Читать книгу Teufelsmord - Ein Fall für Julia Wagner: Band 1 - Tanja Noy - Страница 15

10. KAPITEL

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Hexe

Sie hatte beschlossen, den Weg zu Fuß zu gehen. Dann konnte sie sich wenigstens mit gutem Gewissen betrinken, je nachdem, wie die nächsten Stunden verliefen. Und da machte Julia sich wenig Hoffnung.

Es bedurfte nicht viel, um hier Angst zu bekommen. Genau genommen bedurfte es überhaupt nicht viel, diesen Ort als bedrohlich und unheimlich zu empfinden, auch ohne all die Erinnerungen, die die Fantasie beflügelten.

Für einen Moment blieb sie stehen, sah sich auf der Straße um und stellte fest, dass außer ihr kein Mensch unterwegs war. Wie eine Filmkulisse, dachte sie bei sich und betrachtete die weiß verputzten Häuser mit den dunklen Fenstern, die aussahen, als hätte sie jemand – ohne Sinn und Plan – wie Salzkörner einfach links und rechts an die Straße gestreut.

In der nächsten Sekunde durchbrach ein unvermitteltes und ungewöhnlich lautes Fluchen die Stille. Eine wahrhaft reiche Vielfalt an Schimpfwörtern, die auf großen Zorn hindeuteten.

Julia wandte sich um und entdeckte eine kräftige Frau um die fünfzig, mit grauem Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Sie trug dunkle Cordhosen und schlammige Stiefel und reckte die Fäuste gen Himmel. Die Tür zu dem Haus, vor dem sie stand, stand offen, was nahelegte, dass sie gerade dort herausgekommen war.

Einen Moment kämpfte sie mit sich, dann machte Julia ein paar Schritte auf die fremde Frau zu. Die wandte den Kopf und stellte fest: „Sie sind nicht von der Polizei.“

„Nein. Ich kam zufällig vorbei und dachte, Sie bräuchten vielleicht Hilfe.“

„Verdammt noch mal, ja, ich brauche Hilfe!“, zischte die Frau. „Sehen Sie selbst!“ Sie trat zur Seite, sodass der Blick auf die weiße Hauswand frei wurde, die von dem überdimensional großen Wort HEXE verunziert wurde, das offenbar gerade erst aufgesprüht worden war. Jedenfalls roch die Farbe noch frisch.

„Vandalismus!“, zischte die Frau. „Reiner, bösartiger Vandalismus! Wo bleibt die Polizei, wenn man sie braucht?“

Im selben Moment fuhr ein Streifenwagen um die Ecke. Ein kräftiger Polizist mit birnenförmigem Schädel stieg aus und kam auf sie zu.

„Na, da haben Sie ja die Hilfe, die Sie benötigen“, stellte Julia fest und wollte sich umdrehen, um weiterzugehen.

„Nein, warten Sie!“ Die Frau griff nach ihrem Arm. „Ich möchte, dass Sie hierbleiben. Bitte.“

Julia hob die Augenbrauen. „Warum?“

„Ich möchte, dass Sie sich ansehen, wie einem hier von der Polizei geholfen wird.“

Am Ende hatte sie sich, so gut es ging, zurückgehalten, und die Frau, von der Julia inzwischen wusste, dass sie Paula von Jäckle hieß, beruhigte sich immerhin so weit, dass sie einigermaßen zusammenhängend über die Situation berichten konnte. Sie war gerade erst nach Hause gekommen, erzählte sie, und hätte dann die Bescherung gesehen. Nachdem sie ins Haus gerannt war, um die Polizei zu verständigen, und dann wieder nach draußen, um sich die Sache noch einmal genauer anzusehen, war diese junge Frau dort vorbeigekommen … An der Stelle lenkte ein ausgestreckter Zeigefinger die Aufmerksamkeit des Polizisten auf Julia, die sich nach Kräften bemühte, den Anschein der unbeteiligten Dritten zu erwecken, die sie ja schließlich auch war. Der Polizist, von dem sie inzwischen wusste, dass er Ebeling hieß, sah sie einen Moment prüfend an und wollte dann wissen: „Wie war noch mal Ihr Name?“

Julia sagte es ihm und für einen kurzen Moment schien er sich zu verspannen. Doch es war wirklich nur ein ganz kurzer Moment, in dem er sie taxierte, und zu welchem Urteil er dabei kam, war nicht zu erkennen. Dann wandte er sich wieder an Paula von Jäckle. „Hast du nichts mitbekommen?“, wollte er wissen.

