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Kapitel 15: Steve

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Dumpf drangen Geräusche der Nacht durch die geschlossenen Fenster. Die Stadt, die niemals schläft, schien für einen Moment etwas geruhsamer zu sein als sonst. Wildes Hupen wurde durch die Schneedecke gedämpft, ebenso wie die lauten Sirenen der Polizei oder Feuerwehr und die lästigen ohrenbetäubenden Signalhörner der Müllwagen, wenn sie rückwärts in eine Straße fuhren. Dicke Flocken schwebten am Fenster vorbei und wirkten wie gelbe Punkte, so dicht, dass man kaum die Häuser auf der anderen Straßenseite erkennen konnte.

Marisa hatte ihren Blick fest auf das Schneetreiben gerichtet. Normalerweise beruhigte sie das gleichmäßige Herabfallen von Wasser, ganz egal, ob es sich dabei um Regen oder Schnee handelte. Nun aber war sie aufgewühlt.

Alex hatte beschlossen, dass die Nacht noch zu jung sei, um ins Bett zu gehen und sich Benny gegriffen, der wenig dazu zu sagen hatte und irgendwie noch immer leicht benommen wirkte. Er wagte es, beim Abschied Marisa in seine Arme zu nehmen und sie fest an sich zu drücken. Für einen kurzen Moment flammten in Marisa Schmerzen auf. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er durch den Fleischwolf gedreht worden. Nachdem Benny sie losgelassen hatte, war alles wieder vorbei.

„Bist du mir noch böse?“, wollte er wissen.

„Nein, natürlich nicht. Ich habe dich sehr vermisst.“

„Dann bin ich noch dein Freund?“

„Sicher.“

Sie spürte eine große Erleichterung bei ihm, als hätte ihm jemand eine tonnenschwere Last genommen. Sofort streckte sich sein Rücken. Ein kleiner Teil des souveränen Bennys kam zum Vorschein.

„Dann sehen wir uns morgen?“

„Lass uns telefonieren, morgen ist der Notartermin und danach wird sicher gefeiert werden.“

„Das verstehe ich. Wir werden sehen.“

Er drückte ihr ein letztes Mal einen Kuss auf die Wange und verschwand mit Alex aus der Wohnung.

„Und dieser Benny ist dein Freund?“, fragte Steve und durchbrach damit die unerträgliche Stille.

„Nein, nicht so, wie du denkst.“

„Was denke ich denn?“

Steve hatte es sich neben ihr auf dem Sofa bequem gemacht. Er fühlte sich wie zu Hause, hatte die Schuhe ausgezogen und lag jetzt mehr, als dass er saß. Dafür, dass er eine lange Reise hinter sich hatte und mehr als 24 Stunden auf den Beinen war, sah er geradezu taufrisch aus. Ebenso wie sein Anzug, der keinerlei Spuren eines Langstreckenfluges aufwies. Marisa wunderte sich schon immer, wie Steve es schaffte, grundsätzlich wie ein Model aus einer Herrenausstatter-Werbung auszusehen.

„Benny ist schwul.“

„Und weiß Alex das?“

„Ja, ich habe es ihr erzählt und ich denke, auch Benny wird klargestellt haben, dass er kein Interesse an Frauen hat.“

„Aber irgendwie wirkte er auf mich auch nicht so, als würde er jetzt unbedingt auf Männer stehen.“

„Sein Coming-out ist noch nicht lange her.“

„Dann ist er also doch nicht richtig schwul?“

„Wie kann man denn nicht richtig schwul sein? Gibt es da ein Falsch oder Richtig?“

„Vielleicht ist er ja bi?“

„Weißt du was, das ist mir vollkommen egal. Er ist ein Freund, nichts weiter. Hast du ein Problem damit?“

Marisa wäre es recht gewesen, wenn Steve nun ihr Appartement verlassen hätte, damit sie ins Bett gehen und sich auf den morgigen Tag vorbereiten konnte. Ihn rauszuschmeißen, das traute sie sich dennoch nicht. Immerhin war er der Sohn von Carl Fischer, auch wenn er, ebenso wie Alex, eher wie ein Bruder für sie war.

„Nein, wieso sollte ich? Ich hatte nur den Eindruck, dass mit dem was nicht stimmt.“

„Wir hatten uns gestritten.“

„Siehst du.“

„Was soll das denn nun schon wieder bedeuten?“

„Wenn er so ein guter Freund ist, warum habt ihr euch denn dann gestritten?“

„Wieso sollten Freunde nicht auch mal anderer Meinung sein?“

„Sicher, warum nicht. Worum ging es denn?“

„Das geht dich gar nichts an.“

„Okay, ich verstehe, es war mal wieder Alex.“

Marisa sah Steve durchdringend an. Sie hatte vergessen, wie gut er seine Schwester kannte. Warum konnte er jetzt nicht einfach verschwinden?

„Bist du gar nicht müde?“

„Doch, sehr, aber du weißt ja, man soll dem Jetlag nicht nachgeben.“

„Wirst du bei deinem Vater im Hotel schlafen?“

„Nein, ich dachte, ich bleibe hier.“

„Das geht nicht.“

Jetzt erklärte sich der Umstand, dass er Gepäck bei sich hatte. Marisa hatte angenommen, dass er auf dem Weg ins Hotel zuerst bei seiner Schwester vorbei schauen wollte.

„Warum nicht?“

„Hier ist kein Platz mehr und bei deinem Vater im Hotel ist es doch sehr viel bequemer. Wir haben hier nur ein Bad und das ist mit zwei Frauen schon mehr als reichlich belegt.“

„Ich war schon bei Vater, aber ich mag keine Hotels und als er erzählte, dass du mit Alex ein Appartement hast, da dachte ich, das sei sehr viel lustiger.“

Was daran lustig hätte sein sollen, erschloss sich Marisa nicht. Es bedeutete für sie nur noch mehr Arbeit.

