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Kapitel 1

04.10.1989 / 10: 00 Uhr / Hirschberg, Baden-Württemberg

Uwe Dee, Kommandeur GSG9

Ich stand auf halber Höhe des Schlossberges über dem kleinen Ort Hirschberg und blickte durch mein Fernglas auf eine langgezogene, hell erleuchtete Mauer, die mitten durch den Ort verlief. Sie war fast vier Meter hoch, weiß und an ihrer Oberseite mit Stacheldraht versehen, abgeschirmt wurde das Ungetüm von verschiedenen Zäunen und Türmen. Dahinter schloss sich der sogenannte Todesstreifen an, der mit Landminen versehen war. Dieses Monstrum stand für Trennung und Tod, für Trauer und für unendliche Dummheit! Viel zu lange hatte ich diese Mauer gesehen, jahrzehntelang war sie Teil meines Lebens gewesen. Man konnte schon sagen, dass ich die innerdeutsche Grenze hasste und nichts lieber sehen würde, als dass diese Mauer morgen oder die nächsten Tage fiel; Und ich hatte wahrlich genug Freunde, die gleichermaßen wollten, dass genau das passieren würde: Dass es bald vorbei wäre, mit der widerlichen deutschdeutschen Teilung, mit einem schizoiden Ost- und Westleben unseres Landes und einer Besatzung durch die Alliierten.

„Irgendwo zwischen hier und Dobareuth wird er über die Grenze gehen. Wo bist du? Wo bist du … Urbach?“ flüsterte ich mir zu. Es war unser Auftrag, diesen Verräter zu finden. Jemand ergriff meine Schulter, es war Fox: „Uwe, wir müssen hoch zur Technik, es gab einen Funkspruch von der Koordinierungsstelle des Kanzleramts, Urbach scheint auf dem Weg zu sein … hierher! Wir sind also richtig hier. Offensichtlich waren zwei weitere Bunkersysteme in Blankenburg und Bernau bei Berlin von Hoffmanns Männern zwischenzeitlich besetzt. Er hat keine Forderungen gestellt oder sich geäußert. Immer noch keine Spur von Hoffmann selbst, wir wissen nicht, wo sein Hauptquartier ist. Aber Jürgen möchte am Funk selbst mit dir sprechen“. Ich nickte nur und machte eine Andeutung, dass wir kommen. Vorher atmete ich noch einmal tief durch.

Wir waren GSG9-Kräfte der ersten Stunde, also alt gediente Männer. Ich selbst war am Aufbau dieser Polizei-Spezialeinheit beteiligt gewesen. Beschwerlich machten wir uns auf den Weg nach oben zum Technikwagen, in voller Montur, an diesem Tag als Teil des Sondereinsatzteams SET 55. Beide trugen wir kugelsichere Westen, Helme, ebenso taktische Westen und unterschiedliche Bewaffnungen. Ich selbst hatte als Kommandant der neunten Gruppe des Bundesgrenzschutzes die Gesamtleitung der Operation »S-Bahn-Peter« vor Hirschberg übernommen. Es ging darum, endlich, nach all den Jahrzehnten, den Doppelagenten Hans-Peter Urbach zum Schweigen zu bringen. Er war im Besitz von brisantem Material und auf dem Weg in die DDR zu Hoffmann. Während ich ging dachte ich: „Diese Ausrüstung ist echt schwer. War sie das früher auch schon? Mit 49 Jahren sollte ich mir das offensichtlich sparen…“

Aber es galt, einen der am meist gesuchten Provokateure Deutschlands zu suchen, Urbach, und den Terroristenführer Karl-Heinz Hoffmann auszuschalten, welchem er zu dieser Zeit diente. Der Alt-Nazi Hoffmann wiederum hatte im Sommer die Freiheit aus der Haftanstalt erlangt und war mit allem, was von seinen privaten Kampfverbänden und alten Kumpels noch da war, über die Grenze in die DDR gezogen.

Wir hatten keine Ahnung weshalb und kannten auch seine Pläne nicht. Klar war aber, dass er die unsichere Lage in der DDR für eine umfassende Operation ausnutzen wollte. Es war ein Terroranschlag!

Schon seit vielen Jahren war Hoffmann als der führende Kopf der deutschen Rechtsextremen bekannt, mit einer eigenen Privatarmee in Deutschland. Jetzt war er mit allem, was fahren konnte, seinen Panzern, Truppentransportern und mit über 200 Mann, in die DDR eingedrungen. Ein Umstand, der sehr verwunderte, war die DDR doch seit einiger Zeit komplett abgeriegelt; Mal abgesehen davon, dass er sicher nicht über einen normalen Grenzübergang gefahren war. Es war also wahrlich verzwickt, denn wir wussten absolut nicht, was vor sich ging.

