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Kapitel 14

04.10.1989 / 07: 43 Uhr / Rolandufer, Berlin-Mitte, DDR

Erinnerungen von Ralf-Peter Devaux

„Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann,

ohne sie selbst zu glauben“ (Adorno)

Im herbstlichen und in Sonne getränkten Ost-Berlin parkte ich mein Auto. Etwas genervt, weil wieder so viel Verkehr gewesen war, dass es so viele Staus wegen der Absperrungen zu den Feierlichkeiten gab und weil ich eigentlich früher da sein wollte, weil so viel Arbeit anstand, erreichte ich reichlich spät meinen Arbeitsplatz, die Hauptabteilung (HA) XXII des MfS in Ost-Berlin, ich war der stellvertretende Hauptabteilungsleiter.

Es waren nur noch einige Tage bis zu den weitläufigen und pompösen Feierlichkeiten zum 40. Bestehen der DDR und als stellvertretender Leiter HA XXII in Berlin-Hohenschönhausen hatte ich rund um die Uhr zu tun. Wir stellten die Spionageabwehr der DDR und wir prüften, bewachten und suchten alles Relevante ab, jeden Verdächtigen, im In- und Ausland, so gut und gründlich es ging. Die Staatssicherheit der DDR und ihre Agenten arbeiteten auf Hochtouren, nichts durfte bei den Feierlichkeiten schiefgehen, die Zielstellungen waren hoch. Für Mielke, unseren obersten Chef, hatte ich ein Fernschreiben in der Tasche, von unserer Abteilung verfasst, dass er heute prüfen und morgen versenden würde:

„Ausgehend von der Entwicklung der politisch-operativen Lage, insbesondere der in letzteren Zeit aufgetretenen, provokatorischdemonstrativen Handlungen und Vorkommnisse, fordere ich nochmals nachdrücklich, das die Anreisen aller Personen, von denen Gefahren ausgehen können, die bereits im Zusammenhang mit provokatorischdemonstrativen Handlungen bzw. provokatorischen Forderungen aufgefallen sind, nach der Hauptstadt der DDR, Berlin, während des Aktionszeitraumes, unter Nutzung aller Möglichkeiten und mit allen Mitteln, konsequent zu verhindern sind.“

Die Frage war nicht, ob mein Vorgesetzter Oberst Horst Franz das abknickte, ganz im Gegenteil, er würde sicher noch Verschärfungen einbringen, damit wir uns beliebt machen konnten.

Was der BND im Westen war, ein bisschen auch der Verfassungsschutz, das war die HA XXII in der DDR. Was die GSG9 in der BRD war, hieß hier: Die Arbeitsgruppe des Ministers, Aufgabenbereich S. (AGMS) und bestand aus den besten Kämpfern der Zentrale Spezifische Kräfte (ZSK) im Land, also militärisch ausgebildeten Top-Agenten. Gesamt waren wir die Terrorabwehr, geschaffen 1973 nach dem Olympia-Attentat in München. Wir bearbeiteten und beeinflussten gezielt das rechte und linksextreme Milieu in der BRD, unserem Hauptgegner. Da die direkt zu bearbeitenden Gruppen logischerweise vorrangig im westlichen Ausland operierten, führte die Abteilung, obwohl sie eine klassische Abwehrdiensteinheit war, viele inoffizielle Mitarbeiter im Operationsgebiet, also in der BRD, knapp tausend Mann. Jetzt wurde viel Druck gemacht, denn man wollte sich am Tag der Republik perfekt vor der Welt präsentieren. Alles war am Rotieren. Dreh- und Angelpunkt war Mielke, jede noch so kleine Entscheidung lief über seinen Tisch. Es würde ein gigantisches Flottenmanöver mit den Russen geben, außerdem prachtvolle Paraden der Nationalen Volksarmee auf der Karl-Marx-Allee. Anschließend große Feierlichkeiten mit internationalen Gästen aus dutzenden Ländern.

Man erwartete hochrangige Staatschefs, zum Beispiel Wojciech Jaruzelski, dem polnischen Staatspräsidenten und alten Verbündeten, dann Jasir Arafat, den Vorsitzenden der PLO. Daniel Ortega, der Präsident Nicaraguas kam natürlich und, nicht zu vergessen, Michail Gorbatschow, der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, also dem Staatsführer und Lenker des Ostblocks. Er war Reformer und hasste die DDR-Führung, die weniger reformbereit war als er selbst.

Dann war da noch der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu, der es sich nicht nehmen ließ, im größten Airbus aller Gäste einzufliegen. Viele dieser Gäste waren bereits für den 5. oder 6.Oktober angekündigt, auch die Feierlichkeiten intern sollten da schon beginnen. Es war also ordentlich was los und zu beschützten, auch wenn ich persönlich die Gästeliste mehr als erbärmlich fand.

