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Kapitel 12: Schmerzen
ОглавлениеSein gesamtes Leben über bedauerte er seine erbärmliche Existenz. In dem Moment, als Benny in der Lage war zu denken, erkannte er, dass es ihn schlimmer getroffen hatte, als die Kinder in seinem Umfeld. Nicht, dass es nicht zum Alltag vieler Menschen in dieser Gegend dazu gehörte, mit häuslicher Gewalt zu leben. Ein gewisses Maß an Gewaltbereitschaft war alltäglich und für das Überleben einfach wichtig. Auch das hatte Benny früh erkennen und lernen müssen.
Nichtsdestotrotz schien er es besonders schlimm getroffen zu haben, denn er bekam Prügel von beiden Elternteilen. Alle seine Freunde hatten immerhin das Glück, meist von ihrer Mutter in irgendeiner Form beschützt zu werden und sei es nur, dass sie am Ende die Wunden pflegte und sich schützend vor ihre Kinder stellte, sollte jemand fragen, woher die blauen Flecke stammten.
Benny wusste, dass auf ihn eine noch größere Tracht Prügel warten würde, hätte er es gewagt jemanden davon zu erzählen. Das waren Familienangelegenheiten, die niemanden etwas angingen.
Irgendwann fügte sich Benny in sein Schicksal und in eine steile Drogenkarriere. Nachdem er ein mittelmäßig erfolgreicher Kleinkrimineller geworden war, hatte er tatsächlich Glück und fand einen Job in einem heruntergekommen Hotel, in das sich lediglich Menschen verirrten, die im Prinzip noch ärmer dran waren als er.
Obwohl Prostitution verboten war, wurde das Hotel beinah ausschließlich dafür genutzt. Er sollte es dulden und den entsprechend hohen Zimmerpreis dafür eintreiben. Zudem war es seine Aufgabe, darauf zu achten, dass sich keine Bullen in Zivil hierher verirrten. Er hatte einen ziemlich guten Riecher dafür, hatte er doch selbst jahrelang Erfahrung mit dieser Art von Gesetzeshütern machen müssen.
Ihm machte es nichts aus an einer Rezeption zu sitzen, die etwas von einer Gefängniszelle hatte. Es handelte sich hierbei eher um einen Verschlag mit einem Loch in der Mitte, das gerade so groß war, dass er erkennen konnte, wer etwas von ihm wollte. Einzig ein etwa zwanzig Zentimeter große Aussparung der Gitter diente zur Übergabe von Geldscheinen und der Bettwäsche sowie Handtücher, die man wahlweise mieten konnte.
Eines Tages stand ein Mann vor ihm, der sich offensichtlich verirrt haben musste, denn er wollte für mehr als lediglich ein paar Stunden bleiben. Männer seines Kalibers kamen ausschließlich in weiblicher Begleitung und vor allem überließen sie es den Damen, sich um die Anmietung des Zimmers zu kümmern. Eindeutig wusste der Mann nicht, wo er sich befand, sonst hätte er sicher schnell das Weite gesucht. Ganz sicher würde der Mann diese Nacht nicht lebend überstehen. Wenn es gut für ihn lief, kam er mit dem Leben davon, aber um seine Habe erleichtert.
Es stellte sich heraus, dass Benny abermals Glück hatte. Seinen Job in dem miesen Hotel hatte er gekündigt und arbeitete ausschließlich für den Meister, der ihn nicht nur neu eingekleidet hatte. Benny hatte sich vollkommen verändert. Er ging regelmäßig zum Frisör und ließ sich dort nicht nur die Haare schneiden, auch seine Finger sahen seither sauber und ordentlich aus. Zu seinem Erscheinungsbild gehörte nun ein gepflegter Anzug, der immer etwas Extravagantes hatte. Das sollte seine Tarnung unterstreichen. Zudem trug er Schuhe, für die er in seinem früheren Leben mehr als ein Monatsgehalt hätte zahlen müssen.
Seinen Drogenkonsum stellte er komplett ein, aß dafür regelmäßig, was seinen Teint rosiger wirken ließ. Er schlief in seidenen Laken und der Blick aus seinem Zimmer war atemberaubend. Vor ihm lag Manhattan. Jeden Abend stand er am Fenster und genoss das nächtliche Lichtermeer. In diesen Momenten konnte er kaum glauben, was für ein Glück er hatte, dem Meister begegnet zu sein.
Dieses Gefühl von Zufriedenheit währte jedoch nie lange. Spätestens wenn er dem Meister gefügig sein musste, verabscheute er sein Schicksal. Gerade jetzt, in diesem Moment wünschte Benny, er wäre als Kind von seinem Vater zu Tode geprügelt worden.
„Ja, mein Meister“, sagte er zum wiederholten Mal.
Er hatte sich abgeduckt und erwartete nun, die Schmerzen seines Lebens ertragen zu müssen. Dabei würde es ganz sicher keine körperliche Gewalt geben. Seine Arme hatte er hinter dem Rücken gekreuzt. Krampfhaft hielt er sie zusammen, so, dass es in seinen Schultergelenken bereits knackte. Aber diese Schmerzen waren nichts im Vergleich zu dem, was er ertragen musste, sollte der Meister ihn am Unterarm oder der Hand berühren.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, schrie der Meister ihn an.
