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ОглавлениеKapitel 8
12. Juli 1959 / Schönberger Strand,
Aus dem Reisetagebuch von Giangiacomo Feltrinelli
„Handle – und das Schicksal selbst beugt sich!“
(Ralph Waldo Emerson, amerikanischer Philosoph)
Es war gegen vier Uhr früh, als mich der Nachtportier mit heftigen Schlägen gegen die Hotelzimmertür weckte. Meine Verlobte, die neben mir lag, schien es nicht zu stören. Sie drehte sich bloß zwei Mal, während sie sich lediglich mit: „… so eine Scheiße!“ beschwerte und fragte, was schon wieder los sei. Deutsch war wirklich eine ausdrucksvolle Sprache. „Scheiißee“ murmelte ich vor mich hin. Das Pochen an der Tür war aber auch wirklich penetrant und nervig. So schnell ich konnte, zog ich meine Pantoffeln an und warf mir den Morgenmantel über, während ich hektisch wurde und rief: „Va bene! Vengono, subito! Non e vero questo!“ Irgendwie wollte ich natürlich die gleiche Empörung ausdrücken, wie sie meine zukünftige Gattin schon so sensibel formuliert hatte.
Ich öffnete die Tür und blickte einem pickeligen Pagen in die Augen. Ich hob fragend den Kopf und er meldete: „Ein wichtiges Telefonat für Herrn Feltrinelli, ein Herr Shlomo Lewin möchte Sie sprechen!“ Ich fragte mich sofort, was mein Freund Shlomo, einer der führenden Köpfe der jüdischen Gemeinde in Deutschland, um diese Uhrzeit von mir wollte.
Klar war nur, dass es wichtig sein musste. Ohne mich umzuziehen folgte ich dem Burschen in die Hotellobby, wo es einen Fernsprecher gab. Ich hob den Hörer des Gerätes ab und entwirrte das klobige Kabel. Dann hörte ich den Portier in der Leitung: „Ich leite das Gespräch jetzt weiter.“ Es klickte, als er den Stift in die Telefonleitung steckte, um die Verbindung herzustellen.
Nachdem es ein wenig geknirscht und rumort hatte, hörte ich Shlomos Stimme auf der anderen Seite: „Hallo? Hallo? Ich sagte Herrn Feltrinelli. … Hallo? Sind Sie noch dran?“ Mein alter jüdischer Freund klang nervös. Ich sagte: „Guten Abend Shlomo, Belissimo, von dir zu hören, Hallo? Hörst du mich?“ Er bejahte, seine Stimme klang sofort beruhigter, anschließend seufzte er tief und begann zu sprechen: „Giangiacomo, mein guter Freund, großartig, dass ich dich ausgerechnet da, wo du bist, erreiche. Welch göttliche Fügung! Ich brauche dringend deine Hilfe, hörst du?“
Ich wunderte mich nur kurz, warum er wusste, wo ich war, dann bestätigte ich, dass es mich sehr freuen würde, wenn ich ihm helfen könnte. Shlomo führte weiter aus: „Mich hat gerade ein guter Freund aus Berlin angerufen, der sehr besorgt ist. Einer seiner Sprösslinge, dem man eine hervorragende Zukunft voraussagt, ist heute Nacht in deiner Nähe verhaftet worden. Seine Freunde und eine äußerst interessante Gruppe aus dem Westen sind mit dabei.
Ich selbst kann mir noch keinen Reim daraus machen, wie diese Gruppe entstanden ist, aber du weißt ja, Gottes Wege sind unergründlich. Schalom. In jedem Fall, mein Freund, brauche ich deine Hilfe, um die Gruppe aus der Haft herauszubekommen. Es sollte dabei keine Schwierigkeiten geben, du wirst dich zuvor mit dem Polizeichef von Kiel und des Kreises Eckernförde treffen, er wird dich begleiten“.
