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Kapitel 4: Alex
ОглавлениеSeit geraumer Zeit saß Marisa an ihrem Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm ihres Rechners. Sie hatte schnell herausfinden können, welche Kunstgegenstände bei Sotheby’s versteigert wurden. Nicht nur das, sie wusste zudem alle Termine und hatte sich bereits angemeldet. So wie immer, würde sie allein dort erscheinen. Carl Fischer gab sich mit diesen Dingen nicht ab. Das war für ihn Arbeit und für Arbeit hatte man Angestellte. Es machte ihm nicht einmal Freude, sich die Kunst vorher anzusehen, denn es war ihm komplett egal. Er vertraute auf Marisas Urteilsvermögen, die sich sehr viel besser in all dem auskannte als er. Bisher hatte sie ihn diesbezüglich noch nie enttäuscht.
Nun war sie kurz davor zu verzweifeln. All diese Kunstgegenstände, vor allem Gemälde, waren ihr unbekannt. Sie wusste deren Wert nicht einzuschätzen und wusste daher nicht, wann sie aufhören sollte, dafür zu bieten. Obwohl sie annahm, dass es wohl keine Rolle spielte und sie auf jeden Fall nach einem Jahr das Doppelte dafür bekommen würde.
Außerdem beunruhigte es sie, dass sie kaum Zeit hatte, sich mental auf die Versteigerung einzustellen. In der Vergangenheit hatte sie es sich zum Ritual gemacht, eine gewisse Zeit vor der Versteigerung das Auktionshaus zu besuchen und sich mit Angestellten zu unterhalten, sich die Kunst anzusehen, eventuell mit einem Künstler zu sprechen und, wenn es besonders gut lief, konnte sie bereits im Vorfeld herausfinden, wer außer ihr zur Versteigerung kommen würde.
Eine ihrer Stärken lag darin, Menschen einzuschätzen, zu wissen, wann der Punkt gekommen, beziehungsweise die Schmerzgrenze erreicht war, und derjenige aufhören würde, weiter zu bieten. Wenn sie die Möglichkeit hatte, mit ihren Konkurrenten zu sprechen, war sie sogar in der Lage, diese derart zu beeinflussen, dass manche die Auktion im Vorfeld verließen.
Für all das würde sie keine Zeit haben, und das setzte sie erneut an diesem Vormittag in einen Stresszustand, den sie wie kaum etwas anderes verabscheute. Sie war grundsätzlich die Ruhe selbst und wollte sich diese auch nicht nehmen lassen. Nun saß sie an ihrem Schreibtisch, starrte auf den Monitor und merkte, wie langsam ein wenig Panik in ihr hochkroch. Seit geraumer Zeit rieb sie an ihrem Anhänger, den sie grundsätzlich an einer Kette um ihren Hals trug. Sie besaß kaum Schmuck und machte sich erst recht nichts daraus.
Wozu auch? Diese Kette, beziehungsweise der Anhänger daran, war ihr Ein und Alles. Er war alles, was ihr von ihrer Mutter geblieben war.
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An ihrem achtzehnten Geburtstag überreichte ihr Vater ihr in einer alten abgewetzten Schachtel ein Schmuckstück, was im Grunde eher billig anmutete. Die Silberkette war angelaufen und der Anhänger sah geradezu schäbig aus. Ein kleiner Stein, der wirkte, als wäre er verstaubt, oder man hätte ihn gerade aus der Erde gezogen. Sie nahm ihn in die Hand und versuchte herauszufinden, was er darstellen sollte.
„Sei vorsichtig damit“, hatte ihr Vater gesagt, „er ist etwas ganz besonderes und deine Mutter wollte, dass du ihn bekommst, wenn du achtzehn wirst. Vorher, meinte sie, würde er nicht die Kraft entwickeln.“
„Was soll das bedeuten?“
„Keine Ahnung, für deine Mutter war er wichtig. Er war alles, was ihr aus ihrer Heimat geblieben war.“
„Möchtest du jetzt mit mir darüber sprechen, woher sie kam?“
„Du weißt doch, ich habe sie in Italien kennengelernt und mehr weiß ich auch nicht.“
„Ja, ja, sie hatte Schwierigkeiten mit ihren Eltern und ist abgehauen, direkt in deine Arme. Liebe auf den ersten Blick und so …“
Auf einmal veränderte der Stein in ihrer Hand die Farbe und sah sehr viel edler aus als zuvor. Er fing an zu glitzern und schillerte in wunderschönen Farben. Als er warm in ihrer Hand wurde, ließ sie ihn vor lauter Schreck zurück in die Schachtel fallen.
„Was ist das?“, fragte sie leicht verängstigt.
