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Kapitel 12

2. Oktober 1989, 06.00 Uhr / 15 km vor Leipzig

Odfried Hepp, Kommandeur der 1.Leichten KHH Panzerkompanie

Unsere ASchUFTDA war wie im Film. Wir waren gegen 23: 00 Uhr aus Plauen aufgebrochen, mit ca. 300 Mann. Das kleine Bataillon bestand aus fünf Infanterie, zwei leichten Panzer Kompanien und mehreren spezialisierten Trupps und Einheiten. Alle motorisiert. Wo wir in der Nacht hinkamen, waren unsere Jungs schon aktiv gewesen. Kai-Uwes Feindaufklärung und deren Einzelkämpfer in den Stoßtrupps arbeiteten still, leise und effektiv. Selbst die russischen Kasernen im Kreis Gera und Altenburg, sowie in Naumburg und Borna, meist bis auf die Bewachung und wenige Mann leer, wurden ohne offene Kampfhandlungen eingenommen.

Niemand hatte gemerkt, dass sie jetzt uns gehörten.

In den Morgenstunden dann der Vorstoß auf Merseburg, das Braunkohle Tagebaurevier. Ein großes Gewirr an Löchern, verlassenen Straßen und mächtigen Hügeln. Von hier aus würden wir unsere Angriffe auf Stützpunkte in der Region, würden wir die kommenden zwanzig Stunden alles leiten und koordinieren. Wir waren nahe an Leipzig, aber dennoch außen vor. Wir hatten Zugriff auf Halle und die avisierten militärischen Ziele, das 11.MSD, das AZ/17 und das MB/III, die auf der anderen Seite von Leipzig und Halle jetzt relativ schutzlos vor uns lagen. Die Russen waren im Wesentlichen im Osten der DDR, die nächsten Stützpunkte hier waren die Militärtechnische Schule in Bad Düben und das Jagdfliegergeschwader 1 in Holzdorf. Das hier war also ein idealer Standort um sich bedeckt und ohne direkte Aufmerksamkeit aufzuhalten.

Unser Hauptquartier selbst aber bauten wir mitten im Abbaugebiet Merseburg Ost so gewaltig wie möglich auf, wie ein riesen Hauptquartier, stellten allerhand erbeutetes Material in Sichtweite auf, direkt unterhalb des Förderturmes, plusterten uns schon einmal optisch zur Invasionsarmee. Hoffmann hielt es von Anfang an gut mit seinen Leuten, verteilte erbeutetes Material an alle Kämpfer, Waffen und Gerät wurde umgehend in den Verband integriert.

Als wir in Merseburg waren, kamen den ganzen Vormittag wichtige Leute, Delegationen, teilweise Menschen aus Leipzig, Vertreter, Oppositionelle, aber auch Menschen, die überhaupt nicht den Anschein machten, hierher zu gehören. Alle kamen in das mächtige Hauptquartier. Natürlich auch Geheimdienste, welche wusste ich nicht, nur, dass es keine waren, die ich schon getroffen hatte; Und das sollte was heißen!

Mittags kamen verschiedene eingeweihte Politiker, Pfarrer und Würdenträger aus der Stadt, demütig, alle schon vorab informiert. Dann, am frühen Nachmittag, sendete Hoffmann wie geplant allerhand Männer los, erst mehrere kleine Trupps in zivil für die Innenstadt von Leipzig, dann die kämpfenden Einheiten für die verschiedenen strategischen Ziele, zuletzt spezialisierte Männer für verschiedene Horch-, Koordinierungs-, und Kommunikationsstellen. Dann ging die ganze Operation los.

Als der restliche Tag und auch die Nacht vorüber waren, fanden wir uns wieder in Merseburg ein. Wir waren praktisch alle unversehrt, hatten aber des nachts Hunderte Angehörige der Volksarmee in ihren Kasernen entwaffnet und eingeschlossen. Diejenigen, die nicht in Berlin waren, wurden in der Leipziger Innenstadt wegen unserer Aufstände zusammengezogen, das war ihr Fehler. Als die Demonstrationen dort losgingen, angefeuert von unseren Leuten, mussten sie die verbleibenden Einheiten entsenden. Das Chaos in der Leipziger Innenstadt war endlos. Wasserwerfer, Prügeleien, an die tausend Verhaftete. Alle Augen waren dorthin gerichtet. Wir hatten leichtes Spiel.

