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Kapitel 8: Vertrauen
ОглавлениеEine gefühlte Ewigkeit steckte die Limousine im Feierabendverkehr mitten in Manhattan fest. Wenn es nicht angefangen hätte zu schneien und Marisa, so wie sonst auch immer, Pumps getragen hätte, sie wäre lieber zu Fuß gegangen, um den Alltag von sich abschütteln zu können. Die Müdigkeit ließ sie frösteln. Auch in New York war der Winter nicht angenehmer als in Hamburg und sie fror hier genauso wie dort. Sie schaute aus dem Seitenfenster hinaus. Der Schneefall hypnotisierte sie. Für einen Moment wollte sie an nichts denken, einfach abschalten und ausruhen. Ihr Blick war leer, doch plötzlich schob sich etwas in ihr Gesichtsfeld und sie war hellwach. Genau an dieser Stelle hatte sich vor ein paar Tagen eine Frau das Leben genommen.
Noch nie hatte Marisa über den Tod nachgedacht, doch nun wurde sie damit konfrontiert und überlegte, was die arme Frau angetrieben hatte, sich ausgerechnet vor ein fahrendes Fahrzeug zu werfen.
Sie dachte nicht nur an die Angehörigen der Frau, sondern auch an das zukünftige Leben des Fahrers. Wie konnte er mit der Schuld weiterleben, jemanden getötet zu haben? Dabei konnte er überhaupt nichts dafür.
Marisa musste den Blick von der Straße nehmen. Ein Schauer überflog sie und ließ sie noch mehr frösteln als ohnehin schon. Sie war müde und überarbeitet. Den Schlafmangel und die Zeitumstellung hatte sie ansatzweise überwunden und angenommen, dass es bald zurück nach Hause gehen würde.
Ihr war es im Grunde egal, wo sie sich aufhielt. Ein Gefühl von Heimat kannte sie nicht. Sie nahm an, dass es an den vielen Reisen mit Carl Fischer lag, dass sie sich selbst in Hamburg nicht heimisch fühlte. Ein weiterer Grund könnte der Tod ihrer Mutter sein. Auch wenn Marisa es nicht anders kannte, vermisste sie dennoch ihre Mutter, von der sie nichts weiter wusste. Es gab kaum Bilder und auch sonst nichts, was Marisa an sie erinnerte. Ihr Vater meinte, sie hätte wenig von ihrer Mutter geerbt, die, für eine Italienerin untypisch, so wundervolle blonde Haare gehabt hatte.
Ihr Vater würde ganz sicher vor Kummer sterben, sollte Marisa etwas zustoßen, so wie dieser armen Frau, die sich freiwillig das Leben genommen hatte. Marisa sorgte sich generell um die Gesundheit ihres Vaters, die in den letzten Jahren massiv abgebaut hatte. Manches Mal wirkte ihr Vater, obwohl er eigentlich noch so jung war, wie ein alter, gebrechlicher Mann. Nur aus diesem Grund wollte sie nicht länger als nötig auf Reisen bleiben.
Als sie die letzte Transaktion bei Sotheby’s abgeschlossen hatte, zufrieden mit sich war und auch ein bisschen stolz, hatte Carl Fischer jedoch einen neuen Auftrag für sie.
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„Ich habe mir überlegt“, sagte Carl Fischer bei einem Abendessen, zu dem sich auch Alex hatte überreden lassen, „dass es doch eine gute Idee wäre, hier eine Wohnung zu haben.“
„Super, Vater, das ist wirklich einmal ein guter Einfall. Ich liebe New York.“
Marisa wusste, dass es für sie unglaublich viel Arbeit bedeuten würde und eine Abreise damit in weite Ferne gerückt war.
„Und an was genau haben Sie gedacht?“, wollte sie wissen, dabei war ihr durchaus klar, dass Carl Fischer von ihr erwartete, dass sie wie immer seine Wünsche in seinen Gedanken lesen konnte.
Es war ihre Aufgabe, ein passendes Objekt zu finden und den bestmöglichen Preis auszuhandeln. Von Kunst verstand Marisa eine ganze Menge, aber von Immobilien und deren Erwerb hatte sie keine Ahnung. Schnell griff sie an ihren Anhänger, denn das Gefühl von Hilflosigkeit, gepaart mit Stress, machte sich in ihr breit.
