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1961

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»Sie können Ihren Mantel gerne hier hinhängen«, deutete ihr die Sekretärin. »Es wird noch eine Weile dauern, bis ich Sie zum Herrn Direktor vorlassen kann.«

Johanna nickte ergeben. Sie wusste, dass es an dem Fräulein Schmid kein Vorbeikommen gab. Direktor Haeusserman verließ sich voll und ganz auf seine Vorzimmerdame, die wahnsinnige Regisseure genauso von ihm abzuhalten hatte wie nicht minder wahnsinnige Schauspieler, Bühnen- oder Maskenbildner. Ihr streng in Wellen gelegtes Haar konnte quasi dank seiner Sprungkraft unliebsame Besucher hinausbefördern und ihr strenger Blick ließ das Ego exzentrischer Darsteller auf die Größe des Selbstbewusstseins unwichtiger Komparsen schrumpfen. Ganz zu schweigen von dem, was sie mit dem Unterrichtsminister jüngst aufgeführt hatte, der, gefragt, ob er sich nicht setzen wolle, während er auf den Herrn Direktor wartete, dies großspurig abgelehnt hatte und dafür mit einer zusätzlichen Wartezeit von nicht weniger als fünfzehn Minuten bestraft wurde. In diesen fünfzehn Minuten hatte sie ihn so durchdringend und wissend durch ihre konkaven Brillengläser hindurch gemustert, dass er schließlich nach und nach innerlich zusammenbrach, fühlte er doch, dass all sein Selbst, all das mit Lügen und Großspurigkeit zusammengezimmerte Etwas, das seinen Namen, Hut und Mantel trug, vor dem Blick dieser Frau nicht bestehen konnte. Sie wusste alles! Die langen Nächte in den Bars in Begleitung zweifelhafter Gesellschaft, die teure Armbanduhr auf Staatskosten und dass er den Geburtstag seiner Mutter neulich vergessen hatte. Nach einer Viertelstunde des Angestarrtwerdens durch das Fräulein Schmid war der Herr Minister so weichgekocht, dass er Haeusserman eine Etataufstockung bewilligte, die weit über das hinausging, was Haeusserman ursprünglich von ihm fordern hatte wollen.

Also setzte sich Johanna auf den Stuhl, den der Minister verweigert hatte, und wartete. Sie wartete und wartete und im Kopf rechnete sie die Stunden und Minuten zusammen, die sie brauchen würde, um das Kind wieder abzuholen und heimzubringen und so zu tun, als wäre sie gar nicht wirklich fort gewesen, als hätte sie dieses Gebäude nie betreten und nicht im Vorzimmer vom Haeusserman gesessen und gehofft und gewartet und jedes Mal, wenn die Tür kurz aufging, weil das Fräulein Schmid dem Herrn Direktor Kaffee oder Unterlagen oder die Post bringen musste, sie seine Stimme hören konnte und ängstlich jede Stimmungsnuance aufnahm, um sie zu analysieren. War der Herr Direktor in guter Stimmung? War er ungehalten? Eigentlich war Haeusserman stets ungehalten und dennoch in guter Stimmung, jedenfalls ließ sich sein Unmut selten am Klang seiner Stimme ablesen, so viel wusste Johanna immerhin. Wollte man wissen, wie es dem Direktor ging, musste man sehen, wo er seine Brille trug. Lag sie auf der Nase, war er konzentriert. Hatte er sie ins langsam immer spärlichere Haar geschoben, war er noch konzentrierter, weil er dann nichts zwischen sich und seinen Papieren haben wollte, nicht einmal ein Stückchen Brillenglas. Und lag die Brille gar neben ihm auf dem Schreibtisch und er schloss beim Zuhören die Augen, dann hatte man beinahe schon gewonnen, denn dann hatte der Herr Direktor Zeit und Muße, wirklich zuzuhören.

All das konnte Johanna natürlich nicht sehen und deshalb klammerte sie sich an die sanfte Stimme Haeussermans, die, gleich ob sie einen nun lobte oder in die Hölle hinabstieß, immer denselben liebenswerten Klang aufwies. Es war zum Verrücktwerden!

»Sie können jetzt hineingehen«, sagte das Fräulein und zeigte dabei so wenig Zähne wie nur möglich. Lächelte die eigentlich nie?

Johanna holte tief Luft, stand von ihrem Stuhl auf und schritt durch die schmale, gepolsterte Tür hindurch in Haeussermans Büro. Der begrüßte sie mit einem freundlichen Händedruck, bei dem er sich halb von seinem Stuhl hinterm Schreibtisch erhob und sie bat, Platz zu nehmen. Dann griff er nach seiner Brille, nahm sie vom Kopf und legte sie neben den Telefonapparat. Johanna starrte die Brille an und ihr Herz begann wild zu schlagen.

Johanna spielt das Leben

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