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1949

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Auf dem Heimweg von ihrem ersten Besuch bei Georg hatte sie in der Straßenbahn gesessen und gelächelt. Sie hatte sich vorgestellt, wie er sie am Abend vor ihrem Elternhaus erwarten würde, weil sie an dem Tag keine Vorstellung hatte, einen Blumenstrauß in der Hand, und wie sie vielleicht tanzen gehen würden und der Vater ihnen hinterherrufen würde: »Aber bringen S’ mir des Madl nicht zu spät ham!« Und sie hätte gelacht, weil der Vater so überbesorgt tat und die Mutter ihr Gesicht in Falten zog, dabei war ja ohnehin schon alles geschehen, was hätte geschehen können. Folglich machte sich Johanna keine Sorgen mehr. Warum auch? Das strenge »Wo warst du so lange? Was hast du gemacht?« der Eltern, als sie diesen Morgen nach Hause kam, schmetterte sie mit einem »Nirgendwo« und »Das geht euch gar nichts an!« ab und legte sich erst einmal schlafen. Zu Mittag stand sie auf, briet sich ein paar Spiegeleier auf dem neuen Herd, den sie der Mutter von ihrer Gage als Julia gekauft hatte, und fand sich unheimlich erwachsen.

Und dann hatte er tatsächlich dort gestanden, mit Blumen in der Hand und in einem grauen Anzug mit einer scheußlichen weinroten Krawatte und plötzlich war ihr das Lächeln abhandengekommen. Das war es also, wovon alle braven Mädchen träumten. Nur dass die braven Mädchen nicht zuvor die Nächte mit den Stars des Burgtheaters durchgesoffen hatten und im zerwühlten Bett eines Endzwanzigers mit Hornbrille aufwachten, der im Justizministerium arbeitete und dessen Hauswirtin nicht einmal an die Tür klopfte, sondern gleich das Zimmer betrat. Diesen Gesichtsausdruck würde Johanna nie vergessen, als sie über ihre aufgestellten Beine hinweg in den offenen Mund der Wirtin blickte, die ihrerseits mit großem Entsetzen auf den nackten Hintern des stöhnenden Georg starrte, der, war es Absicht?, sie nicht zu hören schien und einfach weitermachte, nicht innehaltend bis auch Johanna nicht mehr anders konnte und das Bett zur Bühne umfunktionierte. Folglich stöhnte und schrie sie, was das Zeug hielt – und es gefiel ihr. Es gefiel ihr so sehr, dass sie sich selbst bis zum Höhepunkt schrie.

Hinterher zogen sie sich kichernd an und packten Georgs Habseligkeiten in eine Reisetasche und einen Koffer. Dass er auszog, war nur logisch. Niemand sah gerne täglich seiner Wirtin in die Augen, wenn sie einen beim Sex beobachtet hatte.

»Und gehört!«, rief sie ihnen noch nach, als sie schon auf der Straße standen. »Das ganze Viertel hat Sie gehört! Sie Hure!«

Das galt eindeutig Johanna. Die sah daraufhin ihren neuen Begleiter an und fragte: »Was ist eigentlich die männliche Entsprechung für Hure?«

»Sachbearbeiter«, antwortete Georg.

»Nein, das kann nicht sein«, befand Johanna.

»Aber das ist es nun einmal, was ich bin«, hatte er geantwortet und nach Koffer, Reisetasche und Johannas Hand gegriffen, als die Wirtin damit begann, mit Blumentöpfen nach ihnen zu schmeißen. Sie waren so schnell gerannt, wie sie konnten, bis sie an der nächsten Straßenecke vor lauter Lachen nicht mehr weiterkamen.

»Wohin gehst du denn jetzt?«, wollte Johanna wissen.

»Ich such mir eine Pension«, sagte Georg und küsste sie noch einmal leidenschaftlich auf den Mund. »Wird sich schon was finden.«

Was sich fand, war Johannas Hand in seiner und ein paar Augen, die nicht voneinander lassen wollten. Aber dann kam die Sonne über die Schindeln des Hauses gegenüber der Straßenecke gekrochen, blendete sie beide und brach so ihren Blick. Also verabschiedeten sie sich voneinander mit dem Versprechen, sich am Abend wiederzusehen.