„Marisa“, sagte Carl Fischer und sie wusste, dass damit alles gesagt war und er ihr keine weiteren Informationen würde zukommen lassen.
„Ich kann dir helfen“, sagte Alex, „das wird ein Spaß werden. Das ist noch viel besser als einfach nur Klamotten zu shoppen. Hey, was für eine super Idee. Jetzt kommt endlich Schwung in die Sache und wir bleiben noch etwas hier.“
‚Bitte nicht‘, dachte Marisa, denn Alex war mit Sicherheit alles andere als eine Hilfe.
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Marisa hatte den ganzen Tag damit zugebracht, sich mit diversen Immobilienmaklern zu treffen und zu versuchen, Alex davon abzuhalten, sich in diesem Stadium der Suche bereits einzumischen. Sie erklärte ihr, wie langweilig solche Treffen seien, man würde hauptsächlich über Geschäftliches sprechen und eben über Geld. Wenn es um so etwas Unwichtiges wie Finanzen ging, hatte Alex immer etwas sehr viel Besseres zu tun und plötzlich Termine, und sei es nur mit der Kosmetikerin.
Zum Glück hatte sie Benny kennengelernt, der ihr einen guten Tipp gegeben hatte, an wen sie sich wenden sollte und wer ihr bei der Suche am Besten würde helfen können.
Ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht, als sie an Benny dachte. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, auf seine Weise äußerst charmant, aber alles andere als aufdringlich. Das Allerbeste aber war, dass er niemals Interesse an Marisa haben würde. Auch wenn Alex ihr kein Wort glaubte, so war es doch ganz eindeutig, dass er schwul war.
Nach dem ersten Zusammentreffen mit ihm hatte sie ihn am nächsten Tag bereits wieder vergessen. Viel wichtigere Dinge belegten ihren Kopf und außerdem plagte sie üble Müdigkeit. Erst als sie ihn zufällig in einem Café traf, fiel ihr wieder ein, wie viel Spaß sie mit ihm gehabt hatte, und das, obwohl sie ihn eigentlich überhaupt nicht kannte.
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„Was machst du denn hier?“, fragte Benny und strahlte sie an.
Er kam auf sie zu, nahm sie in seine Arme und küsste sie links und rechts auf ihre Wange, als wären sie uralte Bekannte.
„Dasselbe könnte ich dich fragen?“
„Ich wohn’ hier in der Nähe und hol mir immer ‘nen Kaffee für’n Weg.“
„Das ist ja ein Zufall, ich wohne nämlich auch gleich um die Ecke.“
„Ach ne, das gibt’s doch gar nich’. Das nenn’ ich mal Schicksal. Darauf sollten wir unbedingt was trinken.“
„Benny, es ist noch früh am Morgen und ich muss arbeiten.“
„Klar, weiß ich doch. Ich dachte mehr an heut’ Abend. Haste schon was vor?“
Marisa hatte selbstverständlich schon etwas vor. Sie hatte Alex versprechen müssen, sich mehr um sie zu kümmern und sie nicht noch einen Abend allein in ihrem Appartement zu lassen. Auf der anderen Seite hatte sie überhaupt keine Lust, den Babysitter für eine Frau zu geben, die nur zwei Jahre jünger war als sie selbst, zumal sich Alex den ganzen Tag vergnügte, während sie arbeiten musste.
„Also, was is’?“, fragte Benny und nahm seinen Kaffee über den Tresen entgegen. „Mann, der is’ verdammt heiß.“
Auch Marisa wurde ein Becher gereicht und beide rückten von der Ausgabestelle ab, um den nächsten wartenden Kunden Platz zu machen.
„Ich habe eigentlich schon was vor.“
„Das is’ aber schade. Nich’ mal für’n Drink zwischendurch? Immerhin sind wir ja Nachbarn.“
„Mal sehen, was sich machen lässt.“
„Wie kann ich dich erreichen? Ich kann dir auch meine Nummer geben, wenn du willst. Dann rufste an, wenn du Zeit hast.“
„Nein, schon gut, sei nicht albern“, sagte Marisa und reicht ihm eine Visitenkarte.
