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Kapitel 6: Benny

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„Weißt du eigentlich, wie spät es inzwischen ist?“, fragte Alex, als Marisa gerade durch die Tür des Appartements in der Nähe des Central Parks in New York gekommen war.

„Nein, ich habe keine Ahnung und wüsste auch nicht, dass ich mich bei dir hätte abmelden müssen.“

„Ich hab mir doch Sorgen gemacht. Du hast mich immerhin den ganzen Tag allein gelassen.“

„Du wusstest, dass ich hier bin, um zu arbeiten. Ich hab dir gleich gesagt, dass ich für dich absolut keine Zeit haben werde. Außerdem wolltest du doch deinen Jetlag pflegen und dann noch etwas shoppen gehen.“

„Das hab ich ja auch. Nachdem ich den ganzen Nachmittag geschlafen habe, bin ich nun knallwach und hab Langeweile. Aber du hast es ja vorgezogen, die halbe Nacht weg zu bleiben.“

Marisa war alles andere als ausgeschlafen und wollte gar nicht darüber nachdenken, seit wie vielen Stunden sie inzwischen auf den Beinen war. Am Nachmittag war ihr danach gewesen, einfach die Augen zu schließen und in einen komatösen Schlaf zu fallen. Aber anstatt sich zu entspannen, wie es Alex tun konnte, musste sie arbeiten.

„Du weißt doch, dass man dem Schlaf nicht nachgeben soll in den ersten Tagen, sonst quält dich der Jetlag ewig“, sagte Marisa und hätte sich gern ins Bett gelegt, obwohl ihr klar war, dass sie viel zu aufgewühlt war, um in einen erholsamen Schlaf zu fallen.

„Ach, was soll’s, ist mir egal. Ich muss hier ja eh nicht arbeiten. Von daher …“

„Genau, du sagst es. Du bist hier, um Spaß zu haben und ich, um Geld zu verdienen. Hauptsächlich für deinen Vater und somit auch für dich, damit du shoppen gehen kannst.“

„Musst du mir immer ein schlechtes Gewissen einreden?“

„Entschuldige, das wollte ich nicht. Ich bin einfach nur kaputt und vollkommen überdreht.“

„Wenn du auch die halbe Nacht ausgehst. Wo warst du denn überhaupt so lange? Du wirst mir nicht erzählen, dass du so spät noch gearbeitet hast. Das, meine Liebe, würde selbst Vater nicht von dir verlangen. Und mit ihm warst du nicht essen, das wüsste ich, denn ich musste mich mit dem Alten treffen, da du ja unterwegs warst und er Langeweile hatte und nicht allein sein wollte.“

Marisa hatte sich aus der Küche ein Glas Wasser geholt und sich in einen Sessel im Wohnzimmer fallen lassen, der äußerst unbequem wirkte. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie sogar in ihm hätte schlafen können.

„Ich habe jemanden kennengelernt“, sagte Marisa und bedauerte augenblicklich, die Information mitgeteilt zu haben.

„Echt? Du gehst aber schnell ran, du meine Güte, so kenne ich dich gar nicht.“

Alex hatte sich ebenfalls in der kleinen Küchenzeile ein Getränk in ein Glas gegossen, mit dem Unterschied, dass die Flüssigkeit zwar durchsichtig aber hochprozentig war.

„Also los, erzähl schon, lass keine noch so peinliche Einzelheit aus. Was ist das für ein Kerl?“

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„Das ist ja wohl unglaublich unverschämt“, sagte Marisa ein wenig zu laut zu dem Mann, neben den sie sich gesetzt hatte.

Vor wenigen Stunden war sie angekommen, hatte Carl Fischer in sein Hotel begleitet, alle Formalitäten für ihn erledigt, war danach mit Alex in das Appartement gefahren, hatte zuvor in einem kleinen Laden an der Ecke angehalten und das Nötigste an Lebensmitteln eingekauft, was sie für die ersten Stunden brauchen würden, um sich danach zu der ersten Versteigerung bei Sotheby’s auf den Weg zu machen.

