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Unsicheres Gleichgewicht

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Weil das offene Äußern von Bedenken weithin Angst ausgelöst hatte, war das Freisetzungsverbot für Organismen mit gespleißten Genen notwendig, um die Öffentlichkeit so weit zu beschwichtigen, dass die Arbeit mit rDNA-Technologie in den Labors weitergehen konnte. Doch viele Wissenschaftler wurden zunehmend unzufriedener mit den Einschränkungen und bedauerten die Bereitschaft, mit der anfängliche Befürchtungen veröffentlicht worden waren. Wie sich herausgestellt hatte, war die Biotechnologie ein sehr heikles Thema, und jegliches von ihren Anwendern geäußertes Missbehagen wurde von den Medien aufgegriffen. Schon lauteten Schlagzeilen: „Genforscher wollen Verbot – Gefahr für die Weltgesundheit befürchtet“ (Philadelphia Bulletin), „Forscher fürchten Freisetzung von Bakterien“ (Los Angeles Times) und „Eine neue Angst: Herstellung bösartiger Keime“ (Washington Star News). (19) Selbst die seriöse Zeitschrift Atlantic Monthly veröffentlichte einen Artikel mit der Überschrift „Wissenschaft, die Wissenschaftlern Angst macht“. (20) Solche Berichte verunsicherten die Bevölkerung massiv.

Zahlreiche Molekularbiologen waren von diesem Ergebnis nicht nur enttäuscht, die meisten „fühlten sich betrogen“, wie ein Beobachter anmerkte. (21) Sie hatten zwar gehofft, ihr selbst auferlegtes Verbot werde die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass man ihnen den Umgang mit dieser neuen Technologie ohne staatliche Aufsicht zutrauen könne, doch stattdessen hatte dieses Verbot die Ängste der Öffentlichkeit angefacht und ihnen eine solche Aufsicht aufgezwungen. Zudem wurden 1976 über ein Dutzend Gesetzesvorlagen zur Regulierung der rDNA-Forschung im Kongress eingebracht. (22) Und eine, die Senator Edward Kennedy auf den Weg gebracht hatte, verlangte eine Regulierung durch eine vom Präsidenten einzusetzende Kommission. (23)

Als die Bemühungen um Restriktionen an Dynamik gewannen, sorgten sich amerikanische Molekularbiologen, sie würden gegenüber Wissenschaftlern anderer Länder ohne Regulierung ins Hintertreffen geraten und die USA würden ihre Führungsrolle auf diesem Gebiet einbüßen. (24) Folglich distanzierten sich viele öffentlich von ihrer früheren vorsichtigen Haltung. In einer eher drastischen Kehrtwende erklärte James Watson, ein Unterzeichner des Berg-Briefes, die anfänglich der Biotechnologie zugeschriebene Gefahr sei „ein Fantasiemonster“, (25) und brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, den Brief unterzeichnet zu haben. (26)

Indem diese Wissenschaftler von ihren zuvor geäußerten Bedenken Abstand nahmen, um beteuern zu können, gentechnisch veränderte Organismen seien sicher, griffen sie auf die Grundüberzeugungen ihres Fachgebiets zurück. Die Molekularbiologie wurde in den 1930er-Jahren unter der Führung von Max Mason und Warren Weaver großenteils durch die Anstrengungen der Rockefeller Stiftung als eigenständige Disziplin entwickelt. (27) Diese beiden Mathematiker/Naturwissenschaftler waren unzufrieden mit der Quantenmechanik, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Bekanntheit erlangte. Diese neue Theorie war weit komplizierter als die klassische Theorie, an deren Stelle sie trat, und, wie Weaver bekannte, ihm und Mason missfiel, was sie als deren „grundlegend unangenehmes ‚Durcheinander‘“ ansahen. (28) Zudem glaubten sie, die Quantenmechanik werde irgendwann durch etwas Einfacheres und „Eleganteres“ – und damit „viel Befriedigenderes“ – ersetzt. (29)

Weil sie erkannt hatten, dass sie selbst die Physik nicht in ihrem Sinne umgestalten konnten, griffen sie begeistert die Gelegenheit auf, das für die Biologie zu tun. Im Grunde wollten sie die Biologie auf der Physik aufbauen; und sie glaubten, indem sie die Biologie in eine erweiterte Physik verwandelten, könnten sie eine Wissenschaft des Lebens entwickeln, die im Wesentlichen einfach, präzise und vorhersagbar wäre. Phil Regal merkt an, ihr Ansatz sei vollkommen reduktionistisch:

„Die Gesellschaftswissenschaften und die Geisteswissenschaften werden letztlich … restlos auf die Biologie reduziert. … Die Biologie wiederum wird auf die Chemie reduziert, die auf die Physik reduziert wird, die auf eine einfache deterministische Gesamtheit reduziert wird, die auf allen Ebenen des Lebens präzise Vorhersagen gestattet.“ (30) Diese Präzision würde eine umfassende Kontrolle ermöglichen. Wie Weaver schreibt, ist es „vernünftig“ zu erwarten, dass eine fundierte Biologie „ein ähnliches Maß an Kontrolle über viele Aspekte der belebten Materie“ liefern kann, wie die Physik sie über die unbelebte Materie ausübt. (31)