„Danke, für dein Vertrauen.“
„Keine Ursache. Wäre wirklich nett, wenn wir uns heute noch mal sehen. Ich werde das Abendessen auf jeden Fall abkürzen.“
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Seitdem hatte sie Benny täglich getroffen. Jeden Morgen in dem Café, manchmal auf ein schnelles Mittagessen oder abends auf ein Glas Wein oder ein Bier in einer Kneipe um die Ecke. Am heutigen Tag hatte sie noch nichts von ihm gehört. Er gehörte irgendwie zum Alltag dazu und machte ihre Arbeit erträglich. Vor allem aber brachte er sie zum Lachen. Eine Ablenkung, nach der sie sich sehnte.
Die Wohnungssuche gestaltete sich schwieriger als angenommen, zumal Carl Fischer darauf bestand, dass Marisa sich nicht allein auf einen Makler verließ, so wie es ihr Benny geraten hatte. Daher hatte sie sich am Morgen mit einem getroffen, der überheblich war und sie wie eine Bittstellerin behandelte, als ob sie nicht über Mittel verfügen würde, um sich eine entsprechend große Wohnung kaufen zu können.
Der Makler, den Benny empfohlen hatte, war freundlich und hatte ihr zudem bereits einige sehr schöne Objekte gezeigt, unter anderem ein Penthouse mit einem atemberaubenden Blick über Manhattan. Wenn es nach Marisa gegangen wäre, sie hätte sofort zugeschlagen, wusste aber, dass sie Carl Fischer mindestens drei Wohnungen zeigen musste und alle sollten von ähnlicher Qualität sein. Aber wie sollte sie das Angebot dieses Penthouses steigern? Es war geradezu ein Schnäppchen und sie hätten den Kauf in wenigen Tagen abschließen und wieder nach Hause fahren können.
Das leichte Vibrieren ihres Telefons erschreckte Marisa. Sie war vollkommen in Gedanken versunken, und hatte versucht, sich erneut vom Schneefall ablenken zu lassen. Schnell zog sie das Telefon aus der Tasche. Für einen Moment wollte sie tatsächlich so tun, als hätte sie es nicht gehört. Carl Fischer als auch Alex wussten, dass sie es grundsätzlich stumm schaltete und ausschließlich den Vibrationsalarm als Signal nutzte. Zudem war sie nun im Feierabend, sie musste nicht mehr erreichbar sein.
In Sekunden wog sie ab, was passieren würde, sollte sie nicht abheben. Alex würde sie später wütend zur Rede stellen und sich beschweren, dass Marisa sie im Stich gelassen hatte. Auch Carl Fischer würde am nächsten Tag äußerst schlechte Laune haben, vor allem weil er genau wusste, dass er kein Recht hatte, Marisa vierundzwanzig Stunden in Anspruch zu nehmen, ihm es aber so gefallen würde, denn schließlich bezahlte er alles.
Daher sah Marisa beherzt auf das Display und stellte sich dem Unausweichlichen. Erleichtert nahm sie den Anruf entgegen.
„Hallo Benny, was für eine Freude“. Sofort hatte sie gute Laune.
„Hallo, meine Süße, ich kann nich’ so früh, tut mir leid, aber ich muss noch was erledigen.“
Es störte sie nicht, dass er sie äußerst freundschaftlich ansprach. Obwohl sie sich erst kurze Zeit kannten, war er ihr vertraut, als würde sie ihn schon sehr viel länger kennen. Auch wenn sie gern wieder nach Hause und zu ihrem Vater gefahren wäre, sie würde Benny doch sehr vermissen. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, in New York eine Wohnung zu haben. Da Carl Fischer grundsätzlich nichts ohne Marisa tat, würde sie ihn selbstverständlich auch nach New York begleiten müssen, wenn er in seiner Wohnung sein wollte.