„Komm schon …“, sagte Steve und war dichter an Marisa herangerückt.

Automatisch spannte sich ihr Rücken bei seiner Berührung und sie lehnte sich etwas zurück, damit sich ihr Kopf von seinem Gesicht entfernte.

„Warum bist du überhaupt gekommen?“

„Das fragst du? Morgen ist der Notartermin.“

„Na und? Ich habe alles im Griff.“

„Das weiß ich doch, aber du weißt auch, dass es dabei um eine große Summe Geld geht.“

„Dein Vater vertraut mir.“

„Das ist schön. Aber ich halte es doch für besser, wenn auch ich einen Blick auf die Verträge werfe.“

„Also glaubst du, ich wüsste nicht, was ich tue?“

„Jetzt stell dich doch nicht gleich so an und sei beleidigt. Es geht hier nicht gegen dich. Du hast das alles perfekt organisiert. Sei doch froh, dass ich nun hier bin und dir damit die Verantwortung abnehme.“

Damit hatte er im Grunde recht. Das Immobilengeschäft war ihr fremd. Sie hatte davon keine Ahnung und sich vollkommen auf das Urteil des Maklers verlassen, den Benny ihr empfohlen hatte. Das Penthouse war ein absolutes Schnäppchen. Obwohl ihr zugegebenermaßen unwohl bei der Sache war, wenn ein Objekt so dermaßen unter Preis angeboten wurde. Irgendetwas konnte damit nicht stimmen. Vor allem, da es keinen anderen potentiellen Käufer für die Wohnung gab. Bisher hatte sie nur nicht herausfinden können, was es war.

Die Immobilie war in einem einwandfreien Zustand, sie bekam Einsicht in ein Gutachterprotokoll, dass erst vor Kurzem erstellt worden war. Vielleicht hatte es hier ein Gewaltverbrechen gegeben, weshalb sich niemand dafür interessierte, der aus den Staaten kam und unbelastete Ausländer hatten davon keine Ahnung. So gesehen war es geradezu perfekt, dass Steve die Transaktion abschließen wollte. Sollte sich später herausstellen, dass tatsächlich etwas nicht in Ordnung war, konnte man nicht Marisa die Schuld geben.

Dennoch fühlte sich Marisa nicht wohl, als ob Carl Fischer ihr nicht mehr vertrauen würde. Vor allem, wenn er hinter ihrem Rücken mit seinem Sohn darüber sprach und ihn um Hilfe bat, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen.

„Ehrlich“, setzte Steve nach, „als Vater mir davon erzählte, dachte ich, ich tu dir einen Gefallen, ich weiß doch, dass Immobilen nicht deine Kernkompetenz sind. Ich wollte nichts weiter, als dir einen Gefallen tun. Daher hab ich mich gleich in ein Flugzeug gesetzt und bin hergekommen. Meinst du, mir macht es Spaß, so kurzfristig alles stehen und liegen zu lassen?“

„Dann hat dein Vater …“

„Nein, das hat er nicht. Er vertraut dir blind. Du gehörst doch zur Familie, so wie Alex und ich. Auch wenn er das schlecht zeigen kann.“

Marisa wusste durchaus, dass sie auf eine spezielle Art dazugehörte und sie konnte das Verhalten von Carl Fischer gut einschätzen. Wobei sie sich weniger als Familienmitglied fühlte. Viel eher wie eine Gefangene, deren Leben komplett fremdbestimmt war. Niemand dachte daran, dass sie irgendwann vielleicht selbst eine Familie und einen Mann, der sie liebte, haben wollte.

„Kann ich nun hier bleiben? Ich nehm’ auch das Sofa. Das fühlt sich doch ganz bequem an. Ich könnte auch bei dir schlafen. Ich schwöre, ich werde dich nicht stören.“

Marisa war sich nicht sicher, welche ihrer Empfindungen siegen würde. Auf der einen Seite schockierte sie seine Bitte, dass es sie beinah lähmte, dann aber stieg Wut in ihr auf. Was bildete sich Steve eigentlich ein? Mit großen Augen sah sie ihn an. Als er nach ihrer Hand griff, hatte sie den Eindruck, als würde sie in ein endlos tiefes Loch fallen.

„Du kannst hier auf dem Sofa schlafen“, sagte sie mit matter Stimme, „aber ich fürchte, ich habe keine Bettwäsche mehr für dich.“

„Dann muss ich wohl doch eher bei dir schlafen.“

Steve grinste sie breit an.

„Nein“, ihre Stimme war plötzlich hellwach und etwas zu laut, „ich schau mal, vielleicht finde ich noch was im Schrank, da wo die Handtücher sind. Hier kommt alle zwei Tage eine Putzfrau und bringt frische Wäsche.“

Eine halbe Stunde später war das Sofa bezogen und Steve bekam sogar frische Handtücher. Es stellte sich heraus, dass der Schrank voll mit Wäsche war.

„Dann bis morgen“, sagte Steve, stellte sich dicht vor Marisa und sah ihr in die Augen. „Weckst du mich?“

„Sicher, natürlich mach ich das.“

Marisa wich einen Schritt zurück. Steve griff nach ihrer Hand und zog sie wieder zu sich, um ihr einen Kuss auf den Mund zu geben.

„Dann schlaf gut. Wird alles super laufen morgen, wirst sehen. Ich bin davon überzeugt, dass du alles perfekt gemacht hast. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Dann drehte er sich um und ließ sie allein vor dem Badezimmer stehen.

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