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Der Anfang

24.12.1990 / 23: 20 Uhr / Pils Kneipe, Nürnberg

Erinnerungen von Markus Maier

„Am Grunde eines Problems sitzt immer ein Deutscher.“

(Voltaire, frz. Philosoph)

Wir saßen an jenem Heilig Abend, wie an jedem anderen Tag seit einem halben Jahr auch, an der Theke unserer Stammkneipe, einem kleinen schäbigen Pub und tranken abwechselnd Pils und Korn. Es dauerte wie immer nicht lange, bis Karl-Heinz in solchen Gelegenheiten begann, über irgendwelche alte Zeiten zu plaudern. Von seinem Killerblick aus vergangenen Tagen war ja wenig geblieben, auch von seinem geschwungenen, schwarzen Spitzbart, aber die Geschichten, die blieben. Wir alle wussten ja, wer er war, schon als wir seinen Namen hier das erste Mal hörten. Und es war klar, dass er als ehemaliger führender Kopf der bewaffneten Nazi-Szene, als Ex-Knacki und sicher vieles mehr, an dem einen oder anderen zu knabbern hatte. Aber an dieser verlassenen Ausfallstraße zwischen Reparaturwerkstätten, platt getretenen Rinnsteinen und versifften Sexshops war wirklich egal, woher jemand kam. Vielleicht noch, was ihn beschäftigte, aber auch das war meist im Grau des nächsten Tages vergessen.

Hoffmanns Kopf war hochrot vom Blutdruck, sein Bart war jetzt weiß wie der eines Schäfers und dazu hatte er eine Glatze. In seiner Lederweste sah er aus wie ein Altrocker. Später würde er wieder weiße Hemden tragen und ein anderes Leben führen, dass erfuhr ich noch. Denn damals war er dabei, mit seiner Frau Franziska mächtig viel Geld in Nürnberger Bau- und Sanierungsfirmen zu investieren. Woher das Geld kam? Die Wahrheit war, dass ihm nach der Maueröffnung nicht nur diverse private Immobilien, wie das Schloss Ermreuth, zugesprochen wurden, sondern praktisch die ganze Kahlaer Innenstadt, ein mieses kleines Provinznest in der ehemaligen DDR. Aber er bekam eben die ganze Innenstadt. Das Geld aus allen Verkäufen wurde in Nürnberg investiert. Aber es war noch besser.

Manche behaupteten Hoffmann hätte in Walpersberg bei Kahla in Sachsen das Nazi-Gold gefunden, von dem ihm sein Vater immer erzählt hatte. Das verschollene Bernsteinzimmer… naja, auf jeden Fall hatte er seinen Arsch irgendwie selbst gerettet und jetzt war er dabei ihn zu vergolden. Natürlich sprach darüber er kein Sterbens Wörtchen und noch hockte er in dieser Kneipe, die er seit einem Monat betrieb. Während es draußen pisste und es wieder nichts wurde mit den weißen Weihnachten und vielleicht guten Nachrichten für ein neues Jahr, kippten wir uns kräftig die Birne weg. Wir Stammgäste saßen hier schon beim Vorbesitzer an der Bar, dem Charlie, der plötzlich verkauft hatte… er beteuerte, aus voller Überzeugung.

Dann kam diese Nacht, sie war etwas ganz Besonderes, nicht wegen Weihnachten, sondern weil Karl-Heinz etwas Unglaubliches erzählte, nachdem ich schon dachte er pennt total besoffen. Hoffmann raunte plötzlich: „Weißte, mich ham‘se auch nur ausgenutzt… alles was ich erschaffen habe! Ich hab‘ mich auch nur leiten lassen… und mir sind alle hinterher! Mach‘ nen bisschen ordentlich Krawall, haben se‘ gesagt, dann passiert der Rest ganz von allein. Ich war ja sowieso laufend auf Speed und nur auf Action. Eh klar.