Konnten klauen, was wir klauen wollten.

Jetzt, da diese Einheiten in ihre Stützpunkte zurückkehrten, würde sie eine böse Überraschung erwarten. Leipzig selbst hatten wir zu einem Schlachtfeld gemacht. Niemand dort würde die heutige Nacht vergessen.

Als ich nach ein paar Stunden Schlaf wieder erwachte, war unser Kommandozentrum im Kohlerevier um das doppelte angewachsen. Kameraden brachten immer neues erbeutetes Material, Haubitzen, Panzergranaten, bewaffnete Truppentransporter, alles Mögliche. Sogar Mittelstreckenraketen brachten sie daher, die sie irgendwo eingesammelt hatten, weil niemand da war. Es war chaotisch. Verzweifelt versuchten die wenigen, die sich mit diesem Material auskannten, herauszufinden, wo sie es gefunden hatten, weil es in der Regel ohne Zusatzmaterial nicht zu gebrauchen war, was sie aber nicht geborgen, bzw. mitgebracht hatten. Pfahler und sein Trupp versuchten Ordnung zu schaffen und dann dem Material auch Menschen zuzuordnen.

Schon ab Dienstag in der Früh trudelten laufend Freiwillige ein, die sich uns anschließen wollten. Alt-Kommunisten, Zaristen und Stasi-Mitläufer, sie alle, weil sie wussten, was der Plan ist. Der Rest kam, weil man das ja jetzt für eine offizielle westdeutsche Angelegenheit hielt und niemand die Lust oder die Position hatte, in Bonn oder Ostberlin nachzufragen, ob es denn stimmte. Weil sie so begeistert waren. Auch unter denen, die wir in den Kasernen verhaftet hatten, waren einige, die glaubhaft mitkämpfen wollten, also nahmen wir sie mit. Sie waren Gold wert, kannten sie doch die Gegend, den Feind und das Material. Und so teilten wir schon am späten Nachmittag unsere Kompanien neu auf und besetzten sie mit frischem Material und Freiwilligen. Binnen einem Tag hatten wir uns fast verdoppelt. Der gesamte Plan schien aufzugehen! Schnell waren wir bei Verbrüderung, Essen, Trinken, Gespräche und bester Laune.

Eine tolle Stimmung und eine krass-geile Aktion.

Später am Abend flüsterte mir Hoffmann zu, ich sollte ihn und ein paar Mann begleiten, unbewaffnet. Ohne zu zögern sprang ich auf, legte mein Sturmgewehr und die Pistole sorgfältig beiseite. Bereits nach zehn Minuten marschierten wir westlich nach Merseburg rein, dann verließen wir die Stadt wieder Richtung Osten, wo wir bereits einen hellen Schein am Himmel sahen. Als wir noch näher kamen, krochen wir alle gebückt, blieben in Deckung. Dann, an einem guten Standort, ließ Hoffmann uns auf einen gigantischen Flugplatz der Russen mit einer riesen Flutlichtbeleuchtung, hektischem Nachtbetrieb, mit allem Drum und Dran, auf sicher mehr 500 ha, herabblicken. Ich erkannte dutzende MiG-29 und MiG-23 Jagdflieger, in einem weiteren Bereich standen Kampfhubschrauber, Mi-24 und Mi-8 und auf der Nordseite war alles voller weiterer Bunker und Hangars. Es sah aus wie eine Raumstation aus Star Wars.

