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Die „politische“ Wissenschaft setzt sich durch

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Der einseitige Bericht von der Ascot-Tagung ergänzte die Gorbach-Zusammenfassung von Falmouth, und die kombinierte Wirkung beider war beträchtlich. Die Befürworter der Biotechnologie verkündeten nicht nur, E. coli K-12 in der rekombinanten Forschung zu nutzen, sei sicher, sondern etliche gingen so weit (wie Stanley Cohen im Jahr zuvor), zu behaupten, es gebe neue Hinweise dafür, dass die rDNA-Technologie insgesamt ein vernachlässigbares Risiko darstelle. (99) Diese irreführende Version der Tatsachen verbreitete sich rasch. Wenige Monate nach der Ascot-Tagung wurde sie im März 1978 auf einer von der Weltgesundheitsorganisation mitfinanzierten Konferenz in Mailand von Vertretern der akademischen Forschung und der Industrie vehement vorgebracht. (100) Im selben Monat bereitete der Senatsunterausschuss für Wissenschaft und Technik einen Bericht vor, demzufolge die rDNA-Forschung keine außergewöhnlichen Risiken darstellte; (101) und einen Monat später erklärte der Direktor der NIH, die Beweislast gehe von den Befürwortern der Technologie auf diejenigen über, die sie regulieren wollten – damit ging eine Novellierung und erhebliche Schwächung der NIH-Richtlinien einher. (102) Diese Beweislastumkehr war historisch, denn sie sollte, wie im nächsten Kapitel beschrieben, auf die ganze weitere Regierungspolitik im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) übertragen werden.

Zudem wirkten die übertriebenen Erklärungen weit über Amerika hinaus. Wie Susan Wright anmerkt, beeinflussten sie die Regulierungssysteme in vielen Ländern, denn „sobald der Diskurs über … eine ‚vernachlässigbare Gefahrenquelle‘ in den USA seinen festen Platz hatte, garantierte die machtvolle geopolitische Position dieses Landes praktisch die Verbreitung des Diskurses anderenorts“. (103)

So entstand die Molekularpolitik, durch die übertriebene Verallgemeinerungen und unbegründete Meinungen als solide wissenschaftliche Schlussfolgerungen auf der Grundlage glaubhafter Beweise durchgehen. Wegen der Qualifikationen derer, von denen die Äußerungen stammten, zweifelten weder die Medien noch die breite Öffentlichkeit an der Existenz oder der Stichhaltigkeit des angeblichen Beweises; und selbst so scharfsinnige Menschen wie Senator Kennedy wurden verleitet, daran zu glauben, obwohl der Beweis ebenso schimärisch war wie der Konsens der Experten, auf dem er angeblich beruhte. Weil diese Behauptungen so unverfroren und beharrlich vorgebracht wurden, akzeptierte sie auch das Gros der Biowissenschaftler – darunter auch viele Biologen, die hätten erkennen sollen, wie übertrieben sie waren. Diese falschen Eindrücke machten sich mit einer solchen Macht breit, dass sie im Grunde immun waren gegen konträre Beiträge, ganz unabhängig davon, wie gut begründet diese waren. Selbst eine Entlarvung durch die herausragende Zeitschrift Nature zeigte wenig Wirkung. Obwohl es in deren Bericht zur Konferenz von Mailand hieß, „der neue Beweis … erscheint nicht substanziell“ und die Teilnehmer „wurden Zeuge einiger ungebührlicher Griffe nach Strohhalmen“, wurde der Biotech-Götze nicht aufgehalten. (104)

Auch wenn die Veranstaltungen in Falmouth und Ascot wenige Daten zum Weitermachen hatten und sich nur darauf einigen konnten, es sei unwahrscheinlich, dass E. coli K-12 in ein epidemisches Pathogen transformiert werden würde, wurde Wissenschaftlern und Laien gleichermaßen die Illusion vermittelt, es sei ein neuer Beweis vorgelegt worden, der die Teilnehmer durchweg davon überzeugte, dass die rDNA-Technologie allgemein im Grunde sicher sei.