Der Plan war daher, egal was es kosten würde, die Weiterfahrt und damit auch die Verfolgung von Urbach zu ermöglichen. Urbach musste uns zu Hoffmann führen. Ob er in der aktuellen Lage die Grenze passieren könnte, war ungewiss. Auf jeden Fall mussten wir ihn ausfindig machen und erfahren was los ist. „Herr Kommandeur, das Kanzleramt für Sie mit einer vertraulichen Nachricht, oberste Prioritätsstufe. Das Funkgerät ist hier drüben. Bitte kommen Sie!“ Der junge GSG9-Beamte führte uns um den Wagen herum zum Funkgerät. Auf der anderen Seite stieß Weygold ebenfalls dazu. Das Quartett rettet Deutschland! Wieder einmal. Dieser Tage werden wir uns übertreffen müssen. Und keiner wird es je erfahren.

„Dee am Apparat, Verständigung gut?“.

Das Funkgerät knackte unaufhörlich, aber man verstand Jürgen Bischoff auf der anderen Seite. Bischoff war ein ehemaliger GSG9-Kollege, der inzwischen das Referat »Führung und Einsatz der Verbände und Einheiten des BGS« im Innenministerium leitete. Aufgrund der aktuellen Lage war er mit anderen Führungsmitgliedern der verschiedensten Institutionen in der Koordinierungsstelle des Bundeskanzleramtes, die unter der Leitung von Wolfgang Schäuble stand. Jürgen sprach ruhig und gelassen:

„Hallo Uwe, wir haben jetzt Informationen von den Russen. Alle russischen Anlagen in der DDR sollen angeblich wieder geschützt sein und werden abermals von eigenen Truppen bewacht. Mittlerweile scheint jeder russische Soldat irgendwo auf den Beinen zu sein. Laut unseren Informationen hat das Oberkommando alle Kräfte in Alarmbereitschaft versetzt und kurzfristig sämtliche Atomwaffen auf dem Gebiet der DDR vom sowjetischen Verteidigungsnetz genommen. Dieses Entgegenkommen gilt wohl für die kommenden zwanzig Stunden,“ es knackte erneut im Lautsprecher, „aus Gründen der nationalen Sicherheit ist aber eine längere Abschaltung nicht möglich. Wir sollten bis dahin unsere Dinge geregelt haben. Die Information kommt informell vom Außenministerium!“. „Das klingt ja mal soweit gar nicht so schlecht …“, unterbrach ich, „… gibt es Neuigkeiten zu Hoffmann und seinen Truppenkontingenten? Wissen wir jetzt mehr? Was hat er vor?“

„Wie wir jetzt wissen, hatten Hoffmanns Teams Bernau und Blankenburg zwischenzeitlich eingenommen und besitzen nun schweres Gerät. Mehrere SEKs helfen bei der Sicherung des Führungsbunkers KOSSA sowie den Bunkeranlagen in Ladeburg und Harnekop. Verbliebene Einheiten der NVA halten Berlin und Umgebung, vor allem Garzau. So das offizielle Kommuniqué, leider treten bei der NVA nicht mehr viele an, was von denen aber auch keiner zugeben mag. Man tut so, als wäre alles normal, in jeder Hinsicht. Keiner versteht, was da vor sich geht.

Das Verteidigungs-, das Innenministerium und wir erarbeiten derzeit mögliche Einsatzszenarien, um die Sicherheit in der DDR wiederherzustellen. Die Regierung wird gerade umfassend informiert.“

Das Funkgerät knackte und zischte unaufhörlich. Es nervte.

Ich fuhr fort: „Verstanden. Frage: Für mich bleibt alles beim Alten?“ Bischoff antwortete: „Nein! Leider nein. Wir haben eine wesentlichen Änderung der Prioritätsstufe! Wir haben hier ganz neue Erkenntnisse!