Mit dem nötigen Respekt fragte ich Hoffmann: „Die ganze Zeit waren wir um die Ecke gewesen… von das da? War das nicht riskant? Ich wusste das nicht!“ Hoffmann lächelte verständnisvoll und erklärte es mir: „Erstens gibt es in DDR Militär an jeder Ecke, egal von wem, wahrscheinlich mehr als eingetragene Indianervereine. Jeder siebte DDRler ist direkt oder indirekt beim Militär. Zweitens ist das hier, mein guter Hepp, wie eine Weltraumstation, gut isoliert, ein autarkes System. Das hier, mein lieber Hepp, ist die 16. russische Luftarmee, der ganze Stolz der Sowjet-Genossen, es ist die 6.Jagdfliegerdivision, das 85. Jagdfliegerregiment und das 139. Fliegertechnische Regiment. Dabei ist das hier nur die Hälfte, etliche Staffeln sind in Berlin für die Flugshows, der Verband der 8. Garde-Truppenarmee fehlt auch. Aber wie auch immer, die, die hier stationiert sind, die sind für das ganz große Ganze da, immer einen ernsten Blick auf den Radar und den roten Knopf,

das hier ist der Kalte Krieg.

Die sehen selbst für das Wetter auf den Bildschirm, anstatt aus dem Fenster. Somit sind sie keine Gefahr für uns. Daher mussten sie es nicht in ihren Plan einbeziehen.“ Er war maßlos begeistert. Seine Augen glühten, glänzten beim Anblick von so viel organisierter, fein abgestimmter Technik. Er flüsterte ganz leise und voller Ehrfurcht: „So viel Größe, soviel Geld und Material…“ dann aber fauchte er: „Pah! Wir erreichen in einigen Tagen das Gleiche, mit einem Bruchteil dieser Ressourcen!“. Dann bewegten wir uns langsam wieder weg, vom größten russischen Militärflughafen der DDR. Tief beeindruckt tranken wir noch gemeinsam ein paar Bier, besprachen die monströse Technik, dann knallten wir uns auf unsere Feldbetten.

Am vierten Tag teilten wir uns morgens um drei Uhr erneut auf. Geschlafen hatten wir wenig oder gar nicht, es war auch nicht nötig. Die Stimmung war blendend und es wurde viel gelacht. Vier Kompanien blieben in Merseburg, mehre Trupps wurden zusätzlich als Verstärkung auf die erbeuteten Stützpunkte verteilt. Es waren aber zum großen Teil neue Leute, weil wir Leipzig letztlich nicht als finales Ziel ansahen, sondern nur die militärischen Ziele ausknocken mussten. Noch vor dem Morgengrauen ratterten wir mit Mann und Maus Richtung Finsterwalde,

die Besten vorne weg.

Jetzt ging es ums Ganze.

Finsterwalde war ein kleines Städtchen 130 Kilometer nordöstlich von Leipzig. Es hatte zwar Bergbau und kleinere Gewerbe, entscheidend für die Finsterwalder und uns war aber, dass es zwei Militärflughäfen gab, direkt an die Vorgärten der armen Menschen angrenzend. Der eine war für eine geheime Jagdflieger-Staffel, die hier stationiert war, der andere für russische Langstrecken-Transporter, welche die Bomben und das sonstige Material für den Fliegerhorst brachten. Die Lagerung war ebenfalls gleich dort, damit die Bomben und so weiter nicht, für eventuelle feindliche Satelliten, transportiert werden mussten. Außerdem war so mehr Sicherheit gewährleistet, Beispielweise bei Bombardements, die primär den getrennt untergebrachten Jägern gelten würden. Denn jeder Atomkrieg beginnt konventionell. Für die Anlieferung gab es einen langen unterirdischen Tunnel durch den Wald.

Dieser Tunnel war die Tür, für die Hoffmann den Schlüssel hatte. Es ging uns um zwei Atombomben, für welche wir die Codes und das technische Material erhalten hatten. Das ganze hier, weil Finsterwalde seinem Namen alle Ehre machte und schlief, im finsteren Walde, alle zusammen, auch die Russen. Den Schlaf der Gerechten. Lange würde nicht auffallen, dass wir es hatten, dieses Finsterwalde, das zu den fünf wichtigsten Flughäfen der DDR im militärischen Atomprogramm der UdSSR gehörte.