Sie war müde und zugleich aufgekratzt. Aufgeregt und doch durch den Schlafmangel wiederum gelassen. Außerdem vertraute sie auf ihren Instinkt und hatte pausenlos an den Anhänger ihrer Kette gegriffen, beinahe so, als könne sie sich daran festhalten und er verhindern, dass sie vornüber kippte und einschlief.

Der riesige Raum, in dem die Versteigerung stattfinden sollte, war überfüllt. Und obwohl sie angemeldet war und ein Platz für sie reserviert sein sollte, konnte sie diesen nicht finden und versuchte, einen freien ausfindig zu machen. Ein älterer Herr hatte ihr zugewunken, als ob sie alte Bekannte seien. Was gar nicht so unwahrscheinlich hätte sein können, aber Marisa konnte sich nicht erinnern, diesen Mann je zuvor gesehen zu haben. Aufgrund der Menschenmasse war sie allerdings dankbar, dass dieser Mann sie offensichtlich mit jemandem verwechselte und ihr einen Platz neben sich anbot.

Was er ihr aber sagte, kaum dass sie Platz genommen hatte, war so unglaublich, dass Marisa den Eindruck hatte, sich im Etablissement geirrt zu haben.

„Das war doch eine ganz normale Frage“, sagte der ältere Herr, der nicht so aussah, als würde er es nötig haben, Frauen für eine gewisse Dienstleistung bezahlen zu müssen.

„Sollte ich den Wachdienst informieren?“, fragte Marisa und war bereits dabei, aufzuspringen.

So etwas war ihr noch nie passiert. Sie sah doch nun wirklich nicht so aus, als ob man sie stundenweise für sexuelle Dienste kaufen konnte. Oder hatte sie ihn falsch verstanden? Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sie sprach akzentfrei Englisch, ebenso wie Italienisch, Französisch und Spanisch. Sie wusste nicht, aus welchem Grund es ihr dermaßen leicht fiel, eine Sprache zu lernen. In der Schule war es ihr verhältnismäßig schwer gefallen und Vokabeln konnte sie sich nie merken. Als sie das erste Mal mit Carl Fischer eine Auslandsreise unternehmen musste, flog ihr die Landessprache zu, als hätte sie über Nacht einen intensiven Sprachkurs einstudiert.

„Gibt’s hier ein Problem?“

Plötzlich stand ein weiterer Mann vor ihr. Er sah nicht so aus, als wäre er ein Angestellter von Sotheby’s, die alle mehr oder weniger die gleichen Anzüge trugen, was wie eine Art Uniform wirkte und doch keine war. Dieser Mann sah ungewöhnlich aus. Marisa konnte im ersten Moment nicht einschätzen, was sie von ihm zu halten und warum er sich eingemischt hatte. Ganz sicher würde er sich mit dem älteren Mann nicht schlagen wollen, denn unabhängig davon, dass man das in diesen Kreisen keinesfalls tat, war er viel kleiner. Zudem war er untersetzt und wirkte alles andere als sportlich.

Seine Erscheinung strahlte dennoch etwas Bestimmendes aus, als ob man ihm nicht widersprechen sollte. Er war nicht der Typ Mann, in den sich Marisa je verliebt hätte. Nicht nur, dass er gerade so groß war wie sie selbst, aus seinem rundlichen Gesicht sahen sie graue Augen an, in denen sie meinte etwas Verschlagenes zu sehen. Er hatte die Vierzig sicher weit überschritten, denn seine wenigen, dafür aber akkurat geschnittenen Haare waren bereits grau. Hätte er nicht einen farbigen Anzug getragen, er wäre ihr vollkommen grau erschienen.

„Ich hoffe nicht“, sagte Marisa, „Der Herr neben mir machte mir gerade ein eindeutiges Angebot.“

„So, mein Freundchen, für dich is’ die Veranstaltung vorbei“, sagte er und Marisa sah, dass sein Anzug in seinen Bewegungen lila schillerte.

