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Kapitel 6

Gleicher Tag, Schönberger Strand

Aus den Erinnerungen von Giangiacomo Feltrinelli

Wie immer hatte ich mich nach dem Strand hergerichtet, meinen makellosen Anzug gebürstet und die Lederschuhe poliert. Mit meiner Ray-Ban auf der Nase machte ich mich wie jeden Tag zu unserem Strandrestaurant auf. Ich war meiner Verlobten vorausgeeilt, die mich angefleht hatte, bereits vorzugehen, damit ich nicht auf sie warten müsse. Am Tisch angekommen hielt ich eine italienische Tageszeitung vor mir, leicht abgeknickt, auf dem weißen, viel zu oft lackierten Eisentisch des Cafés und rauchte eine filterlose Zigarette. Mein grauer Anzug und die dunkle Krawatte saßen perfekt und trotz herannahender Dunkelheit hätte ich meine äußerst dunkle Ray-Ban nicht abgelegt. Und während der Deutsche, wie jedes Jahr, damit anfing, Italien mit Wohnwagen, Rollern und Zelten zu belagern, zog es mich nach Deutschland. Ich hatte einige geschäftliche Verpflichtungen gehabt und da diese erledigt waren, nutzte ich ein paar freie Tage, um in dieser wunderschönen Gegend mit meiner Verlobten Inge Schönthal Urlaub zu machen.

Während ich wartete und Zeitung las, setzte sich eine große Gruppe Jugendlicher an den Nachbartisch. Schon bald entgingen mir die Albernheiten und das heroische Wiedergeben ihres spektakulären Nachmittags nicht, erst recht nicht die militärisch anmutenden Kontrahenten, welche in den Schilderungen als arisch, kämpferisch und gut trainiert beschrieben wurden. Je länger ich zuhörte, umso mehr war ich interessiert. Längst war der Artikel über einen Sprengstoffanschlag in Nordtirol und einem möglichen bevorstehenden terroristischen Anschlag in Italien in Vergessenheit geraten, der mich eben noch so brennend interessiert hatte. Und dass, obwohl Beides laut Zeitung den italienischen Kommunisten angerechnet wurde, was, wie ich wusste, nicht stimmte, da ich der Anführer der italienischen Kommunisten und deren ersten paramilitärischen Einheiten in Norditalien war!

Meine Verlobte und ich waren vor zwei Tagen von der großzügigen Villa meiner verstorbenen Eltern am Monte Argentario in Norditalien aufgebrochen, wo wir noch kurz zuvor mit meinen engen Freunden Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara, den Helden von Kuba, eine tolle Woche an den ehrwürdigen Hängen des Monte verbracht hatten. Che war lange da gewesen, Fidel nur ein Wochenende, Anlass war die Zusammenkunft der gesamten Führungsriege der internationalen kommunistischen Bewegung in meiner weitläufigen Villa!

Was für ein Wochenende! Und was für eine Party! Die Jungs hatten es echt drauf. Lebhaft hatte ich ihren Kampf der letzten beiden Jahre verfolgt, jetzt standen ihre Nummern in meinem Telefonbuch. Es waren die Privatnummern, sie waren Teil meines Netzwerkes, aber eben auch echte Freunde. Wir teilten einander die gleichen Vorsätze, Prinzipien und Ideen.

Mittlerweile hatte ich allerdings reichlich italienische, russische und deutsche Telefonnummern in meinem Notizbuch, von denen die meisten offiziell nicht einmal existierten. Vor allem jene der Russen in Italien, jene, die Agenten und Diplomaten der UdSSR waren. Deswegen wusste ich um die Trainingslager hier in der Gegend und klebte deswegen so inbrünstig mit einem Ohr am Nachbartisch der Jugendlichen. Scheinbar hatte es eine Rauferei gegeben, beim näheren Betrachten erkannte ich, dass einige der Jungs Schürfwunden und blaue Augen hatten.

Die Jugend von heute! Wieder wollten wir eine Generation für die Schlachtbank züchten. Meine Verlobte und ich, wir waren mit den großen kommunistischen Führern einer Meinung, was den Imperialismus und den Faschismus anging.

