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Kapitel 10: Zufall

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Leise drehte Marisa den Schlüssel im Schloss und hoffte, unbemerkt die Wohnung betreten zu können. Kaum hatte sie sich den Mantel ausgezogen, wusste sie, dass sie es nicht erfolgreich geschafft hatte.

„Du warst aber heute verdammt lange unterwegs. Ich muss mal mit Vater reden, so geht das nicht, du arbeitest einfach zu viel. War es wenigstens erfolgreich?“, bombardierte Alex sie und war in den kleinen Flur getreten.

Marisa wich zurück bis an die Wand, an der die Garderobe hing. Ihren Körper drückte sie in ihren noch warmen Mantel und hätte sich gern darin versteckt. Vielleicht würde es etwas nützen, wenn sie die Augen schloss, vielleicht würde Alex dann ein Einsehen haben und verschwinden.

„Du musst mich morgen echt mal mitnehmen. Ich bin doch so gespannt auf die Wohnungen, die du bisher gefunden hast. Ehrlich, ich kann dir helfen, ich weiß ja schließlich, was er für Ansprüche hat. Da solltest du mir schon vertrauen.“

„Sicher“, sagte Marisa und ging zur Küchenzeile, um sich ein Glas Wasser zu holen.

„Trink nicht so viel, ich habe schon einen Tisch reserviert. Wir sind ohnehin schon spät dran. Du hättest gleich den Mantel anbehalten können.“

„Das ist nur Wasser. Darf ich vielleicht erst einmal zu mir kommen?“

„Jetzt sei doch nicht gleich wieder so genervt. Ich dachte, ich tu dir einen Gefallen und nehme dir zudem Arbeit ab, indem ich mal telefoniere und reserviere.“

„Du bist meine Heldin.“

„Danke, das wusste ich. Ich tu, was ich kann. Nun komm aber, wir müssen echt los.“

„Ich würde aber wirklich gern vorher noch duschen.“

„Dafür ist keine Zeit mehr. Da hättest du eben früher kommen müssen und nicht so lange bummeln dürfen. Ich habe dir bereits heute Morgen gesagt, wann ich essen will, da ich später noch verabredet bin.“

„Dass du noch ein Date hast, hast du wohl vergessen, mir zu sagen.“

„Sicher nicht, du hast es vor lauter Terminen wohl eher verschlampt. Na, macht ja nichts, ist nicht so schlimm. Nun aber hop, hop.“

Mit dem letzten Satz hatte sich Alex ihren Mantel gegriffen, den noch warmen von Marisa vom Haken genommen und ihr zugeworfen. Ohne darauf zu achten, ob Marisa ihn fangen konnte, war sie bereits aus der Wohnung getreten.

Das gesamte Abendessen über verstummte der Redefluss von Alex nicht. Ganz sicher würden jeden Moment Marisas Ohren anfangen zu bluten. Keine Minute länger konnte sie es ertragen. Ihr war danach, einfach mit dem Kopf auf der Tischplatte aufzuschlagen. Die Minuten vergingen wie Stunden. Es musste doch nun endlich bald so weit sein, dass sich Alex verabschiedete. Aber anstatt dass sie Anstalten machte, das Abendessen zu beenden, bestellte sie noch eine weitere Flasche Wein, die sie, ebenso wie die erste, würde allein trinken müssen, denn Marisa hatte sich angewöhnt, kaum Alkohol zu trinken. Die Erfahrung hatte ihr mehrmals gezeigt, dass es besser war, grundsätzlich einen klaren Kopf zu bewahren und erst recht, wenn sie mit Carl Fischer und dessen Tochter unterwegs war.

Marisa hoffte ebenso darauf, dass jeden Moment ihr Telefon in ihrer Tasche durch den Vibrationsalarm auf sich aufmerksam machen würde. Benny hätte sich schon längst melden müssen. Er hätte sie von dieser Quasseltasche befreien und ihr den restlichen Abend mit seinem Charme erträglich machen sollen. Wie schade, dass er offensichtlich so viel zu tun hatte.

„Und dann habe ich der Verkäuferin unmissverständlich klar gemacht, dass ich absolut keine Lust habe, mich länger von ihr verarschen zu lassen und wenn sie mich weiterhin mit ihrer Art nervte, würde sie schon sehen, wohin das führt …“ unvermittelt unterbrach sich Alex selbst und Marisa war froh über ein paar Sekunden Ruhe. „Da ist er ja endlich, du meine Güte, hat das lange gedauert.“

„Wer ist wo und was genau meinst du bitte?“, fragte Marisa und blickte sich in die Richtung um, in die Alex gesehen hatte.

