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KAPITEL 1 DIE POLITISIERUNG DER WISSENSCHAFT

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– und die Institutionalisierung der Illusion

Als Philip Regal den Telefonhörer auflegte, wusste er, dass er unmittelbar vor einer bedeutsamen und eindeutig schwierigen Phase in seiner wissenschaftlichen Laufbahn stand. Ernst Mayr hatte ihn eben gedrängt, bei der tiefgreifendsten technologischen Revolution seit der Kernspaltung eine entscheidende Rolle zu übernehmen.

Mayr war eine Symbolfigur in den Biowissenschaften (Life Sciences). Zahlreiche Kollegen, darunter etliche seiner Professorenkollegen in Harvard, hielten Mayr für den bedeutendsten Biologen des 20. Jahrhunderts, er galt weithin als der einflussreichste Theoretiker im Fachgebiet seit Darwin. (1)

Im Laufe des Jahres 1983 hatten Mayr und Regal über Wochen hinweg mehrfach telefonisch und brieflich über die beispiellose Macht der Gentechnologie diskutiert und die dringende Notwendigkeit, klug mit ihr umzugehen. Doch dieses Gespräch hatte eine neue Wendung genommen. Mayr bestätigte nicht nur Regals Bedenken wegen der unzulänglichen Ausführung des Wagnisses und des Schadens, der daraus entstehen könnte, würde sie ohne ausreichendes Wissen weiter vorangetrieben, sondern er forderte ihn auch auf, etwas dagegen zu unternehmen. Er ermutigte ihn dazu, die Führung bei der Organisation einer konzertierten Aktion zu übernehmen und so einen Wandel herbeizuführen und sicherzustellen, dass die Gentechnologie in Übereinstimmung mit soliden wissenschaftlichen Grundsätzen angewandt würde – und dass die neuartigen Organismen, die sie hervorbrächte, nicht ohne hinreichende Voraussicht in die Umwelt freigesetzt würden. Mayr riet ihm, die Risikoanalysen fortzuführen, ähnliche Einschätzungen durch andere anzuregen und einen Dialog unter den Wissenschaftlern zu fördern, der zu einem umfassenderen Verständnis dieser Technologie und einem verantwortungsvolleren Einsatz führen würde. Ohne eine solche Vorsicht und solch einen Dialog wären nach Mayrs Ansicht die Biowissenschaftler, die Biotechnologie-Industrie und die Verantwortlichen in der staatlichen Regulierungsbehörde nicht darauf vorbereitet, die neuen Kräfte intelligent zu handhaben, auf die die Menschen Zugriff erlangt hatten.

Doch wie Mayr Regal drängte, so warnte er ihn auch, vorsichtig vorzugehen. Er erinnerte ihn daran, dass die Biotech-Industrie und ihre Partner unter den führenden Molekularbiologen enorme wirtschaftliche, akademische und politische Macht ausübten – und er merkte an, jegliche Versuche, ihre Projekte gründlich wissenschaftlich zu prüfen, würden sie nicht nur als unnötige Hindernisse für den Fortschritt, sondern auch als erhebliche Provokation werten. Dann wurde Mayrs Stimme ernster und er sprach die Worte, die in Regals Erinnerung noch nachklingen: „Sie werden versuchen, Sie zu vernichten.“ Folglich riet er Regal, er solle trotz seiner hervorragenden Qualifikationen und seines hohen Ansehens nicht im Alleingang handeln und solle andere angesehene Biologen dazu bringen, sich mit ihm zusammenzutun.

Mayrs Worte waren schlüssig, und Regal entschloss sich, die Aufgabe trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten auf sich zu nehmen. Allerdings war ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, als wie gewaltig diese Aufgabe sich erweisen würde – und wie massiv der Widerstand sein würde, nicht nur innerhalb der Grenzen der Biotechnologie-Industrie, sondern auch in den Korridoren der Regierung und den Hallen der Wissenschaft. Ebenso wenig sah er vorher, dass der Widerstand in den folgenden drei Jahrzehnten zu großen Teilen die Oberhand gewinnen würde.


Regals Bedenken gegen die Gentechnologie wurden erstmals in den frühen 1980er-Jahren geweckt, als sich unter den Biowissenschaftlern herumsprach, dass alle Verfahren und Produkte in Kürze vollständig dereguliert würden. Da die Befürworter dieser revolutionären Technologie mehrere Jahre lang versprochen hatten, sie werde sorgfältig reguliert, verwunderte ihn diese Nachricht – und genauso wunderte er sich, wie viele Biologen sie begeisterte. An der University of Minnesota, wo Regal am College of Biological Sciences Professor war, verkündete der Dekan enthusiastisch, die Molekularbiologen an den National Institutes of Health (NIH, die amerikanische Gesundheitsbehörde) und der National Academy of Sciences (Nationale Akademie der Wissenschaften) hätten gemeinsam mit hochrangigen Regierungsvertretern entschieden, die Gentechnologie sei sicher, und sie würden für alle ihre Anwendungen die uneingeschränkte Genehmigung erteilen.