Ich fragte ihn, warum ich dann überhaupt mitgehen sollte. Er seufzte, murmelte etwas von Schmock und dann erklärte er es: „Der Polizeichef kommt nicht in Uniform, er wird offiziell nicht dort sein, aber der Polizeihauptkommissar dieser kleinen Polizeistation und er sind miteinander verwandt. Dass er dort sein wird, reicht aus, aber reden musst du. So wie wir alle nicht dort gewesen sein werden, so Gott will, wird er es auch nicht. Also musst du reden, mein Freund. Erzähl ihnen etwas von Freiheit, von Kindern, davon, dass es keine Beweise gibt, aber sag ihnen nicht, dass sie einige Sprösslinge mehrerer Eliten unseres Landes in eine Polizeistation gebracht haben; Auch nicht, dass hier etwas Internationales entstehen könnte oder dass morgen vielleicht der Ort von der Presse belagert wird!“
Weil es so unglaublich klang fragte ich belustigt: „Ist das denn so, Shlomo, oder flachst du jetzt wieder mit mir, du alter jüdischer Fuchs!“ Das verneinte er strikt und bekräftigte sehr verbindlich: „Giangiacomo, du musst los, wirklich, jetzt gleich. Sei geschickt und redlich!“ Er gab mir noch einige Details, dann verabschiedeten wir uns.
Im Hotelzimmer angekommen dachte ich nur noch daran, wie ich mich am schnellsten ins Auto und dann an den Treffpunkt verfrachtete, aber noch mehr, wie schnell ich mich am besten so anziehen konnte, dass ich nicht aussah, als sei ich gerade aufgestanden. Ich lief also wie ein Wilder durch das Zimmer, als meine Inge erwachte. Sie war empört über den Lärm und fragte mich, was das Getue soll. Mir fiel wahrlich nichts ein, womit ich sie anlügen konnte, also flüsterte ich: „Einer meiner jüdischen Freunde, Shlomo Lewin, braucht dringend Hilfe. Ich muss eine Gruppe von sieben Jugendlichen aus einer Polizeistation herausboxen, dabei hilft mir der Polizeichef von Schleswig-Holstein.“ Sie schaute mich an, starrte auf den Wecker, murmelte emotionslos: „Sei zum Frühstück wieder da, mein Schatz!“ Augenblicklich sank sie dabei wieder zurück ins Bett. Ich wusste nicht, ob ich in diesem Moment belustig oder eher verärgert sein sollte. Doch schnell wandte ich mich gedanklich wieder meiner Mission zu. Ich zog mich an und nahm mir fünf Minuten vor dem Spiegel, um nicht unsympathisch zu wirken. Sobald es meine Eitelkeit zuließ, stürmte ich hinaus.
Wie verabredet traf ich den Polizeichef.
Ich fragte ihn nach seinem Namen, aber er nickte nur kurz und gab keinen Laut von sich. Dabei sah er sich panisch um, obwohl unser einsamer Treffpunkt mitten in der nordischen Ebene lag. Wir fuhren schweigend in Richtung Polizeistation, ein versuchter Gesprächsbeginn blieb ohne Erfolg. Ich sehnte mich plötzlich nach einem starken Kaffee und einer gründlichen Dusche. Am Horizont erhellte sich der Himmel, über dem Platt wurde es türkis-rötlich und die ersten Vögel zwitscherten. Einen Moment nahm ich den wunderbaren Geruch der frischen Natur wahr, vereinbart mit dem Salz des Meeres in der Luft, genau wie in meiner Heimat, um diese morgendliche Uhrzeit. Natürlich fehlte den Deutschen der Eukalyptus, der Lavendel und Rosmarin.
Gegen fünf Uhr morgens erreichten wir die Polizeistation. Ich parkte den Wagen, sah dem Polizeichef nochmal in die Augen, der sich nur abwendete und auf die Eingangstür deutete. Mit schweren Schritten und aufrechter Haltung gingen wir hinein.