Ruckartig schien jemand Marisa nicht nur den Stuhl, sondern den gesamten Boden unter den Füßen wegzuziehen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Ein Gefühl, als ob das Abendessen auf demselben Weg, wie es hineingekommen war, aus ihrem Körper entlassen werden wollte. Mühsam schluckte sie diese unangenehmen Empfindungen hinunter. Seit ihrer Jugend hatte sie diese nicht mehr gespürt und froh darum war.

Wie konnte Alex ihr das antun? In diesem Moment hasste Marisa sie dafür und wäre am liebsten aufgestanden, um das Restaurant zu verlassen. Sie hatte jedoch maximal Kraft, sich unter dem Tisch zu verkriechen. Selbst um sich auf der Toilette zu verstecken, fühlte sie sich zu schwach und hatte zudem den Eindruck ab der Hüfte abwärts gelähmt zu sein. Sie wollte gar nicht wissen, wie es dazu kommen konnte, dass er jeden Moment ihren Tisch erreicht haben würde. Sie wollte keine Geschichten von Alex hören, sie wollte eigentlich überhaupt nichts hören.

Doch dann stand er bereits vor ihnen. Alex war aufgesprungen, um ihm um den Hals zu fallen und ihn auf den Mund zu küssen. Marisa fasste kaum, was sie sah. Er ließ sich tatsächlich von ihr auf den Mund küssen. Wäre sie nicht absolut unfähig gewesen, irgendeine Gefühlsregung zu zeigen, sie hätte angefangen zu lachen. Das war doch alles eher ein Witz.

„Darf ich dir meinen neuen Freund vorstellen“, sagte Alex und Marisa glaubte, sich verhört zu haben.

Unmöglich konnte er ihr Freund sein.

„Nicht nötig“, brachte Marisa unter Schmerzen heraus.

Jeder einzelne Buchstabe durchbohrte ihr Herz. Ihr Vertrauen war zerstört. Niemals mehr wieder würde sie einem Mann glauben, was er sagte. Niemals, unter keinen Umständen. Das schwor sie sich in diesem Moment und sagte es sich in ihrem Inneren immer wieder vor, wie ein Mantra, das sie davor schützen sollte, weinend zusammenzubrechen.

„Das ja voll lustig“, sagte Benny, „wusste gar nich’ … echt ein Zufall, was? Unglaublich, wie klein die Welt is’.“

„Ihr kennt euch?“, fragte Alex.

„Als ob du das nicht wüsstest‘, dachte Marisa und wäre ihr am liebsten an die Gurgel gegangen.

Sie wusste, wozu Alex fähig war und dass sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Marisa jeden Mann wegnahm, nur allein aus dem Grund, weil sie es konnte. Es machte ihr Spaß. Wahrscheinlich dachte sie sich nichts dabei. Alex war in der Vergangenheit so unglaublich zuckersüß dabei gewesen und hatte Marisa am Ende sogar getröstet, wenn sie weinend und vor Liebeskummer und Enttäuschung auf ihrem Bett lag. Alex hatte ihr dann immer versichert, sie hätte bei den Kerlen nichts verpasst. Was wollte sie denn auch schon von einem, der sie so schnell für eine andere fallen lassen würde? Alex hätte ihr doch im Prinzip nur einen Gefallen getan, das müsse sie ihr glauben. Nichts anderes habe Alex im Sinn dabei gehabt.

Marisa sah Alex durchdringend an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, ob sie wirklich die Unschuldige war, die sie vorgab. Alex hatte wieder Platz genommen und nahm einen Schluck Wein, als wäre nichts dabei. Tatsächlich lag in ihrem Ausdruck ein großes Fragezeichen. Entweder hatte Alex ihre schauspielerischen Fähigkeiten verbessert, oder aber sie hatte tatsächlich keine Ahnung.

Dann war das alles Bennys Schuld. Wieso traf er sich mit einer anderen Frau, wenn er doch mit ihr verabredet gewesen war? Er hatte sie angelogen. Und das nicht nur am heutigen Abend.

„Ja“, sagte Marisa, „wir kennen uns. Willst du Alex nicht erzählen, wie wir uns kennengelernt haben?“

„Das is’ echt ‘ne verrückte Geschichte“, lachte Benny und setzte sich wie selbstverständlich zu ihnen an den Tisch und bestellte sich etwas zu trinken.