Immer und immer wieder hatte er Benny diese Frage gestellt und Benny hatte sich geweigert, zu antworten.
„Wenn ich nicht bald eine Antwort bekomme, weißt du, was dir blühen wird?“
„Ja, mein Meister, ich weiß“, Bennys Stimme glich einem Wispern.
„Also, was hast du mir dazu zu sagen?“
„Ich hatte die Idee, dass sie mir dadurch noch mehr vertraut. Heißt es nich’, man soll sich die beste Freundin auf seine Seite ziehen?“
„Du Schwachkopf. Du hast alles zerstört. Wie soll ich jetzt meinen Plan umsetzen? Kannst du mir das mal erklären?“
„Ich werde alles wieder gut machen, mein Meister, das verspreche ich.“
„Und wie willst du das anstellen? Sie redet nicht mehr mit dir und will dich offensichtlich nie wieder sehen.“
„Frauen lieben Entschuldigungen. Ich werde das in Ordnung bringen, ganz bestimmt, ihr müsst mir nix tun, so wie den Frauen, die ich euch besorge.“
Benny dachte an die vielen armen Frauen, die den Meister voller Vertrauen begleitet hatten. Er hatte keine Ahnung, was genau der Meister mit ihnen anstellte, er nahm an, dass es um Sex ging, dabei waren die Frauen grundsätzlich keine Prostituierten und vollkommen unbefangen. Teilweise fand Benny sie sogar recht nett. Wie diese eine, die sich von ihm hatte schlagen lassen, was ihm durchaus gefallen hatte, aber dass sie sich unmittelbar danach das Leben nahm, zudem auch noch direkt vor dem Haus, das hatte Benny doch sehr beschäftigt. So ein harter Kerl, wie er vorgab und vor allem, wie er selbst von sich dachte, war er bei weitem nicht.
Und jetzt, wo er annahm, er würde jeden Moment ins Land der Schmerzen geschickt werden, da fühlte er sich alles andere als stark. Er fühlte sich wie der kleine Junge, der vor seinem Vater gestanden hatte und darauf wartete, dass der seinen Ledergürtel aus der Hose zog, um ihm damit auf die blanke Haut seines Rückens zu schlagen, seine Mutter ihren Mann dabei anfeuernd.
„Du wirst mir als Strafe heute noch eine Frau suchen. Sie sollte besser sein, als alles, was ich bisher hatte. Mich langweilt es inzwischen. Gibt es denn da draußen keine mehr, die mich überraschen kann?“
„Sicher, Meister, ich werde dir eine Professionelle holen.“
„Nein, ich will etwas Unschuldiges. Ich muss mich schließlich vorbereiten. Glaubst du, ich mach das alles nur zum Spaß?“
Benny hatte keine Ahnung, was genau den Meister antrieb. Es war ihm auch vollkommen gleichgültig. Er wusste nur das eine: Er war ihm ausgeliefert bis an sein Lebensende.
Manchmal dachte Benny daran, dass der Weg eines Freitodes nichts Schlechtes sei. Die Frauen, die vom Meister berührt wurden, waren verändert, wenn sie von ihm gingen. Nicht alle suchten danach die Erlösung im Selbstmord. Benny hatte heimlich versucht, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, um mit ihnen über das Erlebte zu sprechen, denn nur sie wussten, was er durchmachen musste. Vielleicht hätte er das alles dann leichter ertragen.
Aber zu einem Zusamentreffen kam es nie. Denn wenn sich die Frauen nicht umbrachten, drehten sie nach kürzester Zeit vollkommen durch. Teilweise las man sogar in der Zeitung von ihnen. Gern mit einem Kommentar eines Nachbarn, der überhaupt nicht verstand, was in die Frau gefahren sein könnte, sie sei bisher immer eher unscheinbar und vor allem immer sehr nett gewesen.
Einmal war Benny einer Frau sogar bis in eine Klinik gefolgt, wagte es dann jedoch nicht hineinzugehen, obwohl er sich selbst gern eingewiesen hätte. Aber er wusste, dass es nur einen Weg gab, dem Meister zu entkommen. Doch der hatte ihn soweit unter Kontrolle, dass Benny nicht in der Lage war, sich etwas anzutun.
Abgesehen davon gab ihm der Meister etwas zurück. Es waren nicht nur Schmerzen, die er hervorrufen konnte. Und das war etwas, was wie eine Droge wirkte, ohne die Benny nicht mehr leben wollte. Eine Droge ohne Nebenwirkungen. Es machte ihn für einen Moment tatsächlich stark und ließ ihn Dinge tun, zu denen er sonst nie fähig gewesen wäre.
Wie hätte er es sonst schaffen sollen, fremde Frauen anzusprechen und vor allem, sich das Vertrauen von Marisa zu erarbeiten, dass er mit einer Dummheit verloren hatte. Dabei war er davon ausgegangen, dass es eine gute Idee war, sich mit Alex anzufreunden. Zudem wäre Alex genau die Art Frau, die dem Meister gefallen könnte. So nahm er an, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Aber alles was dabei herauskam, war ein Wutanfall des Meisters.