Nun stand er da, in der elterlichen Küche, die gleichzeitig das Bad war, und ihr armer grauer Vater hielt ihm seine vom Krieg zitternde Hand entgegen und wusste nicht recht, was er sagen oder tun sollte. Also strich der Vater sich über das abgestoßene Jackett, das er übergeworfen hatte, und fühlte sich so fehl am Platz, wie er es nur sein konnte, als wäre er nicht der Herr über die zweieinhalb Zimmer mit enger Küche und dem Klo am Gang. Er hatte nie seinen Platz im Leben gefunden, er hatte nur akzeptiert, dass er nach dem Krieg keinen besseren Platz finden würde als den in der Quellenstraße Nummer 112. Anton Jedlicka, ehemaliger Gießer, nun Kriegsversehrter, mit einem halben rechten Bein und einem Tremor in der linken Hand, verheiratet, Vater einer Tochter – das war er. Das war vielleicht nicht viel, aber immerhin so etwas wie ein Leben, eine Existenz. Dafür durfte man sich schämen oder es lassen, ganz wie man wollte, aber aufgeben tat man es dennoch nicht, dieses Leben. Nicht wie so viele andere, die nach dem Krieg aufgegeben oder alles verdrängt und von vorne angefangen hatten, was auf dasselbe hinauskam. Er, Anton Jedlicka, war noch da. Und nun stand dieser junge Mann hier vor ihm in seiner schäbigen Küche, den Arm seiner Tochter untergehakt, ein Blumensträußchen dabei, und würde nicht mehr gehen. Dieser hier, das wusste der Vater nur zu gut, würde bleiben. Und er, Anton Jedlicka, nahm es hin, so wie er alles hinnahm, weil er längst nicht mehr die Kraft hatte, sich gegen etwas oder jemanden zu wehren. Also nickte er nur und bot dem Mann, den seine Tochter heimgebracht hatte, einen Stuhl an, dort, in der kleinen Küche, in der Quellenstraße Nummer 112.

Wer stehen blieb, war die Mutter. Dabei war sie es gewesen, die aus dem offenen Fenster auf die Gasse hinuntergerufen hatte, sie sollten beide noch einmal heraufkommen, man wolle sich noch auf einen Likör mit den jungen Leuten zusammensetzen. Nur ganz kurz noch. Bitte.

Und natürlich waren sie wieder heraufgekommen und die Blumen, die für Johanna gedacht gewesen waren, wurden kurzerhand als Muttergabe präsentiert und überreicht und dann noch einmal geteilt, weil man doch auch der Tante Mitzi eine kleine Freude bereiten wollte, die, als man ihr die Röschen in die Hand drückte, diese gleich wieder fallen ließ, weil sie so begeistert in die Hände klatschte. Dann folgten Sesselrücken und betretenes Schweigen, unterbrochen von dem belanglosen Geplapper der Mutter mit der Frage, wo noch gleich die schönen Untersetzer waren, die doch der Tante Mitzi gehörten, die mit den schönsten Sehenswürdigkeiten Österreichs und die man zu diesem Zweck aber ganz unbedingt auf den Tisch stellen sollte. Zur Feier des Tages.

Es wanderten die Likörgläschen aus dem Küchenschrank auf die eilends herbeigebrachten Untersetzer und dann stießen sie an. Sogar Tante Mitzi durfte ein kleines Gläschen von dem Haselnusslikör nehmen und kicherte danach lautlos in sich hinein, stolz, etwas zu diesem Treffen beitragen zu dürfen, und seien es auch nur etwa zehn mal zehn Zentimeter große Korkplättchen mit einer ausgesprochen detailreichen Darstellung von Mariazell.

»Wo geht ihr denn hin?«, wollte die Mutter wissen.

»Tanzen!«, antwortete Johanna.

»Essen!«, sagte Georg.

»Na, vielleicht ja beides?«, schlug die Mutter vor.

Tante Mitzi klatschte erneut vor Freude in die Hände, ganz so, als wäre sie mit dabei, wenn es auf den Tanzboden oder in ein kleines Restaurant ginge. Die Mutter nahm ihre wild herumwirbelnden Hände in ihre und hielt sie fest.

»Ist ja gut, Mitzi, ist ja schon gut!«, sagte sie beschwichtigend. »Wir freuen uns auch!«

Georg wirkte mit einem Mal etwas irritiert. Mit vielem hatte er gerechnet, als er sich nach Favoriten aufmachte, aber nicht mit dieser Form von Armut, wie sie hier um den Küchentisch versammelt war, und ganz besonders nicht mit der Tante Mitzi. Johanna hatte kein Sterbenswort von ihrer Familie erzählt. Nun begann er zu verstehen warum.

»Kann ich Ihnen zum Likör noch einen Bohnenkaffee anbieten?«, fragte die Mutter.

Johanna spielt das Leben

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