Wieder war es, als würden wir einen perfekten Traum leben. Unser Angriffsplan war eine Mischung aus intelligentem Coup, Schnelligkeit und guter Aufteilung. Mit absoluter Stille verteilten wir uns im Ort, besetzten und überprüften Straße für Straße; Überrumpelten kleinere Posten lautlos. Zivilisten waren nirgends zu sehen. Am Bahnhof trennten wir uns.

Bergmann führte die Gruppe Richtung Westen, ich in Richtung Süden. Meine Leute und ich liefen durch die Innenstadt, über den Marktplatz, wir machten jetzt schneller, es war mitten in der Nacht und niemand war da. Schon bald verließen wir den Ort Richtung Süden, marschierten zehn Minuten über offenes Feld. Als wir den Flughafen erreicht hatten, blieben wir im Verborgenen und klärten die Situation. Schon beim ersten Blick durch den Zaun und auf die Piste hinab grinste ich. Die prächtigen russischen MiG waren weg, nur in einem Hangar sahen wir einige wenige, die in Reparatur waren. Ha! Alles für die Parade! Es passte alles zusammen,

und alles war wie vorhergesagt. Niemand war da!

All diese Anfälligkeit nur wegen der gigantischen Gier nach Pomp und Trallala! Die Flutlichtbeleuchtung war abgeschaltet, nur vereinzelnde Straßenlampen in und vor dem Gelände leuchteten. Wir gingen an der rechten Längsseite zum Haupteingang. Es war kein Mensch zu sehen, nur ein paar Wachen am Eingang, die Meisten wohl beim Augen-TD. Das Gelände war riesig, aber nur vier Bewaffnete lungerten gelangweilt umher. Entsprechend war der Wachhabende und seine Gruppe schnell überrumpelt und abgeführt. Ich verteilte die Männer, ließ sie die Posten besetzen, die eigentlich besetzt hätten sein müssen. Wie ein Wachoffizier richtete ich ihnen mit bösen Worten die Uniform her, weil sie aussahen wie nach einer durchzechten Nacht. Da ich es laut machte, fingen gleich alle umher auch an, sich herzurichten. Gut so. Von den Vertrauten in der Einheit zog ich ein Dutzend ab, die auf Patrouille um das Gelände gingen sollten. Für alle anderen befahl ich Schalldämpfer, Tränen- und Betäubungsgas, dann durchsuchten wir die einzelnen Gebäude, die in einem Halbkreis offen zum Flugfeld standen.

Als das Gelände gesichert war und die wenigen Männer in der Bereitschaft unsanft geweckt und verhaftet, dauerte es keine Stunde, bis Hoffmann mit seinem Führungsstab und dem gesamten Bataillon aus Kahla nachrückte. Wie ein Triumphator fuhr er, aufrechtstehend, auf das Gelände ein. Dabei war ja noch gar nichts gewonnen.

Noch bevor der Wagen zum Stehen kam sprang er schwungvoll ab und grüßte uns. Wir salutierten und er lobte uns für die super Leistung. Es gab eine kurze Lagebesprechung. Der zweite Flughafen war ebenfalls reibungslos in unsere Hände gefallen, allerdings habe man mehrere Gegner ausschalten müssen. Es gab keine Überlebenden, was mich doch kurz verwunderte. Das Gelände über und um den Bunker war sicher, wir konnten jetzt im Tunnel vorstoßen.

Bergmann war bereits mit zwei Kompanien auf dem Weg nach Bautzen, Behrendt zog mit zwei Einheiten nach Süden, schloss mit Karl-Marx-Stadt und Gera kleinere Lücken. Pfahler richtete einen fortlaufenden Transportdienst zwischen den Städten ein, um den Abtransport von erbeutetem Material nach Bautzen, unserem finalen Hauptquartier, sicher zu stellen.