„Wir werden uns heute doch noch sehen, oder?“
„Na klar, aber ich kann nich’ sagen, wann.“
Marisa verzog ihr Gesicht, ihre gute Laune war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Jetzt würde sie keine Ausrede haben und den Abend mit Alex verbringen müssen, die ihr noch immer nicht glaubte, dass Benny schwul war. In Alex’ Welt war es undenkbar, dass man nicht auf der Suche nach einem Mann sein konnte. Marisa hatte schon lange aufgegeben, sich um eine Beziehung zu kümmern. Mit der Liebe hatte sie abgeschlossen, nachdem sie sich als junge Frau unsterblich verliebte, ihre Gefühle jedoch nicht erwidert wurden, was sie in schweren Liebeskummer gestürzt hatte. Trotzdem träumte Marisa von der einen großen Liebe, schob diese Gedanken allerdings so schnell beiseite, wie sie gekommen waren. Denn eines hatte Marisa gelernt, Liebe war zu nichts weiter zu Gebrauchen, als Schmerzen zu verursachen.
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„Weißt du“, hatte Benny ein paar Tage nach ihrem ersten Treffen zu ihr gesagt, „du bist wie eine Schwester. Ich bin nämlich Einzelkind, weiß du?“
„Da haben wir ja noch etwas gemeinsam“, sagte Marisa und lachte.
In langen Gesprächen, in denen sie vollkommen die Zeit vergaß, hatten sie bereits festgestellt, dass sie ziemlich viele Gemeinsamkeiten hatten. Sie liebten beide die Berge, ganz egal, ob im Sommer zum Wandern oder im Winter zum Skilaufen. Sogar ihr Musikgeschmack war der Gleiche, worüber sie sich lange austauschten und sich teilweise sogar Lieder vorsangen, woraufhin Benny vorschlug, in eine Karaoke-Bar zu gehen, was Marisa jedoch für übertrieben hielt und sich nicht darauf einlassen wollte. Es war für Marisa so, als hätte sie einen alten Freund zufällig wiedergetroffen.
„Ich würd’ dir gern was erzählen“, sagte Benny.
„Nur zu. Um was geht es? Hast du Liebeskummer?“
„Woher weißt du das? Das is’ ja unglaublich.“
„Ich weiß auch nicht“, sie griff nach seiner Hand und drückte sie, „das war so ein Impuls.“
„Du bist echt toll“, seine Augen glänzten, als ob er anfangen würde zu weinen, „is’ total klasse, dass wir uns kennen.“
„Ja, ja, schon gut. Was ist nun, worum geht es?“
„Ich habe echt Liebeskummer und weiß nich’ weiter.“
Benny erzählte in aller Ausführlichkeit, wie er einen Mann kennengelernt hatte, der aber noch in einer Beziehung steckte, zudem auch noch zu einer Frau. Aber er sei sich sicher, meinte Benny, dass er schwul sei, immerhin hätten sie schon geknutscht. Benny hätte sich Hals über Kopf verliebt und war verzweifelt. Sollte er diesen Mann anrufen und ihm sagen, was er Benny bedeutete, oder sollte er ihn besser vergessen, was er einfach nicht konnte, er hätte es bereits versucht.
„Da kannste doch bestimmt helfen“, schloss Benny, „hast sicher mehr Ahnung als ich.“
„Also hör mal, du bist doch viel älter, also wärst du der, der Erfahrung haben sollte.“
„Ne, das täuscht. Ich bin zwar älter, hab’ aber absolut keine Peilung. Hab mich nie getraut, zu sagen, dass ich schwul bin und wollte das auch nich’ sein. Dann kam dieser Kerl um die Ecke und hat mich echt einfach umgehauen. Was soll ich denn nu’ machen?“
Marisa war gerührt durch das Vertrauen, dass er ihr entgegenbrachte.
„Ich fürchte, ich kann dir da wirklich nicht helfen. Mit Beziehungen und Liebe kenne ich mich leider nicht besonders gut aus.“
„Erzähl doch nix, eine Frau, die so toll aussieht …“
In Marisa stieg Hitze auf und sie wurde tatsächlich verlegen.
„Is’ echt noch schlimmer bei dir, oder?“, sagte Benny und nun war er es, der nach ihrer Hand griff.
„Es gab da nur einen einzigen Mann und den kann ich einfach nicht vergessen.“
„Erzähl schon.“
„Nein, das ist nicht der richtige Augenblick dafür.“
„Willste mich verarschen? Ich hab auch alles erzählt, jetzt bist du dran.“
„Tut mir leid, aber ich kann das ehrlich nicht. Es geht nicht gegen dich. Ich hab nur noch nie mit jemanden darüber gesprochen …“
„Los, mach schon, kannst mir echt vertrauen. Außerdem kenn ich den Kerl ja nich’, was kannste also verlieren? “
„Sei mir nicht böse, aber ich brauch noch ein wenig dafür. Wenn ich so weit bin, dann bist du der Erste, dem ich es erzählen werde.“
Zu ihrer Rettung klingelte sein Telefon. Sie wollte einfach nicht darüber reden und fühlte sich unwohl. Noch nie hatte sie sich jemanden anvertraut und so sollte es auch bleiben.