Ich hatte erwartet, dass hier noch eine, vielleicht zwei Nachtwachen sein würden und natürlich der Hauptkommissar, der Verwandte meiner stummen, mysteriösen Begleitung. Aber dem war nicht so. Man sah Männer in Uniform, in Anzügen und in militärischer Camouflage. In der Mitte stand jemand, den ich kannte, aber noch nie persönlich getroffen hatte. Er überragte alle anderen, war offensichtlich unberührbar und wenn er sprach, war jeder ruhig. Just in diesem Moment gab er gerade die Anweisung, seine Operationsstelle über den neuesten Stand zu informieren.
Mir war inzwischen klar, dass ich mich in der Höhle des Löwen befand und dass mich mein guter alter jüdischer Freund auf eine Art Himmelfahrtskommando geschickt hatte. Mein kleiner Polizeichef könnte unter Umständen gleich noch viel kleiner aussehen. Es dauerte eine Weile, bis man uns überhaupt wahrnahm.
Nach ersten irritierten Blicken war es das Oberhaupt persönlich, der Leiter seiner eigenen kleinen Organisation Gehlen und ehemaliger Führer der Fremde Heere Ost im zweiten Weltkrieg, der das Wort übernahm. Ich war geschockt! Einer der graziösesten Nazi-Figuren stand leibhaftig vor mir! Er war ja nicht nur von allem verschont geblieben, er stand für die Amerikaner auch wertgleich neben den Raketen des Herrn von Braun. Forsch fragte mich Reinhard von Gehlen, was wir hier wollten.
Ich blieb gelassen, nahm langsam meine Hornbrille ab, putzte sie, setzte sie wieder auf, strich mir über den Schnauzer und sagte ruhig: „Ich grüße Sie! Wir sind die beiden Rechtsanwälte der Herren Devaux und Jäger. Wir sind hier, um die sofortige Entlassung zu fordern! Wir erwarten umgehend detaillierte Informationen über die Anklage und die rechtliche Grundlage, auf welcher sie unsere Mandanten hier rechtswidrig festhalten! Wer hat diese irrwitzige Verhaftung vorgenommen und aus welchem Grund?“
Reinhard von Gehlen bemerkte uns jetzt richtig, sah uns kurz an, setzte seinen Hut ab, strich sich langsam über die Haare und entgegnete: „Wir haben heute eine Gruppe von kommunistischen Spionen gefasst, die gemeinsam mit Sympathisanten aus dem Westen umstürzlerische Pläne ausheckten. Vaterländische Truppen, die hier mit dem Technischen Dienst trainieren, wurden attackiert und zum Teil schwer verletzt. Später hat sich die Gruppe dann voller Freude und ausgelassen im Hotel bei Alkohol und Sex vergnügt. Mal abgesehen von der Tragweite dieser Begebenheit, bin ich persönlich angewidert von dieser Abtrünnigkeit, Verschlagenheit und Perversion, der wir uns hier stellen müssen. Die Verhaftung ist absolut rechtskonform.“
Der Groschen war gefallen und der Ruf, der Gehlen vorauseilte, war nicht übertrieben. Ich hatte erstmals in Gesprächen mit der ersten Hauptverwaltung des KGB in Moskau von Gehlens Geschichte gehört. Man hatte sich gebrüstet, auch den Informationskrieg 1942 - 1945 gegen die Nazis gewonnen zu haben. Das war geradewegs eine Schlacht des Kommissariats für Feindaufklärung auf russischer Seite, gegen das Fremde Heere Ost der Nazis, sozusagen gegen Gehlen persönlich. Man verriet mir, dass Gehlen, dass er aus dem Fremde Heere Ost, das er übernommen hatte, eines der modernsten und zuverlässigsten militärischen Feindaufklärungssysteme der Welt gemacht hatte und dass er ohne mit der Wimper zu zucken Hitler den Rücken zugekehrt hatte. Wenn man die Amerikaner nach den wichtigsten Deutschen fragte, die man nach dem Krieg in die USA mitgenommen hatte, wurde nach Otto Hahn und Herrn von Braun als dritter Name Reinhard von Gehlen genannt.