Mason und Weaver flößten den Physikern und Chemikern, die sie als künftige Pioniere der Molekularbiologie rekrutierten, ihr Vertrauen ein in die ultimative Einfachheit, Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit der Lebensprozesse. (32) In ihrer Vision würde diese neue Wissenschaft die meisten großen Probleme der Menschheit durch präzise genetische und chemische Manipulationen lösen, die umfassend durch die menschliche Intelligenz gesteuert würden – mit wenig Raum für unbeabsichtigte Folgen. „Die Agenda für die Molekularbiologie und die technische Planung des Lebens … war von Anfang an von vollkommenem Optimismus durchdrungen, und das Versprechen der neuen Wissenschaft und der Biotechnologien, die sie hervorbringen sollte, wurde nur positiv gesehen. Risiken und andere negative Entwicklungen wurden nicht bedacht oder eingeplant“, merkte Regal an.

Konfrontiert mit der Möglichkeit negativer Folgen, legten die Bioingenieure zudem ein unrealistisches Vertrauen in ihre Fähigkeit an den Tag, mit diesen Folgen umzugehen. Bei einer Konferenz etwa, an der Regal 1984 teilnahm, beschrieb eine Molekularbiologin in ihrem Vortrag all die erhofften Vorteile der rDNA-Technologie, als wären sie praktisch sichere Ergebnisse. Als jemand fragte: „Was ist, wenn Sie versehentlich eine neue Krankheit auslösen?“, wirkte sie beleidigt, erklärte aber unverzüglich: „Dann entwickeln wir ein Heilmittel dafür.“ Regal fragte dann: „Halten Sie es nicht für ratsam, dass die Gentechniker erst einmal ein Mittel für AIDS und Grippe entwickeln, bevor sie so kühne Versprechungen machen?“ Sie wirkte fassungslos und war zu keiner Antwort fähig.

Wie Regal feststellt, haben die Beweise den Überzeugungen der Molekularbiologen zur Präzision und Prognosefähigkeit ihrer Disziplin zunehmend widersprochen. „Umfangreiche Daten offenbaren eine starke Diskrepanz zwischen der Welt, die sie sich anfangs vorstellten, und der Welt, wie sie wirklich ist – und zeigen, dass die Natur auf frustrierendere Weise komplexer ist, als sie sowohl auf der mikroskopischen Ebene wie auch auf der der Ökosysteme angenommen hatten.“

Die amerikanischen Molekularbiologen leugneten die Risiken beim Genspleißen so entschieden, dass viele behaupteten, es könne keinen Schaden anrichten, selbst wenn es bewusst dafür herangezogen werde. Ken Alibek, der vor seiner Auswanderung in die USA eine zentrale Rolle im Biowaffenprogramm der Sowjetunion gespielt hatte, sagt, er sei in den Fachkreisen seiner Wahlheimat auf „ein alarmierendes Maß an Ignoranz“ gestoßen, wenn es um biologische Waffen ging: „Einige der besten Wissenschaftler, denen ich im Westen begegnet bin, sagen, es sei nicht möglich, Viren gentechnisch zu verändern, um zuverlässige Waffen herzustellen … Mein Wissen und meine Erfahrung sagen mir, dass sie sich irren.“ (33)

Regal bestätigt Alibeks Beobachtung. „Ich hatte lange die gleichen naiven Ansichten von führenden amerikanischen Biotech-Verfechtern gehört … Meinem Gefühl nach hatten sich viele von ihnen ernsthaft eingeredet, rDNA habe kein Waffenpotenzial, weil sie sich ständig angegriffen fühlten und ein Bedürfnis verspürten, das Image der Biotechnologie zu wahren – und ihren eigenen Glauben an die völlige Harmlosigkeit ihrer Manipulationen aufrechtzuerhalten. Diese Argumente machten die Runde und setzten sich als „allgemeine Auffassung“ bei den amerikanischen Biotechnologen durch, obwohl sie nicht mit der Realität übereinstimmten.“

Allerdings waren nicht alle Molekularbiologen abgeneigt, die Risiken anzuerkennen; mehrere äußerten sich entschieden zu den Problemen, die sie wahrnahmen. Eine besonders scharfe Warnung kam von Erwin Chargaff, einem der bedeutendsten Pioniere des Fachgebiets. In einem Essay in der Fachzeitschrift Science mit dem Titel „On the Dangers of Genetic Meddling“ (dt. etwa „Über die Gefahren gentechnischer Pfuscherei“) bezeichnete er die Biotechnologie als „Krieg gegen die Natur“ und betonte ihre unwiderruflichen Folgen. Er erklärte: „Man kann damit aufhören, Atome zu spalten; man kann damit aufhören, zum Mond zu fliegen; man kann damit aufhören, Sprays zu benutzen … Aber eine neue Lebensform kann man nicht zurückrufen. … Sie wird Sie, Ihre Kinder und Ihre Kindeskinder überleben … Haben wir das Recht, der Jahrmillionen alten Weisheit der Evolution irreversibel zuwiderzuhandeln, um den Ehrgeiz und die Neugier einiger weniger Wissenschaftler zu befriedigen?“ (34) Im Gegensatz zu den Molekularbiologen, die für weniger Regulierung plädierten, drang Chargaff auf eine stärkere staatliche Intervention. Überdies äußerte er Zweifel, dass das RAC mit den unterschiedlichen Problemen fertig werde, und er beklagte, dass fast alle seine Mitglieder Gentechnologie-Befürworter seien. (35)