Denn letztlich war alles nur Humbug, Wahnsinn und Irrsinn.

Die DDR war dabei zu kollabieren, wir waren bankrott, jeder wusste das, wirklich jeder. Die Menschen standen auf der Straße, es wurde laufend demonstriert. Die Arbeit wurde verweigert, die Menschen flüchteten in alle Richtungen, die Kriminalität in den Städten war exorbitant.

Der erste Damm, der brach, war der 2.Mai dieses Jahres, als Ungarn die Grenzen geöffnet hatte, ins Österreich. Ungarn war jetzt ein kleines Loch durch den Eisernen Vorhang, ganz klein, aber in das neutrale Österreich. Und wie bei großen Druckverhältnissen üblich, reicht ein kleines Loch, damit der Druck es immer grösser werden lässt. Als dann ehrlich gesagt die Kommunalwahlen in der DDR gezielt von uns gefälscht wurden und Russland selbst mehr reformiert war als die DDR selbst, da war es den Leuten genug. Sie jetzt aber davor zu bewahren, Mist zu bauen, auszuflippen und sie überzeugen, ruhig zu bleiben, darin sah ich meine Aufgabe.

Ich ging die Berichte der Nacht durch, bereitete mich auf die Gruppen- und Hauptabteilungstreffen des Tages vor. Im Raum südliches Sachsen waren Kommunikationsschwierigkeiten mit mehreren Stützpunkten der Grenztruppen aufgekommen. Russische Kommandostellen berichteten ähnliche Vorfälle und entsendeten bereits Einheiten für eine Überprüfung vor Ort. Ein entsprechender Bericht des HA I forderte die HA 30 Operativ-Technischer Sektor (OTS) zur Überprüfung der Kommunikationslinien auf. Laut HA 69 Wach- und Sicherungseinheit (WSE) sei der Objektschutz im Land sichergestellt. Beide Abteilungen beorderten Einheiten zur Überprüfung der Situation. Auch laut WSE sollte sich also nur um einen technischen Fehler handeln. Der Ausfall betraf aber bald ganz Sachsen, was mich mehr als verwunderte, erstrecht da die Ausfälle in Reihenfolge auftraten. Dies wäre normalerweise als Anzeichen einer Invasion zu werten. Da das aber logischerweise auszuschließen war, schien es sich tatsächlich um einen technischen Fehler zu handeln, der sich fortzusetzen schien.

Im Treffen mit den relevanten Hauptabteilungen, in Anwesenheit des Politbüros und des Ministers für Staatsicherheit, wurde der gesamte Ablauf der Feierlichkeiten neuerlich bis ins kleinste Detail erläutert. Alle Punkte wurden in erste Linie aus sicherheitsrelevanten Aspekten heraus erörtert. Gerade die HA II, Spionageabwehr, HA VI Grenzverkehr, mussten in diesen Tagen Hand in Hand mit der HA XIX Verkehr, HA XXII Terrorabwehr und HA XXVI Telefonüberwachung zusammenarbeiten. Das Aufkommen an zu kontrollierenden Telefonaten, Autos und Waren würde enorm sein. Auch die Sonderwünsche der Staatsgäste waren nicht leicht umzusetzen.

Unter allen jenen, die zu den sonderbaren Unerträglichen gehörten, galt es die Frau des rumänischen Diktators Ceausescu als Schlimmste aller zu nennen. Elena trug bei jeder Gelegenheit das »Collane des Ordens des Infanten Dom Henrique«, einer Ehrung des Templerordens, die sonst nur Königen vorbehalten war. Ihr Mann, ein ehemaliger Maler, trug die ehrenvolle Auszeichnung: »Knight Commander des Commonwealth Realm« und ließ sich vom Volk »Conducator«, Führer, nennen. Aber auch »Titan der Titanen« und »Größter Wildjäger aller Zeiten«. Dazu schoss er an manchen Wochenenden über fünfzig Braunbären, ohne eine Regung. Nur die Zahl war wichtig. Er schaffte es angeblich bereits auf über 1.200 Braunbären.

Beide reisten mit mindestens dreißig Sicherheitsbeamten ihrer Securitate, dem gefürchtetsten Geheimdienst der Welt. Alle Einwohner Rumäniens mussten Elena »Liebende Mutter der Nation« nennen.

