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12.
ОглавлениеNeyla
Mahina war erst in den frühen Morgenstunden zu ihr zurückgekommen.
Neyla war außer sich vor Wut und Hass. Hass auf Mahina. Wieso bekam das Kind die Aufmerksamkeit, die ihr Zustand? Warum wurde Mahina so aufgenommen und sie, Neyla, nicht?
Das Kind war mehr als undankbar. Schließlich hatte SIE Jared für Mahina ausgesucht. Wenn SIE nicht an diesem Abend auf der Jagd gewesen wäre, hätten sie Jared und das Dorf hier nie kennengelernt. Mahina war ihr zu Dank verpflichtet! Davon abgesehen, kümmerte sie sich nun schon seit . . . ach, es war auch egal, wie viele Jahre es jetzt waren.
Und nun kam das undankbare Kind auch noch mit einem Korb voller Klamotten. Wutentbrannt riss Neyla Mahina den Korb aus der Hand und schmiss alles durch den Raum.
„Das brauchst Du alles nicht! Ich erlaube es nicht, dass Du nur ein Teil davon behältst.“ Dann begann sie, auf Mahina einzuschlagen. Mahina war total erschrocken. Sie hatte gedacht, Neyla würde sich für sie freuen. Weinend rutschte sie an der Wand hinunter, legte den Kopf auf die Beine und ihre Arme schützend um ihren Kopf. Nun trat Neyla nach ihr.
„Du undankbares Balg!“, doch Neyla schrie nicht. Sie brüllte zwar irgendwie, aber leise, ganz leise, was es für Mahina noch schlimmer machte. „Hast Du wenigstens mit Jared, oder irgendjemand anderem hier aus dem Dorf geschlafen? Hast Du Dich anfassen lassen, wie ich es Dir erklärt habe, wie ich es wollte?“ Weinend schüttelte Mahina den Kopf. „Auf Dich ist kein Verlass! Du bist ein nichtsnutziges Balg!“
Irgendwann hatte sich Neyla beruhigt. Sie saß auf der Couch, während Mahina immer noch weinend in einer Ecke des Zimmers auf dem Boden kauerte.
Nichts hatte funktioniert. NICHTS!
Na ja, vielleicht doch. Der Plan war die letzten Tage immer weiter fortgeschritten.
„Wir werden heute noch das Dorf verlassen, Mahina. Es wird Zeit, dass Du auf Deine Insel zurückkommst und die ganzen Flausen Deinen Kopf wieder verlassen.“ Neyla stand auf: „Komm, es wird Zeit für uns zu gehen.“
*****
Neyla
Mit forschem Schritt verließ sie das Haus, ging über die Straße Richtung Gemeinschaftszelt. Sie hoffte, dort den Alpha zu finden. Mahina, wieder in ihrem weißen Kleid, ging drei Schritte hinter ihr und trug Neylas Tasche.
Sie hatte Glück, denn Drake war schon von weitem auf dem Festplatz sichtbar.
„Alpha.“ Neyla senkte den Kopf.
Drake
Es war noch früh am Morgen. Er stand mit Brauner Bär und Hiamovi und einigen anderen zusammen auf dem Festplatz. Heute würden Takomaha und Arizona wieder nach Hause kommen. Er hoffte, endgültig, denn soweit Drake wusste, war ihre Ausbildung als Ärzte erst einmal beendet. Zumindest bis zum nächsten Sommer würden sie wohl keine weitere Ausbildung machen.
Er sah Neyla und Mahina schon von weitem. Neyla kam festen Schrittes auf ihn zu. Mahina ging mit gesenktem Kopf ein paar Schritte hinter ihr und trug eine kleine Tasche. Und sie trug wieder dieses weiße Kleid?
Dann stand Neyla in seiner Nähe. Als er den Blick auf sie richtete, sprach sie ihn an.
„Alpha.“, sagte Neyla und senkte den Kopf.
„Ja? Neyla, wie kann ich Dir helfen?“
„Alpha, ich . . . wir möchten uns für Eure Gastfreundlichkeit bedanken. Es wird Zeit für uns, weiter zu ziehen.“ Neyla hob den Kopf und sah ihn an. „Wir verlassen jetzt Euer Dorf, Alpha.“
„Oh . . . jetzt?“ Drake war erstaunt und auch irritiert. „Nur Du? Oder ihr Beide?“
„Wir beide.“, antwortete Neyla.