Total irre die Story! Dann haben sie Befehle und Offizielles vorgelegt, haben gesagt, der große Tag X bricht endlich an, wir brauchen nur noch einen Funken, der alles zum Brennen bringt, dass ich das machen solle, dass ich in die Geschichte eingehen würde und so. Dass ich nach der Beseitigung der DDR, wie wir sie kennen, mir ein großes Stück von dem Kuchen abschneiden könne. Das ich reich werde… Milliardär und so. Nix war‘s. Und im Kern war sowieso alles wegen dem Geheimagent Hans-Peter Urbach schiefgelaufen. Von vorne bis hinten. Und es war natürlich alles erstunken und erlogen. Man brauchte mich nur wegen der Männer…

Und damit ein Rechter die DDR angreift, damit der Russe endlich zuschlägt, damit der Kommunist seine Fratze zeigt, damit alles glaubhaft ist. Verstehst? Eh? Und ich hab‘ mitgespielt! Verdammt, ne! Mich nicht gewundert, warum ich so schnell aus der Haft raus war und dann eilig wie der Wind in Hof, warum meine alten Truppenkontingente so schnell zu mobilisieren waren!

Ich rief und alle kamen, als wäre die Neo-Nazi Szene nie tot gewesen. Checkste das? Und die kamen alle, du, auch die ganze ehemalige Wehrsportgruppe… und meine Kumpels und ich ne, wir haben’s dann aber kapiert und später unser eigenes Ding gemacht, wir haben den Spieß umgedreht, mit den Leuten eigene Gespräche geführt, haben weitere Brüder im Geiste in der DDR angetroffen, die mit uns gekämpft haben, Russen, Zaristen und viele mehr… So krass ne‘… haben denen allen voll in den Arsch getreten… ach ja… und natürlich hatten wir die Atombomben erbeutet, das änderte von null auf nix total alles!“

Es war unglaublich, Hoffmann brabbelte das einfach so vor sich hin, keine Ahnung was er dachte mit wem er noch sprach, alle anderen waren gegangen, der Rest lag sabbernd auf oder unter dem Tresen. Jemand anderer hätte ihm auch nicht geglaubt, aber ich wusste durch Zufall von der Atombombe, die nach der Wiedervereinigung in den Beständen fehlte, es war erst vor Tagen in einigen Zeitungen. So hatte er in mir einen guten Zuhörer gefunden, davon abgesehen ist eine Geschichte es immer wert, erzählt zu werden, wenn es jemanden gibt, der sie hören will. Ich vermied es daher ihn zu unterbrechen und hätte ihm am liebsten geholfen, wie einem Marathonläufer, dem man am Wegrand einen Becher mit Wasser reicht, Hauptsache er plaudert weiter. Ich flüsterte verständnisvoll: „Oh mein Gott,… diese verdammten Atombomben!“.

Hoffmann blickte kurz auf, sein Blick wurde kurz klar, er grunzte: „Na… hast noch was zum Trinken?“ Ich antwortete möglichst kongenial: „Logisch!“ und wir stießen an.

Ich gab also erneut Starthilfe: „Und, was habt’s dann gemacht mit den Atombomben?“ Hoffmann wurde irgendwie besoffen muffig und rief viel zu laut: „Ha! Atombomben san` an Scheiss wert, wenn du keine Codes hast, verstehst? Und bei den meisten brauchst a no die entsprechende Abschussvorrichtung, einen Transporter, a Rakete… schließlich kann die Atombombe ja net fliegen!“. Er musste dabei richtig lachen, brüllte voll los und schrie: „Und wenn 'se losgeht willst ja nicht daneben hocken …oder?“ Der Michi rechts von mir wachte kurz auf, stöhnte: „Bombe!“ dann sank er wieder auf der Bar zusammen, in seinen Rotz. Hoffmann schlug mir auf die Schulter, viel zu fest. Er konnte nicht mehr vor Lachen und redete nicht weiter, aber ich wusste, wenn ich ihn dazu aufforderte, war vielleicht alles vorbei. Also zündete ich uns zwei Zigaretten gleichzeitig an und steckte ihm eine ins Maul.