Sie lernten von ihm, er lernte von ihnen. Jetzt war er in diesem Land der CIA-Statthalter, nicht mehr, aber in erster Linie auch nicht weniger.
Es würde wohl etwas ruppig werden, also setzte ich notgedrungen einen drauf: „Es ist mir natürlich schleierhaft und entschuldigen Sie mein schlechtes Deutsch, ich bin schließlich Italiener, wie es möglich ist, dass sich offensichtlich der führende Kopf der nationalen Spionageabwehr, dazu leitende Beamte seiner Operationsstelle und mindestens zwei Bundesbeamte der Regierung hier aufhalten? Was wollen Sie damit erreichen, Herr von Gehlen?“
Reinhard von Gehlen war zunächst einmal verdutzt, das konnte man deutlich erkennen. Nicht nur weil ich seinen Namen kannte. Mein Polizeichef gab, wie befürchtet, kein einziges Wort von sich, obendrein stand er einen Schritt hinter mir. Ich würde das hier alleine durchstehen müssen, denn auch sein Verwandter war noch nicht aufgetaucht.
Es sah also nicht gut aus.
Als sich bei Gehlen die Verwunderung gelegt hatte, glühten seine Augen vor Boshaftigkeit und Verärgerung. Er machte nochmals einen Schritt auf mich zu, dann zischte er wie eine Schlange: „Wer, in drei Gottes Namen, sind Sie? Und wie kommt ein Typ wie Sie, aus Italien, in diese Polizeistation? Sie wollen ein Anwalt sein? So sehen Sie nicht aus! Sie sind vermutlich einer dieser Kommunisten, die unser Land unterwandern! Gehören Sie nicht in Wahrheit zu der Verschwörer-Gruppe, die wir heute hier dingfest gemacht haben? Ich denke, es gibt hier einen dringenden Verdacht auf Unterstützung von Spionage und Terrorismus und wir werden hier im Interesse der nationalen Sicherheit eine sehr detaillierte Untersuchung starten,… und Sie hierzu intensiv befragen! Ich verhafte Sie hiermit wegen des begründeten Verdachts auf Unterstützung terroristischer Handlungen!“ Dann hielt er kurz inne, deutete auf uns und schrie noch lauter: „Meine Herren, verhaften Sie diese beiden!“
Potzblitz!
Einen Moment lang wurde mir bewusst, dass er nicht mal nach meinem Namen gefragt hatte! Es verwunderte mich, auch wenn ich nicht glaubte, dass er mich kannte. Bei seiner frenetischen Besessenheit für die Sowjetunion war der Kommunismus in Italien sicher ein zu kleiner Spielplatz für ihn, auch für sein Ego. Es war egal, wir waren lediglich Störenfriede, Schaben, die zum unpassendsten Zeitpunkt unter seiner Küchenzeile hervorgekrochen gekommen waren und genauso ging er mit uns um: Er trampelte einfach auf uns drauf! Ich war aber nicht gewillt, so einfach aufzugeben! Obwohl seine Schergen schon sehr nah an mir dran waren, erhob ich laut meine Stimme:
„Was jetzt, Sie möchten also einen internationalen Zwischenfall provozieren? Wenn gewisse Leute erfahren, dass ich inhaftiert wurde, können Sie nur noch nach Timbuktu gehen, vielleicht zu Klaus Barbie oder anderen. Nach meiner Verhaftung wird es keine Stunde dauern, ehe sich nicht mindestens vier diplomatische Vertretungen, der Heilige Stuhl in Rom und Ihr Vorgesetzter bei der CIA in Langley melden, damit Sie mich gehen lassen!
