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3. Entstehung von Rechtswissenschaft

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Die Rechtslehre war zunächst Geheimwissen der (patrizischen) Priester (Rn. 50). Für die entwickelte Republik sind uns jedoch einzelne Juristen überliefert, vor allem durch ein Buch des Pomponius, eines Juristen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., der offenkundig rechtshistorische Interessen hatte.[9] Aus seiner Perspektive nannte man die republikanischen Juristen veteres, die Alten. Oft werden sie heute von den späteren klassischen (= vorbildlichen) Juristen (Rn. 161) als Vorklassiker abgegrenzt. Literatur aus dieser Zeit ist nur in geringen Resten erhalten. Trotzdem dürften viele gedankliche Leistungen der römischen Juristen schon hier ihren Ursprung haben. Deshalb sprach Wieacker wohl treffender von der vorliterarischen Klassik.[10] Man kann wohl sagen, dass sich in der Republik die erste Rechtswissenschaft der Weltgeschichte entwickelte. Vor allem im letzten Jahrhundert gehörten griechische Philosophie und Redekunst nicht nur zur allgemeinen Bildung, sondern nahmen auch Einfluss auf die praktische Rechtskunde.

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304 v. Chr. soll Flavius, der Sekretär des Appius Claudius Caecus (welcher als Zensor Erbauer der Via Appia war), seinem Meister den römischen Kalender mit den Angaben der für Rechtshandlungen und Prozesse geeigneten Tage (dies fasti) sowie die Prozessformeln entwendet und veröffentlicht haben (sog. ius Flavianum). Die Formeln müssten aber an sich durch das öffentliche Aufsagen vor Gericht bekannt gewesen sein. Es ging daher wohl eher um Besonderheiten ihrer Anwendung, und vielleicht hat Appius Claudius seinen Sekretär nur vorgeschoben, um sich nicht den Unwillen seiner Standesgenossen zuzuziehen. Flavius, angeblich Freigelassener oder Sohn eines Freigelassenen, machte aufgrund der Dankbarkeit des Volkes als Volkstribun, Ädil und Senator Karriere.

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254 v. Chr. erteilte der erste plebejische pontifex maximus, Tiberius Coruncanius (Konsul 280 v. Chr.), öffentlich Rechtsunterricht und Rechtsgutachten. Zu nennen ist auch Sextus Aelius Paetus Catus (Konsul 198 v. Chr.), der tripertita, das sog. ius Aelianum verfasste. Tripertita bedeutet „Dreigeteiltes“, nämlich erst den Text der XII Tafeln, dann die interpretatio, den ersten bekannten juristischen Kommentar, und zuletzt die erforderlichen Spruchformeln. Marcus Porcius Cato (Zensor 184 v. Chr.) publizierte Vertragsbedingungen (Formulare) für landwirtschaftliche Arbeiten und Kaufverträge. Drei weitere Juristen – Manlius Manilius, M. Iunius Brutus und Publius Mucius Scaevola – sollen Mitte des 2. Jahrhunderts dann zusammenhängend über das ius civile im Ganzen geschrieben haben. Sie werden daher als fundatores iuris civiles bezeichnet.

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Genauer wird die Überlieferung für das letzte Jahrhundert der Republik. Jetzt soll es weniger senatorische Adlige, dafür mehr Ritter gegeben haben, die oft schon Juristen auf Lebenszeit waren, d.h. die Gutachtenpraxis diente nicht mehr in erster Linie der Laufbahn. Besonders bedeutend wegen ihres wissenschaftlichen Beitrages sind die folgenden beiden aus alten Adelsgeschlechtern stammenden Juristen, deren Definitionen und Distinktionen (Unterscheidungen) noch ca. 200 Jahre später zitiert wurden.

Quintus Mucius Scaevola pontifex (Konsul 95 v. Chr.) schrieb eine Art Handbuch, in dem er das Zivilrecht nach dem Vorbild griechischer Systembildung nach Gattungen und Begriffen ordnete und das Vorbild für spätere Darstellungen dieser Art wurde, die sich kommentierend auf ihn bezogen. In der Literatur überliefert sind die causa Curiana (Rn. 116) und ein Gutachten.[11] Dabei ging es um die Ersitzung der ehelichen Gewalt (manus) über gewaltfreie Frauen. Konkret hatte Quintus Mucius entschieden, dass das trinoctium (Rn. 65), also die Unterbrechung der Ersitzungsfrist, unwirksam sei, wenn bereits mit der zweiten Hälfte der dritten Nacht (Tagesgrenze um Mitternacht!) ein neues Jahr beginne.