Hoffmann lachte in die Runde und sagte: „Wir werden stinkreich!“. Die Runde lachte herzlich mit. Schon jetzt wusste keiner wohin mit dem ganzen geklauten Zeugs. Schnell bauten die Männer Finsterwalde zum neuen Pseudo-Hauptquartier aus. Erbeutetes Material, das nicht mitgenommen werden konnte, wurde neu aufgestellt, zusammen, rund um die Gebäude. Fingierte Verteidigungslinien arrangierten wir für die Luftaufklärung, oft nahmen wir nur die Grasnarbe weg und legten einmal Sandsäcke drum herum. Dann kamen zwei langgestreckte Uniformen und ein paar Kisten hinein. Andere Teams bauten neue Verteidigungsanlagen oder werteten Vorhandene auf, um einem ersten Angriff standzuhalten.

Wir dagegen legten unser ganzes Marschgepäck ab, ließen nur das Taktische an, dann schlichen wir in den Keller im Hauptgebäude hinab, ganz langsam, alles absichernd. Nach kurzem erreichten wir im zweiten Untergeschoss die große Verladehalle. Es sah aus wie ein kleiner Rangierbahnhof unter der Erde, mit komischen Paletten-Wagen auf Rändern. Rechterhand führten einige Aufzüge nach oben, in der Mitte standen fahrbare Kräne, an der Decke ein auf Schienen gelagertes, großes Kransystem. Alle Schienen führten am Ende der Halle, auf der linken Seite, in eine einzige Schiene, welche durch einen Tunnel den Raum verließ. Der Tunnel selbst war verschlossen. Die Männer sammelten sich etwas abseits, während Hoffmanns Spezialisten anfingen das Tor zu öffnen.

Sie kramten allerlei Maschinen und Material hervor, öffneten Schaltpläne, kleine Schachteln mit Schlüsseln und noch viel mehr. Es kam das gesamte gesammelte Geheimdienstmaterial zum Einsatz. Die Öffnung erfolgte über mehrere Stufen, ein kompliziertes System, auf Russisch. Es dauerte eine Stunde, aber dann war es geschafft. Mit großem Getöse und allerhand Lärm schoben sich die mächtigen Bolzen nach außen und das schwere Tor fuhr langsam auf, im Ganzen. Sofort sprangen wir alle hinter irgendeine Deckung und zückten unsere Waffen.

Die Beleuchtung im Tunnel schaltete sich ein und wir sahen einen blitzblank sauberen Schacht hinab, etwa halb so groß wie ein S-Bahn-Tunnel, man konnte gerade noch darin stehen. Wieder keine Menschenseele. Die Männer fingen das Diskutieren an, ob wir überhaupt richtig seien. Hoffmann beruhigte sie, gab Befehl zum Vorrücken: In vier Trupps, genau hintereinander, marschierend, es sollte ganz offiziell aussehen. Er wollte das Wachpersonal täuschen! Also taten wir es, aber wir schissen uns dabei ein, weil wir aufrecht den Gang runter marschieren sollten. Doch Hoffmann hatte Recht, in dieser pippifeinen und leeren Röhre gab es keinerlei Deckung. Der Plan war gut, aber wir waren unsicher. Dadurch bewegten wir uns so unnatürlich, dass es sowieso keinem geschulten Blick auf ein Kamerabild standhalten würde. Entsprechend ging auch ich schielend an den Kameras vorbei, starrte genauso dämlich hinein wie die anderen.

Und da Atombomben in der Regel nicht unbewacht sind, landeten wir nach fünf Minuten, in diesem Tunnel-Wirr-War, doch noch in einem Feuergefecht mit den Wachsoldaten; Und da wir so dumm aufrecht rumgelaufen waren erwischte es sofort sechs von uns gleichzeitig. Gute Leute, mit denen ich jetzt schon eine Woche verbracht hatte. Wir waren so überrascht und zornig, dass wir Ihnen, in nicht einmal einer Minute, den totalen Garaus machten, mit allem, was wir hatten, mitten im Atombunker. Jeder leerte sein MG-Magazin, während wir uns zurückzogen, dabei schmiss jeder mindestens zwei Granaten in den Raum und die Granaten zerfetzten die kleine Verteidigung, den Raum,

alles was drin war und fast auch unsere Ohren.