Ihr Ruf wird ruiniert sein, Herr von Gehlen!“
Jetzt war er ernsthaft interessiert, aber auch stocksauer, weil ich begann, ihn vor seiner gesamten Gefolgschaft zu blamieren. In der Sekunde, in welcher ich ihm mit dem Heiligen Stuhl gedroht hatte, erzürnte er spürbar. Aber wieso? Er wollte mir jetzt nicht mehr in die Augen sehen und drehte sich verkrampft weg. Erneut brüllte er, sah mich dabei aber nicht direkt an: „Wer verdammt noch eins sind Sie? Wie heißen Sie? Wer hat Sie geschickt? Raus mit der Sprache, oder wir bringen Sie zum Reden, … das verspreche ich Ihnen!“ Er sah einen seiner Lakaien an und befahl ihm ohne Regung, mich mit seiner Waffe in Schach zu halten. Dann fuhr er fort: „Reden Sie! Sofort! Sie Itaker Schnösel, oder ich lasse Sie beide umgehend erschießen!“
Inzwischen war ich mit meinem Latein am Ende.
Ein sturer Hund, den meine Androhungen kalt ließen. Es ärgerte mich kurz, dass ich meine Beretta in Italien gelassen hatte, denn ich hatte noch vor kurzem in einem militärischen Trainingslager der CSSR trainiert. Ach! Humbug! Die Beretta war gleichgültig, er konnte das nicht tun!
Mein Polizeichef stand übrigens immer noch lautlos hinter mir. Er war zur Salzsäule erstarrt, denn er regte sich keine Sekunde. Mit der Pistole vor Augen begann ich zu schwitzen. Ich dachte mir, wie komisch die Welt doch ist. Gerade eben hatte ich mich noch etwas über meine Verlobte aufgeregt, eine Stunde später sehnte ich mich nach nichts mehr, als in meinem kleinen, aber feinen norddeutschen Hotel neben ihr im Bett zu liegen und meine Hand sanft über ihren schönen und reizvollen Körper streifen zu lassen. Alles lief doch darauf hinaus, dass man nachts besser nicht ans Telefon ging.
Gehlen fuhr fort: „Die im Hinterzimmer anwesenden Hans-Peter Urbach und Christa Wessel können bezeugen, dass die Inhaftierten sie grundlos attackiert und schwer verletzt haben. Also, mein Lieber, letzte Chance, bevor Sie die Radieschen von unten wachsen sehen. Machen Sie das Maul auf! Ihren Namen! Ich zähle jetzt bis Zehn, dann sagen Sie mir, wer Sie sind und wer Sie geschickt hat oder dieser Mann hier wird Sie auf der Stelle erschießen!“
Ich schwitzte deutlich und suchte krampfhaft nach einer Lösung.
Doch es war genau dieser Moment, in dem der örtliche Polizeiwachtmeister, der Kommissar dieser Polizeistation, welcher der Verwandte meines Begleiters war, das erste Mal im Raum erschien. Er bewegte sich ganz langsam, schob sich in Zeitlupe in den Raum und schwitzte an seinem ganzen voluminösen Körper. Seine Augen versuchten, uns alle gleichzeitig anzusehen, dann gab er einem seiner Beamten etwas, der wiederum sofort damit verschwand.
Gehlen entdeckte ihn und schrie: „Hier, sehen Sie, die örtlichen Behörden werden Zeuge sein, wie wir eine umstürzlerische Gruppe und offensichtlich auch ihre Auftraggeber dingfest gemacht haben.“ Voller Überzeugung deutete er auf den Wachmeister. Der Schwager meines Polizeichefs schwitzte noch mehr und flüsterte bibbernd: „Was für eine Gruppe?“ Er räusperte sich, schluckte und wiederholte die Frage, dieses Mal nur ein wenig lauter:
„Was für eine Gruppe?“
Gehlen fuhr herum und brüllte ihn nieder: „Was für eine Gruppe? Sie fragen, was für eine Gruppe? Sind Sie wahnsinnig, Mann? Die Gruppe, die sich dort hinten in Ihrer Gefängniszelle befindet!“ Der eingeschüchterte Hauptkommissar schaute betreten auf den Boden, holte tief Luft, dann keuchte er, während er jetzt seinen Schwager ohne Unterlass anstarrte: „Wir haben heute niemanden inhaftiert. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Und ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich nicht weiß, warum Sie da sind!“
Dabei befand er sich endgültig in Auflösung.