Nein, meinte Paula, sie hätte nichts mitbekommen. Sie wäre ja auch gar nicht da gewesen. „Heute Nachtmittag, als ich wegfuhr, stand das da noch nicht auf meiner Hauswand“, stellte sie fest. „Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass, wer auch immer dahintersteckt, mutig genug wäre, das anzurichten, während ich im Haus bin.“

Ebeling machte sich nicht einmal die Mühe, die Aussage mit ein paar Notizen festzuhalten. Er atmete lediglich einmal tief ein und dann langsam wieder aus, ehe er die nächste Frage stellte: „Hast du dich kürzlich mit jemandem gestritten?“

„Gestritten?“, fuhr Paula auf. „Hier im Dorf? Nicht mehr als üblich.“

„Dann waren es vermutlich Kinder, die sich einen kleinen Spaß erlaubt haben.“

„Kinder?“, zischte Paula. „Ganz bestimmt waren das keine Kinder. Das weißt du so gut wie ich, Ebeling.“

Der Polizist lächelte dünn. „Du weißt, dass dein … Hobby vielen im Ort schwer im Magen liegt. Und gerade jetzt trägt es nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter bei.“

„Das ist nichts als das Geschwätz böswilliger Leute, die nichts Besseres mit sich anzufangen wissen, als anderen Schlechtes nachzusagen. Wozu braucht man Feinde, wenn man solche Mitbürger hat?“ Paula verstummte, um Atem zu schöpfen.

Ebelings dünnes Lächeln blieb ungebrochen.

„Ich sagte, wozu braucht man Feinde, wenn man solche Mitbürger hat?“, wiederholte Paula.

„Ich hab es gehört“, gab Ebeling zurück. „Hör zu, nimm es als üblen Scherz, mach es weg, und halt dich in Zukunft ein wenig zurück. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht raten.“ Seine gesamte Mimik war die eines Mannes, der einen Auftrag hinter sich gebracht hatte, der in seinen Augen von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

„Sehen Sie, genau das meine ich!“, polterte Paula in Julias Richtung, nachdem er mit dem Streifenwagen wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden war. „Und dafür zahle ich meine Steuern! Das ist doch nicht in Ordnung!“

„Ich würde sagen, er hat sich die größte Mühe gegeben, so zu tun als würde ihn die Sache interessieren.“ Julia konnte sich einen kleinen Anflug von Sarkasmus in der Stimme nicht verkneifen. „Melden Sie es am besten Ihrer Versicherung.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich muss jetzt wirklich …“

„Natürlich.“ Paula blickte sie jetzt aufmerksam an. „Danke, dass Sie geblieben sind. Wie sagten Sie, war Ihr Name?“

„Julia Wagner.“

Als hätte sie der Blitz getroffen, richtete Paula sich auf. „Nein!“

Noch einmal sah Julia auf die Uhr. „Hören Sie, ich muss jetzt wirklich …“ Als sie Schritte hörte, wandte sie sich um und erkannte zuerst den schwarzen Anzug mit dem weißen Kragen, dann den dazugehörigen schlanken Mann mit dem dunklen, leicht angegrauten Haar. Fast eine feminine Schönheit, die mehr an einen – etwas in die Jahre gekommenen – Rockstar erinnerte als an einen katholischen Pastor.

Der Mann lächelte. „Hallo Julia. Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Julia lächelte zurück. „Pastor Jordan.“

„Ich war gerade auf dem Weg ins ‚Eck‘, als ich dich hier stehen sah. Wollen wir? Oder hast du hier noch etwas zu erledigen?“

Julia schüttelte den Kopf. Noch ein letztes Mal drang Paula von Jäckles Stimme in ihr Bewusstsein: „Wir müssen miteinander reden, Frau Wagner. Hören Sie? Es ist wichtig! Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen! Melden Sie sich bei mir!“ Dann nickte sie Jordan kurz zu, ehe sie im Haus verschwand.

Teufelsmord - Ein Fall für Julia Wagner: Band 1

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