Prompt hörte er das Lachen auf und erzählte einfach weiter:

„Auf jeden Fall hatten wir dann echt Verträge gemacht und so, uns verständigt wer was macht. Die von der Regierung und wir. Wahnsinn du… zwei Koffer voller Geld haben sie mir hingestellt und den Grundbucheintrag für die Kneipe hier gleich dazu, mit der Wohnung oben drüber. Wert 190.000 Mark. Einfach so. Alles schon auf mich eingetragen. Und wir sind dann rüber, in die DDR, du, wie auf einer Prachtstraße, durch eine MfS-Schleuse bei der Talsperre Zeulenroda… die Ecke da kenne ich wie meine Westentasche, da haben sie mich als Kind nach dem Zweiten Weltkrieg hingebracht, weil mein Vater tot war, ne, ..und dann südlich nach Plauen um gleich mal Erfurt, Suhl und Gera mit den Grenztruppen zu umgehen, mit Sack und Pack, fast in Bataillonsstärke, mit Behrendt und Bergmann, mit Pfahler, Kexel und Hepp, keiner der uns aufhält, du, und in Plauen, da stehen sie und jubeln uns zu. Die ganze DDR-Bevölkerung. Wir haben uns natürlich gefühlt wie Helden, hielten da bunte Paraden ab. Heute lach‘ ich mich schlapp aber ja, so war das. Die glaubten das und dachten echt wir sind die Befreier und jetzt geht’s los… ja, ja,.. eine riesen Story war das!“

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn fragen, die einzige Frage,

die Sinn machte: „Was verdammt nochmal wolltet ihr als Rechtsradikale in der DDR in Bataillonsstärke?

Er lachte nicht mehr, flüsterte:

„Na, dass die DDR kollabiert, bzw. genau das Gegenteil… und wenn es geht bitte den Dritten Weltkrieg herbeiführen, was sonst. Hätte auch fast geklappt, es ist echt net mir zu verdanken, dass es gut ausging. Und ich bin fast drauf gegangen dabei, fast erschossen haben‘s mich. Irre Story das…!“ Er machte eine Pause und zeigte auf eine große Narbe am Kopf.

„Aber das Geilste war ja, dass durch unser Auftauchen die DDRler angefangen haben, richtig zu demonstrieren, überall wo wir hinkamen. Na ehrlich,… zum Beispiel, die Plauener ja, waren die Ersten, weiß ja keiner, ne, hier rief man schon Gorbi, hatte statt Aufkleber zur Sozialistischen Einheitspartei Clint Eastwood als Plakat an der Wand hängen. Die sind zu Tausenden auf die Straße gegangen, gleich am nächsten Tag, das war Samstag, ich glaube der 2. oder 3. Oktober… als wir schon wieder weg waren. Irre das! Und woanders dann wieder das Gleiche… alles wegen uns“.

Er fing schon wieder das Brüllen an: „Ohne Scheiß… wo wir hinkamen halten wir sie dazu an, zu demonstrieren. Die machten alle mit… weil sie sich mit einer Armee stark fühlten. Dresden, Leipzig… und wir wurden immer mehr! Eine Echte Bewegung, eine echte Revolte! Glaubst du den Scheiß? Und wir heizten alles an, bis die Städte brannten“.

Er brüllte wieder vor Lachen.

Ich war baff, fragte ihn: „Irres Ding du, ihr habt den Bürgeraufstand in der DDR herbeigeführt? Ja wieso weiß ich davon nix, oder irgendjemand?“ Er keuchte: „Weil se sich wie Sau schämen und weil es nicht ins heroische Bild passt. Von ihrer gewaltlosen Volksbefreiung. Da wirst du in großen Scheiben aus der Historie geschnitten!“.

Schnell fügte ich noch hinzu: „…und wie ist das dann ausgegangen?“ In diesem Moment wurde er ganz ruhig, dann offensichtlich traurig, sein Körper schien vor Erinnerung zu schmerzen. Er sagte einfach gar nichts mehr. Er war still, der Raum war still. Man konnte die Stille hören.

Ohne nachzudenken, weil ich so viel nachdachte, fragte ich lakonisch: „Und… hast‘ die Atombomben noch?“ Er fuhr hoch, baute sich vor mir auf, schrie mich an, dass es lauter nicht ging:

„Seh ich etwa so aus… du Arschloch?“

Und zeigte auf seine kleine Pilskneipe.

Die Prometheus Initiative

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