Drake sah sich suchend um. Wo war Jared? Sie konnte doch Mahina nicht mitnehmen. Aber das musste Jared entscheiden. Das war Jareds Kampf, nicht seiner. Er holte Luft. „Jetzt sofort? Warum wartet ihr nicht bis morgen? Wir feiern heute Abend wieder ein großes Fest, denn zwei unserer Wölfe kommen heute nach Hause.“ In Drakes Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn Jared Mahina heute – oder heute Nacht – noch markieren würde, könnte Neyla sie nicht mehr mitnehmen. Wieder sah er sich suchend um. Wo, großer Wolf, war Jared nur?
„Nein, Alpha“, sagte Neyla gerade. „Vielen Dank für die Einladung, aber wir gehen jetzt. Ich habe nur eine Frage.“
„Und die wäre?“, hakte er nach.
„Ich würde gerne im Juni zu Besuch kommen, wenn bei Euch das große Fest zum Sonnentanz stattfindet. Würdest Du das erlauben oder mich vielleicht sogar dazu einladen?“, fragte Neyla.
„Gerne!“, rief Drake aus. „Es wäre uns eine große Freude, Dich UND Mahina zum Sonnentanz begrüßen zu dürfen.“
„Danke, Alpha, für alles.“
Neyla drehte sich um und ging fort. Mahina folgte ihr.
Mahina
Mahina war fassungslos.
Sie würden jetzt das Dorf verlassen? JETZT?
Was würde aus ihr werden?
Jared! Wo war er?
Doch wer war sie, dass sie die Entscheidung von Neyla anzweifeln durfte oder konnte? Ein Niemand. Keiner mochte sie, keiner wollte sie. Das hatte ihr Neyla erst heute Morgen eindeutig klar gemacht.
Traurig und weinend verließ Mahina mit Neyla das Dorf.
*****
Wie hätte sie auch nur ahnen können, dass die Götter es gut mit ihr gemeint hatten und ihr einen neuen Partner gewährt hätten?
Neyla wusste nicht, dass sich ihre Wünsche, ihre Träume vom Prägen und Markieren nicht noch einmal erfüllen würden, dass sie niemals wieder trächtig werden und eigene Welpen gebären würde.
Sie ahnte nicht, dass es für sie ‚den Einen‘ nicht noch einmal gab.
Sie konnte nicht vermuten, dass damals – in einer dunklen schneeverdeckten Nacht, als ein Welpe aus dem Kinderbett gestohlen wurde – sich der für sie ‚Eine‘ mit dem Alpha auf der Jagd befand.
Als die Nachricht den Alpha erreichte, dass sein Weibchen wohl auf dem Sterbebett liegen würde und sein Welpe nicht mehr auffindbar war, hatte sich die ganze Jagdgesellschaft von der Gruppe Elche zurückgezogen. Sie hatten erst einige Tage gebraucht, um die Gruppe überhaupt zu finden. Jetzt, im Winter, schlossen sich die Elche oft zu kleinen Gruppen von fünf bis zehn Tiere zusammen. Solch eine Verbindung stellte eher ein Zweckbündnis dar, als einen echten Sozialverband. Die Tiere fraßen getrennt und ihre Ruhelager waren oft fünf Meter von dem nächsten Tier entfernt. Manche legten sich sogar mit bis zu einhundert Metern Abstand zum nächsten Artgenossen zum Schlafen nieder. So war es ein Leichtes gewesen, die Tiere im Schlaf zu überwältigen und zu töten. Nun hatten sie drei Tiere getötet. Viel war es nicht, aber es würde erst mal reichen müssen.
Der Alpha lebte mit seinem Rudel in der Nähe des Berges Koli in Nordkarelien. Der Berg an sich war nur ungefähr 350 Meter hoch, bot aber einen atemberaubenden Blick über die Seen und Inseln der Umgebung. Auch wenn sich der Koli-Berg im großen Koli-Nationalpark befand, schützte er doch sein Rudel vor den Menschen. Denn diese besuchten zwar den Berg, aber die markierten Wanderwege führten weit an seinem Dorf vorbei.
Der Berg bestand größtenteils aus weißem Quarzig und war ein Überbleibsel eines weitaus größeren Gebirges. Aber die Berge waren damals in der Eiszeit durch die Gletschermassen abgeschliffen worden und der Koli-Berg alles, was davon übrigblieb.