Erst nach einer halben Stunde konnten wir den Raum wieder betreten, erst jetzt konnte man wieder etwas sehen und dort auch atmen. Das Sicherheitsteam der Atomanlage hatte sich quasi in Luft aufgelöst.

Mehrere direkte Treffer hatten sie im Raum verteilt.

Da wo sie sich hinter einer Verteidigungsanlage verschanzt hatten, sah es aus, als hätte man eben die Wand rot gestrichen. Einer meiner Männer trat vor und nahm sich eine Waffe aus dem Matsch, man konnte sie kaum erkennen. Notdürftig machte er die Fleischfetzen von der goldenen Waffe. Als ich ihn schief ansah, weil es so ekelhaft war, offenbarte er: „Verdammt, ein Walter Unterhebel-Repetiergewehr mit Goldbeschlag!“ Und sah unschuldig drein. Die Augenbrauen hebend,

halb kotzend, keuchte ich: „Ich verstehe“.

Über eine weitere Treppe folgen wir einem langen Tunnel, jetzt Richtung Norden. Erst nach dreißig Minuten waren wir an einem nächsten Tor, es war weniger stabil, mehr eine Abgrenzung, vermutlich Strahlenschutz, sie war aber auch befestigt. Wir entschieden sie zu Sprengen.

Würde etwas direkt dahinterliegen, würden wir Pech haben. Mit einem riesen Wumm zerbarst das Tor in tausend Stücke, wieder mussten wir lange warten. Als wir diesmal vorrückten, ergaben sich die restlichen Sicherheitstrupps dahinter. Vielleicht hatten sie am Bildschirm gesehen, was den anderen passiert war, zumindest einer von denen starrte ungläubig und traurig auf die eben geklaute, goldene Walther des Kollegen. Sicher hatten sie Alarm ausgelöst. Wir legten sie in Ketten, dann ging es schon wieder weiter. Diese Anlage war immens. Erneut gingen wir eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der Gang endlich in sieben Einzelgänge aufteilte. Überall gedämpftes, sakrales Licht. Eine anmutige Stimmung. Jeder Gang führte nochmals tiefer in den Boden, wir waren da.

Ehrfürchtig blieben wir stehen, es war unbeschreiblich.

Hoffmann ging langsam voraus, begutachtete einen der beachtlichen Räume, dann kam er zurückgeschlichen. Sein Gesicht ähnelte durch die Beleuchtung einer Figur auf einer Weihnachtskarte. Als wären wir in der Kirche gewesen, kam er ganz nah, erst dann flüsterte er:

“Das müsst ihr sehen, es ist himmlisch!“.

Sofort trat jeder von uns irgendwo in einen der Räume hinab, auch ich. Nach einer weiteren Treppe stand ich in einem relativen großen, langgezogenen Raum, erbaut wie eine schlanke Kathedrale, mit großen Bögen und einer sanften Beleuchtung der Decke. All das wieder mit Hebebühnen und Kränen. Aber das Wichtige:

In der Mitte lagen sechs große Kisten, sanft und stimmungsvoll in Szene gesetzt. Die Bezeichnungen darauf ließen keinen Zweifel offen, es waren sechs Atombomben. Mal sieben Räume, also gesamt 42 Stück. Gerührt wie in der Messe blieben wir im gedämpften Licht stehen, keiner sagte ein Wort. Wie in einer Ausgrabungsstätte,

gerade entdeckt.

Nach einem Moment bewegte ich mich wieder nach oben. Schon brachte das eingeteilte Team unsere Bomben Nr. 38 und Nr. 39 weg. Man merkte den Männern die Nervosität an.

Niemand hatte erwartet, dass wir so schnell soweit kommen würden!