Ohne weiter darauf einzugehen, erhob sich der ältere Mann, sah augenzwinkernd zu Marisa herunter und verschwand.

„Ich bin Benny“, sagte Marisas Retter und reichte ihr die Hand, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte.

„Marisa. Vielen Dank, das war sehr freundlich, sich für mich einzusetzen.“

„Das is’ doch klar. Eine so schicke Frau kann ich doch nich’ so einem alten Sack überlassen.“

Marisa zuckte innerlich zusammen. Auf der einen Seite wirkte Benny weltmännisch, dann aber sprach er so direkt aus, was er dachte und was unter keinen Umständen angemessen war.

Sie kamen nicht weiter, sich zu unterhalten, denn nun wurde die Versteigerung eröffnet und Marisa musste sich konzentrieren. Wie im Reflex griff sie an ihre Kette und rieb intensiv an dem Anhänger. Ihre gesamte Aufmerksamkeit lag auf den Kunstgegenständen und den anwesenden Menschen. Mit geübtem Blick beobachtete sie jeden einzelnen, um herauszubekommen, wo deren Schmerzgrenze im Bezug auf die Höhe der zu bietenden Summe lag und aufgrund dessen für Carl Fischer der besten Preis herauszuholen war. Einzig Bieter über das Telefon machten ihr Schwierigkeiten, weshalb sie erst recht keinen Gedanken mehr an Benny oder den Vorfall verschwenden konnte.

Nach zwei Stunden war sie vollkommen erledigt und wollte nur so schnell es ging in ihr Appartement, um sich auszuruhen.

„Gehen wir noch was trinken?“, fragte Benny, als sie kurz davor waren, das Auktionshaus zu verlassen.

„Warum eigentlich nicht“, sagte Marisa, die sich über ihre Antwort wunderte.

So schnell gab sie nie einem Mann nach und erst recht keinem, den sie nicht einschätzen konnte. Aber da sie sich nie in ihn verlieben würde, dachte sie, warum sich nicht mit ihm amüsieren, anstatt die nächsten Stunden für die Unterhaltung von Alex zu sorgen.

„Es wird noch einige Zeit dauern, ich muss hier einige Formalitäten erledigen.“

„Sicher, hast ja auch gute Geschäfte gemacht. Herzlichen Glückwunsch, da haste einige echt schöne Teile ergattert.“

„Wir werden sehen“, sagte Marisa.

Eines hatte sie in den Jahren gelernt: Niemals mit Fremden über die Arbeit sprechen. Die ging niemanden etwas an.

Eine Stunde später saß Marisa mit Benny in der Bar eines angesagten Restaurants, das er ausgesucht hatte. Marisa war es gleichgültig, wo sie mit ihm etwas trinken würde, hatte angenommen, er würde eine Kneipe in der Nähe vorschlagen. Um sie herum saßen Menschen, die gut gekleidet waren und der gesamte Raum füllte sich nicht nur mit lauter Unterhaltung, sondern mit der Ausstrahlung von Reichtum und überheblicher Arroganz.

Was dazu führte, dass Marisa sich unwohl fühlte. Dies war keine Umgebung, in der sie normalerweise ihre Freizeit verbrachte. Auch wenn sie es sich leisten konnte, gab sie nur ungern derart viel Geld für Essen oder Getränke aus.

Es missfiel ihr, unnötig viel für etwas zu bezahlen, was man auch sehr viel günstiger haben konnte. Daher wollte sie auch lieber in einem Appartement wohnen als in einem luxuriösen Hotel. Auch wenn sie sich keine Gedanken über die Kosten machen musste, denn alle Spesen wurden von Carl Fischer übernommen und er bestand ohnehin darauf, sich in entsprechenden Restaurants und Bars aufzuhalten.

Dennoch, diese Form von Luxus betrachtete sie als rein geschäftlich, in ihrem Privatleben wollte sie davon nichts wissen und zog es vor, wie alle anderen Menschen zu leben.