Karelien erstreckte sich vom Ladogasee im Süden bis zum Polarkreis im Norden und vom Finnischen Meerbusen im Westen bis zum Weißmeer im Osten. Mitten durch die dünn besiedelte Region lief die über 700 Kilometer lange Grenze zwischen Russland und Finnland. Karelien war die Region Finnlands, in der über viele Jahrhunderte die Interessen der früheren Großmächte Schweden und Russland kollidierten und musste mehrere Teilungen erdulden. Mit der Abtretung der Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg verlor Finnland rund ein Zehntel seiner Staatsfläche. Was dem Land von Karelien blieb, wurde in Finnland als Südkarelien und Nordkarelien bezeichnet.
Und der Alpha lebte nun schon seit vielen Jahren mit seinem Rudel in Nordkarelien.
Sie waren eigentlich Polarwölfe und kamen aus Ellesmere Island. „Amarok“, was so viel wie „der riesige Wolf“ hieß, wurden sie damals von den Eskimos genannt. Gejagt wurde das Rudel dort nicht. Zu tief verwurzelt war der Respekt vor dem ‚Phantom der Eiswüste‘, das dort überlebte
Die Landschaft und das Klima auf den kanadischen Arktisinseln wie Ellesmere Island standen für das trostlose Ende der Welt: kurze, dunkle Tage, schneidend kalte Winde, Schneestürme und Dauerfrost bis minus fünfzig Grad. Schützende Wälder gab es nicht, dafür Eisberge, Schneefelder, Gletscher, Felsen und schroffe Küsten. In dieser Umgebung behaupteten sie sich lange. Aber als Gestaltwandler hatten sie auch eine menschliche Seite, wenn diese auch nur in den spärlichen Sommermonaten sichtbar wurde.
Viele der Welpen überstanden den harten und kalten Winter nicht und starben an Hunger und Kälte schon im Kinderbett. Auch gab es in den harten Wintermonaten nur wenig zu jagen. Daher hatte sie irgendwann in einer Sitzung beschlossen, umzusiedeln, und waren in Karelien gelandet.
Hier waren die Winter immer noch kalt, oft mit Temperaturen bis zu minus zwanzig Grad oder niedriger. Aber im Sommer stiegen die Temperaturen auch schon mal bis zu zwanzig Grad Plus an. Hier waren sie eigentlich nur über die Wintermonate Wölfe, in denen sie jagen konnten. In den Sommermonaten waren viele Menschen und suchten sich einen Job. Das Dorf wurde ausgebaut oder renoviert, denn die langen und kalten Wintermonate zerstörten auch viel. Aber der Umzug war gut gelaufen und sie fühlten sich, soweit er wusste, hier alle sehr wohl. Und die Welpen starben nicht mehr. Oder nur noch sehr selten. Und nun war sein Welpe fort!
Nachdem die beiden jungen Wölfe sie gefunden und die Nachricht die jagende Gruppe erreicht hatte, wurde die Jagd abgebrochen und sie machten sich direkt auf den Weg zum Dorf.
Der, der für Neyla bestimmt gewesen war, war mit einigen wenigen bei den erlegten Tieren geblieben. Sie würden sie langsamer nach Hause bringen. Ohne die Beute waren der Alpha und die anderen Wölfe viel schneller.
Was die zurückbleibende Gruppe nicht wusste, war, dass sie sich in dieser Nacht in der Nähe der Höhle eines Braunbären befanden, den der Geruch der frischerlegten Elche aus seinem Schlaf riss. Und der Bär war hungrig.
Er, der Neyla bestimmte Wolf, stellte sich dem Bären in den Weg, um seine Gruppe zu schützen.
Der Kampf war ungleich und schnell.
Während sich die Gruppe mit den erlegten Elchen wieder auf den Weg zum Dorf machte und keine Pause mehr einhielt, schlug der Bär seine Zähne in den Wolf.
Dessen letzte Gedanken galten der Gruppe und der Hoffnung, dass sie ohne weitere Verluste das Dorf mit den drei Elchen erreichen würde.
Nie hatte er die Liebe erlebt, sich nicht geprägt, nie ein Weibchen markiert.
Dann war er tot und der Bär ließ nichts von ihm übrig.