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1949

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»Meine Wirtin hat Ohren wie ein Luchs!«, warnte er sie, als er ihr die Tür aufhielt. Und fügte flüsternd hinzu: »Achtung, die dritte Diele knarrt!«

Sie war es nicht gewohnt, wie eine Diebin in fremde Räume einzubrechen, aber die Situation hatte durchaus etwas Aufregendes, wenn nicht gar Belebendes an sich, da sie sich sekundenschnell jeder ihrer Bewegungen, jedes Atemzugs und jedes Geräuschs bewusst wurde, was durchaus angemessen war für das, was da folgen sollte.

Sie hatte sich mit ihrer Antwort lange Zeit gelassen, als er sie fragte, ob sie ihn begleiten wollte. Genügend Zeit jedenfalls, um ihn darum fürchten zu lassen, dass sie Nein sagen könnte. Genügend Zeit, um die Oberhand zu behalten. Und die behielt sie auch jetzt.

»Sch!«, mahnte sie ihn, als er seinen Mantel an den Garderobenhaken im Flur hängen wollte. Er verstand und ließ den Mantel an. Dann öffnete er so leise es ging die Tür zu seinem Zimmer und bat sie hinein.

Das Bett war ausgesprochen ordentlich gemacht worden, wie sie feststellte, und sie hatte eine leise Ahnung, dass dies nicht auf die Haushälterin zurückzuführen war.

»In welchem Ministerium arbeiten Sie denn?«, hatte sie ihn im Gössinger über ihre halb leeren Veltlinergläser hinweg gefragt.

»Justiz«, hatte er stolz geantwortet.

So sah also das Bett eines Juristen aus: akkurat, sauber, bis in die kleinste Ecke präzise gemacht. Wie merkwürdig, dass sie ausgerechnet in diesem Bett zum ersten Mal mit einem Mann schlafen würde. In ihrer Vorstellung hatte es stets mehr nach einer Dachkammer à la La Bohème ausgesehen, nur etwas weniger kalt und natürlich ohne Schwindsucht. Und nachdem sie Schnitzlers Reigen zum ersten Mal gelesen hatte, tauchte auch immer wieder das Bild in ihrem Kopf auf, wie sie es gegen einen Baum gelehnt in irgendeinem Park tat, wild, kurz, dreckig und etwas unbequem. Aber mit dem hier hatte sie eigentlich nicht gerechnet: das sauber gemachte Bett eines Mannes mit Hornbrille, der im Justizministerium arbeitete und der jetzt ausgesprochen schüchtern nach ihrer Hand griff, nur um sie zart mit dem Daumen zu streicheln, wobei ihr auffiel, dass die Kuppe seines rechten Zeigefingers fehlte. Später würde er ihr von einer Kohlenkellertür erzählen, an die er als kleiner Bub die Fingerkuppe verloren hatte, und wie ihn dies vor dem Kriegseinsatz rettete. Es rührte sie sehr, als sie ihn sich als kleinen Buben vorstellte, dem plötzlich ein Stück des Fingers abhandengekommen war und der deshalb später niemanden totschießen musste, weil er den Abzug des Gewehrs nicht bedienen konnte. Ein sanfter Mann.

Sie hatte sich jemanden mit Erfahrung gewünscht. Allerdings sollte es dann doch nicht ein Zuviel an Erfahrung sein. Sie wollte nicht eine flüchtige Begegnung in einer langen Reihe von anderen flüchtigen Begegnungen sein. Schließlich war sie etwas Besonderes, so viel wusste Johanna immerhin. Wer aus der Quellenstraße schaffte es denn sonst ans Burgtheater? Also sollte auch der Sex etwas Besonderes sein.

Sie setzten sich beide auf das Bett, er immer noch im Mantel, sie immer noch die Schuhe mit den schmalen Absätzen in der Hand, die sie schon vor der Wohnungstür ausgezogen hatte, um nur ja keinen unnötigen Lärm zu machen. Mit einer sanften, aber entschlossenen Geste griff er nach ihren Schuhen und stellte sie leise auf dem Boden ab. Genauso sanft und entschlossen griff sie mit ihren freien Händen nun nach seiner Brille und zog sie ihm von der Nase, klappte sie zusammen und legte sie auf dem Nachttischchen ab.

Langsam, ganz langsam beugte er sich vor und suchte mit den Lippen ihren Mund. Sein Kuss war warm und zart und angenehm und sie ließ sich ausgesprochen gerne küssen. Offensichtlich wusste er, was er da tat. Folglich küssten sie sich eine ganze Weile, bis sie schließlich fand, es könne jetzt die nächste Stufe erklommen werden und sie ihm zuflüsterte: »Vielleicht sollten Sie Ihren Mantel ausziehen.«

»Ja«, sagte er, »das habe ich mir auch schon gedacht. Ist ja auch etwas heiß hier herinnen.«

Er stand auf, öffnete die Knöpfe seines Mantels und in diesem Moment rutschte das Programm der heutigen Aufführung aus der Manteltasche und fiel zu Boden. Kabale und Liebe, konnte Johanna im Schein der Straßenlaterne, die in das dunkle Zimmer schien, lesen. Darunter standen die Namen der Darsteller, auch der ihre: Johanna Jedlicka als Luise Miller.

Auch er sah auf das Programm auf dem Boden, hob es hastig auf und drehte es dann etwas verlegen in seinen Händen.

»Ich hoffe, Sie denken nicht, dass ich mit Ihnen nur … also, weil Sie doch ein Star sind.«

»Nein«, sagte sie, »das denke ich bestimmt nicht.« Sie hielt sich außerdem nicht für einen Star. Noch nicht.

»Sie sind einfach nur wunderschön«, brach es aus ihm hervor.

Das war der Moment, in dem sie endgültig das Ruder übernahm, aufstand, den einen Schritt zu ihm machte, ihm das Programm aus der Hand nahm, es erneut auf den Boden fallen ließ und ihm, während sie ihn küsste, den Mantel auszog.

Johanna spielt das Leben

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