„Da bin ich jetzt aber gespannt“, sagte Marisa und Alex nickte.

Zum ersten Mal hatte Marisa den Eindruck, dass auch Alex auf einen Mann hereingefallen war. In dieser Reihenfolge war das bisher noch nie vorgekommen.

„Marisa“, sagte Benny, „erzähl du mal, schließlich hat dir dieser komische Kerl ein eindeutiges Angebot gemacht.“

Wieder lachte Benny und sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Sein gesamter Charme war ihm abhanden gekommen und Marisa fing an, sich vor ihm zu ekeln. Dieser einst liebenswerte Mann hatte Alex auf den Mund geküsst. Ein Schauer lief Marisa den Rücken hinunter und sie konnte ein leichtes Schütteln nicht unterdrücken.

„Wusstest du“, wandte sich Marisa an Alex, „dass Benny schwul ist?“

Jetzt schien Benny sich ein wenig unwohl zu fühlen, obwohl er noch immer ein Lächeln versuchte aufrecht zu erhalten, aber Marisa sah ihm an, wie es langsam in seinem Gesicht gefror.

„Ach, du bist also der …“, sagte Alex.

„Ja, genau der ist er. Benny ist der Mann, mit dem ich mich in den letzten Tagen immer wieder getroffen habe.“

„Na, das nenne ich wirklich einen Zufall“, sagte Alex und fing fürchterlich an zu lachen.

Ihr Lachen war weniger ansteckend, als irritierend. Was war daran so witzig? Bennys Gesicht entspannte sich etwas und mehr und mehr wurde sein Lächeln zu einem Lachen und am Ende lachte er mit Alex um die Wette, während Marisa neben ihnen saß und sich deplaziert fühlte.

„Dann ist es ja kein Wunder, dass wir uns auch über den Weg gelaufen sind. Marisa hat mir erzählt, dass ihr Bekannter gleich um die Ecke wohnt“, sagte Alex, noch immer lachend.

„Findest du das nicht merkwürdig?“, fragte Marisa.

„Nein, wieso? Das ist doch echt total witzig. Unglaublich finde ich das“, sagte Alex.

„Ja, das geht mir auch so“, sagte Marisa. „Erkläre mir nur bitte eines, warum hattest du heute für mich erst später Zeit?“

Sie sah Benny direkt in die Augen und versuchte zu ergründen, warum er sie angelogen und ihr Vertrauen derart missbraucht hatte.

„Was für eine selten dämliche Frage? Das siehst du doch“, sagte Alex, „er wollte sich vorher noch mit mir treffen.“

„Und wann genau wolltest du mich dann sehen?“

„Marisa, es is’ nich’ so, wie du denkst. Alex is’ ‘ne Freundin, genau wie du. Da is’ doch nix dabei. Außerdem bin ich dir keine Rechenschaft schuldig.“

„Stimmt, du hast recht. Vergiss es einfach.“ Marisa war aufgestanden und griff nach ihrer Tasche. „Ich geh dann mal und will euch bei eurem Date nicht weiter stören. Lass nur, Alex, die Rechnung übernehme ich.“

Noch bevor einer der beiden hätte etwas sagen können, war Marisa verschwunden.

So schnell es ging, rannte sie zum Empfang und bat dort, die Rechnung begleichen zu können. Sie rechnete damit, dass einer der beiden zu ihr kommen würde, um sich bei ihr zu entschuldigen. Aber nichts dergleichen passierte. Sie war sich nicht sicher, ob sie froh darüber sein sollte, oder noch mehr enttäuscht.

Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte sie endlich das Restaurant verlassen. Draußen war es eisig und ein ungemütlicher Wind fegte ihr ins Gesicht. Schnell zog sie ihren Schal enger und die Handschuhe an. Auch wenn sie, wie immer, nur ihre Pumps trug, dieses Mal würde sie den Weg zum Appartement zu Fuß nehmen.

Der Schmerz kalter Füße konnte nicht so schlimm sein, wie der, wieder einmal enttäuscht worden zu sein und dass Alex es nach so vielen Jahren noch immer schaffte, ihr einen Mann zu nehmen. Auch wenn sie von dem gar nichts gewollte hatte, so war Benny doch ihr Freund gewesen. Er war etwas, dass für sie allein bestimmt war. Und nun musste sie wieder einmal feststellen, dass sich nichts in ihrem Leben geändert hatte.

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