Die ehemalige Textilarbeiterin und Prostituierte hatte gleich mehrere gefälschte Doktortitel, in der Regel bevorzugte sie »Dr. Ingenieurin Elena Ceausescu«. Sie besaß 2.000 Paar Schuhe und am liebsten betrachtete sie, komplett high, im klimatisierten Kino ihrer Villa in Bukarest, Videoaufnahmen von rumänischen und ausländischen Prominenten: Beim Duschen, Ficken oder Onanieren. Es waren Filme, die ihr der Geheimdienst heimlich in den Hotels der Stadt angefertigt hatte.

Das letzte Mal als ich sie traf, trug sie mit Diamanten besetzte Schuhe und einen Leopardenpelzmantel. In Rumänien lebten derweil 300.000 Kinder auf der Straße, schnüffelten Lösungsmittel, nirgendwo in Europa war die Armut grösser. Killer bekam man ab zwölf Jahren für zwanzig Dollar. Und hier in Berlin ging Elena erst einmal rüber ins KDW einkaufen, wie jedes Mal, fast jeden Tag. Wir hatten Limousinen und Chauffeure zu stellen, das Hotel flippte angesichts der Unarten der Beiden aus. Natürlich sahen sich die Beiden nur unter Tags, nachts verbrachten sie getrennt. Ein Irrsinn.

Mittags hechtete ich schnell in die Kantine und stürzte mich über das Würzfleisch und die Soljanka her, beeilte mich, kippte die Suppe runter, denn schon gab es um dreiviertel Eins ein erneutes Treffen der HA XXII und dem AGMS. Danach Vorbereitung einer Pressekonferenz, Schabowsky und sein Gruppe, Hauptabteilungsleiter der Abteilung X für Internationale Verbindungen. Als ich zu meinem Tisch zurückkam, ein Anruf meines Chefs, wie der Stand mit der Kommunikation in Sachsen nun aussehe, man erwarte schwere Krawalle in Dresden und Leipzig und müsse die Kommunikation gewährleisten. Ich sagte, dass ich mich darum kümmern würde.

Doch in Gedanken schweifte ich schon wieder ab:

Es war schon Wahnsinn. Gerade weil es eine so schöne runde Zahl war, mochte man es so feiern, wie man sich das immer gewünscht hatte. Die große 40! Man war verblendet und hoffte auf eine Signalwirkung der Festivitäten. Als würde ein schönes Fest mit viel Größe die Verhältnisse verändern. Seit Monaten lief die Propaganda, seit Monaten demonstrieren die Menschen. In Ungarn und der Tschechoslowakei durften DDR-Bürger ausreisen. Daher hatten wir jetzt alles vollständig abgeriegelt. Ab jetzt wurden auch die Übergänge zwischen Ost- und Westberlin geschlossen. Gorbatschow brachte in der UDSSR und den Satellitenstaaten mehr Reformen als die DDR zuließ,… und wir feierten mit Staatsoberhäuptern, die sich aller Glasnost und Perestroika verwehrten. Es war nicht zu glauben! In all den Jahren hatte ich so viel gekämpft. Dafür, dass sie bei uns nicht dauernd auf die blödesten Ideen kamen und dass sie diese dann nicht auch noch verwirklichen konnten. Dass es eine Verbesserung der Situation gab und dass wir diese Mauer loswürden, aber geordnet, Schritt für Schritt, das war mein Ziel gewesen.

Und doch ging jetzt alles den Bach runter.

Gegen Nachmittag dann die offizielle Nachricht über den Ticker, die für lange Zeit alles veränderte: „Bewaffnete Terroristen haben die Anlagen der Russischen Föderation in Finsterwalde, Sachsen, eingenommen und die russischen Einheiten, die dorthin entsandt worden sind, angegriffen. Die GSSD in der DDR hat mobilgemacht und unternimmt alle erforderlichen Schritte zur Wiederherstellung der Sicherheit. Eine Einbindung von Truppen der sozialistischen Bruderländer ist derzeit unerwünscht“. Ich dachte nur: „Ha!“, also doch, denn insgeheim hatte ich auf so etwas gewartet, wenn auch anders…

Inge hatte davon gesprochen.

Im Eiltempo sprintete ich also zu Oberst Horst Franz, stürzte in sein Büro und fragte sogleich, welche Schritte nun unternommen würden. Doch der winkte nur ab: „Alles in Ordnung mein Lieber, das ist alles schon geklärt, mit Mielke, die Russen machen das allein. Die hauen voll drauf, wir brauchen nichts zu tun!“ Ich schüttelte mir den Kopf, stöhnte nur: „Wie bitte? Ist das jetzt ihr ernst?“ Daraufhin nur die Meldung: „Devaux, machen sie sich hier nicht wichtig, kümmern Sie sich um Ihren Kram. Die Arbeiten zur Sicherheit des großartigen Jubiläums sollten sie besser nicht vernachlässigen! Sie haben doch gehört, man kümmert sich schon um die Sache!“ Er war aufgestanden, mit genervtem Blick erwartete er ganz offen, dass ich wieder ging.