Uwe, pass auf, wir haben ein riesiges Problem! Die Russen haben alle Teile ihres atomaren Verteidigungsmantels wieder unter Kontrolle, auch die Bunker, die Hoffmann kurz eingenommen hatte. In Gräfenhainichen und Eberswalde war alles in Ordnung, aber, und das ist wichtig, Uwe … im Finsterwalder Bunker fehlen die Bomben mit der Nummer 38 und 39 … Nukleare Sprengsätze!“ Wir riefen alle gleichzeitig: „Ach du Scheiße, gottverdammte Scheiße!“ - „Scheiße“, sagte auch Anselm und sah Dieter und mich an. „Ja, Scheiße“, sagte ich ebenfalls und blickte in die Runde,

„na dann sind wir uns ja alle einig.“

Das Funkgerät zischte penetrant dazwischen,

dann fuhr Bischoff fort: „Damit hat sich alles geändert, wir dürfen das auch nicht geheim halten! Die Regierung implementiert verschiedene Krisenzentren, das Auswärtige Amt schickt Mitarbeiter in alle diplomatischen Vertretungen. Der Bundeskanzler hat Teile der Administration zur Sicherheit in den Regierungsbunker bei Bonn beordert. Für den späten Abend sind diverse Lagebesprechungen mit den Amerikanern angesetzt. Die Fallex-Prozedere der NATO für atomare Zwischenfälle steht vor der Auslösung. Brüssel aktiviert gerade die europäische Verteidigungsphalanx. Die Amerikaner ziehen bereits erste Flottenverbände in der Nordsee zusammen und wir können nicht sagen, ob sie nicht irgendwann selbst das Heft in die Hand nehmen werden.

Es wimmelt schon überall von amerikanischen Einheiten, die CIA ist dutzendweise im Land aktiv und deren Koordination mit uns ist miserabel. Wir können uns mit immer weniger Stellen des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR verständigen.

Wolf ist nicht auffindbar, Stoph und Liebling scheinen desinteressiert und das Politbüro ist mit Konferenzen und den Feierlichkeiten beschäftigt. So scheint es jedenfalls! Man erwartet alle großen Oberhäupter und Diktatoren des Ostens zu den Feierlichkeiten des 40-jährigen Bestehens der DDR. Genscher behauptet, es gäbe gar kein Interesse, sich mit dem Fall Hoffmann auseinanderzusetzen, und das, obwohl man weiß, wie ernst die Situation ist. Man steckt wohl den Kopf in den Sand und hofft, dass der Sturm vorbeizieht. Eine groteske Situation“.

Auf einmal redete Bischoff etwas leiser:

„Pass auf Uwe! Hier wird vermutet, dass Urbach einen Code und technisches Material für eine Atombombe besitzt, er hat diesen möglicherweise in Westdeutschland erbeutet und eventuell hat Hoffmann selbst einen Satz für einen Sprengkopf. Das sind aber nur Vermutungen! Über den derzeitigen Aufenthalt der Bomben selbst weiß hier keiner was,… und wir haben kaum zwanzig Stunden, um das Problem zu lösen, dann brennt der Kontinent!“ Bischoff machte eine bedeutungsvolle Pause, dann sprach er laut und deutlich weiter:

„Zur Sicherheit schicke ich dir ein weiteres Sanitäter- und ein ABC-Team. Sie treffen in zwei Stunden bei dir ein, egal wo du bist, hier oder drüben. Deine Einheit unterliegt jetzt militärisch der Bundeswehr! Bis die Regierung weitreichendere Mandate veranlasst gilt die Befehlsgewalt unserer Koordinierungsstelle, eure Order bekommt ihr von mir. Aufgrund deiner jahrelangen Erfahrung, gerade auch was Urbach angeht, wurde deine Einheit unter allen derzeit befindlichen Kampfverbänden ausgesucht. Finde Urbach und bring uns den Aufenthaltsort von Hoffmann, mit ausdrücklich allen erforderlichen Mitteln!

Das SIC überwacht per Satellit. Wir haben noch mehrere Einheiten in Reserve, wenn du Verstärkung brauchst. Alle Augen sind auf dich gerichtet, Uwe! Du stehst im Zentrum all unserer Bemühungen!“

Bischoff hatte eine echt lange Betonung auf dem »Uwe« gelassen.