Und wenn wirklich echte Beweise gesammelt wurden (wie es nach der Tagung in Ascot zunehmend der Fall war), dann standen diese häufig im Widerspruch zu den üblichen Werbeaussagen. Susan Wright formuliert es so: „In vielerlei Hinsicht bereitete dieser neue Beweis mehr Probleme, als er löste …, [und] viele Wissenschaftler … sahen manche Ergebnisse als überraschend an und damit als Ergebnisse, die neue Fragen zu den Risiken aufwarfen.“ (105) Dennoch hatten der Kongress und die Öffentlichkeit praktisch keine Ahnung, dass so ein überraschender Beweis auftauchte, weil das Establishment der Molekularbiologie eine Mitteilung der Fakten behinderte. Wenn die Biotechnologie-Befürworter mit Forschungsergebnissen konfrontiert waren, die ihnen nicht gefielen, erkannten sie diese ein ums andere Mal nicht an – oder stellten sie völlig falsch dar.

Ein Musterbeispiel dafür ist das Experiment von Rowe und Martin, eines der einflussreichsten, das je zur Biotechnologie durchgeführt wurde. Es sollte endgültige Antworten auf die ständigen Fragen nach der Sicherheit der rDNA-Forschung liefern. (106) Wie Susan Wright berichtet, gab es 1975 und 1976 immer noch „gravierende Meinungsverschiedenheiten“ unter den Experten darüber, ob manche Aspekte der Forschung unangemessen riskant sein könnten – und es lagen nur ungenügende Beweise vor, um die Möglichkeit auszuschließen, dass unter bestimmten Umständen ein ernstzunehmend schädlicher Organismus geschaffen werden könnte. (107) Solche Bedenken tauchten im Dezember 1975 bei der Besprechung des Recombinant Advisory Committee der NIH auf; und weil kein Beweis vorlag, wonach das Spleißen von Genen vollkommen sicher ist, schlug ein Molekularbiologe vor, ein „gefährliches“ Experiment durchzuführen, bei dem man versuchen würde, E. coli K-12 virulenter zu machen. (108) Gelinge dies nicht, spreche das verstärkt dafür, dass die umfangreiche Forschung mit diesen Bakterien sicher sei.

Dieser Vorschlag gefiel dem RAC, und ein Mitglied, Wallace Rowe, übernahm die Verantwortung dafür, dieses Experiment zusammen mit Malcolm Martin durchzuführen, einem Kollegen in dem NIH-Forschungslabor, das er leitete. Als Teil ihrer Planung organisierten sie die Bethesda-Konferenz, die sie gemeinsam leiteten, um sich Rat für den Versuchsaufbau zu holen.

Wie die vorangegangene Auswertung der Konferenz belegt, beabsichtigten Martin und Rowe mit dieser Konferenz mehr, als nur Tipps für ihre Forschungsarbeit einzuholen, und sie brachten breiter angelegte Diskussionen in Gang, die, so hofften sie, den Gesetzgeber und die Öffentlichkeit davon überzeugen würden, dass das Genspleißen sicher sei. Die Diskussionen über ihre anstehende Forschungsarbeit führten sie mit der gleichen Geisteshaltung, nämlich mit dem Augenmerk darauf, wie man sie am besten gestalten könnte, um die Befürchtungen der Öffentlichkeit zu zerstreuen. In dieser Manier schlug ein Teilnehmer vor, sie sollten demonstrieren, dass E. coli „keine Maus töten kann“, ganz egal, was man mit dem Bakterium macht. Diese Idee wurde positiv aufgenommen, und jemand regte an, das lasse sich bewerkstelligen, indem man DNA von einem Virus, das bei Nagetieren kanzeröse Tumoren hervorrufen könne, in E. coli K-12 spleiße und das veränderte Bakterium dann Mäusen einsetze. Etliche Wissenschaftler protestierten jedoch, ein solches Experiment werde bestenfalls nur die Manipulationen von K-12 betreffen und geringe Bedeutung für die Sicherheit der rDNA-Forschung allgemein haben. Auch betonten sie, die Möglichkeit, dass der K-12-Stamm irgendeinen Schaden anrichte, sei sehr gering, weil er so geschwächt sei. Das Experiment habe deshalb nur einen geringen wissenschaftlichen Wert – und die Wissenschaftler sollten „die Gelegenheit nutzen, ein gutes Experiment durchzuführen“, indem sie einen Organismus verwendeten, der größeren Schaden anrichten könne. (109)