„Ja, mein Meister“, sprach Benny leise ins Telefon und drehte den Kopf etwas zur Seite. „Ja, selbstverständlich, mein Meister.“
Marisa sah sich im Restaurant um, nur, um nicht mit anhören zu müssen, wie Benny recht devot immer wieder „ja, mein Meister“ sagte. Sie kannte ihn bisher als selbstbewussten Menschen. Nun veränderte er seine Stimme und sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines verunsicherten kleinen Kindes. Natürlich wusste Marisa schon längst, dass Benny einen ähnlichen Job hatte wie sie. Ein Unterschied lag einzig darin, dass Marisa nicht nur persönliche Assistentin war, sondern zudem auch Vermögensverwalterin.
Endlich hatte Benny das Gespräch beendet und das Telefon zurück in die Jackentasche seines Anzugs gesteckt.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Marisa.
„Ja, klar.“
„Es machte den Eindruck, als gäbe es ein Problem.“
„Ne, ne, kein Problem. Denkst wohl, weil ich ihn mit ‚mein Meister‘ angesprochen hab …“
Marisa nickte mit dem Kopf. Das brachte sie schon wieder in Verlegenheit, denn im Grunde ging es sie überhaupt nichts an.
„Das is’ so’n Spaß zwischen meinem Chef und mir. Einmal, da hat er mich mitten in der Nacht angerufen und wollte von mir, dass ich ihm aus ‘nem Laden, der ‘ne Stunde Autofahrt weg war, ‘nen Saft hol’, sonst könnte er nich’ schlafen. Hab mich tierisch aufgeregt und ihn angebrüllt, er könne sich seinen scheiß Saft in den Arsch schieben, das würd’ ich mal gar nich’ machen.“
„Da warst du aber sehr mutig.“
„Ne, finde ich nich’. Ich muss mir nich’ alles gefallen lassen, bin ja nich’ sein Sklave.“
„Offensichtlich hat er dich nicht entlassen.“
„Wütend war er, aber das hat er sich dann doch nich’ getraut. Jetzt ärger ich ihn immer und sag’ ich ‚mein Meister‘. Das kann er nich’ ab.“
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Benny hatte mit diesem Gespräch eine alte Wunde aufgerissen, von der Marisa hoffte, sie ein für alle Mal vergessen zu haben. Sie war der Meinung, dass es besser sei, einfach nie mehr daran zu denken und damit auch den Schmerz einer unerfüllten Liebe zu verdrängen. Keinem einzigen Mann konnte sie die Liebe entgegen bringen, wie eben diesem einen.
Daher stürzte sie sich in die Arbeit. Die Reisen lenkten sie ab. Vielleicht war er auch der Grund, weshalb sie sich in Hamburg nicht wohlfühlte. Dort gab es immer einen Grund, um an ihn erinnert zu werden.
Und nun war sie weit entfernt von zu Hause und musste doch an ihn denken. Sie konnte es nicht verhindern, sie liebte ihn noch immer, und dieses Gefühl drohte sie zu ersticken. Dafür war sie sogar bereit, Benny zu hassen, denn er war der Grund, dass diese Sehnsucht wieder an ihr nagte. Sie vermisste diesen Mann so sehr, dass sie meinte, nicht eine Sekunde länger ohne ihn leben zu können.
Sie konnte Benny gut verstehen und was er durchmachte. Aber sie konnte es ihm nicht sagen und ihm erst recht keinen Rat geben. Denn es gab keine Lösung für das Problem. Wenn zwei Menschen aufeinander treffen und nur einer der beiden tiefe Gefühle entwickelte, kann man den anderen nicht dazu zwingen, diese zu erwidern.
Diese Erkenntnis war beinahe noch einmal so schlimm, wie die Tatsache, von diesem einen Menschen nicht geliebt zu werden.