Jetzt, da wir das erste Etappenziel erreicht hatten, war die Aufregung in der Mannschaft groß. Hoffmann kam auf mich zu, seine Augen funkelten. Er packte mich fest an den Schultern. Der Stolz in seinem Blick kannte keine Grenzen. Wir fielen uns in die Arme, so wie viele andere auch, dann machten wir aber schnell weiter, räumten den Keller, nicht aber ohne wieder überprüft zu haben, was es zu klauen gab. Die Russen waren ja immer für Überraschungen gut. Wir suchten also weiter, mehr aus Neugierde und Spaß … und wurden belohnt: Russisches Material, altes Material der Sachsener Nazis und eine Menge an wertvollen Gütern, auch viele Kassetten voll Gold.

Als wir wieder ins Freie heraustraten brach schon der neue Tag an. Ein leichter heller Schimmer war am Himmel auszumachen. Hoffmann bat erneut zur Lagebesprechung mit dem gesamten Stab. Er erinnerte daran, dass man am besten noch vor dem Morgengrauen in Bautzen sein sollte, um sich im von Bergmann errichteten, echten und bereits letzten Hauptquartier zu treffen. Bei Tageslicht konnten unsere Bewegungen allzu leicht ausgemacht werden. Er gab mir nochmals meine Befehle für die Verteidigung von Finsterwalde, erinnerte mich daran, dass sie hier zuerst auftauchen würden. Wie immer gab ich an, wie sehr meine Männer und ich uns darauf freuen würden. Die Männer lachten dazu. Auch Hoffmann lachte. Ich rief: „Wir werden ihnen die Hölle heiß machen!“

Dann wendete sich Hoffmann an das Blankenburger Team. Es hatte eine der schwersten Aufgaben. Er sollte Verwirrung in Brandenburg schaffen, durch leichtere Angriffe, so dass die Invasion flächendeckend aussah, bzw. es schwerer auszumachen war, wo wir uns wirklich befanden.

Denn es galt noch andere Ziele anzufahren, für unseren Raubzug.

Diese Raubzüge mussten kaschiert werden, auch der rege Flugverkehr von und nach Bautzen. Schon wie wir noch redeten, waren die Bomben verladen und die Transporter, Jeeps und anderen Fahrzeuge des Bataillons setzten sich in Bewegung. Hoffmann verabschiedete sich gebührend von mir, versicherte mir abermals, dass die Atombomben meine knapp 200 Leute schützen werden. Ich lieb zurück, mit neuen Männern, eigenen Leuten, mit Betrunkenen und Action geladenen Dahergelaufenen, einem bunten Mix. Seufzend dachte ich, das war kein Kommando hier, sondern die Arbeit eines Schenkwirts. Mein Plan mit der atomaren Abschreckung würde wohl meine einzige Chance sein.

Dann blickte ich mich um,

das Flugfeld war nicht wieder zu erkennen. Hoffmanns Leute hatten ganze Arbeit geleistet, soweit so gut. Wer das sah, musste glauben, wir wären mit doppelt so vielen Männern hier. Schnell ging ich die Planung unserer Verteidigung mit meinen Unteroffizieren Maus und Staller an. Als wir dabei das nordöstliche Gelände auf dem Fliegerhorst begutachteten, fanden wir die geschützten Hangar-Anlagen der Kampfjets. Als ich in einen hineinging, war ich baff. Vor mir stand eine funkelnagelneue, russische MiG mit einer Ausrüstung, wie ich sie nicht kannte. Auf den Tragflächen des Jets mit der Bezeichnung 31D waren vertikale, dreieckige Flächen angebracht, wie Schwimmflossen. Es sah aus als müsse sie mit sehr geringer Geschwindigkeit fliegen können. Eine MiG im Bodenkampf?