Ich fiel aus allen Wolken, Franz und ich kannten uns ja auch nicht erst seit gestern, daher blieb ich hartnäckig: „Und wenn der Ausfall unserer Kommunikation mit Finsterwalde zusammengehängt?“

Franz lachte mich aus, kichernd jaulte er laut: „Eine Invasion? Und ein Dutzend Stützpunkte eingenommen, halb Sachsen? Einfach nur lächerlich! Gehen Sie, gehen sie, guter Devaux. Wir wissen um Ihre Verdienste, aber jetzt gehen sie zu weit!“ Mir egal, es reichte mir nicht, ich fragte: „Kann ich wenigstens die beiden Einheiten des OTS und WSE bei ihrem Einsatz vor Ort begleiten? Mir selbst ein Bild machen?“ Oberst Franz winkte ab: „Das ist unmöglich, sie wissen das, wir können derzeit nicht auf sie verzichten! Daher befehle ich ihnen, hier zu bleiben! Ist das klar?“ Ich wurde richtig laut, ich glaubte es das erste Mal ihm gegenüber: „Was, wenn ich Recht habe, hä? Was, wenn da draußen Scheiße läuft? Haben Sie eigentlich eine Ahnung was alles in Finsterwalde deponiert ist? Wozu gibt es meine Abteilung, wenn wir nicht eingesetzt werden? Und wenn ich unabkömmlich bin, dann sind sie ja wohl auf mich angewiesen!“. Ich schnaufte, atmete tief durch. Dann, nach kurzem Überlegen, sagte ich ruhig: „Ich melde mich morgen Mittag telefonisch bei ihnen!“ und knallte die Tür hinter mir zu, während ich bereits davonstürmte. Von ihm kam kein Wort.

Ich stürzte zum Telefon, versuchte vergebens meine beste Agentin zu erreichen. Wir hatten uns länger nicht gehört, sie konnte sonst wo sein. Weder die offiziellen Angaben in der Personalakte waren da hilfreich, weil sie sie oft selbst fälschte, noch die aktuellen Einsatzberichte, weil sie keine ablieferte. Daher rief ich geschwind jemand anderen an. Nach kurzem Freizeichen hörte ich: „Müller am Apparat, Hallo“. Es war der Mann von Susanne Albrecht. Müller war seit der Hochzeit ihr neuer Familienname. Ich fragte, ob Ingrid da sei, nannte eine bestimmte Firma, von der ich sei. Doch er verneinte, Ingrid sei auf einer Firmentagung, für eine Woche. Frustriert verabschiedete ich mich, dann legte ich auf. Schnell versuchte ich es noch bei Silke Maier-Witt und Henning Behr, die ich auch nicht erreichte, auch auf Tagung.

Da schwante mir, dass nicht nur Inge Viett fehlte, sondern auch möglicherweise die ganze Gruppe der Zehn,

Inges eigene kleine Privatarmee.

Damit war eigentlich schon klar, dass es sich hier nicht nur Kommunikationsprobleme zwischen Stützpunkten handelte, sondern um viel, viel mehr. Ich saß wohl im Tal der Ahnungslosen,…

und mir waren die Hände gebunden!

Also rief ich ohne weiteres Zögern den Wichtigsten an, denjenigen, der mir unbedingt helfen musste, aber das würde mich was kosten!

Denn dazu musste ich über Vermittlungsstelle für internationale Verbindungen gehen, dort gab man an, wenn man erreichen wollte, erst dann wurde das Telefonat hergestellt. Als ich dort anrief war die Telefonistin hörbar verstimmt als ich kund tat, wen ich erreichen wollte.

Sie fragte drei Mal nach, ob sie mich richtig verstanden habe! Nochmal so oft musste ich meinen Namen und meinen Rang angeben. Der Ton in ihrer Stimme hatte etwas von: „Na dann, auf Nimmer-Wiedersehen!“.

Das konnte mich meinen verdammten Kopf kosten!

Sie verband mich, nach einer Weile dann das Freizeichen. Es dauerte einen unglaublich langen Moment, dann wurde abgehoben. Ich ließ mich erneut verbinden, dann hörte ich auf der anderen Seite: „Guten Tag, Uwe Dee, Leiter des Bundesgrenzschutzes, Gruppe 9, am Telefon.“

Dann sprach ich, so gut und deutlich es ging und erzählte, soweit möglich, nur das Wichtigste, immerhin war es eine der am meisten abgehörten Leitungen der Welt.

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