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2. Die einzelnen Ämter
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Die beiden obersten Magistratsbeamten, die Konsuln, führten vor allem den militärischen Oberbefehl. Deshalb hatten sie die imperium genannte, höchste Herrschaftsgewalt. Damit verbunden war die coercitio (Recht zur Verhängung von Zwangs- und Strafmaßnahmen bis zur Todesstrafe) und die Befugnis, die Komitien (Volksversammlungen) einzuberufen sowie dort Anträge zu stellen. Jeder Konsul konnte gegen Anordnungen seines Kollegen sowie unterer Magistrate einschreiten (interzedieren: veto = ich verbiete). Normalerweise teilten die Konsuln ihre Amtsbereiche (provinciae) durch Vereinbarung oder Losentscheid auf, sofern nicht der Senat entschied.
Rechtsbehelf gegen die coercitio war zunächst die Interzession der Volkstribune. Eine lex Valeria aus dem Jahre 300 v. Chr. führte die provocatio ad populum (Berufung an die Volksversammlung) für jeden betroffenen Bürger ein. Sie galt zunächst nur innerhalb des pomerium, des alten Mauerringes der Stadt Rom, faktisch im zivilen Leben. Seit dem frühen 2. Jahrhundert v. Chr. galt sie auch außerhalb, also im militärischen Kommandobereich.
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Das Amt des Prätors war vielleicht ursprünglich das höchste. Die Bezeichnung wird abgeleitet von prae-ire = vorangehen, vergleichbar dem deutschen Herzog (der vor dem Heere herzog). Seit 367 v. Chr. (leges Liciniae Sextiae) waren jedenfalls zwei Prätoren für das Rechts- und Gerichtswesen zuständig (Rn. 55). In seinem edictum, dem auf einer Holztafel (album) veröffentlichten Amtsprogramm, verlautbarte er die Klagen (actiones) und Einreden (exceptiones), die er den Prozessparteien gewähren wollte. Dabei wurde es später üblich, dass er (vor allem wohl durch seine Mitarbeiter) auch neue Formeln schuf, wodurch er ohne Volksgesetze aus eigener Machtvollkommenheit das Privatrecht weiterbildete (Rn. 18 f, 55 ff, 117 ff).[2]
Neben der Rechtsprechungsgewalt (iurisdictio) hatten die Prätoren wie die Konsuln die Kommandogewalt über das Herr (imperium), die Disziplinar- und Polizeigewalt (coercitio) und das Interzessionsrecht, mit dem sie Entscheidungen der Kollegen rückgängig machen konnten. Ein Prätor war aber collega minor gegenüber einem Konsul, diesem also nachgeordnet. Im Jahre 242 v. Chr. wurde das Amt des praetor peregrinus, also eines für Prozesse mit Nichtrömern zuständigen Prätors, von dem des für Rechtsstreitigkeiten unter Römern zuständigen praetor urbanus (von urbs = die Stadt = Rom) abgespalten. Seit dieser Zeit konnten auch Plebejer Prätoren werden.
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Die Zensur war ein besonders ehrenvolles Amt, das nur alle fünf Jahre für 1 1/2 Jahre üblicherweise mit ehemaligen Konsuln besetzt wurde; wohl 367 v. Chr. (leges Liciniae Sextiae) war es vom Konsulat abgetrennt worden. Die Befehlsgewalt (potestas) der Zensoren war geringer als die der Konsuln und Prätoren.
Der Zensor stellte die für die Aufnahme in den Senat erforderlichen Listen auf (lectio senatus) und entschied über die Zuweisung der Bürger zu den einzelnen Klassen Rn. 89) entsprechend der Steuerkraft, also dem Vermögen des einzelnen. Ihm oblagen die Sittenaufsicht (cura morum) und gegebenenfalls die Erteilung einer Rüge mit finanziell belastenden und ehrenmindernden Konsequenzen für den Betroffenen. Außerdem stellte er den Staatshaushalt auf, organisierte die Verpachtung der Steuern und die Vergabe von öffentlichen Aufträgen.