Doch Regal teilte ihre Begeisterung nicht – und ebenso wenig zahlreiche andere Wissenschaftler, wie er erfahren sollte. Zum einen fand er es befremdlich, dass die Gentechnologie behandelt wurde wie ein Verfahren, das ungeachtet seiner vielfältigen Anwendungsformen als in sich sicher erachtet werden könne – und dass die Befürworter davon ausgingen, diese inhärente Sicherheitseigenschaft werde dann auch automatisch für alle unterschiedlichen Produkte gelten. Dieser Denkansatz erschien ihm grundlegend fehlerbehaftet, denn diese Produkte könnten sich in vielerlei biologisch wichtiger Hinsicht voneinander unterscheiden.

Die Gentechnologie (in der Fachsprache als „rekombinante DNA-Technologie“ bezeichnet und auch „Biotechnologie“ und „Genspleißen“ genannt) (2) umfasst eine Reihe neuer, wirkungsvoller Verfahren, die die Genome lebender Organismen umstrukturieren, indem sie Teile der DNA entfernen, zusammenfügen oder anderweitig neu anordnen, wie es vorher unmöglich war. Durch die Gentechnologie kann sich ein breites Ergebnisspektrum eröffnen. Ein Organismus kann dabei mit zusätzlichen Kopien einiger seiner eigenen Gene ausgestattet werden, die Sequenzen einiger seiner eigenen Gene können rekonfiguriert werden; es kann umprogrammiert werden, wie seine Gene ein- und ausgeschaltet werden, oder es können Gene einer anderen und ihm fernstehenden Spezies in sein genetisches Programm transplantiert werden. Außerdem lässt sich mit dieser Technologie jeglicher Organismus, sei es ein Bakterium, eine Pflanze oder ein Tier, transformieren; und jede einzelne Transformation könnte diverse (beabsichtigte wie unbeabsichtigte) Wirkungen auslösen, je nachdem, um welchen Organismus es sich handelt, welche gentechnischen Veränderungen vorgenommen werden, je nach ihrer Position im DNA-Molekül sowie der Umgebung, in die der Organismus gesetzt wird. Darum hielt Regal die Behauptung, Gentechnologie sei immer sicher, für ebenso bizarr wie die Behauptung, Kunst sei niemals anstößig.

Doch Molekularbiologen propagierten diese Behauptung als wissenschaftlich fundiert; und die meisten waren sich dessen so sicher, dass sie sich scheuten, darüber mit Wissenschaftlern zu diskutieren, die anderer Meinung waren, selbst wenn diese Wissenschaftler in einigen relevanten Wissensgebieten mehr Fachkenntnis hatten. Ebenso wenig waren sie zum Nachdenken darüber bereit, ob ihr eigenes Fachwissen für eine angemessene Handhabung aller Facetten der Gentechnologie ausreichte.

Dieser engstirnigen Einstellung war Regal erstmals begegnet, als er in einem Ausschuss an der University of Minnesota mitarbeitete, der die Aufbaustudiengänge überarbeitete. Damit die Universität mit den jüngsten Entwicklungen in der Biotechnologie Schritt hielt, war ein neuer Aufbaukurs in Mikrobieller Verfahrenstechnik vorgeschlagen worden. Wie es für solche Kurse an anderen Universitäten üblich war, bestand der Lehrstoff großenteils aus Chemie, Biochemie, Molekulargenetik und etwas Physiologie. Als der Ausschuss den Antrag diskutierte, äußerte Regal die Ansicht, die Studenten sollten sich auch mit Ökologie, biologischer Anpassung und Populationsgenetik befassen (Gebiete, auf denen er über Fachwissen verfügte), damit sie die vollständige Dynamik gentechnisch veränderter Organismen besser erfassten. Ohne eine solche Erweiterung des Lehrstoffs, so unterstrich er, würden die Aufbaustudenten nur wissen, wie einige mikroskopische Aspekte dieser neuen Organismen in isolierten biochemischen Stoffwechselwegen funktionierten, aber sie würden kein Verständnis entwickeln können, wie sie als Ganzes funktionierten, und zwar insbesondere in Beziehung zu anderen Organismen. Weil die Biotechnologen planten, ihre Schöpfungen in die Umwelt freizusetzen, sei es wichtig, so betonte Regal, dass sie einschätzen könnten, wie diese Lebensformen in Ökosystemen interagieren würden.