„Es ist eben ein besonderer Stein, er soll dir Kraft geben, mit dem Leben fertig zu werden. Ist wahrscheinlich nichts weiter als so ein Aberglaube, aber deine Mutter hat daran geglaubt.“
Der Stein hatte wieder seine Ursprungsfarbe angenommen und wirkte unscheinbar in der Verpackung. In dem Moment, als Marisa ihn wieder in die Hand nahm, veränderte er erneut sein Aussehen. Jetzt erkannte Marisa, dass es sich um die Form eines Schmetterlings handelte. Es erinnerte sie an etwas, aber ihr wollte nicht einfallen, woran. Und es erschien ihr nicht wichtig, daher vergaß sie den Gedanken so schnell wie er gekommen war.
Ihr Vater nahm ihr die Kette ab und legte sie ihr um den Hals. Augenblick wurde ihr warm. Eine angenehme Wärme, die durch ihren Körper floss. Sie fühlte sich wohl und hatte den Eindruck, als würde ihre Mutter, die sie nur von wenigen Fotos kannte, in der Nähe sein.
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Jedes Mal, wenn sie eine knifflige Aufgabe zu bewältigen hatte, nahm sie den Anhänger in ihre Hand und rieb daran, bis er warm wurde. Sofort hatte sie dieses gute Gefühl, als würde sie von ihrer Mutter beschützt werden und diese ihr sagen, was zu tun sei. Die Bewegung war zu einem Ritual geworden und sie bemerkte nicht einmal mehr, wenn sie es tat.
So wie an diesem Januarvormittag, der sie bisher so sehr unter Druck gesetzt hatte und an dem ihr nicht einfallen wollte, wie sie mit der Aufgabe, einige Kunstgegenstände zu ersteigern, fertig werden sollte.
„Buchst du mir auch einen Flug?“
Zu allem Überfluss betrat Alex, die Tochter von Carl Fischer, ihr Büro.
Sie mochte die kleine Schwester von Steve, Carl Fischers Sohn, der fünf Jahre älter war als Marisa. Und obwohl Alex nur zwei Jahre jünger war als sie, wirkte sie grundsätzlich wie ein kleines, hilfloses Kind. Durch ihren zierlichen Körperbau wirkte sie verletzlich und jeder hatte das Bedürfnis, sie zu beschützen.
Auch wenn sie nicht verwandt waren, so fühlte sich Marisa doch ein wenig verantwortlich für Alex. Jedes Mal, wenn Marisa in ihr Gesicht sah, erkannte sie Carl Fischer darin und konnte sich denken, dass er als junger Mann sicher reihenweise die Herzen der Frauen gebrochen hatte.
Trotz des eher kantigen Kinns und der beinahe harten Gesichtszüge hatte Alex etwas Gütiges in ihrem Ausdruck. Ihre Wimpern waren lang und weich geschwungen und wenn sie einen ansah, dabei ihre Augen schloss und langsam wieder öffnete, war jeder gefangen von ihrer einnehmenden Art und konnte gar nicht anders, als ihr behilflich zu sein.
Carl Fischers Haare waren inzwischen grau geworden, aber Marisa wusste, dass sie einmal ebenso blond gewesen waren, wie Alex’ glatte Haare, um die Marisa sie beneidete. Zum einen, weil sie nicht widerspenstig machten, was sie wollten und auch deshalb, weil das Blond natürlich war. Im Sommer glitzerte es in der Sonne und fiel weich auf ihre Schultern. Alex war durch und durch norddeutsch. Ihr gesamtes Wesen war hanseatisch und sie strahlte beinahe etwas Aristokratisches aus, was sicher den britischen Wurzeln ihrer Mutter geschuldet war. Marisa fand es erstaunlich, wie man so ein Verhaltensmuster offensichtlich mit der Muttermilch aufnahm. Denn schon immer war Alex anders als sie selbst. Was sicher mit dem Bewusstsein einherging, dass Alex nie in ihrem Leben würde arbeiten müssen.
Obwohl auch ihr Bruder Steve blond war, sah er doch ganz anders aus und hatte das gute Aussehen seiner Mutter geerbt, was ihn eher wie ein Unterwäschemodel aussehen ließ als einen Rechtsanwalt. Während Steve schon immer ehrgeizig war – als ob er es je nötig gehabt hätte – bereitete sich Alex darauf vor, von einem gut aussehenden Mann geheiratet zu werden und sich nach einigen Jahren des Jetsets auf ein Landgut zurückzuziehen und eine Familie zu gründen.