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Die Ädilität ist hervorgegangen aus einem plebejischen Sakralamt (aedes = Gebäude, Tempel) und entwickelte sich zur Aufsicht über die ursprünglich bei den Tempeln abgehaltenen Märkte („Marktpolizei“). Ab 367 v. Chr. (leges Liciniae Sextiae) erhielten die nunmehr zwei plebejischen und zwei patrizischen (kurulischen) Ädilen allgemeine Polizeigewalt (potestas) innerhalb des pomerium (Rn. 79). Die kurulischen Ädile waren für die Marktgerichtsbarkeit zuständig und erließen deshalb ein ädilizisches Edikt zum Kaufrecht, in dem die ersten Regelungen zur Mängelgewährleistung enthalten waren. Außerdem sorgten die Ädilen für die Getreideversorgung Roms (cura annonae) und die Ausrichtung öffentlicher Spiele (cura ludorum), wohlgemerkt auf eigene Kosten (Ehrenamt!).
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Die Quästoren, die rangniedrigsten Magistrate in der Ämterlaufbahn, ausgestattet mit potestas, waren die Verwalter der Staatskasse und des Staatsarchivs.
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Die Volkstribune hatten die Befugnis, gegen die coercitio der Imperiumsträger zu interzedieren (Rn. 79 f), die Versammlung der Plebs (Rn. 93) einzuberufen sowie dort Anträge zu stellen. Sie nahmen an den Senatssitzungen teil und wurden (erst) ab 102 v. Chr. wie andere ehemalige Amtsträger auch Senatoren. Als ursprüngliche Vertreter des einfachen Volkes im Ständekampf (Rn. 46), gehörten sie später derselben sozialen Schicht an wie die Magistrate und vertraten dementsprechend die politische Linie des Senats.
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Ein außergewöhnliches Amt (magistratus extraordinarius) stellte die Diktatur dar. Der Diktator wurde für eine Dauer von bis zu 6 Monaten eingesetzt, zunächst für sakrale Aufgaben, später auf der Grundlage eines Senatsbeschlusses durch einen Konsulartribunen (Militärtribun mit konsularischer Gewalt) oder Konsul. Es handelte sich um ein institutionalisiertes, legitimes Amt zur Bewältigung von Staatskrisen, das vor allem im 4. Jh., aber auch in den ersten beiden punischen Kriegen genutzt wurde. Hierfür wurde das Prinzip der Kollegialität durchbrochen, um ein zügiges Handeln zu ermöglichen. Gleichzeitig war der Diktator immun; er konnte wegen Fehlentscheidungen – anders als andere Magistrate, die nur während ihrer Amtszeit immun waren – auch nicht nachträglich zur Verantwortung gezogen werden. Ursprünglich frei von der Intervention der Volkstribune und der Provokation wurde er ihnen nach dem Ende des zweiten punischen Krieges doch unterworfen. Damit entfiel seine besondere Machtbefugnis, und an Stelle der Diktatur operierte der Senat künftig mit einer Art Notstandsgesetz, dem senatus consultum ultimum (Rn. 87). Erst mit Sulla lebte das Amt am Ende der Republik wieder auf (Rn. 98).
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Die Proprätoren und Prokonsuln waren in ihren Provinzen uneingeschränkte Alleinherrscher, faktisch allerdings dem Senat verantwortlich. Sie hatten keine interzessionsberechtigten Kollegen. In den Provinzen gab es auch keine provocatio an eine Volksversammlung. Die Provinzialstatthalter standen u. a. dem römischen Gerichtswesen ihrer Provinz vor, ähnlich den Prätoren in Rom. Für die nichtrömischen Einwohner blieben aber auch die Gerichte ihrer unter der Römerherrschaft fortbestehenden Gemeinwesen (Rn. 76) erhalten.