Doch dem Anschein nach waren Rowe und Martin – mit den meisten Anwesenden – weniger daran interessiert, den wissenschaftlichen Wert des Experiments sicherzustellen, als vielmehr daran, seine politische Macht zu maximieren. (110) Darum konzentrierte sich die Diskussion weiterhin auf die Öffentlichkeitsarbeit. Beispielhaft hierfür ist ein Wissenschaftler, der sich dafür aussprach, E. coli K-12 einzusetzen. Die Chance, das Bakterium schädlich zu machen, sei gering, somit sei die Studie ein „‚cleveres Experiment à la New York Times‘“, mit dem man viel positive Publicity erzielen werde. (111) Deshalb verzichtete die Mehrheit auf ein Experiment der Art, das peinliche Risiken hätte zum Vorschein bringen können, zugunsten eines, das fast sicher das Image fördern würde – sie entschied sich für weniger als den optimalen wissenschaftlichen Wert im Tausch für die scheinbare Sicherheit eines beruhigenden Ergebnisses.

Als Rowe und Martin diese PR-orientierte Herangehensweise wählten, erwarteten sie deshalb mitsamt der Gemeinschaft der die Gentechnologie befürwortenden Wissenschaftler, dass ihre Studie rundum positive Ergebnisse liefern werde. Nach deren Abschluss überraschte es deshalb niemanden, dass auf solche Ergebnisse Anspruch erhoben wurde. Und die Ansprüche waren keineswegs bescheiden. Auf einer Pressekonferenz im Jahr 1979 erklärten die beiden Wissenschaftler unmissverständlich, sie hätten demonstriert, die von ihnen untersuchte rekombinante Forschung sei „vollkommen sicher“. (112)

Doch wenn man ihre rosarote Darstellung gründlich prüft und die Ist-Daten auswertet, ist klar, dass der Begriff „vollkommen sicher“ unvollkommen gebraucht wurde. (113) Überprüft wurden mehrere Aspekte des E.-coli-basierten Forschungssystems; nicht alle erwiesen sich (entgegen den Erwartungen der Forscher – und der Quintessenz ihrer öffentlichen Aussagen) als problemlos. Ein Beispiel: Die DNA des krebserregenden Virus zu spalten (was man tun muss, um mit den einzelnen Genen arbeiten zu können), erhöhte seine krebserzeugende Wirkung erheblich. (114) Es gab noch andere beunruhigende Ergebnisse, und mehrere herausragende Biologen warnten, diese zeigten, das Virus könnte sein Infektionsspektrum durch das Einspleißen viraler Gene in die Bakterien erweitern. (115) Doch keines dieser negativen Ergebnisse wurde auf der Pressekonferenz oder in anderen der Werbung dienenden Dokumenten über das Experiment erwähnt. Daher wurde dem Kongress und der amerikanischen Bevölkerung der Eindruck vermittelt, die Ergebnisse sprächen ganz und gar für eine Rücknahme der Regulierung. Sie bekamen nicht mit, dass signifikante Probleme aufgedeckt worden waren – und mehrere Fachleute diese als Signal für die Notwendigkeit strengerer Sicherheitsvorkehrungen verstanden hatten.

Ebenso wenig wurden sie darüber informiert, dass Rowe und Martin nicht einmal den üblicherweise in der rDNA-Forschung verwendeten Stamm von E. coli benutzt hatten, sondern einen, der absichtlich noch viel stärker geschwächt worden war, und zwar so sehr, dass er (in den Worten eines Biologen) „schwerbehindert“ war. (116) Das geschah, weil die NIH-Richtlinien trotz der Schwächen von E. coli K-12 den Transfer von krebserregenden Genen in das Bakterium ohne Ausnahmegenehmigung des Direktors verboten; und der weigerte sich, eine solche zu erteilen. Deshalb mussten die Forscher stattdessen den weitaus stärker geschwächten Stamm nehmen. Somit trafen zwar die problematischen Ergebnisse des Experiments auf den in der Forschung meist verwendeten widerstandsfähigeren E. coli-Stamm zu, die positiven Ergebnisse jedoch nicht. Und, wie Susan Wright betont, war es „nicht vertretbar“, so damit umzugehen, als täten sie es. (117) Doch die meisten Menschen waren sich dieser Tatsache nicht bewusst, und die Biotech-Befürworter verspürten kein Bedürfnis, das einzuräumen oder sich davon einschränken zu lassen. Ebenso wenig waren sie bereit, einzuräumen oder die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass, selbst wenn die Ergebnisse von Rowe-Martin vollständig für den E. coli-Stamm, mit dem die Forscher tatsächlich gearbeitet hatten, gegolten hätten und selbst wenn die Ergebnisse alle durchweg positiv gewesen wären, sie immer noch irrelevant gewesen wären für das Genspleißen bei anderen Organismen, das eine gängige Praxis werden sollte. (118)