Leider hatte Alex bisher kein gutes Gespür für Männer bewiesen. Die tatsächlich meist gut aussehenden Kerle, die sie der Familie vorstellte, erwiesen sich als nichts anderes als Enttäuschungen, die sich in ein bequemes Nest, geschaffen aus Reichtum, niederlassen wollten. Männer, die über ebensolchen Reichtum wie den der Familie Fischer verfügten, genügten kaum ihren Ansprüchen. Sie waren ihr zu langweilig und spießig, oder aber sie sahen alles andere als gut aus, etwas, das für Alex nicht in Frage kam. Sofort dachte sie an die Kinder, die sie einmal haben würde. Auf gar keinen Fall sollten ihre Nachkommen hässlich sein.
Da Alex keiner Arbeit nachgehen musste, hatte sie nichts weiter gelernt und nach dem Abitur das Internat verlassen, um sich auf Reisen zu begeben und das Leben zu genießen.
Ihr Bruder hingegen fing an, Jura zu studieren und schaffte es sogar zu promovieren. Carl Fischer war mächtig stolz auf seinen Sohn, der nun einen Doktortitel trug. Dass seine Tochter überhaupt gar keine Ambitionen hatte, etwas anders aus ihrem Leben zu machen, als den Reichtum ihrer Familie zu dezimieren, störte ihn nicht. Egal wie viel sie verschwenden würde, sie würde es nicht schaffen, das Vermögen derart zu schmälern, dass sie sich hätte Gedanken machen müssen.
Auch Steve war viel auf Reisen, allerdings eher in Angelegenheiten seines Vaters, beziehungsweise der Familie. Ihm war durchaus bewusst, dass es für ihn Zeit wurde, sich eine Frau zu suchen und eine Familie zu gründen. Obwohl er eher kein Interesse an Kindern hatte, wusste er, was von ihm erwartet wurde und er die Tradition weiterführen musste. So wurde es seit Generationen getan und er sah es als seine Pflicht an, sich zu fügen. Das war der Preis für das unbeschwerte Leben, das er führen konnte, obwohl er durchaus in der Lage gewesen wäre, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
„Wann warst du das letzte Mal in den Staaten?“, fragte Marisa und wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Tag noch mehr Probleme für sie bereit halten würde, als ihr lieb war.
„Is’ schon ‘ne Weile her.“
„Und warum willst du ausgerechnet jetzt mitkommen? Das wird eine anstrengende Arbeitsreise werden.“
„Aber nicht für mich“, dabei lachte Alex und setzte sich Marisa gegenüber an den Schreibtisch, „ich habe mal wieder Bock auf New York. Hier ist das Wetter so trostlos. Ein bisschen Shopping wird mich aufheitern und ich kann den Liebeskummer besser bewältigen.“
„Ist es schon wieder aus? Was war es denn dieses Mal?“
„Nichts weiter. Er wurde mir einfach zu viel. Fing an zu klammern und sprach von Hochzeit und Kindern …“
„Aber das ist doch toll. Du hast echt ein Problem, weißt du das?“
„Natürlich habe ich ein Problem. Ich finde eben keinen Mann, in den ich mich wirklich verlieben kann und mit dem ich mir vorstellen könnte, eine Familie zu gründen. Der Mann muss mich aus den Latschen hauen, damit ich bereit bin, meine Figur zu versauen und Kinder zu bekommen.“
Marisa schüttelte den Kopf, griff instinktiv nach ihrem Anhänger und schaute auf den Monitor.
„Was machst du grad?“
„Ich arbeite.“
„Ja, ja, schon gut, tu nur so, als hättest du so wahnsinnig viel zu tun.“
„Ich habe in der Tat gerade wirklich …“
„Du wirst doch bestimmt einen Weg finden, damit ich euch begleiten kann.“
„Aber wir fliegen bereits morgen. Es wird verdammt schwierig werden, für dich eine Einreise…“
„Ich bin mir sicher“, sagte Alex und war bereits aufgestanden, „dass du das hinbekommen wirst, so wie immer. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Die Daten meines Reisespasses hast du ja sicher noch.“
„Ja sicher“, sagte Marisa und führte ihre Hände zur Tastatur.
Es war sinnlos, sich mit Alex darüber zu streiten, dass es quasi aussichtslos war, für sie ein weiteres Ticket und alle relevanten Formulare auszufüllen, damit sie in die Staaten einreisen durfte.
„Und buch mir kein Hotelzimmer.“
Alex stand in der Tür und drehte sich noch einmal um.
„Aber wieso … du wirst doch nicht …“
„Doch, Papa hat mir erzählt, dass du dir ein Appartement nimmst. Das wird lustig werden.“
„Alex, ich muss in New York arbeiten. Ich bin nicht zum Spaß dort.“
„Komm schon, wirst sehen, abends gehen wir gemeinsam aus. Ist doch besser als allein zu bleiben oder mit dem alten Griesgram essen zu gehen.“
Noch bevor Marisa darauf etwas hätte sagen können, war Alex aus ihrem Büro verschwunden.