Ein weiterer herausragender Molekularbiologe, der zur Vorsicht mahnte, war Jonathan King, Professor am Massachusetts Institute of Technology. Er kritisierte außerdem, wie Chargaff, was er als die Neigung des RAC wahrnahm, die Technologie voranzubringen, und unterstellte, dieses Gremium wirke dahin gehend, „die Genforscher zu schützen, nicht die Öffentlichkeit.“ (36) Und George Wald, Professor für Biologie in Harvard und Nobelpreisträger, warnte, die rDNA-Technologie bringe Probleme mit sich, die es nicht nur in der Geschichte der Wissenschaft nie zuvor gegeben habe, sondern auch noch nie in der Geschichte des Lebens auf der Erde.“ (37) Er betonte, die radikale Art des Eingreifens mit dieser Technologie „darf nicht mit früheren Eingriffen in die natürliche Ordnung lebender Organismen verwechselt werden“ (38) – und er brandmarkte sie als „den größten Einschnitt in der Natur, den es in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.“ (39) Er warnte: „ein Weitergehen in diese Richtung könnte nicht nur unklug, sondern gefährlich sein.“ (40)

Auch in der Biotech-Industrie hatten Menschen Bedenken. Als Philip Regal die Sichtweise ihrer Vertreter einholen wollte, begegnete er mehreren. Unter ihnen war ein Freund aus dem Aufbaustudium, der in einer Firma vom Forschungsmitarbeiter in eine Führungsposition aufgestiegen war. Sein Freund freute sich nicht nur, von Regal zu hören, sondern drängte ihn auch, wie Mayr, sich des Sicherheitsproblems anzunehmen. Er erklärte:

Phil, wir brauchen dringend Input von Ökologen und organismischen Biologen wie dir. Wir Molekularbiologen sind hier auf uns selbst gestellt und haben keine Möglichkeit, die Sicherheit unserer eigenen Arbeit einzuschätzen, ja wir wissen nicht einmal, ob unser Hype um den gesellschaftlichen Nutzen sinnvoll ist. Wir haben nie die Dinge studiert, mit denen ihr euch beschäftigt habt. Dafür hatten wir nie die Zeit oder das Interesse. Die Konkurrenz hier bei uns ist massiv. Viele Leute probieren alles aus, was ihnen in den Sinn kommt, wenn eine neue Technik hinzukommt oder ein neues Gen verfügbar ist. „Du hast ein neues Gen isoliert? Leih es mir und lass mich schauen, wo ich es hineinbekommen kann. Schauen wir mal, was passiert.“

Konkurrierende Gen-Freaks gibt es wie Sand am Meer. Um den Konkurrenten zu übertreffen, ein Angebot von einer anderen Firma zu bekommen, eine Gehaltserhöhung zu bekommen, muss man etwas Sensationelles machen. Hier herrscht ein Wettbewerb, etwas Sensationelles zu machen. Niemand hat Zeit, gründlich über Sicherheit nachzudenken oder darüber, wie viel Nutzen wirklich aus all dem entsteht.

Einige Jahre lang hielten sich die gegenläufigen Interessen der verschiedenen Gruppen in der Gentechnologie-Kontroverse in etwa die Waage; zwar war keine der Gruppen damit völlig zufrieden, aber die Waage neigte sich auch nicht stark zu einer Seite. Die Bedenken insgesamt blieben groß genug, dass eine gewisse staatliche Aufsicht beibehalten wurde, jedoch nicht so groß, dass dadurch zusätzliche Vorschriften eingeführt worden wären.

1977 neigte sich dann die Waage eindeutig zugunsten der Biotechnologen. Die Bedenken der Öffentlichkeit schwanden; und im Regierungsviertel verlor die Initiative für Regulierung an Schwung. (41) Dieser Umschwung war so gravierend, dass, wie Susan Wright es formuliert, „die Frage des Risikos ab 1979 praktisch nicht mehr thematisiert wurde.“ (42) Zu diesem Wandel trug maßgeblich auch bei, dass die Gentechniker eine neu entdeckte Gewissheit bezüglich der Sicherheit ihrer Hervorbringungen an den Tag legten. Es war das vermeintliche Auftauchen von neuen wichtigen Beweisen.

Manipulierte Gene – Verdrehte Wahrheit

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