Gehlen fiel aus allen Wolken!
Er starrte den Polizeichef eine gefühlte halbe Ewigkeit an. Man sah, dass er innerlich raste. Dann stürzte er aus dem Raum, an seinen verdutzten Untergebenen vorbei, in den Zellenbereich. Nach einem Moment stürmte er zurück, entriss seinem Mitarbeiter die Pistole, zog den Lauf nach hinten, lud die erste Patrone in die Halbautomatik, entsicherte sie und zielte zuerst auf mich, dann auf den Stationsleiter, dann wieder auf mich. Er schrie: „Was ist hier los? Was soll diese infame Intrige bedeuten?
Wer sind Sie? Wo sind die inhaftierten Jugendlichen?
Wer hat sie freigelassen?“
Einen Moment lang dachte ich, dass er uns wirklich erschießen wird. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Der ganze Raum glotzte uns an. Jeder wartete darauf, was passiert. Die Welt schien stillzustehen. Ich war dabei instinktiv die Augen zu schließen und zusammenzukneifen, so sehr glaubte ich jetzt, dass er abdrücken würde. Ich schaffte es aber dem Blick standzuhalten, indem ich in seine eiskalten Augen starrte: Sie waren unbeirrt, sachlich und dominant. Ich überlegte bereits, wie es wohl weiterginge, da war es einer der Militärangehörigen in Camouflage, der Gehlen plötzlich Einhalt gebot.
Ruhig, aber genervt, haspelte der Typ: „Es ist gut, Herr von Gehlen, so wie es aussieht, gab es hier ein Missverständnis. Wir gehen jetzt, was immer Sie tun, machen Sie es in eigener Verantwortung. Soweit es uns betrifft, ist hier heute nichts passiert. Ehrlich gesagt hat uns das von Anfang an nicht gefallen!“
Er machte eine kurze Handbewegung und die Truppe verließ umgehend wortlos den Raum. Sie gingen, einfach so.
Keiner sah mich an. Alles nur Staffage.
Sie verschwanden so schnell, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.
Gehlen schnaufte, er hatte einen hochroten Kopf. Abwechselnd starrte er mich, den Polizeichef und seinen Schwager an. Er konnte es immer noch nicht fassen. Angesichts dieser Rage wusste Gehlen von Anfang an ganz genau, wen er inhaftiert,… und jetzt verloren hatte! Dann war es einer der Anwesenden im Anzug, der ruhig flüsterte: „Herr von Gehlen …“ zu mehr kam er nicht.
Gehlen schoss,…
und die Kugel flog nur Zentimeter an meinem linken Auge vorbei!
Spontan liefen Tränen aus meinen Augen,
die Druckwelle der großen Kanone drückte mein Gesicht nach hinten und Schießpulver entlud sich in meinem Gesicht. Er traf genau in das Portrait des aktuellen Bundespräsidenten Theodor Heuss, das hinter mir an der Wand hing. Er schoss Theodor Heuss exakt mitten in den Kopf, genau in die symmetrische Mitte aus beiden Augen, der Nase und seinem Haaransatz. Ich erkannte es, weil es meinen ganzen Oberkörper herumriss, obwohl er mich nicht getroffen hatte.
Hart fiel ich in die Ecke des Raumes, nichts sehend und laut schreiend.
Gehlen schleuderte die Waffe zu seinem Mitarbeiter zurück, dann stampfte auch er aus dem Raum ins Freie, ohne ein weiteres Wort und der letzte Rest der Seinen huschte ebenfalls wortlos hinterher. Zurück blieben nur die Polizisten und ich.