Das Schlüsselexperiment, das die Öffentlichkeit beruhigen sollte, schaffte das hauptsächlich dadurch, dass es nicht vollständig veröffentlicht wurde. Mit seinen geheim gehaltenen Schwächen konnten die Biotechnologie-Befürworter es weit über seinen wissenschaftlichen Wert hinaus ausschlachten. Sie beschwichtigten damit ungute Gefühle und sicherten sich damit die lockere Haltung in Regierungskreisen, hauptsächlich aber nutzten sie es, um die Forschungsbeschränkungen der NIH erheblich zu lockern und den zulässigen Umfang des Genspleißens erheblich zu erweitern. Genau wie sie die begrenzten Diskussionen in Falmouth und Ascot als die Biotechnologie allgemein betreffend dargestellt hatten, so strapazierten sie häufig auch die Relevanz des Rowe-Martin-Experiments weit über die legitimen Grenzen. Dabei beteuerten sie nicht nur, es habe die Sicherheit aller Formen rekombinanter Forschung demonstriert, sondern gelegentlich behaupteten sie sogar, es habe die Sicherheit der Gentechnologie als Ganzes nachgewiesen.

Und diese falschen Behauptungen gingen über drei Jahrzehnte so weiter. Eine davon fand sich mindestens bis November 2010 auf der Website von The National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) (dt. etwa Nationales Institut für Allergien und Infektionskrankheiten). Dieses Institut gehört zu den NIH und ist damit Teil der US-amerikanischen Regierung. Die Unwahrheit stand auf der Seite, auf der die Referenzen und Leistungen eines der altgedienten Laborchefs des Instituts aufgeführt waren, die von Dr. Malcolm Martin. Demnach ist davon auszugehen, dass er nicht nur mit dem Inhalt des Statements vertraut war, sondern dass er es geschrieben hatte. Und aufgrund des Respekt einflößenden Zusammenhangs hätte jeder, der die Details seines Experiments mit Wallace Rowe nicht gekannt hätte, annehmen müssen, dass das Statement korrekt war – das ohne jegliche Einschränkung offiziell erklärte, das Experiment „stellte die Sicherheit der rekombinanten DNA fest.“ (119)


Alles in allem waren die Behauptungen, die die rasche – und weitgehend unregulierte – Weiterentwicklung des Wagnisses Biotechnologie während ihrer ersten sieben Jahre begünstigten, eher politisch als wissenschaftlich; die Wissenschaftler, die diese Behauptungen machten, legten die engstirnige Einstellung einer typischen Interessenvertretung deutlicher an den Tag, als der Gemeinsinn herkömmlich mit dem wissenschaftlichen Streben in Verbindung bringt. Susan Wright drückt es so aus:

… die Weigerung des wissenschaftlichen Establishments in den USA, sichere experimentelle Beweise zu fordern, … und der Eifer, mit dem sich biomedizinische Forscher allgemein zusammentaten, um die öffentlichen Ergebnisse ihrer Brainstorming-Sitzungen als „neuen Beweis“ zu propagieren, lässt beides vermuten, dass das dringendste Anliegen … weder die öffentliche Sicherheit noch wissenschaftliche Strenge waren. Ja, die Geschichte der Debatte zeigt etwas völlig anderes: das Beharren der Forscher darauf, dass ihre Forschungsfreiheit Vorrang haben sollte vor den damit konkurrierenden Bedürfnissen der Allgemeinheit. (120)

Weil die Molekularbiologen in den folgenden Jahren ihre politische Macht festigten, erweiterte sich ihre Agenda und setzte sich zunehmend durch; und die Bedürfnisse der Allgemeinheit wurden weiterhin ignoriert.

Manipulierte Gene – Verdrehte Wahrheit

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