicht … wer ist der nächste?“ „Die Katze“, sagt der Jüngere ohne zu zögern, „natürlich die Katze!“