Der Raum war voll schwerem Qualm, es roch nach Schießpulver. Ich war taub, atmete flach und hielt meine Augen geschlossen, mein ganzes Gesicht schmerzte. Dann setzte ich mich auf, schnaufte durch und konnte ein wenig durch die Augenschlitze erkennen. Ich war nicht blind. Madonna mia! Spontan freute ich mich über die mögliche Rückkehr in mein gemütliches Hotelzimmer und darüber, dass ich nicht Theodor Heuss war. Dem zerbrochenen Portrait würdigte ich einen Seitenblick und dachte einen Moment lang, dass das eigentlich ganz gut passt, weil in einigen Tagen sowieso das Portrait von Heinrich Lübke dort hängen würde, dem neu gewählten Bundespräsidenten. Ich lachte etwas, auch das tat weh.
Dann drückte ich mich an der Wand nach oben, sah nochmal den liquidierten Heuss an, drehte mich kurz in die Runde, um mich zu verabschieden. Keiner sagte ein Wort oder ich konnte es nicht hören.
Während ich hinausging taumelte ich etwas. Meine schweigsame Begleitung lief mir nach, weil sie mich anscheinend noch zum Wagen bringen wollte. Draußen stand die stechende Sonne nun schon leicht über dem Horizont, es war vielleicht sechs Uhr. Ich konnte kaum etwas sehen, meine Augen schmerzten. Ich zitterte am ganzen Leib.
Er gab mir eine Wasserflasche und ich reinigte mein Gesicht. Das tat verdammt gut. „Na, das war ja was!“ keuchte ich. Am Wagen angelangt fragte ich den Polizeichef halb schreiend, wo die Jugendlichen sind. Er blickte mich kurz an, dann rief er die ersten Worte, die ich an diesem Tag von ihm hörte: „Welche Jugendlichen?“
Er blinzelte in die morgendliche Sonne und fügte laut hinzu, so dass ich es hören konnte: „Grüßen Sie Shlomo und Frida sehr herzlich von meiner Frau und mir. Meine Frau liebt ihr Apfel-Honig Sorbet zu Rosch Hashana und freut sich schon wieder sehr darauf.“ Danach drehte er sich weg und ging, ohne sich weiter von mir zu verabschieden.
Verdutzt fuhr ich davon, langsam und mit äußerster Vorsicht, in dem Wissen, etwas Gutes für einen Freund und für eine Gruppe Jugendlicher getan zu haben. Aber ich rätselte immer noch was, denn eigentlich hatte ich nichts getan, außer da zu sein. Zufall ist, wenn man den Plan dahinter nicht kennt.
Es war sicher die Gruppe gewesen, die ich am Nachmittag bereits belauscht hatte. Hier war gerade der Kalte Krieg auf vierzig Quadratmetern ausgebrochen. Es war eine Falle gewesen, für die Bambini. Ich wusste immer noch nicht, wen ich genau gerettet hatte. Aber ich wusste vor wem und den würde ich ab diesem Zeitpunkt zum Feind haben, nicht nur Gehlen selbst.
Das Hotel lag in der frühen Morgensonne friedlich am Strand vor mir. Einige Hotelgäste bewegten sich schon auf den Wegen vor dem Gebäude, Mitarbeiter des Hotels spritzten die Terrasse mit Wasser aus und stellten Liegen auf. Die Sonne war bereits kräftig und ich war froh, dass ich mit meinem dunklen Anzug ins kühle Foyer kam.
Im Hotelzimmer lag meine Verlobte abgöttisch schön in unserem Hotelbett. Ich entkleidete mich, wusch mich intensiv, nahm eine Beruhigungspille und legte mich neben sie.
Meine Verlobte erwachte kurz und fragte, ob der italienische Spion seine heroische Mission erfolgreich beendet habe. Ich bejahte einfach und strich ihr ein paar Haare aus dem Gesicht. „Dann ist ja gut“ flüsterte sie und schlief weiter. Nach einiger Zeit schaffte auch ich es, etwas Schlaf zu finden. Aber die Ereignisse dieser Nacht würden mich nie wieder loslassen,
nie wieder.