„Alles klar, danke dir, Jürgen. Dee Ende“ keuchte ich kurz, dann gab ich den Sprechfunk an den jungen Kollegen zurück. Fox hakte sofort ein: „Du glaubst doch nicht, dass der Stasi, dem Politbüro oder irgendwem egal ist, was Hoffmann in der DDR macht, oder? Es kann auch nicht sein, dass niemand erreichbar ist! Und wer verkauft in der BRD nukleare Codes der DDR?“ Daraufhin konnte ich nur stöhnen: „Ich weiß es nicht, aber wir werden es herausfinden. Ich denke, die DDR-Größen glauben, dass eine echte Krisensituation ihnen hilft. Deswegen lassen sie ihn gewähren, bis es kracht. Umso mehr muss der »S-Bahn-Peter«, der Urbach, her. Jungs, gehen wir alles noch einmal durch, überlegen wir, was wir unter Umständen vergessen haben. Jeden Punkt müssen wir nochmals durchdenken.“

Wir gingen ein Stück entfernt zum Wagen der technischen Einheit, um uns die Karten und Berichte erneut anzusehen. Ich dachte: „Wenn wir nicht schon so viel gemeistert hätten, ich wäre fix und fertig. Unterhalb der arbeitenden Fläche in mir brodelt es ganz schön. Es steht viel auf dem Spiel. Ein wenig Hilfe wäre gut. - Inge, wo bist du? Jetzt, wo ich dich brauche! Und wo hast du Ralf gelassen? War es das sechste, siebte oder gar achte Mal, dass wir uns mit Urbach anlegten, bzw. er sich mit uns? 1959, 1968, 1972 mehrfach, 1980, 1984 und dann jetzt das. Ich war wirklich ein Spezialist was diesen Mistkerl anging!“

Während wir liefen ging Fox neben mir her und ließ sich etwas fallen. Er forderte erneut, dass wir weiter aus meinen Beziehungen Kapital schlagen - sofort – und Inge Viett verhören! „Ich habe echt keine Ahnung, was Ihr Jungs, und vor allem du Uwe, immer und immer wieder mit der Inge habt, dass ihr so Scheiße arbeitet! Warum habt ihr sie diesmal nicht beschatten lassen? Wie oft, Uwe, muss ich mir noch gefallen lassen, dass die größte Top-Agentin Deutschlands bei dir Universalschutz genießt?“

Ich lachte etwas, sagte aber kein Wort. Inge Viett beschatten! Leider unmöglich! Auch Fox wusste es besser, deswegen war er auch verärgert. Die Frau war allein zwei Mal aus der deutschen Gefangenschaft ausgebrochen und wurde in einem halben Dutzend verschiedener Länder, vom Nahen Osten bis in den Ostblock, militärisch ausgebildet. Sie hatte mich mehrfach aus dem Dreck gezogen, und ich sie … und sie war etwas sauer auf mich, weil ich sie Mitte der 70er selbst verhaftet und hinter Gitter gebracht hatte! Ausgeschlossen, nicht die Inge, die erwischt man nicht. Dementsprechend konterte ich: „Bevor ihr sie findet, findet sie euch und davon mal abgesehen sucht sie Urbach genauso. Schließlich kam der Tipp mit Urbachs möglichen Aufenthaltsort von ihr! Vermutlich sitzt sie auf der anderen Seite der Grenze, seelenruhig, mit einem kühlen Bier in der Hand und wartet einfach auf ihn. So ist die Inge,… also vergiss es!“

Bei aller Wahrheit verflog meine zur Schau gestellte Bewunderung schnell. „Wo, verflixt nochmal, bist du Inge?“ dachte ich „wo, in drei Gottes Namen, bist du? Das Land geht vor die Hunde und du schickst lediglich eine kurze Nachricht, dass Urbach beteiligt ist. Jetzt ist der Moment, von dem wir immer geredet haben, heute beginnt es, siehst du es nicht? Also lass es uns zu Ende bringen, du hast es auf dem Fischerboot versprochen! Für alle, die gestorben sind: für Shlomo, für Giangiacomo, für Tommy und für Ingrid, wobei sie wussten, wofür sie starben. Die vielen, die einfach mit in den Tod gerissen wurden, damit all das hier erst möglich wurde, wussten es nicht“.

Abrupt wurde ich in meinen Gedanken unterbrochen. Man rief uns schon wieder, es gab neue Kampfhandlungen. Urbach sollte doch schon in der DDR sein. „Verdammt!“ ärgerte ich mich: „Also jetzt, Inge, ich komme! Es gibt keine Alternative, wir gehen in die DDR!“

Schon als ich den Befehl dafür gab, dachte ich für einen Moment an den Tag, an dem ich Inge Viett kennengelernt hatte. Das war der gleiche Tag an der Ostsee gewesen, an dem sie und ich auch Ralf das erste Mal trafen.

Es war lange her, um genau zu sein:

Dreißig Jahre und zwei Monate,… damals,…

beim ersten Schlagabtausch mit: Reinhard von Gehlen.

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