Читать книгу Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht - Stefan Storr - Страница 90
III. Die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten 1. Einschlägige Grundfreiheit
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Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften müssen sich wegen den damit verbundenen Auswirkungen auf den gemeinsamen Binnenmarkt auch am Unionsrecht messen lassen. Der Bearbeitervermerk beschränkt die Prüfung auf die Grundfreiheiten. Hierbei kommen insbesondere die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit als Maßstab in Betracht. In sachlicher Hinsicht erfasst Art. 49 AEUV die selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Dauer, einschließlich der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften. Die Dienstleistungsfreiheit dagegen schützt typischerweise auf eine kürzere Dauer angelegte Tätigkeiten. Da L sich mit der Errichtung der Zweigniederlassung in Deutschland dauerhaft wirtschaftlich in einen fremden Mitgliedsstaat integriert, ist der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.
Hinweis:
Die Grundfreiheiten werden zunehmend durch spezielleres Sekundärrecht verdrängt (dazu näher die Fälle 5, 8). Auf dieses ist in der Klausur selbstverständlich nur dann einzugehen, wenn der Sachverhalt entsprechende Hinweise enthält bzw die einschlägigen Bestimmungen abgedruckt werden. Vorliegend könnten die Dienstleistungs- und die Berufsanerkennungsrichtlinie in Betracht kommen. Erstere befasst sich für die Niederlassung im Aufnahmestaat jedoch nur mit Genehmigungserfordernissen (Art. 9 ff DLR), letztere gilt nur für die sog. „reglementierten Berufe“. Diese sind in Art. 3 Abs. 1 lit. a BerufsanerkennungsRL legaldefiniert. Ein reglementierter Beruf liegt also nur dann vor, wenn die Aufnahme oder Ausübung einer beruflichen Betätigung direkt oder indirekt durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation gebunden ist. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Die Frage einer Zwangsmitgliedschaft in der IHK ist daher sekundärrechtlich nicht geregelt[25] und – wie im Bearbeitervermerk vorgesehen – allein an den Grundfreiheiten zu messen.
Auch der persönliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit müsste eröffnet sein. Nach dem Wortlaut des Art. 49 AEUV erfasst sie nur natürliche Personen. Durch Art. 54 Abs. 1 AEUV werden diesen allerdings Gesellschaften gleichgestellt, sofern sie nach den Rechtsvorschriften eines der Mitgliedsstaaten gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Dies ist bei L als einer nach englischem Recht gegründeten privaten Kapitalgesellschaft mit Sitz in England der Fall. Der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet.