Читать книгу Freiheit der Schmetterlinge - Susan Mennings - Страница 6
Kapitel 3: Reisende
Оглавление„Buchen Sie umgehend Flüge nach New York“, sagte Carl Fischer.
„Sicher“, sagte Marisa und machte sich Notizen in ihrem Laptop, „wann genau möchten Sie reisen?“
„Am besten noch heute, aber ich weiß, das wird so kurzfristig nicht möglich sein. Jedoch spätestens morgen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
„Um dann was genau in New York zu tun?“
„Lesen Sie keine Zeitung?“
Marisa hasste es, wenn Carl Fischer von ihr erwartete, seine Gedanken zu lesen, was sie nach den vielen Jahren in seinen Diensten teilweise durchaus vermochte. Sie kannte ihn besser als er sich selbst. Jede noch so kleine Marotte war ihr bekannt. Und daher wusste sie, dass es sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würde, so schnell einen Flug nach New York zu buchen, denn sie würde kaum die Zeit haben, alles zu seiner Zufriedenheit vorzubereiten. Es war fraglich, ob sie in New York das Zimmer würde reservieren können, was er grundsätzlich im Plaza belegte. Eine Alternative kam für Carl Fischer nicht in Frage. Wenn nicht alles exakt so geregelt war, wie er es sich vorstellte, konnte er noch unangenehmer werden als ohnehin schon. Das war etwas, was sich wohlhabende Menschen leisten konnten und dies auch taten.
Es war Carl Fischer komplett gleichgültig, ob er nett zu seinen Angestellten oder zu irgendwem war. Einmal hatte er sich dermaßen über den Geschäftsführer eines Restaurants echauffiert, dass er am nächsten Tag dem Inhaber ein Angebot unterbreitete, das über jeglicher finanzieller Vernunft lag und dieser es nicht ablehnen konnte, nur um diesen Geschäftsführer sofort zu entlassen und das Restaurant für immer zu schließen.
Marisa war damals schockiert über die Kaltblütigkeit ihres Arbeitgebers und sie wusste, sie würde sich niemals mit ihm anlegen wollen. Wer so viel Geld hatte, brauchte sich über zwischenmenschliche Beziehungen keine Gedanken zu machen. Weshalb seine Ehe mit einer reizenden Engländerin nach nur wenigen Jahren scheiterte und die beiden daraus resultierenden Kinder in ein Internat in Großbritannien geschickt wurden.
„Was haben Sie nur heute Morgen wieder in Ihrem hübschen Köpfchen. Gehen Sie doch einfach mal früher schlafen“, sagte Carl Fischer, da Marisa geschwiegen hatte.
Was hätte sie darauf auch sagen sollen, denn sie hatte keine Ahnung, was er meinen könnte und worum es ging. Obwohl sie selbstverständlich jeden Tag die Tagespresse studierte und ebenso keine relevante Nachrichtensendung im Fernsehen ausließ, um immer auf dem Laufenden zu sein. Noch bevor sie Schlafen ging, sah sie ein letztes Mal Nachrichten und am Morgen hörte sie keine Musik im Radio, sondern ließ sich von einem Nachrichtensender informieren.
„Haben Sie denn nicht davon gehört, dass Sotheby’s in New York einen Teil einer seltenen Kunstsammlung versteigert?“
„Doch sicher“, log Marisa, nur sehr schwach wollte sich vor ihrem inneren Auge eine Schlagzeile zeigen, „aber ich hatte angenommen, dass dies nicht für Sie in Frage kommt, denn immerhin handelt es sich um Kunst aus dem letzen und vorletzten Jahrhundert. Und ich glaube mich daran zu erinnern, dass die Herkunft noch fraglich war. Es seien Gemälde aufgetaucht, die als verschollen galten. Sie wissen schon, etwas, womit man nichts zu tun haben möchte.“
„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Seit wann sollten Sie über so etwas entscheiden?“
„Sicher, es geht mich nichts an. Entschuldigen Sie. Ich werde mich um alles Weitere kümmern.“
Ihr Blick richtet sich stur auf den Monitor ihres Laptops, sie rang mit ihrer Fassung, denn Carl Fischer schaffte es immer wieder, sie an den Rand ihrer Tränen zu bringen. Sie hatte in ihm immer so etwas wie einen reichen Onkel gesehen, der es gut mit ihr meinte und der sich um sie kümmerte. Sein Sohn und seine Tochter waren wie Geschwister für sie, denn sie selbst war Einzelkind. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt und ihr Vater wollte nicht noch einmal heiraten und blieb seither allein.
Schnell flogen ihre Finger über die Tasten. Sie wusste, dass sie, noch bevor sie in seinem Kontor angekommen waren, einen Flug reserviert haben musste, sonst würde er noch wesentlich ungehaltener werden.
Es herrschte Stille im Wagen, die durch die wenigen Geräusche, die von außen eindrangen, unterstrichen wurde. Das Schneetreiben wurde heftiger und der Wagen verlangsamte noch einmal das Tempo. Marisa war sich nicht sicher, ob es tatsächlich am Schnee lag, dass ihr Vater die Geschwindigkeit verringerte, oder ob er ihr die Möglichkeit geben wollte, den Auftrag, einen Flug und das Hotel zu buchen, rechtzeitig zu erfüllen.
Normalerweise telefonierte sie bei derart kurzfristigen Buchungen mit dem Hotel, um sicher zu gehen, das auch wirklich alles organisiert wurde, was ihr jetzt jedoch unmöglich war. Denn Carl Fischer hasste es, bei derlei unwichtigen Dingen anwesend zu sein, das langweilte ihn.
Er hatte das Licht seitlich in der Tür eingeschaltet, sich seine Zeitung genommen und war dahinter verschwunden. Auch hier war sich Marisa nicht sicher, ob er bemerkt hatte, dass er zu weit gegangen war und sie tief verletzt hatte und ihr damit quasi eine Art Rückzugsort schaffen wollte, damit sie in aller Ruhe arbeiten konnte, oder ob er sich so sehr über sie geärgert hatte, dass er sich ablenken musste, um sie nicht in Grund und Boden zu brüllen.
Ihr was es im Prinzip gleichgültig, denn sie war im Stress und das bereits um kurz nach sieben am Morgen. Der erste Kaffee hatte noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt das Koffein in ihre Blutbahn zu transportieren und sie damit ein wenig wacher werden zu lassen. Mit müden Augen und innerlich aufgewühlt durchforstete sie das Internet nach zeitlich günstigen Flügen.
Von Hamburg aus gab es keine Direktflüge nach New York. Carl Fischer hasste es, an einem Flughafen länger als nötig Aufenthalt zu haben, auch wenn er sich selbstverständlich in der Lounge der Erste-Klasse-Reisenden seine Zeit vertreiben konnte. Anfänglich genoss Marisa die Zeit in der Lounge. Sie fühlte sich privilegiert und fand die Annehmlichkeiten, die ihnen geboten wurden, mehr als angemessen. Aber sie konnte das Angebot kaum in Anspruch nehmen. Sie durfte keinen Champagner oder sonst eine Form des Alkohols zu sich nehmen. Carl Fischer erwartete von ihr, dass sie grundsätzlich zu einhundert Prozent ansprechbar blieb und alles für ihn erledigte, was erforderlich war. Selbst kulinarisch musste sie sich zurückhalten.
Einmal hatte sie sich gerade am Buffet bedient und es sich auf einem riesigen Ledersessel, in dem sie zu versinken drohte, gemütlich gemacht. Sie wusste, dass sie über eine Stunde Zeit hatten, bis sie ins Flugzeug steigen würden. Aber kaum hatte sie den ersten Bissen im Mund, bat Carl Fischer sie, noch etwas zu erledigen. Sie musste aufstehen und sogar die Lounge verlassen, um in einem zollfreien Geschäft eine bestimmte Sorte Whisky zu kaufen, ohne die Carl Fischer nicht reisen wollte, denn er genoss es jeden Abend sich vor dem Schlafengehen einen letzten Schlummertrunk zu genehmigen. Wenn er den nicht bekam, konnte er ungehalten werden und er wollte sich keinesfalls darauf einlassen, dass eben diese Sorte Whisky vor Ort eventuell nicht zu bekommen war.
Auch hier war sich Marisa nicht sicher, was dieser Auftrag bedeuten sollte. Denn zukünftig aß sie nichts mehr in der Lounge und wurde nie wieder losgeschickt, kurzfristig etwas zu besorgen. Was allerdings auch daran lag, dass sie nun grundsätzlich dafür sorgte, dass sein bevorzugter Whisky bereits im Hotelzimmer auf ihn wartete. Sie war darum bemüht, generell alles zu tun, was ihn zufriedenstellte und ihm keinen Grund gab, ihr gegenüber aufbrausend zu werden.
Erst wenn sie im Flugzeug waren, immerhin war Carl Fischer großzügig und sie durfte ebenfalls Erste-Klasse reisen, und sie sichergestellt hatte, das alles in bester Ordnung für ihn war, konnte sie sich entspannen, tatsächlich ein Glas Champagner trinken und sich den Annehmlichkeiten dieser Form des Reisens hingeben.
Marisa schaute aus dem Fenster. Sie waren erstaunlich gut vorangekommen. Die meisten Straßen in der Stadt waren geräumt und der Verkehr floss, wenn auch langsam, aber es gab keinen Stau. Sie erkannte im gelben Licht der Laternen den typischen roten Backstein der Gebäude des Kontorhausviertels und wusste, dass sie nur noch wenige Minuten haben würden. Erleichtert lehnte sie sich zurück.
„Morgen früh um acht Uhr fliegen wir nach Frankfurt.“
„Marisa …“, sagte Carl Fischer.
„Ja, ja, ich weiß, Sie bevorzugen die Lounge in London, aber wir haben in Frankfurt keine Zeit für die Lounge und werden uns beeilen müssen, um den Flug nach New York nicht zu verpassen, aber wir werden unter diesen Umständen bereits am frühen Mittag dort sein. Das Hotel ist gebucht. Erst einmal auf Weiteres, da ich nicht wusste, wie lange Sie gedenken dort zu bleiben.“
„Sehr gut, ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.“
Er hatte die Zeitung sorgsam zusammengefaltet, was einen geräuschvollen Klang im Wageninneren verbreitete und tätschelte ihren Arm. Mit einem freundlichen Lächeln nickte er zudem mit dem Kopf und Marisa war erleichtert.
„Bezüglich der Länge unseres Aufenthaltes kann ich noch nicht viel sagen, es kommt auf den Erfolg der Versteigerung an. Darum kümmern Sie sich bitte umgehend, sobald wir im Kontor sind.“
Carl Fischer bevorzugte diesen Ausdruck für sein Büro lediglich aus der alten Tradition seiner Familie, die seit Generationen einen Teil in einem der größeren Kontorhäuser besaß. Inzwischen hatte er sich deutlich verkleinert, denn im Prinzip gab es nur noch Marisa und ihn und ein paar wenige Angestellte, die im Grunde nur dafür da waren, um Carl Fischer das Leben angenehmer zu gestalten.
Die Kunstgegenstände, wie beispielsweise Gemälde, hingen an den Wänden seiner Villa, oder waren kostspielig eingelagert, damit sie unversehrt blieben, bis man sie mit hohem Gewinn wieder veräußerte. Manchmal gab Carl Fischer Leihgaben an Museen oder große Galerien. Aber in erster Linie sammelte er Kunst, um sich daran zu bereichern.
„Wenn es Sie nicht stört, würde ich mir in dem Fall ein Appartement nehmen“, sagte Marisa.
„Das geht nicht, was ist, wenn ich Sie brauche?“
„Ich werde immer in Ihrer Nähe sein. Aber Sie wissen, wie sehr ich Hotels hasse und wenn wir länger in New York bleiben, dann würde ich den Rahmen einer kleinen Wohnung bevorzugen.“
„Na, meinetwegen. Weil Sie sich jetzt nicht so blöd angestellt haben, werde ich es Ihnen erlauben.“
Marisa hatte keine Ahnung, warum er immer wieder diese spitzen Pfeile gegen sie schießen musste.