Da ich meinen Augen nicht traute, wechselte ich in den nächsten Unterstand, auch dort eine brandneue Maschine, allerdings mit einer anderen Konfiguration. In jedem Hangar fanden wir viele komplexe Zusatzausrüstungen, Trägerraketen und Lafetten. Wieso waren diese Maschinen hier? Und wenn sie da waren, warum waren sie nicht bewacht gewesen? Wir saßen hier, mit lediglich sechs Mann Verlust, auf Milliarden und aber Milliarden Mark an modernstem Waffengerät. Total Irre. Ich ging am Hangar 7 vorbei, er war vernichtet, von Nazis 1945 selbst in die Luft gesprengt, man konnte diesen Hangar niemanden überlassen. Wie schade! Was sie dort vernichtet hatten, hätte vielleicht noch den Sieg bedeutet. Als ich am Ende des Geländes ankam, bemerkte ich noch einen Hangar, fast zugewachsen. Sofort brannte ich ob der Möglichkeit eines Schatzfundes und stürzte hinein.

Ich wurde nicht enttäuscht:

Vor mir stand, zu meiner größten Entzückung, wie frisch vom Band, eine Focke Wulf Fw 190 A8 R8, meine Frau hätte gesagt, so ein Flugzeugdings der Nazis. Ich hätte heulen können vor Freude. Sie war ein wunderschöner deutscher Sturmjäger von 1945, als erste mit zusätzlichen, internen 30mm MK 108 Zwillingsgeschützen in den massiven Tragflächen, so wie die Amerikaner das machten, dazu mit der doppelt gepanzerter Cockpit-Verglasung und einem voll einfahrbaren Fahrwerk, welches eine längere Achse erlaubte.

Sie glänzte und strahlte im künstlichen Licht der Anlage, das durch das offene Tor trat. Durch die frische Morgenluft lag viel Feuchtigkeit in der Luft und kam über das offene Tor herein. Sie war überall an ihrem schlanken Rumpf mit kleinen Wassertropfen benetzt. Langsam ging ich an ihrem Bauch entlang, strich sie zärtlich.

Sie hatte ein Lachgas- und Methanol-System, das den Jäger für zehn Minuten, je nach Höhe, auf über 700 km/h brachte. Ihr Doppelreitertank in den Tragflächen hielt knapp 600 Liter Sprit, der Methanol Tank hinter dem Sitz 100 Liter, die einen 1.700 PS Motor speisten. Dieses Flugzeug gab es offiziell nicht mehr, kein einziges, erstrecht nicht dieses, und das hier hatte keinen Kratzer! Der Wert war unermesslich und sie war eine echte Schönheit. Kurz lehnte ich mich mit der Brust gegen sie und schmiegte mich mit dem Gesicht an das blanke Metall, dabei fuhr ich gefühlvoll über den großen, geschwungenen Propeller aus feinstem Schichtholz, der den Flieger unempfindlich gegenüber Schwingungen machte.

Bis 1945 war in Finsterwalde die Flugzeugführerschule, es war ein wichtiger Flugplatz, viel Gerät wurde hier erprobt, so auch die V8, die Fw 190 A8R8, diese Schönheit. Als die Truppen vor den Russen flüchten mussten, war es überhastet, viel wurde liegen gelassen, mehr noch gesprengt. Nicht so diese Göttin von Focke Wulf. Scheinbar hatten die Russen den gleichen Gefallen an ihr gefunden, denn nach 44 Jahren lag nicht einmal Staub auf ihr.

Meine Begeisterung galt einem Glanzstück deutscher Ingenieurskunst, sie war kein Himmelfahrtskommando von ein paar Irren, wie die Horten 229 oder die Messerschmidt LI 262 in letzter Minute, aus dem Stollen heraus, oder andere Taschenspielertricks. Sie war eine ausgereifte Maschine, die es leider nicht mehr zu einer umfassenden Produktion schaffte, auch wenn man alles versucht hatte. Sie wäre das ideale Bindeglied bis zur Generaleinführung der Strahltriebwerkler gewesen.

Als ich gehen musste, drehte ich mich noch zu ihr um, wollte ihr sagen: „Ich kann dich leider nicht mitnehmen!“ und sah sie mir noch einmal an, die Hübsche, dann war ich weg. Schließlich besaßen wir seit 39 Minuten, seit 05: 47 Uhr, zwei Nuklearbomben der Russen und wollten dieses schöne Land bis aufs Hemd ausziehen.

Die Prometheus Initiative

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