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1949

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Die Brille war das, woran sie sich am deutlichsten erinnern konnte. Nicht das Quietschen des alten Bettes, nicht das leichte Schwingen der Gardine im Takt ihrer beider Körper, nicht die Nachttischlampe mit dem angeschlagenen grünen Lampenschirm – es war die Brille auf dem Nachtkästchen, an die sie sich erinnern würde, wenn sie später an ihr erstes Mal zurückdachte.

Da lag es, dieses Ungetüm, und schaute sie beide mit blinden Augen an, wie sie sich nach und nach entkleideten und er dann nackt auf ihr zu liegen kam. Sie hätte sich sehr gewünscht, jemand hätte das ganze von Außen choreografiert, wie ein Regisseur, denn weder er noch sie schienen genau zu wissen, wo welcher Arm oder welches Bein genau hingehörten. Alles wirkte so ungelenk und hilflos, bis er endlich die richtige Position zwischen ihren Beinen gefunden hatte, und selbst dann zögerte er noch, als er auf Widerstand stieß, von dem sie erwartete, dass er ihn schnellstmöglich überwinden möge. Aber auch das dauerte eine ganze Weile und war zudem recht schmerzhaft, was er mit vielen Küssen und leise dahingeflüsterten Worten wiedergutzumachen versuchte. Doch irgendwann hörten auch die Küsse und die Worte auf und Johanna vernahm nur noch ihrer beider Keuchen und das Knirschen des Bettes, als er sich rhythmisch in ihr bewegte.

Das alles kam ihr vor wie ein Film, ein Kinofilm auf besonders kleiner Leinwand, denn sie konnte sie beide die ganze Zeit über beobachten, wie sich ihre Nacktheit und ihre Bewegungen und sein Zittern beim Höhepunkt in den Brillengläsern auf dem Nachttisch spiegelten. Johanna hatte noch nie einen Erotikfilm gesehen, so war also auch das eine Premiere für sie und sie fand das Bild ihrer Brüste und seiner Hände darauf um ein Vielfaches aufregender und lustvoller als das, was sie tatsächlich miteinander taten. So blieb das Bild in ihr lebendig, während sich ihre Körper schon längst wieder voneinander gelöst hatten und nun nebeneinanderlagen. Georg fischte nach einer kleinen Flasche Cognac, die er im Nachtkästchen versteckt hatte.

»Magst du einen Schluck?«, fragte er sie.

Offensichtlich, so ging es Johanna durch den Kopf, hatten sie mit ihren Kleidern auch alle Sprachbarrieren abgelegt und duzten einander nun.

»Ja«, sagte sie, nahm die Flasche und trank einen Schluck daraus. Das heiße Brennen in Hals und Speiseröhre tat ihr wohl, anders als das Brennen zwischen ihren Beinen. Dann reichte sie die Flasche an ihn zurück.

»Ich hätte nicht gedacht …«, begann er und brach dann seinen Satz einfach ab. Verlegen drehte er die Cognacflasche in seinen Händen.

»Was hättest du nicht gedacht?«

»Dass das dein erstes Mal ist.«

»Wieso?«, fragte sie verwundert.

»Weil du gleich mit mir mitgekommen bist«, gab er unumwunden zu.

Sie richtete sich auf ihrem Ellbogen auf. »Du hast mich für eine Schlampe gehalten?«

»Nein!«, gab er entrüstet zurück.

»Doch«, stellte sie fest. »Du hast geglaubt, ich mache so etwas regelmäßig und dass ich mit jedem mitgegangen wäre. Richtig?«

Er schwieg und kletzelte das Etikett des Cognacs herunter. Da richtete sie sich vollends im Bett auf, wobei die Bettdecke von ihren Brüsten rutschte und den Blick auf zwei dunkelrosa Höfe freigab.

»Ich will dir mal was sagen, Georg Neuendorff aus dem Justizministerium: Hör auf, schlecht von dir selbst zu denken. Wer das macht, hat keine Zukunft vor sich. Der kann gleich da bleiben, wo er ist. Ich bin nicht mit dir mitgegangen, weil ich so etwas öfters mache, ich bin mit dir mitgegangen, weil du mir gefallen hast.«

Beschämt hielten seine Finger beim Herunterlösen des Etiketts inne.

»Aber an mir ist ja nichts Besonderes«, sagte er leise.

Da nahm sie seinen Kopf zwischen ihre langen, schlanken Finger und sah ihm direkt in die Augen. »Da, wo ich herkomme, da gibt es keinen, der so ist wie du. Und ich würde ja schließlich nicht mit jedem x-beliebigen Hanswurst ins Bett gehen. Also red nicht schlecht von dir selbst. Das macht mich zornig.«

Zorn, so fand er, stand ihr enorm gut. Also nahm er einen kräftigen Schluck vom Cognac und reichte ihn an Johanna weiter. Die setzte die Flasche an die Lippen und trank sie in einem Zug leer. Im Nu war sie vollkommen betrunken. Mit einem langen Blick besah sie sich das Schlachtfeld, in dem sie lagen, die leichten Blutspuren an ihren Oberschenkeln, die Flecken auf dem Laken. Das hatte so gar nichts Glamouröses oder gar Überwältigendes an sich, eher schon etwas Animalisches. Und es war so gar nicht das, was sie für ihr erstes Mal geplant hatte. Dieses alte Bett, dieses kleinbürgerliche Zimmer und diese alberne Brille auf dem spießbürgerlichen Nachtkastl – das roch zu sehr nach der Welt, aus der sie gerade aufgebrochen war, nach etwas Vertrautem, fast Heimeligem.

Wenn man sich die Einrichtung so ansieht, dachte sie, dann hätte ich es auch mit dem Kurti Mischkulnig von nebenan treiben können. Doch dann verdrängte sie den Gedanken an den Nachbarsjungen ihrer Favoritener Kindheit, der ihr immer unter den Rock hatte greifen wollen, schnell wieder. Sie war kein kleines Mädchen mehr und Georg war nicht der Kurti, aus dem nichts Gescheites geworden war und sicher auch nichts mehr werden würde. Man sollte sich von der Umgebung nicht blenden lassen. Dieser hier, da war sie sich ziemlich sicher, war anders. Und auch sie war anders. Wenn die Freundinnen aus der Schulzeit sie jetzt so sehen könnten! Da lag sie im Bett mit einem Herrn vom Ministerium. Hätte schlimmer kommen können! Zumal er jung und nett und rücksichtsvoll war und seine Sache ja gar nicht mal so schlecht gemacht hatte.

Sie deutete auf das beschmierte Bettlaken. »Was wird wohl deine Wirtin dazu sagen?«

Da fing er an zu lachen, leise und mit für sein Alter ausgesprochen vielen kleinen Lachfältchen um die Augen. »Rausschmeißen wird sie mich«, sagte er, »aber hochkant!«

Sein Lachen war ansteckend. Jetzt, dachte Johanna und betrachtete seine schmale Brust und die freundlichen Maulwurfsaugen, sah er richtig süß aus, ihr Georg vom Ministerium. Sie ließ ihre Hand über seinen Bauch gleiten.

»Komm«, schlug sie vor, »machen wir es noch einmal.«

»Wirklich?«, fragte er ungläubig, aber dennoch hoffnungsvoll.

»Na ja, jetzt ist eh schon alles wurscht, oder?«

Johanna spielt das Leben

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