Doch die Gentechnologie-Förderer reagierten auf seinen Beitrag empört; sie behaupteten kategorisch, diese breiter angelegte Ausbildung sei nicht nötig, denn Genspleißen sei ausnahmslos sicher. Weiter vertraten sie den Standpunkt, die Gentechnologie sei ein derart vom Wettbewerb geprägtes Fachgebiet, dass die Universitäten nicht verlangen würden, angehende Fachleute sollten „Zeit verschwenden“ auf die Beschäftigung mit Themen, wie Regal sie angeregt habe, und falls die University of Minnesota den Studenten eine so sachfremde Bürde auferlege, könne sie nicht mit anderen Einrichtungen Schritt halten.

Regal war über diese Aussagen fassungslos und aufgewühlt. Später schrieb er:

Ich verließ diese Sitzung und ging langsam über den Campus, den Blick auf den Boden gerichtet, und dachte dabei über eine Menge ernster Fragen nach, die in meinem Denken geweckt worden waren. Wie konnten Leute, deren Fachkenntnisse sich auf die Chemie beschränkten, so sicher sein, dass radikale Modifikationen komplexer biologischer Organismen, die auf Farmen oder in umfassenderen Populationen in der Natur vorkommen, zwangsläufig sicher und wirksam sein würden? Wie konnten sie das so genau wissen? Die Gentechnologie-Förderer bei dieser Ausschuss-Anhörung hatten keinerlei wissenschaftliche Qualifikation, um die ökologischen Anpassungen und Störungen zu beurteilen. Es war nicht einfach so, dass sie keinen akademischen Abschluss hatten oder nichts gelernt hatten. Man kann sicher Autodidakt sein. Aber sie hatten kein zuverlässiges Wissen. Trotzdem behaupteten sie, sie bräuchten sich keine weiteren Kenntnisse anzueignen oder den Rat von Experten einzuholen, die über die Grenzen ihrer schmalen Ausbildung hinausgingen – und dass auch andere Molekularbiologen keine Notwendigkeit hierfür anerkannten. Über diese erstaunliche Vorstellung musste ich damals nachdenken, doch wie sich herausstellte, war das in der Tat die vorherrschende Haltung unter den Molekularbiologen weltweit. (3)

Regal fand es ausgesprochen irreführend, dass Wissenschaftler mit Fachkenntnissen, die auf die Molekularbiologie beschränkt sind, sich als vollkommen qualifiziert dafür hinstellten, die ökologischen Auswirkungen gentechnisch veränderter Organismen zu beurteilen. In seinen Augen war das, als gäbe sich jemand, der sich mit den Details beim Drucken von Dollarnoten auskennt, als sachkundiger Prognostiker für die Bewertung des Dollars gegenüber dem Euro und dem Yen aus, obgleich sich sein Dollar-Fachwissen auf das Gravieren von Schildern, die Tinten und die Druckpressen beschränkt, und er keine Ausbildung oder bedeutende Erfahrung hat in Volkswirtschaft und den Feinheiten der internationalen Devisenmärkte. Trotz alledem sollten die kategorischen Behauptungen der Molekularbiologen zunehmend als maßgeblich akzeptiert werden und die Regierungspolitik prägen.

Angesichts der Unverfrorenheit ihrer Äußerungen wäre jemand, der die Molekularbiologen 1983 erstmals gehört hätte, überrascht gewesen zu erfahren, dass sie nicht immer ein so uneingeschränktes Vertrauen in die Sicherheit der Gentechnologie ausgestrahlt und sogar weitere Vorsichtsmaßnahmen gefordert hatten. Doch das lag ein Jahrzehnt zurück, als die Technologie etwas aufsehenerregend Neues war und sie offen eingestanden hatten, ihre Fähigkeit, deren Auswirkungen vorherzusagen und zu kontrollieren, sei begrenzt. Die Geschichte, wie ihre anfängliche Botschaft mutierte und ihr Einfluss gleichzeitig wuchs, liefert ein eindrucksvolles Beispiel, wie die Wissenschaft immer stärker politisiert wurde – und die Rolle des empirischen Nachweises minimiert wurde, wenn es darum ging, eine angeblich wissenschaftlich untermauerte öffentliche Politik abzustecken.

Manipulierte Gene – Verdrehte Wahrheit

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