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Sie hatten ihn das Kind anschauen lassen. Johanna hatte man es nur ganz kurz gezeigt und es dann nach dem Durchtrennen der Nabelschnur schnell aus dem Raum getragen und in den Brutkasten gelegt, um es nicht auf dem kalten Boden des Kreißsaals sterben zu lassen. Aber er durfte es sehen. Er betrachtete diesen winzigen, mageren Körper mit dem kleinen Köpfchen, das mehr an einen kleinen Affen als an einen Menschen erinnerte. Er stand neben dem Primar, den eine der Schwestern geholt hatte und der nur den Kopf schüttelte, weil doch schon alles zu spät war. Und er stand neben dem Pfarrer, der den Körper des Kindes nicht beerdigen wollte, und der Schwester, die Stein auf Bein schwor, sie habe das Kind notgetauft, bevor es gestorben war, sodass er es bestatten durfte.

Er stand da und sah still dabei zu, wie sie ihn in eine Decke wickelte. Seinen toten Sohn anzufassen hatte er sich nicht getraut, aus Angst, dem winzigen Körper Schaden zuzufügen. Wer weiß, ob er ihm nicht eine seiner winzigen Rippen gebrochen hätte.

»Ich werde dem Bestatter Bescheid geben«, hatte die Schwester gesagt und ihn mit dem toten Kind allein gelassen. Und er hatte immerzu nur auf dieses winzige Bündel geschaut und sich gefragt, ob das wirklich gerade eben passiert war, ob sein Sohn wirklich gerade gestorben war.

Siebeneinhalb Monate. Ihm war natürlich bewusst gewesen, dass das zu kurz war. Und nun würde er mit einem Bestatter reden müssen und sich um ein Grab kümmern, denn Johanna war noch viel zu mitgenommen von der Geburt, um irgendetwas zu entscheiden. Sie würde nicht einmal bei der Beerdigung dabei sein. Anweisung vom Arzt: Die Patientin sollte unter gar keinen Umständen das Bett verlassen.

Wie gerne hätte er jetzt mit Johanna geredet, nur für einen kurzen Augenblick seinen Kopf an ihre Schulter gelehnt, die Augen geschlossen und sich wieder sicher gefühlt, so als wäre noch immer alles in bester Ordnung. Aber das war es nicht.

Er stand neben dem Bestatter, als der ihm diskret die Papiere zeigte, die es zu unterschreiben galt, und nickte nur kurz, als dieser ihn fragte, ob er das wirklich wolle, weil man so kleine Wesen eigentlich nicht beerdigte. Ja, hatte er gesagt und nicht gewusst, ob er es wirklich meinte. Ob es ein Sarg aus Buche sein solle, hatte der Bestatter gefragt und wieder hatte er mit Ja geantwortet.

»Auf welchen Namen soll ich den Totenschein denn ausstellen?«, hatte der Bestatter gefragt und Georg nannte ihm fälschlich seinen eigenen Namen, weil er nicht wusste, dass das Kind doch auch einen Namen brauchte, wenn man es beerdigen wollte. So hatte er sein totes Kind nach sich selbst benannt.

Weil er der Mann war, wurde von ihm erwartet, dass er den Sarg trug. Also trug er ihn. Und wäre beinahe unter seiner Last zusammengebrochen. Er stand neben seinen Schwiegereltern auf dem Friedhof, drei Tage später, vor einem winzigen tiefen Loch, in das sie den Sarg hinabließen, der doch mehr aussah wie ein Brotkastl. Und alles, was er dachte, war, wie klein dieser Sarg doch war und dass er nicht hätte hier stehen sollen, am Grab seines Kindes, das so hieß wie er selbst. Aber sagen konnte er es nicht. Der Priester murmelte schnell ein Vaterunser, aber Georg bewegte nur die Lippen, weil kein Ton herauskam, nicht ein einziger. Später, auf dem Heimweg, schämte er sich dafür, dass er es nicht geschafft hatte, wenigstens ein Gebet für sein totes Kind zu sprechen, und er spülte die Scham mit sehr viel Cognac hinunter, was ihm schlecht bekam, weil er beim anschließenden Leichenschmaus mit den Schwiegereltern nichts gegessen hatte und sein nüchterner Magen mit dem Alkohol schlecht zurechtkam.

Johanna spielt das Leben

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