Servius Sulpicius Rufus (Konsul 51 v. Chr.) war ein Freund Ciceros und absolvierte wie dieser zunächst eine Ausbildung zum Rhetor, war aber nicht so erfolgreich. Sein Lehrer Quintus Mucius soll ihn wegen seiner für einen Patrizier schlechten Rechtskenntnisse getadelt und ausgebildet haben. Von Cicero wurde Servius später sehr gelobt, er habe als erster wissenschaftliche Methode in die Jurisprudenz gebracht. Der kurze Kommentar zum prätorischen Edikt von Servius begründete eine neue, in klassischer Zeit sehr stark verbreitete Literaturgattung (ad edictum).

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Eine ihrer Aufgaben sahen die veteres in der Herausarbeitung von rechtlichen Regeln (regulae iuris). Die regula Catoniana aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. bezog sich auf Legate, also Vermächtnisse, mit denen der Erblasser einem Dritten nach seinem Tode etwas zukommen lassen wollte, ohne dass derjenige Erbe werden sollte. Diese Anordnung konnte aber aus verschiedenen Gründen unwirksam sein. Nach der regula Catoniana konnte ein bei Errichtung des Testaments unwirksames Vermächtnis nicht nachträglich wirksam werden; es kam also für die Beurteilung der Wirksamkeit ausschließlich auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Anders geregelt ist das heute in § 2171 BGB, und auch schon die klassischen Juristen machten viele Ausnahmen von dieser regula.[12] Es ist typisch, dass die traditionsbewussten Klassiker im Prinzip an ihr festgehalten, sie aber praktisch durch die vielen Ausnahmen an die Bedürfnisse ihrer Zeit angepasst haben. Zu ihrer Zeit war die Regel nämlich noch richtig, denn das Vermächtnis wurde ursprünglich ausgesetzt im Rahmen einer Testamentserrichtung durch eine mancipatio (Rn. 68) unter Lebenden an einen Treuhänder (Rn. 169), der die Sache dem Vermächtnisnehmer nach dem Tode des Erblassers herausgeben sollte. Und über die Wirksamkeit einer solchen mancipatio entschieden natürlich die Umstände bei ihrer Vornahme und nicht die beim Erbfall.

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Es gibt frühe Beispiele für die Ausfüllung von Lücken im Recht durch die auch uns bekannten (gegensätzlichen) Schlusstechniken Analogie und Umkehrschluss (argumentum e contrario). Im Gegenschluss zu XII tab. 4, 2 ließ man Enkel und Töchter schon nach einmaligem „Verkauf“ frei werden (Rn. 64). Eine Analogie wendete man an, wenn eine Klage nicht direkt auf einen Sachverhalt passte, aber Rechtsschutz doch geboten schien. Eine Version der legis actio sacramento (Rn. 56) hatte das Abholzen von Bäumen zum Gegenstand (actio de arboribus succisis). Die alten Juristen halfen mit ihr auch demjenigen, dem ein Übeltäter Weinreben (vites) abgeschnitten hatte, wobei der Wortlaut der Klage unverändert arbores (Bäume) nannte (Analogie).[13] Typisch für den frühen Formalismus ist es, dass man den Rechtsstreit verlor, falls man nicht das richtige Wort, also arbores, benutzte, obwohl es sich doch tatsächlich um Weinstöcke handelte. Später gab man dann aber analoge Klagen.

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Um den Gegensatz von verba (objektive Form, reine Wortbedeutung) und voluntas (dahinterstehender, subjektiver Wille) ging es in der causa Curiana, dem berühmten Rechtsstreit des Curius.[14] Ein gewisser M. Coponius verfasste in dem Glauben, dass seine Frau schwanger sei, sein Testament: Wenn mein Kind unmündig stirbt, ist Erbe der M. Curius. Dabei handelte es sich um eine heute gem. § 2064 BGB nicht mehr zulässige sog. Pupillarsubstitution (Einsetzung eines Erben für ein Kind durch den Vater). Coponius starb, und es stellte sich heraus, dass seine Frau gar nicht schwanger war. Der Wortlaut des Testaments berücksichtigte diesen Fall nicht, aber sein Sinn war doch der, dass Curius den Nachlass erben sollte, wenn Coponius keinen eigenen Nachkommen hatte, nicht die gesetzlichen Erben. Im Prozess vertrat Quintus Mucius Scaevola (Rn. 113) die gesetzlichen Erben und verlor mit der von ihm vertretenen Bindung an den Wortlaut gegen den durch den Rhetor L. Licinius Crassus vertretenen Curius. Wir würden heute das Testament ebenfalls nach seinem Sinn zu Gunsten des Curius interpretieren. Der alten Formenstrenge entsprach hingegen die höhere Bedeutung der Form, die Rechtssicherheit gewährleistete. Mit der allgemeinen Entwicklung formfreier Geschäfte, auch unter dem Einfluss der griechischen Philosophie, vermittelt durch die Rhetorik, gewann hingegen der (als innere Tatsache schwieriger zu beweisende) Wille zunehmend an Bedeutung.

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