--

„Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, sagte Alex und hatte ihr Glas bereits geleert.

„Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Wir haben erst etwas getrunken und dann später zu Abend gegessen.“

„Und er hat dich selbstverständlich eingeladen.“

„Für ihn war das wohl selbstverständlich zu bezahlen. Obwohl ich das nicht mag. Wie du weißt, ich zahle lieber selbst.“

„Was du nicht tun solltest. Ich sag es dir immer wieder. Du kannst aus den Kerlen viel mehr herausholen, als du ahnst.“

„Als ob du das nötig hättest?“

„Nur so kann ich doch erkennen, ob es ein Mann ernst mit mir meint. Wenn er nicht mal bereit ist, die Zeche zu zahlen, dann wird das eh nix werden.“

„Du musst es ja wissen“, sagte Marisa und leerte das Glas Wasser, um es daraufhin vor sich auf den Tisch zu stellen.

„Vertrau da einfach auf meine Erfahrung. Wirst du ihn denn wiedersehen?“

„Weiß nicht … ja wahrscheinlich, er war nett.“

„Nur nett?“

„Er ist nicht mein Typ.“

„Wenn du ihn nicht willst, vielleicht wäre es dann einer für mich.“

„Das glaube ich weniger.“

„Woher willst du das wissen’?“

„Da kannst du jetzt mir vertrauen, den wirst du nicht wollen.“

„Aber vielleicht will er ja mich und ein kleines Abenteuer wäre jetzt genau das Richtige.“

„Nein, dieses Mal wirst du keinen Erfolg haben.“

„Komm schon …“

„Er ist schwul.“

„Das sagst du doch jetzt nur, damit ich ihn nicht bekomme.“

Marisa wusste, dass es genau anders herum war. Besonders viel Erfahrung hatte sie bisher nicht mit Männern machen können, hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung. Was sie allerdings auch nicht weiter störte. Dafür hatte sie ohnehin keine Zeit. Manchmal sehnte sie sich zwar durchaus nach einem Mann, vor allem, wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag und zuvor im Fernsehen einen Liebesfilm gesehen hatte. Viel mehr als an Sex dachte sie daran, wie schön es sein musste, geliebt zu werden.

Marisa hatte es aufgegeben, sich zu verlieben, nachdem ihr jedes Mal Alex in die Quere gekommen war. Sie wusste, dass sie gegen Alex keine Chance hatte, die so viel besser aussah als sie und über so viel mehr Charme verfügte und Reichtum, der es schaffte, dass alle Männer blind wurden. Im Gegensatz dazu hatte Marisa nichts zu bieten. Sie war sexuell unerfahren. Schon allein aus dem Grund würde sich nie einen Mann länger an sie binden.

Immer wenn sich doch ein Mann mit ihr einlassen wollte, traf er früher oder später auf Alex und die setzte alles daran, um herauszufinden, ob sie noch attraktiv genug war, um jeden Mann um den Finger zu wickeln. Meist mit Erfolg. Marisa war anfänglich wütend und weinte viel. Sie fing an, Alex zu hassen und wollte sogar ihren Job kündigen und die Stadt verlassen, um endlich frei zu sein. In dem Fall hätte sie jedoch ihren Vater allein lassen müssen, der über die Jahre immer mehr mit seiner Gesundheit zu kämpfen hatte, und da Marisa nur ihn als Familie hatte, wollte sie, so lange es ging, in seiner Nähe sein.

Darum machte sie ihren Frieden mit der Situation und versuchte, Alex zu nehmen, wie sie war. Manchmal hatte sie sogar Mitleid mit ihr, denn sie war ebenso einsam wie sie. Nur mit dem Unterschied, dass Marisa sich ihr Schicksal selbst gewählt hatte und Alex verzweifelt auf der Suche nach einem Ehemann war.

Und eines wusste Marisa, es gab einen Mann, den würde Alex ihr nie nehmen. Das ließ sie die einsamen Nächte besser überstehen und ihr gegenüber noch gelassener werden.

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