Halb zuhörend, halb nachdenkend, wartete ich so weiter auf meine Verlobte. Sie war eine Halbjüdin und Fotografin aus einer bekannten deutschen Familie. Ich lernte sie ein Jahr zuvor, ganz in der Nähe, in einem Hamburger Verlagshaus kennen. Als Verlagsinhaber war ich dort zu geschäftlichen Gesprächen gewesen. Meine Inge war wirklich bildhübsch und so herrlich deutsch. Man musste sie lieben und das tat ich, leider musste man aber wirklich immer auf sie warten. Aber Madonna Mia! Immer, wirklich immer, lohnte sie dieses Warten.

Als ich weiter am Nachbartisch lauschte, war es inzwischen eindeutig, dass die Gruppe Jugendlicher in die Fänge der Trainingseinheiten geraten war, die hier rund um Eckernförde ihre paramilitärische Ausbildung erhielten. Die armen Bambini! Da ich erstens gut informiert war und zweitens nicht dumm, wusste ich haargenau, wer hier trainierte. Und sie waren nicht nur gut ausgebildet, sie waren auch gut finanziert, bestens versorgt und europaweit vernetzt. Kämpfer, die bereits sechs, sieben Jahre nach dem Weltkrieg wiederbewaffnet gewesen waren und jederzeit mindestens fünf bis sechs Bataillone bereitstellen konnten, um Deutschland zu verteidigen. Und das zu einer Zeit, in der in Deutschland nur über eine offizielle Wiederbewaffnung gesprochen wurde und das Ganze ohne das Wissen der parlamentarischen oder ministeriellen Institutionen. Eine Hand voll Deutscher wusste Bescheid, der Kanzler und jene, welche den Inhalt der Kanzler- und Unterwerfungsbriefe kannten, die es nach jeder Wahl zu unterschreiben galt. Ich dachte nur: „Gäbe mir jemand so viel Geld und Unterstützung, Mamma Mia! Ich würde den Sozialismus in Europa zu echtem Erfolg verhelfen, die richtige Initialzündung geben. So wird ganz Europa erneut von den Rechten überrollt!“.

Obwohl ich selbst Unsummen in die Finanzierung der italienischen und europäischen Linken pumpte, war es doch nur ein Bruchteil dessen, was die Gegenseite zur Verfügung hatte. Die Jugendlichen hatten Glück, dass sie hier beim Eis saßen. Man zog hier Bestien groß, die gewissenlos töten konnten.

Ehe ich mich versah, wurde ich in meinen düsteren Gedanken angenehm unterbrochen. Meine bezaubernde Inge kam zu unserem Tisch, ich stand wie immer umgehend auf, um ihr einen Stuhl anzubieten. Sie lächelte erfreut, legte ihre kleine Tasche etwas hektisch auf den Tisch und setzte sich mit einem ebenso kecken wie eleganten Hüftschwung. Ihr Kleid war kurz, aber niveauvoll, ein Mix aus schwarzen und weißen Bögen, die sich ineinanderschlangen und ein wunderbares Muster ergaben. Ihr großer weißer Hut passte mit seiner ebenfalls tiefschwarzen Schärpe perfekt, sie sah wirklich aus wie Audrey Hepburn. Ich war wie immer begeistert!

„Und Amore, was möchtest Du trinken?“ fragte ich und sie antwortete gestresst: „Champagner, mein Liebling,… und schnell, ich verdurste!“. Ich lächelte verständnisvoll und winkte dem Ober zu. Er sah mich, verstand schnell und huschte davon. Wir waren ja auch schon ein paar Tage da. „Und?“ stöhnte sie, „Was hast Du während des Wartens getan, mein Liebling? Ist etwas Aufregendes geschehen?“ Dann steckte sie sich eine Zigarette an.

„Nein, es ist nichts Aufregendes passiert, ich habe nur etwas Zeitung gelesen“, erwiderte ich kurz. Aber ich war mir meiner Sache nicht mehr ganz so sicher. Ich dachte noch länger über die Geschichte mit den Jugendlichen nach.

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